Rofo 2018; 190(01): 64-66
DOI: 10.1055/s-0043-119891
The Interesting Case
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom (RZVS) – Ausschlussdiagnose bei Thunderclap-Kopfschmerz und Subarachnoidalblutung (SAB)

Marisa Claudia Nowack
,
Herbert Wolf
,
Wiebke Kurre
Weitere Informationen

Korrespondenzadresse

Dr. Marisa Claudia Nowack
Radiologie, Klinikum Passau
Innstraße 76
94032 Passau
Germany   
Telefon: ++ 49/8 51/53 00 23 66   

Publikationsverlauf

21. August 2017

11. September 2017

Publikationsdatum:
26. September 2017 (online)

 

Einleitung

Beim RZVS handelt es sich um ein Krankheitsbild, welches mit multifokalen, im Verlauf reversiblen Vasokonstriktionen der hirnversorgenden Arterien einhergeht und sich klinisch durch starken bzw. „Thunderclap“- (Vernichtungs-) Kopfschmerz mit möglichen fokalen neurologischen Ausfällen, selten Krampfanfällen, äußert. Bildgebend können beim RZVS zerebrale Ischämien, seltener auch eine SAB sichtbar sein. Die Diagnostik des RZVS ist herausfordernd und stellt bei Patienten mit Vernichtungskopfschmerz und SAB eine Ausschlussdiagnose dar.


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Fallbeschreibung

Ein 34-jähriger Patient wurde mit nach körperlicher Belastung plötzlich aufgetretenen schweren, temporal betonten Kopfschmerzen in unserer Notaufnahme vorstellig. Die durchgeführte cCT war unauffällig. Bei rezidivierenden, progredienten holozephalen Kopfschmerzen mit begleitender Übelkeit erfolgte 11 Tage später die stationäre Aufnahme. Zu diesem Zeitpunkt war der Patient wach, orientiert und ohne neurologische Defizite. Der Liquor war sanguinolent, aber nicht entzündlich. Die erneute cCT und cMRT zeigten eine geringe subarachnoidale Blutung beidseits in den frontalen und parietalen parafalxialen Sulci ([Abb. 1]). Die CT-Angiografie blieb ohne Aneurysmanachweis und es fanden sich keine Hinweise auf eine Sinus- oder Hirnvenenthrombose in der cMRT. Bei Konvexitäts-SAB ohne nicht invasiven Nachweis eines Gefäßprozesses erfolgte eine Panangiografie der Hirngefäße, welche multisegmentale Kaliberschwankungen in allen drei Gefäßterritorien mit Betonung der Äste der A. cerebri anterior nachwies ([Abb. 2a]). Ein Aneurysma oder eine durale arteriovenöse Fistel als Ursache der SAB konnten ausgeschlossen werden. Die morphologischen Veränderungen ließen in erster Linie an eine zerebrale Vaskulitis oder ein RZVS denken, wobei sekundäre Vasospasmen nach einer SAB für weniger wahrscheinlich erachtet wurden, da die Gefäßveränderungen ubiquitär und auch in größerer Distanz zu den Blutungen zu beobachten waren.

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Abb. 1a Der axiale Schnitt der cCT zeigt linksbetonte subarachnoidale, sulcale Blutungen parafalxial, frontal und parietal mit b in der FLAIR-Sequenz der cMRT hohem Signal in den korrespondierenden Sulci.
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Abb. 2 Die i. a. zerebrale Panangiografie der linken ACI zeigt in seitlicher Projektion (Ausschnittvergrößerung) a multisegmentale Engstellungen (Pfeilspitzen) der intrakraniellen Arterien, insbesondere der Äste der A. cerebri anterior, die b im kurzfristigen Verlauf eine regrediente und c nach sechs Monaten eine vollständige Rückbildung zeigen.

Daraufhin wurde eine orale Therapie mit dem Kalziumkanalblocker Nimodipin eingeleitet mit nachfolgender Besserung der Kopfschmerzsymptomatik.

Laborchemisch fanden sich weiterhin keine Entzündungszeichen. Die umfassende serologische Vaskulitisdiagnostik blieb negativ. In der Kontroll-cCT war die SAB deutlich rückläufig. Die nach sechs Tagen erneut durchgeführte DSA zeigte bereits eine Abnahme der Vasospasmen ([Abb. 2b]). In der transkraniellen Dopplersonografie waren die Strömungsverhältnisse unauffällig.

In Zusammenschau der Befunde wurde ein RZVS mit nicht aneurysmatischer Konvexitäts-SAB als komplizierendem Epiphänomen diagnostiziert.

Nach stationärer Rehabilitation konnte die Therapie mit Nimodipin ausschleichend abgesetzt werden.

