Pneumologie 1999; 53(9): 411-416
DOI: 10.1055/s-1999-9033
ORIGINALARBEIT
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Eine Re-Analyse der Blue Mountains Eye Study zum Kataraktrisiko durch inhalative Kortikoide

Ein Beitrag zur Objektivierung der DiskussionA Re-Analysis of the Blue Mountains Eye Study on the Risk of Cataracts by Inhaled Corticosteroids:J. Hartung, G. Knapp
  • Fachbereich Statistik[1], Universität Dortmund
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Prof. Dr. Joachim Hartung
Dr. Guido Knapp

Fachbereich Statistik Universität Dortmund

D-44221 Dortmund

Publication History

Publication Date:
31 December 1999 (online)

 
Table of Contents #

Zusammenfassung:

In einer Re-Analyse der Blue Mountains Eye Study von Cumming, Mitchell und Leeder (1997) wird gezeigt, daß diese Studie keinen Beitrag zur Klärung des Kataraktrisikos von inhalativen Kortikoiden leistet. Akzeptiert man die Schlußweisen der Studie, so ergibt sich ein diffuses und zugleich aber auch interessantes Bild von diversen Aussagen zu Kataraktrisiken bei inhalativen Kortikoiden, systemisch verabreichten Kortikoiden bzw. einer Kombination von inhalativen und systemisch verabreichten Kortikoiden sowie der kortikoidfreien Bevölkerung, die jeglichen medizinischen Erkenntnissen, wie sie ausdrücklich auch von den genannten Autoren selbst mitgetragen werden, zuwiderlaufen.

By a re-analysis of the Blue Mountains Eye Study of Cumming, Mitchell and Leeder, Published in N Engl J Med 1997 (337: 8 - 14), there is shown in the present article, that this study does not yield a contribution to clarify the question, whether the use of inhaled corticosteroids is associated with the development of cataracts. The conclusions of the study are revealed to lead to results contradicting known risk factors.

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Vorbemerkung

Klinische Prüfungen sind durch eine Reihe von nationalen und internationalen Vorschriften (z. B. GCP-Guidelines der EU) an enge Regeln gebunden, man denke nur etwa an das strikte Intention-to-treat-Prinzip. In epidemiologischen Studien sind vergleichbare Regeln schwer einzuhalten, mitunter werden aber Grundregeln erheblich - durchaus ungewollt - vernachlässigt. Dies führt bei medizinischen Kollegen, welche auf klinische Prüfungen eingeübt sind, zu Verunsicherungen, wie es auch im Fall der vorliegenden „Blue Mountains Eye Study” von Cumming et al. (1997) zu Kataraktrisiken bei inhalativen Kortikoiden geschehen ist. Mehrfach von Vertretern der unterschiedlichen Fachgebiete auf methodische Aspekte dieser Studie angesprochen, haben wir uns schließlich zu einer Re-Analyse anhand der publizierten Daten entschlossen, um aufzuzeigen, an welchen Stellen aufgrund von Formfehlern derartige Mißgeschicke unterlaufen sind, die zu den bereits erwähnten und jetzt auch durchaus verständlichen Verunsicherungen führten. Da die Ergebnisse der Re-Analyse zwangsläufig auch inhaltliche Konsequenzen haben, sollen sie hier den zuständigen Fachvertretern zugänglich gemacht werden, zumal in der neuen Arbeit von Cumming und Mitchell (1999, in: Drug Safety, 20[1]) die Blue Mountains Eye Study mit Abstand die größte Rolle spielt. Eine nüchterne Betrachtung der aus dieser Studie wirklich ableitbaren bzw. eben nicht ableitbaren Aussagen trägt somit unabdingbar zu einer Objektivierung der Diskussion um mögliche Kataraktrisiken bei inhalierten Kortikoiden bei.

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Einleitung

In einer australischen epidemiologischen Querschnittsstudie wurde von Cumming, Mitchell und Leeder (1997) der Zusammenhang zwischen der Verwendung von inhalativen Kortikoiden und einer möglichen Nebenwirkung dieser Behandlung, der Entstehung von Katarakten, untersucht. Unter Katarakt versteht man dabei eine Augenlinsentrübung, die im Volksmund auch „grauer Star” genannt wird. In schweren Fällen, in denen das Sehvermögen beeinträchtigt ist, wird die Linse operativ entfernt.

