Suchttherapie 2000; 1(1): 34-35
DOI: 10.1055/s-2000-13128
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Dualstation der Psychiatrischen Universitätsklinik „Burghölzli” Zürich

Ward for Dual Diagnoses Patients at the University Psychiatric Hospital Burghölzli in ZurichJosef Hättenschwiler, Hans-Rudolf Pfeifer, Verena Zwicker, Jirí Modestin
  • Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Schweiz
Further Information

Dr. Josef Hättenschwiler

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Lenggstrasse 31

8029 Zürich

Schweiz

Email: jhaettenschwiler@inet.web-serv.ch

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Table of Contents #

Einleitung

Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, früher unter dem Namen Burghölzli bekannt, gewährleistet die stationäre psychiatrische Versorgung von 350 000 Einwohnern der Region Zürich mit über 2000 aufgenommenen Patienten/Patientinnen pro Jahr.

Die Station mit insgesamt 15 Betten wurde 1992 als erste Schweizer Spezialeinrichtung für Patienten mit Doppeldiagnosen eröffnet. Konzipiert war sie von Anfang an als geschlossen geführte Akuteinrichtung, in welcher gleichzeitig der Drogenentzug sowie die psychiatrische Akutbehandlung und daran anschließend die Stabilisierungstherapie durchgeführt werden können. Die Dualstation Burghölzli nimmt sehr niederschwellig, d. h. meist ohne vorselektionierende Vorgespräche, jeden Patienten/jede Patientin auf, welcher/welche die Kriterien der Doppeldiagnose erfüllt. Die Doppeldiagnose im Sinne des vorliegenden Konzepts impliziert neben einer psychischen Störung einen Abusus respektive eine Abhängigkeit von illegalen Suchtmitteln. Das Konzept wird laufend den gewonnenen Erfahrungen und neuen Bedürfnissen angepasst. Die Station hat sich inzwischen als wichtiger Bestandteil der überregionalen psychiatrischen Versorgung etabliert und ist gut vernetzt.

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Das Konzept der Station

Im umfassenden stationären Behandlungskonzept wird versucht, psychiatrische, suchttherapeutische und soziotherapeutische Ansätze zu vereinen, um der mehrdimensionalen Problematik des Dualpatienten gerecht zu werden. Die Motivation der Patienten für die Behandlung, die Förderung der Einsicht in die Zusammenhänge der Doppelproblematik und die Therapie der akuten psychischen Störung stehen nebst Erreichen und Aufrechterhalten der Abstinenz im Vordergrund.

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Psychiatrisch-psychotherapeutische Elemente

Die Stationskultur wird durch das therapeutische Milieu geprägt. Ein verbindlicher Tagesplan regelt das Zusammenleben auf der Station. Die Aktivitäten werden mit der Patientengruppe geplant. Viele Aufgaben des alltäglichen Lebens wie Kochen, Waschen, Raumpflege etc. werden durch die Patienten selbst ausgeführt. Der offene Umgang miteinander, die Wertschätzung jedes Einzelnen und die Zuverlässigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten die Basis zur Gestaltung einer vertrauensvollen Atmosphäre auf der Station, in der es möglich wird, individuelle Probleme konstruktiv anzugehen. Nebst täglichen Gruppengesprächen finden Einzelgespräche mit Bezugspersonen, ärztliche Gespräche und psychotherapeutische Sitzungen im engeren Sinne statt. Das Bezugspersonensystem gewährleistet eine kontinuierliche Begleitung jedes Patienten/jeder Patientin im Stationsalltag. Großer Wert wird auf den Einbezug der Familie resp. des näheren sozialen Umfeldes gelegt. Bei einigen Patienten führen diese zunächst noch explorativen Gespräche zu eigentlicher Familientherapie. Pharmakotherapie hat entsprechend der akut-psychiatrischen Problematik der Patienten einen wichtigen Stellenwert. Psychologische und somatische Abklärungen sowie Physiotherapie werden durch die entsprechenden Dienste der Klinik vorgenommen.

