Hamostaseologie 2023; 43(05): 322-323
DOI: 10.1055/s-0043-1776437
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Geringe α-Thrombin/GPIbα-Interaktion trägt möglicherweise zur Hyperreaktivität der Thrombozyten bei COVID-19-Patienten bei

Zaid Y. et al.
Low α-Thrombin/GPIbα Interaction Is a Potential Contributor to Platelet Hyper-reactivity in COVID-19 Patients.

Thromb Haemost 2023;
123: 804-807
 

    Mehrere Studien haben gezeigt, dass Thrombozyten mit dem SARSCoV-2 Coronavirus interagieren können. In der Folge kommt es zum programmierten Zelltod, zur Freisetzung extrazellulärer Vesikel und zu einer erhöhten Thrombozytenreaktivität bei Patienten mit der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) als Reaktion auf niedrige Dosen von α-Thrombin.


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    Die posttranslationalen Modifikationen werden häufig durch die Aktivierung eines oder mehrerer Rezeptoren auf der Plättchenoberfläche ausgelöst. GPIbα im GPIb-IX-Rezeptor-Komplex ist die wichtigste Bindungsstelle für das mit den Thrombozyten assoziierte α-Thrombin. Wichtig ist, dass die Bindung von α-Thrombin an die N-terminale Region von GPIbα durch einen Antikörper (SZ2) blockiert werden kann. Nach neuesten Erkenntnissen ist GPIbα der Rezeptor, über den das SARS-CoV-2-Spike-Protein an Thrombozyten bindet und deren erhöhte Expression von Liganden aktiviert. Die Rolle von GPIbα bei der α-Thrombin-induzierten Thrombozyten-Hyperreaktivität, die während einer SARS-CoV-2-Infektion beobachtet wird, ist jedoch nicht ausreichend geklärt.

    Bei niedriger Enzymkonzentration haben Younes Zaid von der Mohammed V University in Rabat, Marokko, und Kollegen die Interaktion zwischen α-Thrombin und GPIbα als einen neuen Mechanismus identifiziert, der die bei COVID-19-Patienten beobachtete Hyperreaktivität auslöst. Ihre Ergebnisse zeigen, dass während einer SARS-CoV-2-Infektion eine Vorbehandlung der Thrombozyten mit einem humanen SZ2-Antikörper die Hyperaggregation und Degranulation der Thrombozyten verhindert. Sie stellten ausserdem fest, dass Thrombozyten von Patienten mit dem Bernard-Soulier-Syndrom (BSS), die mit SARS-CoV-2 infiziert sind, nicht hyperreaktiv sind.

    Dazu untersuchten sie COVID-19-Patienten (n=10) und COVID-19-Patienten mit BSS (n=3) in einer prospektiven Beobachtungsstudie. Patienten mit BSS haben eine homozygote Mutation auf GP9, die die GPIbα-Expression auf den Thrombozyten verhindert. Alle Patienten mit COVID-19 wurden 5,8 Stunden nach Erhalt eines Nasopharyngealabstrichs, der positiv für SARS-CoV-2 war, untersucht. Geschlechts- und altersgleiche gesunde Blutspender (n=10) dienten als Kontrollen.

    Die Marker für die Thrombozytenaktivierung, die Freisetzung von α-Granula und die Sekretion von dichten Granula, waren in Thrombozyten von COVID-19-Patienten in Gegenwart von α-Thrombin in unterschwelligen Konzentrationen deutlich erhöht. Zaid und Kollegen untersuchten den Einfluss von GPIbα auf die Regulierung der Thrombozyten-Hyperaktivierung. Dieser Prozess wurde nach Vorbehandlung der Thrombozyten mit einem selektiven humanen Anti-GPIbα-Antikörper (SZ2) verhindert, während ein Kontroll-IgG-Antikörper keine Wirkung zeigte. Dies deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 die Degranulation der Thrombozyten abhängig von α-Thrombin und GPIbα auslöst.

    Spielt die α-Thrombin-GPIbα-Achse eine Rolle bei der Hyperaggregation der Thrombozyten von COVID-19-Patienten? Wie erwartet wurde das Priming, nicht aber die durch hohe Konzentrationen von α-Thrombin induzierte Aggregation, bei Thrombozyten, die mit dem humanen SZ2-Antikörper vorbehandelt wurden, signifikant gehemmt, im Vergleich zu COVID-19 und COVID-19-Kontroll-IgG-Gruppen. Das heisst, dass die spezifische Hemmung der hochaffinen Bindungsstelle von α-Thrombin an GPIbα die Thrombozytensekretion und Aggregationsreaktion hemmt. Das deutet darauf hin, dass die α-Thrombin/ GPIbα-Achse die Thrombozytenfunktion in Gegenwart suboptimaler α-Thrombinkon­zentrationen verstärken kann.

    Zur Bestätigung des pharmakologischen Ansatzes wurde die zentrale Rolle von GPIbα anhand von Thrombozyten untersucht, die von COVID-19-Patienten mit BSS isoliert wurden. Deren Thrombozyten wiesen im Vergleich zu COVID-19-Patienten ohne BSS eine deutlich verringerte Aggregation als Reaktion auf niedrige Konzentrationen von α-Thrombin auf.

    Fazit

    Die Interaktion von GPIbα mit α-Thrombin in niedriger Konzentration trägt möglicherweise zur Bildung von prokoagulierenden Thrombozyten bei COVID-19-Patienten bei. Eine solche Interaktion ist vermutlich nur ein Aspekt von vielen, die möglicherweise die Thrombozytenaktivität bei COVID-19-Patienten regulieren. Diese Ergebnisse liefern eine wichtige Grundlage für das Verständnis der Pathophysiologie der Erkrankung und für die Identifizierung eines Targets für neue Behandlungsmöglichkeiten.

    Dr. Michaela Bitzer, Tübingen


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    No conflict of interest has been declared by the author(s).


    Publication History

    Article published online:
    19 October 2023

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