Die Katarakte werden nach ihrer anatomischen Lage unterschieden. Die häufigsten Typen sind die Cataracta corticalis (Rindenstar), die Cataracta nuclearis (Kernstar) sowie die hintere subkapsuläre Linsentrübung. Es ist bekannt, daß Ältere, Frauen, Diabetiker, Glaukompatienten und Anwender von systemisch verabreichten Kortikoiden ein erhöhtes Risiko besitzen, an grauem Star zu erkranken. Bei systemisch verabreichten Kortikoiden ist vor allem das Risiko hinterer subkapsulärer Katarakte erhöht.

Als Schlußfolgerung der Studie von Cumming et al. wird am Ende der Zusammenfassung gesagt: „The use of inhaled corticosteroids is associated with the development of posterior subcapsular und nuclear cataracts.”

Die Intention unserer Arbeit ist es, diese Schlußfolgerung anhand einer Re-Analyse zu beurteilen. Dabei erlauben es die publizierten Daten, Prävalenzen für eine Reihe von interessierenden Subgruppen der jeweils verbliebenen Studienpopulation zu berechnen. Es wird dabei gezeigt, daß die Schlußfolgerung von Cumming et al. nicht so plakativ formuliert werden sollte. Darüber hinaus lassen sich Ergebnisse für Risikogruppen aus den publizierten Daten rechnerisch herausarbeiten, die in der Publikation selbst nicht erwähnt werden und im Widerspruch zu bewiesenen Risikofaktoren stehen.

Im zweiten Abschnitt wird zunächst die Studie von Cumming et al. in ihren Grundzügen dargestellt sowie die Datenlage anhand der Publikation diskutiert. Schließlich wird in diesem Abschnitt die Vergleichbarkeit der Exponierten, d. h. der Studienteilnehmer, die inhalative und/oder systemisch verabreichte Kortikoide genommen haben, und der Nicht-Exponierten bezüglich der Verteilung weiterer Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht und Diabetes behandelt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich dann mit der Analyse des Zusammenhangs zwischen der Kortikoid-Inhalation und der Katarakterkrankung. Dabei wird vor allem in Anlehnung an die Publikation von Cumming et al. eine bezüglich der Krankheit getrennte Auswertung für die hintere subkapsuläre Linsentrübung und für den Kernstar im Mittelpunkt stehen. Im abschließenden Abschnitt werden die Ergebnisse der Re-Analyse diskutiert.

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Das Studiendesign und die Vergleichbarkeit der Expositionsgruppen

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Die Blue Mountains Eye Study und die Datenlage

Die Studie wurde in der Blue Mountains Region, westlich von Sydney, in Australien zwischen Januar 1992 und Januar 1994 durchgeführt. Aufgefordert, an dieser epidemiologischen Querschnittsstudie teilzunehmen, waren alle Einwohner dieser Region, die vor dem 1. Januar 1943 geboren wurden, d. h. alle Personen, die zu Studienbeginn 49 Jahre oder älter waren. Von den 4433 potentiellen Teilnehmern besuchten im Studienzeitraum 3654 Personen eine Augenklinik und unterzogen sich einer Augenuntersuchung. Dies entspricht einer Teilnehmerrate von 82 %.

Bei der Untersuchung wurde neben der Diagnose, ob und wo ein Katarkt vorliegt, zusätzlich bei Vorliegen eines Katarakttyps eine Bewertung des Schweregrads des Katarakts vorgenommen. Bei drei Prozent der Studienteilnehmer konnte aus vorwiegend technischen Gründen keine Beurteilung über das Vorhandensein von Rindenstar oder hinterem subkapsulären Katarakt gewonnen werden. Für die Bewertung des Kernstars lag der Anteil fehlender Angaben bei 28,6 %.

Neben der Diagnose der Katarakterkrankung wurde der Expositionsstatus der Studienteilnehmer erfragt. Dabei wurde bei der Behandlung mit Kortikoiden differenziert nach „nur inhalativ”, „nur systemisch” und „inhalativ und systemisch”. Von den 3654 Studienteilnehmer lagen jedoch nur von 3313 Personen vollständige Angaben bezüglich ihres Expositionsstatus vor. Dabei gaben 2784 Personen an, bisher noch nie Kortikoide genommen zu haben. Die 529 Studienteilnehmer, die schon mit Kortikoiden behandelt wurden, lassen sich weiter unterteilen in 177 Personen, die nur systemisch verabreichte Kortikoide, 241 Teilnehmern, die nur inhalative, und 111 Teilnehmer, die sowohl inhalative als auch systemisch verabreichte Kortikoide genommen haben. In der Abb. [1] ist die Aufteilung der Studienteilnehmer auf die einzelnen Expositionsgruppen veranschaulicht.

