kma - Klinik Management aktuell 2023; 28(07/08): 82-84
DOI: 10.1055/s-0043-1776839
Titelthema // Special MEDICA 2023 - Bildgebung und Diagnostik

Radiologie: Mit Telemedizin und KI gegen die Personalnot

Kathrin Reisinger
 

In den Radiologien wird die Personaldecke seit Jahren immer dünner. Noch prekärer ist die Lage bei den Medizinischen Technologen für Radiologie. In 50 Prozent aller Kliniken können Arbeitsplätze nicht besetzt werden, Schichten fallen aus. Mit moderner Technik lässt sich der Fachkräftemangel aber lösen.


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Mit einem modernen Radiologie-Informationssystem, das ans KIS des Krankenhauses angebunden ist, bleibt der Arbeitsablauf für die Klinikärzte immer gleich, egal ob sie tagsüber mit der hauseigenen Radiologie kommunizieren oder nachts mit dem Teleradiologen am heimischen Arbeitsplatz.(© Radiology Advanced)

In Deutschland gibt es derzeit gerade noch 8 500 Radiologen in Klinik und Praxis – 1 600 zu wenig. Schon in sieben Jahren werden es – Prognosen zufolge – nur noch rund 4 500 sein. Und das bei steigender Untersuchungszahl und steigenden Qualitätsansprüchen.

Bei der Berliner Vivantes, mit neun städtischen Häusern die größte kommunale Klinikkette Deutschlands, gibt es noch genügend Radiologen. Dennoch werden auch dort die Bewerbungen um Weiterbildungsassistenzstellen weniger. Bei Oberärzten mit Spezialkenntnissen ist es schon dünn. „Wirklich dramatisch jedoch ist inzwischen der MTR- und Pflegekräftemangel“, sagt Prof. Thomas Albrecht, Leiter Radiologie und interventionelle Therapie bei Vivantes. „Wir können deshalb die Geräte nicht mehr so auslasten wie früher und müssen, dem Personalmangel geschuldet, reduzieren.“

Ein Grund für die Personalnot ist der hohe Anteil an Teilzeitkräften. Rund die Hälfte der Medizinischen Technologen für Radiologie (MTR) in Deutschland arbeitet in Teilzeit, davon ein Drittel nur 15 bis 25 Stunden pro Woche. Im Klartext heißt das verkürzte Schichten, häufig ist nachmittags Schluss. Manche Arbeitsplätze bleiben tageweise bereits komplett unbesetzt.

Dennoch setzt Vivantes auf flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Möglichkeiten. Für Radiologen, die gerade Eltern geworden sind, läuft ein hauseigenes Projekt für die Befundung aus dem Homeoffice heraus. Albrecht: „Gerade für Oberärzte in der Rufbereitschaft bringt das eine hohe Zufriedenheit.“ Dass auch MTR teilweise aus dem Homeoffice arbeiten, kann sich Albrecht für die Zukunft als praktikabel vorstellen. Jedoch nur im begrenzten Einsatz und immer mit Blick auf die notwendige Teamarbeit.

Teleradiologie ist der Schlüssel gegen den Personalmangel.

Prof. Sven Mutze, Direktor des Institutes für Radiologie und Neuroradiologie am Unfallkrankenhaus Berlin (ukb)

Auch das Klinikum Hochsauerland, ein Haus mit 1 000 Betten an drei Standorten, bietet seinen MTR jetzt schon die Möglichkeit, vereinzelt aus dem Homeoffice zu arbeiten. Meist sind es junge Mütter beim Wiedereinstieg in den Berufsalltag. Für die Praxen der Klinik funktioniert das – für Notfälle dagegen sei es „nicht denkbar“, sagt Dr. Alexander Ranft, Chefarzt der Klinik für interventionelle und Neuroradiologie.

Teleradiologie und KI schonen Personalressourcen

Wesentliche Entlastung bietet die Teleradiologie, die es Radiologen und MTR ermöglicht, aus der Ferne Untersuchungen durchzuführen und Diagnosen zu stellen. Damit lassen sich flexible Arbeitszeiten und Homeoffice vereinen.

Ein Beispiel dafür ist das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb). Es bedient als Klinikum selbst 22 weitere Krankenhäuser in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit Teleradiologie. „Sie ist der Schlüssel gegen den Personalmangel“, so Prof. Dr. Sven Mutze, Direktor des Institutes für Radiologie und Neuroradiologie am ukb, „denn der Mangel an Radiologen ist selbst in Großstädten eklatant“. Auch beim Thema künstliche Intelligenz in der Radiologie ist das ukb einer der Vorreiter in der Erprobung. Seit 2020 arbeiten die Ärzte mit künstlicher Intelligenz. Sie priorisiert heute schon CT-Bilder (zum Beispiel bei Gehirnblutungen) und sie sorgt gleichzeitig für höhere Sicherheit. Oberärztin Dr. Leonie Gölz sagt: „Inzwischen ist dadurch die Schlaganfalldiagnostik effizienter und schneller geworden.“ Das unterstützt und spart Ärzten und MTR Zeit. Mutze: „Die KI kann den Personalmangel aktuell noch nicht abfangen, aber vielleicht wird es eines Tages so sein.“

