Der Klinikarzt 2017; 46(08): 360-361
DOI: 10.1055/s-0043-116599
Medizin & Management
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Ärztlicher Bereitschaftsdienst

Müssen zukünftig ermächtigte Krankenhausärzte teilnehmen?
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Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Haimhauser Str. 1
80802 München

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Publication Date:
24 August 2017 (online)

 

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) hat den Versuch unternommen, ermächtigte Krankenhausärzte zur Teilnahme am Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) zu verpflichten. Nach einem erstinstanzlichen Sieg der KVH erklärte das Hessische Landessozialgericht (LSG) die zugrundeliegende Regelung der Bereitschaftsdienstordnung (BDO) für rechtswidrig. Doch noch ist nicht alles „in trockenen Tüchern“.


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Der Fall

Bei dem Kläger handelt es sich um einen leitenden Oberarzt der Klinik für Urologie am Klinikum in A.-Stadt. Er ist seit einigen Jahren dort als angestellter Krankenhausarzt tätig und verfügt über eine persönliche Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 116 SGB V i. V. m. § 31 a Ärzte-ZV). Die Ermächtigung des Klägers ist auf Überweisung durch niedergelassene Urologen oder niedergelassene Vertragsärzte und abschließend aufgezählte Leistungen beschränkt.

Mitte des Jahres 2013 beschloss die Vertreterversammlung der Beklagten KVH eine neue Bereitschaftsdienstordnung (BDO). In § 3 Abs. 1 der BDO wurde im Gegensatz zur früheren Notdienstregelung eine Teilnahmepflicht aller ermächtigten Krankenhausärzte aufgenommen. Allerdings erfolgte eine Einschränkung dahingehend, dass ermächtigte Krankenhausärzte „nur“ im Umfang von 0,25 eines Versorgungsauftrags am ÄBD teilnehmen sollen. Die Regelung sieht allerdings auch vor, dass die KVH den Teilnahmeumfang höher festlegen kann, wenn im konkreten Einzelfall (unter Berücksichtigung der Abrechnung des ermächtigten Krankenhausarztes) ein höherer Teilnahmeumfang des ermächtigten Krankenhausarztes an der vertragsärztlichen Versorgung vorliegt.

Der Kläger erhielt daraufhin die Information, dass er am vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen müsse und bekam einen Dienstplan zugestellt. Gegen die grundsätzliche Heranziehung zum ÄBD und die Einteilung zum Bereitschaftsdienst legte er Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte zurück und verwies auf die neue Bereitschaftsdienstordnung. Hiergegen erhob der Oberarzt Klage zum Sozialgericht. Durch erstinstanzliches Urteil wurde die Klage abgewiesen, da das Sozialgericht der Meinung war, die Beklagte sei berechtigt gewesen, ihn zur Teilnahme am ÄBD heranzuziehen. Hiergegen legte der Kläger Berufung zum Hessischen Landessozialgericht ein.


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LSG hält Regelung für rechtswidrig

Mit Urteil vom 14.12.2016 (L 4 KA 18/15) hob das Hessische LSG das Urteil des Sozialgerichts auf und stellte fest, dass der Bescheid über die Einteilung zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst rechtswidrig sei.

Zwar sei die Beklagte berechtigt, den Ärztlichen Notdienst durch Satzung zu regeln. Auch sei der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum Mitglied der KVH gewesen. Jedoch habe die Beklagte den Gestaltungsspielraum bei der näheren Ausgestaltung des ÄBD überschritten, indem sie ermächtigte Krankenhausärzte grundsätzlich zur Teilnahme am ÄBD verpflichtet habe. Die Regelung des § 3 Abs. 1 BDO verstoße insoweit gegen höherrangiges Recht und sei unwirksam.

Das Hessische LSG begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit dem seiner Meinung nach bestehenden deutlichen Unterschied zwischen einer Zulassung als Vertragsarzt und einer persönlichen Ermächtigung eines Krankenhausarztes. Mit der Zulassung als Vertragsarzt habe sich der Arzt freiwillig einer Reihe von Einschränkungen seiner ärztlichen Berufsausübung unterworfen, die mit der Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem notwendig verbunden sind. Zu diesem der Berufsausübung im vertragsärztlichen Bereich immanenten Einschränkungen gehöre auch die Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst, ohne den eine ausreichende Versorgung der Versicherten nicht gewährleistet sei. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst habe der Gesetzgeber als Annex zur Niederlassung in freier Praxis ausgestaltet.


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Kein vergleichbarer Status

Von diesem Status der Zulassung unterscheide sich – ungeachtet der sich daran knüpfenden Mitgliedschaft bei der Kassenärztlichen Vereinigung – der Status eines nach § 116 SGB V persönlich ermächtigten Krankenhausarztes. Zwar sei auch dieser zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet. Anders als die Zulassung bewirke die Ermächtigung jedoch nicht, dass der Vertragsarzt umfassend zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Umfang seines auf die Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgung auftragsberechtigt und verpflichtet sei. Vielmehr sei die Ermächtigung nur zu erteilen, soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse des Krankenhausarztes nicht sichergestellt werde. Die Ermächtigung sei gegenüber der Zulassung damit nicht nur nachrangig, sondern insbesondere streng auf den von den Zulassungsgremien explizit zu bestimmenden Umfang begrenzt. Hierdurch unterscheide sich der ermächtigte Krankenhausarzt grundlegend von dem in freier Praxis arbeitenden zugelassenen Vertragsarzt.