Eine im späteren Verlauf der Arbeit von Cumming et al. wesentliche Subgruppe bilden diejenigen Personen, die zum Studienzeitpunkt mit inhalativen Kortikoiden behandelt wurden. Diese Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” umfaßt 164 Personen, wobei in der Publikation nicht erwähnt wird, wie viele dieser Personen auch schon systemisch verabreichte Kortikoide genommen haben.

Bei den Personen, die inhalative Kortikoide benutzten, gab es die Medikationen Beclometason und Budesonid, wobei Budesonid erst 1991 in Australien zur Verfügung stand. Die Gruppe der Personen, die Beclometason verwendeten, wurde weiter klassifiziert und zwar einerseits nach Anzahl der Hübe pro Woche (bis 14 Hübe, 15 bis 28 Hübe, mehr als 28 Hübe) und andererseits bezüglich der geschätzten Lebenszeit-Dosis (bis 1000 mg, 1000 bis 1999 mg, 2000 mg und mehr). Die geschätzten Lebenszeit-Dosen wurden jedoch nur für diejenigen 103 Studienteilnehmer berechnet, die zur Studienzeit Beclometason verwendeten, also zur Gruppe der „aktuellen Inhalierer” gehörten. In der Abb. [2] ist die Datenlage für die „aktuellen Inhalierer” graphisch veranschaulicht.

Neben diesen Einteilungen wurden bei den Studienteilnehmern bekannte Risikofaktoren für Katarakte erhoben. Diese Risikofaktoren umfaßten u. a. die Rauchgewohnheiten, Diabetes und Bluthochdruck sowie sonnenbedingte Hautveränderungen.

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Abb. 1Flow-chart der Studienteilnehmer und Verteilung auf den Expositionsstatus.

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Abb. 2Die Entstehung der „aktuellen Inhalierer” und die Verteilung auf die beiden Medikationen.

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Vergleich der Expositionsgruppen bezüglich der Verteilung bekannter Risikofaktoren

Um einen Zusammenhang zwischen der Kortikoid-Inhalation und der Katarakterkrankung aufzuzeigen, ist es von großer Bedeutung, daß die unterschiedlichen Expositionsgruppen bezüglich anderer bekannter Risikofaktoren keine Unterschiede aufweisen. Eine solche Analyse ist in der Tab. 1 der Publikation von Cumming et al. dargestellt, und im Text wird dazu berichtet, daß keine wesentlichen Unterschiede bezüglich dieser Risikofaktoren zwischen den Benutzern und den Nichtbenutzern von Kortikoiden sowie zwischen den Benutzern von inhalativen und systemisch verabreichten Kortikoiden besteht. Durch die Aussage wird der Eindruck erweckt, daß die Vergleichbarkeit der Expositionsgruppen bezüglich weiterer Risikofaktoren in allen weiteren Analysen gegeben ist. Es ist jedoch folgendes zu beachten. Die Vergleichbarkeitsanalyse wurde für die 3313 Studienteilnehmer durchgeführt, bei denen ein vollständig bekannter Expositionsstatus vorlag. Bei einer Re-Analyse anhand der Tab. 1 in der Arbeit von Cumming et al. zeigt sich jedoch, daß beim Vergleich von Benutzern und Nichtbenutzern von Kortikoiden bezüglich der Risikofaktoren Geschlecht (p = 0,069, Fishers exakter Test) und Diabetes (p = 0,11, Fishers exakter Test) aufgrund der Ergebnisse der statistischen Tests von einer Gleichheit der Verteilungen nicht die Rede sein kann.