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Suchttherapeutische Elemente

Entzüge werden in der Regel medikamentös unterstützt. Um ein suchtmittelfreies Milieu zu gewährleisten, werden regelmäßig Drogenurinscreenings und Atemluftkontrollen durchgeführt. Rückfälle werden in der Gruppe offengelegt und im Einzelgespräch aufgearbeitet. Individuelle Konsequenzen sollen konstruktiv wirken und die Abstinenzmotivation stärken. Zur Rückfallprävention werden kognitiv-behaviorale, der Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Selbstkontrolle dienende Techniken angewendet.

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Weitere Behandlungselemente

Viele Patienten/Patientinnen sind bei Eintritt ohne Arbeit oder Beschäftigung, haben keine Unterkunft, indessen Schulden und Probleme mit der Justiz. Nach einer Standortbestimmung werden unsere Patienten in diesen Belangen beraten und bei der Planung und Realisierung der gesteckten Behandlungsziele unterstützt. Großer Wert wird auf das Training sozialer Fähigkeiten gelegt mit dem Ziel, ein Beziehungsnetz außerhalb des Drogenmilieus aufzubauen und den Umgang mit Geld, das Schreiben von Bewerbungen, das Führen von Vorstellungsgesprächen etc. einzuüben. Auch Anleitung in Haushalts- und Arbeitstraining, Werken und Gestalten sowie Freizeitgestaltung werden angeboten. Weitere therapeutische Elemente sind Sport und Bewegungstherapie zur Verbesserung der Körperwahrnehmung und der körperlichen Leistungsfähigkeit.

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Behandlungsphasen

Die Behandlung umfasst im Idealfall drei Phasen, welche fließend ineinander gehen und deren Dauer der individuellen Situation und dem Schweregrad der psychischen Beeinträchtigung des Patienten angepasst wird.

  1. In der Entzugs- und Akutbehandlungsphase stehen der Entzug sowie die Behandlung der akuten psychischen Symptomatik im Vordergrund. Außerdem gilt es, den Patienten sukzessiv Einsicht in die Doppelproblematik zu vermitteln, sie für eine langfristige Behandlung der psychischen Störung und eine dauerhafte Abstinenz zu gewinnen und mit ihnen weitere Behandlungsschritte zu planen.

  2. In der Stabilisierungsphase geht es um die Förderung bzw. Vertiefung des Problembewusstseins für die Doppelproblematik und die daraus entstehenden Konsequenzen. Konfliktbewältigungsfähigkeiten und lebenspraktische Kompetenzen werden trainiert, individuelle Rückfallbewältigungs- und Rückfallpräventionsstrategien erarbeitet. Soziale, finanzielle, berufliche und rechtliche Probleme werden in dieser Phase definiert, angegangen und womöglich gelöst.

  3. In der Austrittsphase werden die erlernten Fähigkeiten im externen Umfeld erprobt. Die Wohnsituation muss vor dem Austritt des Patienten geklärt, die externe Tagesstruktur und die ambulante oder stationäre Nachbehandlung müssen organisiert sein.

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Behandlungsteam

Das Behandlungsteam ist multidisziplinär zusammengesetzt und besteht aus Ärzten/Ärztinnen (Oberarzt 100 %, Assistenzärzten/-ärztinnen 200 %), einer Psychologin (80 %), psychiatrisch und suchttherapeutisch erfahrenen Mitarbeitern aus der psychiatrischen Krankenpflege (1270 %) und einer Sozialarbeiterin (20 %).

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Angaben zum Patientenkollektiv 1999

Im Jahre 1999 waren auf der Dualstation 149 Eintritte (71 % Männer, 29 % Frauen) zu verzeichnen, mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren. 41 % waren Erstaufnahmen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 27 Tage, wobei 30 % der PatientInnen weniger als 10 Tage und nur 4 % länger als 3 Monate verblieben.