Die sechs Monate nach der stationären Aufnahme durchgeführte Kontroll-DSA zeigte eine vollständige Normalisierung der Gefäßkaliber ([Abb. 2c]). Zu diesem Zeitpunkt war der Patient symptomfrei.


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Diskussion

Der Begriff RZVS wurde 2007 von Calabrese et al. vorgeschlagen und subsummiert diverse, früher als eigene Krankheitsentitäten verstandene Syndrome, die durch Engstellungen der intrakraniellen Arterien und Kopfschmerz gekennzeichnet sind, wie beispielsweise das Call-Fleming-Syndrom oder die postpartale Angiopathie (Calabrese LH et al. Ann Intern Med 2007; 146: 34).

Die genaue Inzidenz und die Pathophysiologie sind bislang nicht hinreichend geklärt. Diskutiert wird eine transiente Störung der endothelialen Regulation des Gefäßtonus (Ducros A. Lancet Neurol 2012; 11: 906). Zu den zahlreichen endo- und exogenen Risikofaktoren für ein RZVS zählen zum Beispiel körperliche Belastung, vasoaktive Substanzen, arterieller Hypertonus, Eklampsie sowie katecholaminproduzierende Tumoren.

Diagnostisch wegweisend ist neben der typischen Klinik der angiografische Nachweis von multifokalen, segmentalen Engstellungen der hirnversorgenden intrakraniellen Arterien mit möglichem „string of beads-sign“. Dieser kann mittels CTA, MRA oder DSA erfolgen, wobei letztere die höchste Sensitivität aufweist. Ein angiografisches Ansprechen der Spasmen auf die intraarterielle Gabe von Nimodipin kann richtungsweisend für die Diagnosestellung sein (Linn J et al. Cephalalgia 2011; 31: 1074). Eine vollständige Rückbildung der Gefäßveränderungen innerhalb von drei Monaten bestätigt die Diagnose.

Differenzialdiagnosen stellen Vaskulitiden, insbesondere die primäre Angiitis des ZNS (PACNS), Dissektionen sowie Vasospasmen nach SAB anderer Genese dar. Klinisch und pathophysiologisch finden sich außerdem Überschneidungen mit dem posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndrom.

Die native cCT und cMRT sind in der Mehrzahl der Fälle unauffällig und dienen dem Nachweis von Komplikationen wie intrakranieller Blutungen oder einer akuten Ischämie. Eine assoziierte SAB ist – wie im vorliegenden Fall – typischerweise an der Konvexität lokalisiert. Der Ausschluss einer Gefäßmalformation ist dann zwingend erforderlich.

Die Liquoruntersuchung ist beim RCVS im Gegensatz zur PACNS in der Regel unauffällig.

Die Prognose ist in der Mehrzahl der Fälle gut, wobei sich die Symptome meistens vollständig zurückbilden. In 5 – 10 % der Fälle tritt ein schwerer Verlauf mit persistierenden neurologischen Ausfällen bis hin zum Tod ein (Miller TR et al. Am J Neuroradiol 2015; 36: 1392).

Evidenzbasierte Leitlinien zur Therapie eines RCVS fehlen bislang. Dennoch ist die frühzeitige Diagnostik von entscheidender Bedeutung, um rechtzeitig eine symptomatische Therapie einleiten zu können, welche aus intravenöser bzw. oraler Gabe von Kalziumantagonisten sowie der Vermeidung triggernder Faktoren, wie z. B. körperlicher Anstrengung, besteht.

Kernaussagen
  • Das RCVS ist klinisch durch starke Kopfschmerzen gekennzeichnet.

  • Diagnostisch wegweisend ist der angiografische Nachweis multipler, segmentaler Vasokonstriktionen der hirnversorgenden Arterien, welche innerhalb von drei Monaten reversibel sind.

  • Bei Patienten mit SAB ohne Nachweis einer Gefäßmalformation sollte der Radiologe auch an ein RCVS denken.


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Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


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Dr. Marisa Claudia Nowack
Radiologie, Klinikum Passau
Innstraße 76
94032 Passau
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Telefon: ++ 49/8 51/53 00 23 66   


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Abb. 1a Der axiale Schnitt der cCT zeigt linksbetonte subarachnoidale, sulcale Blutungen parafalxial, frontal und parietal mit b in der FLAIR-Sequenz der cMRT hohem Signal in den korrespondierenden Sulci.
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Abb. 2 Die i. a. zerebrale Panangiografie der linken ACI zeigt in seitlicher Projektion (Ausschnittvergrößerung) a multisegmentale Engstellungen (Pfeilspitzen) der intrakraniellen Arterien, insbesondere der Äste der A. cerebri anterior, die b im kurzfristigen Verlauf eine regrediente und c nach sechs Monaten eine vollständige Rückbildung zeigen.