Ein stärkerer Kritikpunkt hinsichtlich der Vergleichbarkeitsanalyse in der Arbeit von Cumming et al. besteht jedoch darin, daß die weiteren publizierten Analysen überhaupt nicht mehr für diese Subgruppe von 3313 Studienteilnehmern durchgeführt werden. Die hervorgehobenen Ergebnisse für die Assoziation zwischen Kortikoid-Inhalation und Katarakterkrankung werden bezüglich einer Subgruppe der Gruppe der „aktuellen Inhalierer”, einer Subgruppe der „Inhalierer” wiederum, berechnet. Über diese Subgruppe der Studienpopulation wird jedoch in der Publikation schlichtweg nichts bezüglich der Verteilung weiterer Risikofaktoren gesagt.

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Die Zusammenhangsanalyse von Kortikoid-Inhalation und Katarakterkrankung

In den Tab. 2 und 4 der Publikation von Cumming et al. ist die Zusammenhangsanalyse zwischen Kortikoid-Inhalation und der Präsenz von hinteren subkapsulären Katarakten bzw. Kernstaren dargestellt. Dabei wird der Vergleich zwischen Studienteilnehmern, die niemals inhalative Kortikoide genommen haben, und „aktuellen Inhalierern” geführt. Erwähnenswert ist, daß die Subgruppe der Personen, die niemals inhalative Kortikoide genommen haben, in der Publikation in diesen Tabellen zum ersten Mal auftaucht.

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Eine Re-Analyse des Zusammenhangs von Kortikoid-Inhalation und hinteren subkapsulären Katarakten

Diese Re-Analyse wird anhand der Angaben in der Tab. 3 aus der Publikation von Cumming et al. durchgeführt. Diese Angaben ermöglichen es, Prävalenzen für verschiedene Subgruppen zu berechnen.

Zunächst werden die Prävalenzen für die Studienteilnehmer, die niemals inhalative Kortikoide benutzt haben, und für die „aktuellen Inhalierer” berechnet. Die beiden Subgruppen umfassen dabei 2616 bzw. 137 Studienteilnehmer. Bezogen auf die Aufteilungen in den Abb. [1] und [2] bedeutet dies, daß hier die Daten von 88 % der Niemals-Benutzer von inhalativen Kortikoiden und von 84 % der „aktuellen Inhalierer” vorliegen. Die Prävalenz bei den Niemals-Benutzern von inhalativen Kortikoiden beträgt 5,4 %; aufgespalten in zwei weitere Subgruppen „niemals systemisch” und „systemisch” ergeben sich die Prävalenzen zu 5,3 % bzw. 6,4 %. In der Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” beträgt die Prävalenz 14,6 %. Eine weitere Aufteilung dieser Gruppe von Studienteilnehmern in „niemals systemisch” und „systemisch” liefert für die entsprechenden Prävalenzen Werte von 14,6 % und 14,5 %. In der Abb. [3] sind diese Ergebnisse im Überblick dargestellt.

Der zweite Vergleich, der in der Publikation von Cumming et al. vorgenommen wird, ist der zwischen Niemals-Benutzern von inhalativen Kortikoiden und Beclometason-Benutzern, deren Lebenszeit-Dosis geschätzt werden konnte. Diese Gruppe der Beclometason-Benutzer ist eine Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” und umfaßt 62 Studienteilnehmer. Die Prävalenz in dieser Subgruppe beträgt 19,4 %. Wird diese Gruppe noch unterteilt in „niemals systemisch” und „systemisch”, so ergeben sich für die entsprechenden Subgruppen Prävalenzen von 12,9 % sowie 25,8 %.

Bei der Darstellung der Ergebnisse in Tab. 3 in Cumming et al. werden jedoch keine Ergebnisse für die Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” mit unbekannter Beclometason-Lebenszeit-Dosis (einschließlich der Budesonid-Benutzer) angegeben. Diese Subgruppe umfaßt 75 Studienteilnehmer und ist somit größer als die Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” mit bekannter Beclometason-Lebenszeit-Dosis. Die Prävalenz in dieser Subgruppe von 75 Studienteilnehmern beträgt 10,7 %. Eine weitere Unterteilung dieser Subgruppe in „niemals systemisch” und „systemisch” liefert für die entsprechenden Prävalenzen Werte von 15,7 % und 0 %, d. h. in der Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” mit unbekannter Beclometason-Lebenszeit-Dosis (einschließlich der Budesonid-Benutzer) und systemisch verabreichten Kortikoiden gab es keine hintere subkapsuläre Katarakterkrankung. Die Ergebnisse sind in Abb. [4] zusammengestellt.