Bei ca. 1/5 der Aufnahmen wurde nur eine Suchtdiagnose (ICD-10-F1-Diagnose) gestellt. Als komorbide psychische Störung wurde bei 15 % eine Störung aus dem schizophrenen Formenkreis (F2), bei 25 % eine affektive Störung (F3), bei 34 % eine Persönlichkeitsstörung (F6) diagnostiziert. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten/Patientinnen erfüllten die Kriterien des multiplen Substanzkonsums, wobei 78 % bei Eintritt mit Methadon substituiert waren.

Der Austritt erfolgte bei knapp der Hälfte planmäßig. Ca. 70 % der Behandelten wurden in eine ambulante Nachbehandlung, 9 % in eine stationäre therapeutische Wohngemeinschaft, 12 % in ein betreutes Wohnheim überwiesen. Unmittelbar nach Austritt waren nur 8 % der Ausgetretenen voll oder teilweise erwerbstätig; 31 % waren arbeitslos, 60 % nicht erwerbsfähig. Einem Teil von ihnen konnte eine geschützte Arbeitsmöglichkeit vermittelt werden. Die systematische Bewertung mittels Clinical Global Impression ergab, dass der Zustand von 31 % der Ausgetretenen als sehr viel oder viel besser eingeschätzt wurde; 42 % zeigten geringe Besserung, 26 % (Entwichene und durch die Klinik Entlassene) verließen die Station unverbessert. Wie unsere Evaluation ergab, wurden überraschenderweise vor allem bei Doppeldiagnosepatienten mit affektiven Störungen die schlechteste Therapiecompliance und die am wenigsten befriedigenden Resultate festgestellt.

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Schlussbemerkungen

Die Behandlung von Dualpatienten bleibt trotz umfassendem Behandlungskonzept sehr schwierig. Es hat sich gezeigt, dass es möglich ist und vorteilhaft sein kann, auf der gleichen Station den Entzug, die Behandlung der akuten psychischen Störung und auch die weiterführende Therapie durchzuführen. Dies stellt aber sowohl an die Patienten als auch ans Team hohe Anforderungen, die zuweilen auch in Überforderung münden können. Den fortgeschrittenen Patienten/Patientinnen bietet die Auseinandersetzung mit den Rückfällen und Behandlungsabbrüchen der Patienten in früheren Behandlungsphasen ein Übungsfeld in geschütztem Rahmen. Der gemeinsame Behandlungsansatz von Sucht und anderen psychischen Störungen führt dazu, dass es im Behandlungsteam gegenüber der Suchtdiagnose weniger zu Abwehrreflexen kommt, sondern diese den gleichen Stellenwert hat wie andere Diagnosen. Vielmehr ist die Sucht das verbindende Element in der sonst sehr heterogenen Patientengruppe. Durch den Aufbau der Dualstation in den letzten 7 Jahren und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit, der Zusammenarbeit mit anderen ambulanten und stationären Suchtbehandlungseinrichtungen, konnte eine gute Sensibilisierung für diese komplexe Problematik erreicht und letztlich die Behandlung der betroffenen Patienten verbessert werden.

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Literatur

  • 1 Hättenschwiler J, Zemp P, Zwicker V. et al . Dualstation der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich: Erster Erfahrungsbericht.  Krankenhauspsychiatrie. 1998;  9 1-7
  • 2 Modestin J, Attinger Y. Patienten mit Dualdiagnose - Eine neue Herausforderung.  Swiss Med. 1992;  14 25-29

Dr. Josef Hättenschwiler

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Lenggstrasse 31

8029 Zürich

Schweiz

Email: jhaettenschwiler@inet.web-serv.ch

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Literatur

  • 1 Hättenschwiler J, Zemp P, Zwicker V. et al . Dualstation der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich: Erster Erfahrungsbericht.  Krankenhauspsychiatrie. 1998;  9 1-7
  • 2 Modestin J, Attinger Y. Patienten mit Dualdiagnose - Eine neue Herausforderung.  Swiss Med. 1992;  14 25-29

Dr. Josef Hättenschwiler

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Lenggstrasse 31

8029 Zürich

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