Pneumologie 2018; 72(08): 588-589
DOI: 10.1055/s-0043-123353
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Großfürstin Alexandra Nikolajewna Romanowa

Grand Duchess Alexandra Nikolajewna Romanowa
R. Kropp
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Dr. Robert Kropp
Sturmiusstraße 8
36037 Fulda

Publication History

Publication Date:
21 February 2018 (online)

 

Als aktueller Beitrag wird den Lesern des „Historischen Kaleidoskops“ hiermit eine Pathografie, ein Krankheitsbericht angeboten; er wurde aus biografischen Unterlagen entnommen, die im Katalog zur Ausstellung „Die Mitgift einer Zarentochter“ [1] enthalten waren[1]. Solch eine Pathografie erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden Biografie; vielmehr steht im Mittelpunkt die Schilderung einer Erkrankung, hier der Verlauf einer Tuberkulose. Damit soll ein tieferer Einblick, auch durch längere wörtliche Zitate, in ein „Schwindsucht-Schicksal“ der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreicht werden.

Die russische Großfürstin Alexandra Nikolajewna Romanowa wurde am 12. Juni jul./24. Juni greg. 1825[2] in St. Petersburg geboren. Sie war das vierte Kind und die Lieblingstochter des Zaren Nikolaus I (1796 – 1855) von Russland und seiner Frau Alexandra Fjedorowna (1798 – 1860). Alexandra wuchs in St. Petersburg auf. Zu der Zeit wurden am Zarenhof kaiserliche Töchter unter weibliche Aufsicht gestellt, meist älteren englischen Gouvernanten anvertraut. Entsprechend hatten diese einen bedeutenden Einfluss auf die Erziehung, die Bildung der ihnen Anvertrauten. Die Erzieherin Alexandras war eine Engländerin, eine Miss Higgenbottom, die ihre Aufgabe auch darin sah, ihren Zögling abzuhärten; sie ging bei jedem Wetter mit ihr aus, wie Alexandras ältere Schwester Olga berichtete [2]. Neben dem üblichen Schulunterricht genossen die Zarentöchter Mal- und Zeichenunterricht, auch, weil „alle Mitglieder der kaiserlichen Familie besonderen Sinn für Malerei und Vorliebe zum Zeichnen hatten“. Alexandra besaß darüber hinaus eine gute Stimme, mit einem Tonumfang von drei Oktaven; sie wurde deshalb von einer italienischen Gesangslehrerin in Gesang und Klavierspiel geschult. Diese Lehrerin bemerkte, dass beim Singen manche Töne „ein krankes Organ vermuten ließen“. Auch fiel ein häufiger Hustenreiz auf. Doch das blühende Aussehen der jungen Großfürstin ließ Schlimmeres nicht vermuten, der Hustenreiz wurde durch Spaziergänge in frischer Luft bekämpft ([2], S. 17). Mit 13 Jahren durfte Alexandra 1838 erstmals St. Petersburg verlassen und ihre Eltern auf einer Reise nach Deutschland begleiten, auf welcher sie Berlin sowie Kurorte in Bayern und Schlesien kennenlernte.

„Drei Schönheiten, die Großfürstinnen Maria, Olga und Alexandra Nikolajewna, entzückend voller Liebreiz, jede in ihrer Art“ – so wurden die Töchter des Zaren beschrieben. „Alexandra besaß (schon als Kind) eine besondere Anmut und zugleich eine gewisse Schalkhaftigkeit. Alle in ihrer Nähe, von hohem und niedrigem Rang, waren unerschöpflich im Lob ihres himmlischen Charakters. Sie war die Schönheit im höheren Sinne des Wortes. Nur die ihr Nahestehenden konnten in vollem Maße ihre engelhafte Güte, Sanftmut, Zärtlichkeit, Zuvorkommenheit einschätzen.“ [2]. „Alexandra ist erstaunlich erblüht, und dazu lebendig, klug und heiter“. [3].

Prinz Friedrich Wilhelm von Hessen-Kassel (1820 – 1884), „zwanzig und einige Jahre alt, von hübschem Äußern, beweglich und ein gewandter Reiter“ ([3] S. 19), wie er vom Leibarzt des Zaren beschrieben wurde, besuchte seit dem 20. Juni 1843 die Zarenfamilie in St. Petersburg. Alexandra notierte am 30. Juni in ihr Tagebuch (AHH[3]): „Je pris place à coté de Lui. Il me parlait continuellement, se penchant par dessus moi, et avec un regard qui me perçait jusqu’au fond de l’âme.“ Am 6. Juli schrieb die Kaiserin: „(…) Wir können dem Himmel nicht genug danken, dass er unserer Alexandra einen so lieben, guten, jungen Bräutigam schenkte. He is indeed a most charming joung man. Beide sind füreinander geschaffen und passen so vortrefflich zusammen und sind so fürchterlich verliebt ineinander (…).“ Kurz darauf verlobten sich Alexandra und Friedrich Wilhelm. Am 29. 6. schrieb Alexandra in ihr Tagebuch: „Bald (…) beende ich mein Mädchendasein. Dieses junge Dasein war sehr schön und sehr glücklich. Ich kannte keinen Kummer. Gott und mich liebende Menschen haben geholfen, mich mit dem Nötigen für meine Zukunft zu versorgen. Sie zeigt sich jetzt vor mir wie die Morgenröte eines schönen Tages. Mögen die Wolken, die sie umhüllen werden, sich noch vor dem Abend verflüchtigen, und der Abend meines Lebens möge seiner Morgenröte gleichen! Gott helfe mir!“

Vor der Heirat kehrte Prinz Friedrich Wilhelm nach Kopenhagen zurück, auch um die zukünftige Wohnung des Paares, das in Kopenhagen wohnen wollte, vorzubereiten. Es entwickelte sich ein intensiver Briefwechsel. Am 16./28. September 1843 schieb die Brautmutter an den Bräutigam: „Dein vieles Schreiben beglückt Deine (Alexandra), beim Empfang eines jeden Briefes wird sie rosaroth vor plaisir; ihre Gesundheit ist ganz gut, aber so sonderbar ist es, dass das Husten doch noch nicht ganz aufgehört hat.“ [AHH, Briefe 2/02 – 4]. Nach Unterzeichnung des Ehevertrages (14. Januar 1844) wurde die Hochzeit am 16./28. Januar 1844 in St. Petersburg festlich begangen [3]. Im April 1844 wollte das Brautpaar nach seiner neuen Heimat Kopenhagen abreisen.