Prof. Dr. Stephanie Tritt ist stellvertretende Ärztliche Direktorin, Chefärztin und Institutsdirektorin für Radiologie und Neuroradiologie am Helios Klinikum Wiesbaden und Leiterin des ambulanten Fachbereichs Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin des Helios Konzerns mit über 20 ambulanten Radiologiestandorten. Sie sieht einen Trend, dass die Radiologie beim Medizinnachwuchs wieder attraktiver wird. Dabei spielen Teilzeitmöglichkeiten und Homeoffice eine große Rolle. Deshalb geht auch Helios den Weg des Remote-Arbeitens und setzen auf Teleradiologie und KI. Innerhalb der Helios Kliniken gibt es bereits einige etablierte teleradiologische Cluster: Hier werden in Randzeiten andere Kliniken mit bedient und so in den Diensten entlastet. Die Oberärzte haben alle eine Workstation mit integrierter KI zuhause. Die teleradiologische Vernetzung innerhalb des Konzerns wird derzeit systematisch ausgebaut.

Ab dem nächsten Jahr wird in Wiesbaden zudem ein Klinikneubau in Betrieb genommen, einer der modernsten in Europa, in dem die KI in allen radiologischen Großgeräten integriert zum Einsatz kommt. So werden beispielsweise Probleme bei der bildgebenden Diagnostik, wenn Patienten verletzungsbedingt im Notfall nicht optimal gelagert werden können, automatisch und selbstständig durch das System ausgeglichen und so die Qualität der Bildgebung verbessert. Bei MRT-Untersuchungen entfällt unter anderem die oftmals anstrengende und artefaktanfällige Atemtriggerung. Tritt: „So können wir mehr Patienten schneller und sicherer versorgen. Die Medizin wird immer bildlastiger, das Personal muss sich auf das Wesentliche konzentrieren können.“

Auch die Gründe für einen Mangel an MTR kann Tritt genau definieren: Der Beruf der MTR sei lange unbekannt gewesen, die Ausbildung musste selbst bezahlt werden, viele Plätze wurden von Medizinstudenten in Wartesemestern belegt, die dann hinterher im Job fehlten. In Wiesbaden hat sie zur Nachwuchsförderung eigens eine MTR-Schule gegründet. Zusätzlich arbeitet man in der Klinik mit MFAs (Medizinische Fachangestellte) mit Röntgenschein zusammen und ermöglicht MFAs den Röntgenschein zu erwerben. Auch studentische Aushilfskräfte nach dem Physikum werden am MRT eingesetzt. Um das Berufsfeld der MTRs noch attraktiver zu gestalten, wird zukünftig auch über die Option des Remote-Scannings nachgedacht und derzeit mögliche Gestaltungsoptionen geprüft.


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Rettungsanker Outsourcing

In schwieriger Lage befand sich auch die Radiologische Klinik am Goitzsche Klinikum in Bitterfeld-Wolfen. „Wir kamen mit dem Arbeitszeitgesetz nicht mehr klar. Ich wusste manchmal nicht, ob meine Kollegen morgens zur Arbeit kommen, weil sie ja schon die Nachtschicht gefahren hatten“, berichtet Chefarzt Ronald Schulze. Stellenausschreibungen auf sämtlichen Plattformen brachten keinen Erfolg. Und wenn mal jemand kam, riss er in einer anderen Klinik ein Loch. Keiner wollte mehr Nacht- und Wochenenddienste machen. Und so war die „Rettung“ ein Outsourcing an das Unternehmen Radiology Advanced, einen überregionalen Anbieter für Teleradiologie. Schulze glaube, dass die Klinik ohne externe Hilfe nicht hätte überleben können. „Jetzt habe ich immer einen Ansprechpartner, die Bilder werden zügig befundet zu jeder Zeit, in höchster Qualität.“ Auch die IT-Innovation lobt der Chefarzt. Befunde landen direkt im Krankenhaussystem. Selbst CME-zertifizierte Online-Fortbildungen werden angeboten. Für das Klinikum mit gerade noch fünf Teilzeitradiologen bei 400 Planbetten war das überlebenswichtig. Hier wird jetzt nur noch die Tagesarbeit erledigt – die Komplettversorgung kommt vom externen Anbieter.

Radiology Advanced gehört zu den größten privaten Anbietern für teleradiologische Dienstleistungen seit 2017 in Deutschland. Professionelle radiologische Befundleistungen aus der Ferne erfolgen hier über ein eigenes Cloudsystem. 30 fest angestellte Radiologen arbeiten überall verstreut in Deutschland von zuhause aus. Sie haben hochmoderne Arbeitsplätze mit neuester Technik und implementierter KI. Für die Kliniken ist diese Art der Befundung oft günstiger als ein eigenes Team – und hat sogar eine deutlich höhere Qualität. Denn die angestellten Fachärzte für Radiologie der Firma tun nichts anderes, als die ganze Schicht lang zu befunden. So schafft ein Radiologe 30 bis 35 Untersuchungen pro Nacht und bedient dabei oft zehn Kliniken gleichzeitig.