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Abb. 3Prävalenzen (P) für die hintere subkapsuläre Linsentrübung bei Niemals- Benutzern von inhalativen Kortikoiden und „aktuellen Inhalierern”.

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Abb. 4Prävalenzen (P) für die hintere subkapsuläre Linsentrübung bei „aktuellen Inhalierern”.

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Eine Re-Analyse des Zusammenhangs von Kortikoid-Inhalation und Kernstaren

Die für diese Re-Analyse benötigten Angaben sind der Tab. 4 in der Publikation von Cumming et al. zu entnehmen. Wie schon im zweiten Abschnitt dieser Arbeit erwähnt, war der Anteil der fehlenden Angaben bei der Diagnose des Kernstares recht hoch, so daß für diese Analyse die Subgruppe der Studienteilnehmer, die niemals inhalative Kortikoide genommen haben, aus 1886 Personen bestand und die Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” aus 107 Personen. Bezogen auf die Aufteilung in den Abb. [1] und [2] liegen hier somit Daten von 67,4 % der Niemals-Benutzer von inhalativen Kortikoiden und von 65,2 % der „aktuellen Inhalierer” vor. Die Prävalenzen in diesen beiden Subgruppen betragen für die Niemals-Inhalierer 17,0 % und für die „aktuellen Inhalierer” 22,4 %. Unterteilt man diese beiden Subgruppen weiter nach „nie systemisch” und „systemisch”, so ergibt sich für die Niemals-Inhalierer in der Subgruppe „nie systemisch” eine Prävalenz von 16,7 % und in der Subgruppe „systemisch” von 23,3 %. In der Gruppe der „aktuellen Inhalierer” beträgt die Prävalenz in der Subgruppe „nie systemisch” 30,3 %, während sie in der Subgruppe „systemisch” 9,8 % ist. In der Abb. [5] sind diese Ergebnisse übersichtlich dargestellt.

Der zweite Vergleich wird wiederum zwischen den Niemals-Benutzern von inhalativen Kortikoiden und Beclometason-Benutzern, deren Lebenszeit-Dosis bekannt ist, durchgeführt. Die Subgruppe der Beclometason-Benutzer mit bekannter Lebenszeit-Dosis besteht hier aus 50 Studienteilnehmern, und die Prävalenz in dieser Subgruppe beträgt 16 %. Eine weitere Unterteilung dieser Subgruppe in „nie systemisch” und „systemisch” liefert Prävalenzen von 18,5 % bzw. 13,0 %.

Analog zu der Darstellung eben ist in der Tab. 4 der Publikation von Cumming et al. wiederum keine Aussage über die Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” mit unbekannter Beclometason-Lebenszeit-Dosis (einschließlich der Budesonid-Benutzer) zu finden. Diese Subgruppe umfaßt im vorliegenden Fall 57 Personen. Die Prävalenz in dieser Subgruppe liegt bei 28,1 %. Eine weitere Aufteilung dieser Subgruppe in „nie systemisch” und „systemisch” liefert für die entsprechenden Subgruppen Prävalenzen von 38,5 % bzw. 5,6 %. In der Abb. [6] sind die Ergebnisse graphisch veranschaulicht.

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Abb. 5Prävalenzen (P) für den Kernstar bei Niemals-Benutzern von inhalativen Kortikoiden und „aktuellen Inhalierern”.

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Abb. 6Prävalenzen (P) für den Kernstar bei „aktuellen Inhalierern”.

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Diskussion der Ergebnisse

Es ergibt sich ein vielfältiges und in sich widersprüchliches Bild von den diversen Katarakt-Prävalenzen. Kommen wir zunächst zu den hinteren subkapsulären Katarakten. Hier fällt als erstes auf, daß die Prävalenzen bei den „aktuellen Inhalierern” und den „aktuellen Inhalierern”, die auch systemisch verabreichte Kortikoide genommen haben, gemeinsam betrachtet deutlich höher liegen als in der Subgruppe der Studienteilnehmer, die ausschließlich systemisch verabreichte Kortikoide benutzten (6,4 %), andererseits aber eine Subgruppe der „aktuellen Inhalierer” mit systemisch verabreichten Kortikoiden isoliert wird, in der keine hintere subkapsuläre Linsentrübung auftritt (0 %). Ins Auge springt ebenfalls, daß die Gruppe der Personen mit ausschließlich systemisch verabreichten Kortikoiden mit ihrer Prävalenz (6,4 %) in derselben Größenordnung liegt wie die kortikoidfreie Normalbevölkerung (5,3 %).