Zu Beginn des Frühjahres 1844 verschlimmerte sich Alexandras Zustand; verstärkt durch Übelkeit und Fieber schwächte der schon seit Jahren beobachtete Husten zunehmend die Gesundheit der Großfürstin, die nun auch schwanger war. Aber immer noch wurde ihr Husten als nervöser Katarrh gedeutet, ihr Zustand bagatellisiert, als Folge der Schwangerschaft angesehen; die besorgten Eltern wurden immer wieder beruhigt, zumal sich der Zustand Anfang Mai zu bessern schien, leider nur vorübergehend. Die Ärzte stellten Mitte des Jahres 1844 fest, dass sie ernsthaft krank sei. Der Leibarzt des Zaren, der einzige Arzt in Russland, „der stethoskopische Untersuchungen vornahm“, durfte Alexandra untersuchen und stellte die Diagnose: „Tuberkulose“. Von ihr sei schon die ganze Lunge ergriffen, es gebe keine Hoffnung mehr. Auch eine zweite Untersuchung durch den Leibarzt des Ehemannes gab kein anderes Ergebnis. Eine Therapie gab es nicht [4].

Aus einem Brief vom 16./28. Juni 1844 (AHH): „Wir verleben hier eine traurige Zeit, denn es ist fürchterlich, täglich das kommende vor Augen zu haben und doch von Zeit zu Zeit durch ein momentanes Besserseyn der Kranken Hoffnung schöpfen zu sehen. Lange kann dieser Zustand nicht dauern und ich muss sagen, zum Besten der Eltern. Denn der Kaiser hat sich fürchterlich verändert in der letzten Zeit und die gute Kaiserin zerschmilzt in Jammer seitdem sie den wahren Zustand der Dinge kennt.“ „Papa zu sehen war wirklich herzzerreißend. Ganz plötzlich war er zum Greis geworden. Mama weinte oft, ohne jedoch die Hoffnung ganz aufzugeben.“ „Wie könnte man Hoffnung hegen, wenn man die abgemagerte Gestalt erblickt. Solche Veränderungen habe ich mir nicht als möglich vorgestellt. Eigentlich ist sie gar nicht zu erkennen! Es ist so recht das Bild der Auszehrung – welch ein Wort, wenn man es für sein eigenes Kind gebrauchen muss!“ klagte die Mutter [2].

Am 29. Juli/10. August 1844 gebar Alexandra einen Sohn, der auf den Namen Wilhelm getauft wurde. Mutter und Sohn starben noch am selben Tage [4].


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1 Die Ausstellung „Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung, Museum Schloss Fasanerie“ wurde im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen, Berlin, (31.10.1997 – 13. 04.1998) gezeigt, anschließend im Museum Schloss Fasanerie, Hessische Hausstiftung, Eichenzell bei Fulda (15. 05. – 01.11.1998).


2 greg./jul. = Gregorianischer/Julianischer Kalender.


3 AHH = Archiv der Hessischen Hausstiftung. Weitere Unterlagen finden sich hauptsächlich im Russischen Historischen Staatsarchiv, St Petersburg [3].


  • Literatur

  • 1 Museum Schloss Fasanerie. Katalog zur Ausstellung. Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Eichenzell bei Fulda: 1998
  • 2 Traum der Jugend goldener Stern. Aus den Aufzeichnungen der Königin Olga von Württemberg. Pfullingen: 1955
  • 3 Klössel C. Friedrich Wilhelm und Alexandra Nikolajewna. Die kurze und tragische Beziehung des Hauses Hessen-Kassel zum Zarenhof. Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Katalog zur Ausstellung. Eichenzell bei Fulda: Museum Schloss Fasanerie; 1998
  • 4 Pachomova-Göres W. Eine Braut und ihr Brautschatz – zwei Schicksale. Katalog zur Ausstellung. In: Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Eichenzell bei Fulda: Museum Schloss Fasanerie; 1998

Korrespondenzadresse

Dr. Robert Kropp
Sturmiusstraße 8
36037 Fulda

  • Literatur

  • 1 Museum Schloss Fasanerie. Katalog zur Ausstellung. Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Eichenzell bei Fulda: 1998
  • 2 Traum der Jugend goldener Stern. Aus den Aufzeichnungen der Königin Olga von Württemberg. Pfullingen: 1955
  • 3 Klössel C. Friedrich Wilhelm und Alexandra Nikolajewna. Die kurze und tragische Beziehung des Hauses Hessen-Kassel zum Zarenhof. Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Katalog zur Ausstellung. Eichenzell bei Fulda: Museum Schloss Fasanerie; 1998
  • 4 Pachomova-Göres W. Eine Braut und ihr Brautschatz – zwei Schicksale. Katalog zur Ausstellung. In: Die Mitgift einer Zarentochter. Meisterwerke russischer Kunst des Historismus aus dem Besitz der Hessischen Hausstiftung. Eichenzell bei Fulda: Museum Schloss Fasanerie; 1998