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Vergleich mit angestelltem Arzt im MVZ

Das LSG stützt sich in seiner Begründung auf ein Urteil des BSG vom 11. Dezember 2013 (B 6 KA 39/12 R) in dem das BSG die Heranziehung von angestellten Ärzten eines MVZ zum Ärztlichen Bereitschaftsdienst als rechtswidrig eingestuft hatte. Das LSG vergleicht den angestellten Arzt im MVZ mit dem ermächtigten Krankenhausarzt und übernimmt das dortige Argument, wonach sich der Kläger auch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befände, über die Betriebsmittel und die Infrastruktur des Krankenhauses nicht selbst verfügen und nicht über die intern organisatorischen Abläufe und den Einsatz des ärztlichen Personals bestimmen könne. Insbesondere könne er auch (wie der im MVZ angestellte Arzt) nicht eigenverantwortlich über seine Arbeitszeit verfügen, sondern habe als Arbeitnehmer neben arbeitsvertraglichen Vorgaben auch Anordnungen zu beachten, zu denen sein Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts befugt sei. Das BSG habe zurecht darauf hingewiesen, dass die Einteilung eines angestellten Arztes zum Bereitschaftsdienst unmittelbar durch die Kassenärztliche Vereinigung die Gefahr einander widerstreitender Pflichten des angestellten Arztes begründen und jedenfalls eine Abstimmung der den Bereitschaftsdienst organisierenden Stellen mit dem MVZ erforderlich machten. Nichts anderes gelte für die erforderliche Abstimmung mit dem Krankenhausträger.

Zusammenfassend stellt das LSG fest, dass die Unterschiede zwischen Ermächtigung und Zulassungsstatus hinreichend gewichtig seien, um eine Ungleichbehandlung in Bezug auf die Einbeziehung zugelassener Vertragsärzte einerseits und ermächtigter Krankenhausärzte andererseits für gerechtfertigt zu erachten.


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Wie geht’s jetzt weiter?

Das Hessische LSG ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu. Hiergegen legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde ein. Die Entscheidung des BSG hierüber steht noch aus. Sollte der Beschwerde stattgegeben werden, findet ein Revisionsverfahren mit einer Entscheidung durch das BSG statt. Wird die Beschwerde abgelehnt, wird das Urteil des Hessischen LSG rechtskräftig. In letzterem Fall ist davon auszugehen, dass dann keine Nachahmer in anderen Kassenärztlichen Vereinigungen folgen werden. Auch für Hessen wäre die Einbeziehung von ermächtigten Krankenhausärzten dann vom Tisch. Sollte allerdings das BSG über die Einbeziehung ermächtigter Krankenhausärzte doch entscheiden und diese für rechtskonform halten, könnte dies zukünftig dazu führen, dass zahlreiche weitere Kassenärztliche Vereinigungen (über Beschlüsse der Vertreterversammlung) ihre Bereitschaftsdienstordnungen dahingehend ergänzen.


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Anmerkungen

Sofern das BSG die Revision zulässt, muss der Ausgang der Entscheidung wohl als offen bezeichnet werden. Insbesondere das vom Hessischen LSG in seiner Begründung viel zitierte BSG-Urteil (s. o.) bietet auch für ein gegenteiliges Urteil viel Munition. So stellt das BSG bei der Unterscheidung der Beurteilung der Einbeziehung von angestellten Ärzte in einem MVZ gegenüber dem freien Vertragsarzt in den Notdienst wesentlich darauf ab, dass angestellte Ärzte in einem MVZ nur „vermittelt“ über die Zulassung des MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen würden, da das MVZ und nicht der dort angestellte Arzt zugelassen wird. Es wird besonders hervorgehoben, dass der angestellte Arzt seine Leistungen nicht selbst gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnet und nicht das wirtschaftliche Risiko der Praxis mittrage. Insoweit sei der Status des angestellten Arztes und die daraus folgenden Pflichten im Bereich der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht mit denen des zugelassenen Vertragsarztes identisch. Beim angestellten Arzt im MVZ fielen Zulassung und die Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung auseinander. Ausschlaggebend für die Pflicht zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst sei aber die entsprechende Zulassung. Hierin ist wohl der wesentlicher Unterscheid zwischen dem angestellten Arzt im MVZ und dem persönlich ermächtigten Arzt, der unmittelbar (persönlich!) ermächtigt wird und selbst abrechnet, zu sehen. Allerdings stellt sich in der Tat die Frage des Durchgriffs der Kassenärztlichen Vereinigung auf die in einem Krankenhaus angestellten Ärzte.

Der Vorstoß der KVH macht das Bestreben deutlich – wie auch beim (gesetzlich vorgeschriebenen) Entlassmanagement – für Krankenhäuser, die im ambulanten Bereich „mitmischen“ auf KV-Ebene entsprechenden Rechten auch Pflichten folgen zu lassen. Eine Einbeziehung ermächtigter Krankenhausärzte in den Notdienst hätte jedoch unter Umständen nicht den gewünschten Effekt. Möglicherweise hätte eine entsprechende Entscheidung die „Rückgabe“ zahlreicher Ermächtigungen zur Folge, was sich wiederum negativ auf die Versorgungssituation auswirken würde. Es bleibt also weiterhin spannend.


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