Bezüglich der Kernstare sind zunächst klar höhere Prävalenzwerte für die Gruppen aus den „aktuellen Inhalierern” zu registrieren, die sämtlich deutlich über den Prävalenzen für die Gruppen aus den „aktuellen Inhalierern”, die auch systemisch verabreichte Kortikoide genommen haben, liegen (5,6 %, 13,0 %, 9,8 %). Nun ist überraschenderweise aber auch zu erkennen, daß diese wiederum markant unter der Prävalenz der kortikoidfreien Normalbevölkerung (16,7 %) liegen.

Akzeptiert man die Schlußweisen der Autoren Cumming et al. und weist der inhalativen Anwendung von Kortikoiden nun mit dem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit eine erhöhte Prävalenz für Katarakte zu, so ergibt sich mit der gleichen logischen Schlußfolgerung für die systemische Anwendung von Kortikoiden mit dem gleichen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit sogar die verblüffende Aussage: Die systemische Anwendung von Kortikoiden senkt das Kataraktrisiko, auch im Vergleich zur kortikoidfreien Normalbevölkerung. Diese letztere Aussage steht nun aber klar im Widerspruch zum allgemeinen medizinischen Kenntnisstand, wie er auch von den Autoren Cumming et al. ausdrücklich geäußert wird. Somit sind alle möglichen Schlußfolgerungen der Studie Cumming et al. (1997) insgesamt zum Widerspruch geführt. Als Fazit ergibt sich, daß die Studie nur widersprüchliche Informationen liefern kann und somit in der Diskussion um mögliche Kataraktrisiken keinen Beitrag liefert. Die einzig mögliche Erklärung dieser Konsequenz für eine mit so viel Einsatz betriebenen Studie ist eine starke Ungleichverteilung bezüglich der weiteren Risikofaktoren, wie z. B. Alter, Geschlecht und Diabetes in den verschiedenen Subgruppen, die man leider nur schwer und mit großem Aufwand unter Kontrolle halten kann.

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Literatur

  • 1 Cumming R G, Mitchell P, Leeder S R. Use of inhaled corticosteroids and the risk of cataracts.  N Engl J Med. 1997;  337 8-14
  • 2 Hartung J. Lehr- und Handbuch der angewandten Statistik. Oldenbourg München; 1999 12. Auflage: 1003

1 und Teilprojekt „Meta-Analyse in Biometrie und Epidemiologie” im Sonderforschungsbereich 475, Dortmund, der DFG.

Prof. Dr. Joachim Hartung
Dr. Guido Knapp

Fachbereich Statistik Universität Dortmund

D-44221 Dortmund

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Literatur

  • 1 Cumming R G, Mitchell P, Leeder S R. Use of inhaled corticosteroids and the risk of cataracts.  N Engl J Med. 1997;  337 8-14
  • 2 Hartung J. Lehr- und Handbuch der angewandten Statistik. Oldenbourg München; 1999 12. Auflage: 1003

1 und Teilprojekt „Meta-Analyse in Biometrie und Epidemiologie” im Sonderforschungsbereich 475, Dortmund, der DFG.

Prof. Dr. Joachim Hartung
Dr. Guido Knapp

Fachbereich Statistik Universität Dortmund

D-44221 Dortmund

 
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Abb. 1Flow-chart der Studienteilnehmer und Verteilung auf den Expositionsstatus.

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Abb. 2Die Entstehung der „aktuellen Inhalierer” und die Verteilung auf die beiden Medikationen.

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Abb. 3Prävalenzen (P) für die hintere subkapsuläre Linsentrübung bei Niemals- Benutzern von inhalativen Kortikoiden und „aktuellen Inhalierern”.

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Abb. 4Prävalenzen (P) für die hintere subkapsuläre Linsentrübung bei „aktuellen Inhalierern”.

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Abb. 5Prävalenzen (P) für den Kernstar bei Niemals-Benutzern von inhalativen Kortikoiden und „aktuellen Inhalierern”.

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Abb. 6Prävalenzen (P) für den Kernstar bei „aktuellen Inhalierern”.