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In Zukunft komplett Remote

Die Firma geht nun noch einen Schritt weiter und will den Kliniken beim MTR-Mangel unter die Arme greifen. Dazu wurde eine Kooperation mit roclub (Remote Operations Club) eingegangen, ein Unternehmen, das einerseits eine Plattform für teleradiologische Dienstleistungen anbietet, andererseits mit medizinisch-technischem Fachpersonal aushilft. Dieses hat aus dem Homeoffice Zugriff auf die Geräte in der Radiologie und steuert per Fernzugriff die Befundung. Das Ganze läuft über ein Gerät, so klein wie ein iPhone, das in der Klinik ans MRT oder CT angeschlossen wird. Nun können auch MTR von zu Hause mit hochwertiger Technik arbeiten und aus der Ferne die Geräte steuern. Das Vorbereiten des Patienten und das Starten des Gerätes erfolgt zwar in der Klinik, dafür werden aber MTR-Fachkräfte benötigt. Dafür können sogenannte Pflegeassistenten geschult werden, die von der hochqualifizierten MTR remote die Anweisungen bekommen. Dieses Verfahren befindet sich derzeit noch in der Testphase.

Für die Kliniken ist die Befundung über einen externen Dienstleister oft günstiger als ein eigenes Team – und hat sogar eine deutlich höhere Qualität.

Prof. Sven Mutze, Direktor des Institutes für Radiologie und Neuroradiologie am Unfallkrankenhaus Berlin (ukb)

Sollte es mit der Remote-Steuerung der Geräte aus der Ferne funktionieren, dann reichen in den Kliniken bereits die Hälfte der MTR-Fachkräfte, was den Personalmangel erst einmal lindern könnte. Darauf hofft auch PD Dr. Götz Lutterbey, Chefarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie im Marienhaus Klinikum Bendorf-Neuwied-Waldbreitbach. „Wir haben wegen der Häufigkeit der Einsätze schon selbst das Arbeitszeitgesetz gerissen.“ Jetzt wird dort in einer Hybrid-Lösung mit externem Anbieter gearbeitet. Die Mitarbeiter fahren einen Dienst statt zweien. Bei acht Radiologen im Haus bedeutet das ein Nullsummenspiel, was das Geld angeht. „140 000 Euro sparen wir jährlich an Dienstentgelten ein. Genauso so viel geben wir für die externe Teleradiologie wieder aus“, rechnet Lutterbey vor. Ungünstige Arbeitszeiten würden so aufgefangen, bei sehr hoher Qualität.


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Hilfe vor Ort und aus der Ferne

Einen etwas anderen Weg bietet das Unternehmen Med 360°, Leistungserbringer für diagnostische und therapeutische Leistungen, u. a. in den Bereichen Radiologie, Strahlentherapie, Nuklearmedizin und Orthopädie. Neben einer eigenen MTR-Schule bietet der Dienstleister auch die Aus- und Weiterbildung von Fachärzten an. Weiterbildungsassistenten werden von der Firma im Rahmen ihrer Facharztausbildung in Kliniken beschäftigt. Ortsunabhängige Teleradiologie ermöglicht Krankenhaus-Kooperationspartnern die Versorgung. Med 360° übernimmt auf Wunsch auch ganze Radiologieabteilungen der Kliniken, um vor Ort zu helfen.

Für eine komplett „remote“ Radiologie sind noch einige Hürden zu überwinden. Da wäre das Problem mit dem Strahlenschutz. Derzeit läuft ein Rechtsgutachten, das die Gefahren für Mitarbeiter und Patienten klären soll, wenn Geräte aus der Ferne gesteuert werden. Noch ist die Bürokratie sehr strikt. Dr. Ehssan Ghadamgahi, Gründer und CEO von Radiology Advanced ist sich sicher, dass noch viele Vorgaben gelockert werden müssen, wenn weiter eine hohe Qualität und auch eine hohe Anzahl von Untersuchungen gewährleistet werden sollen. Auch Götz Lutterbey wünscht sich, dass das Problem des MTR-Mangels endlich von den Behörden ernst genommen wird und sich Verwaltungen auf Landes- und Bundesebene nicht mehr gegen moderne Lösungen sträuben. „In Asien und Australien wird’s längst gemacht“, verweist er auf das Ausland.

Kathrin Reisinger

Freie Journalistin


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Publication History

Article published online:
08 November 2023

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Mit einem modernen Radiologie-Informationssystem, das ans KIS des Krankenhauses angebunden ist, bleibt der Arbeitsablauf für die Klinikärzte immer gleich, egal ob sie tagsüber mit der hauseigenen Radiologie kommunizieren oder nachts mit dem Teleradiologen am heimischen Arbeitsplatz.(© Radiology Advanced)