Gesundheitswesen 2017; 79(07): 528-529
DOI: 10.1055/s-0043-112435
Editorial
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Arzneimittelforschung – soziale Verantwortung

Gerd Glaeske
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Prof. Dr. Gerd Glaeske
SOCIUM, Universität Bremen
Mary-Somerville-Str. 5, 28359 Bremen

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10 August 2017 (online)

 

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Prof. Dr. Gerd Glaeske

Der Diskussionsbeitrag in diesem Heft mit dem Titel „Möglichkeiten der universitären Einflussnahme auf die globale Preisgestaltung von Medikamenten“ ([1] siehe Seite 530) berührt unterschiedliche Themen. Zum einen geht es um die Forschung im Bereich der Arzneimitteltherapie, die nach wie vor dringend erforderlich ist. Ein Teil dieser Forschung findet im Rahmen der Grundlagenforschung in universitären Einrichtungen oder in außeruniversitären Forschungseinrichtungen statt, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und wichtige Impulse für weiterführende Forschungsstrategien oder gar „fertige“ innovative Lösungen für die Behandlung bestimmter Krankheiten oder Symptome geben können. Eine Übersicht aus dem Jahre 2005 zeigte, dass von den rund 160 Mrd. US-Dollar, die weltweit für die Arzneimittelforschung ausgegeben werden, 51% von den pharmazeutischen Unternehmen, 8% aus Stiftung und 41% aus der öffentlichen Finanzierung stammen. Insofern liegen die Befragten einer EMNID-Studie aus den späten 1990er Jahren gar nicht so falsch, wenn über die Hälfte von ihnen mutmaßte, dass neue Präparate aus den Labors von Universitäten und staatlichen Forschungsinstituten kämen, an denen Arzneimittelhersteller allenfalls beteiligt seien. Und ein gutes Drittel der Befragten war überzeugt, dass der Staat den Hauptteil der Forschungs- und Entwicklungskosten trage. Den Verbänden der pharmazeutischen Hersteller und den forschenden Unternehmen können solche Einschätzungen in der Bevölkerung natürlich gar nicht recht sein, weil genau mit den hohen Investitionen in die Forschung und Entwicklung, die ausschließlich von den Unternehmen finanziert werden und insgesamt über 90% ausmachen sollen, letztlich die hohen Preise für neue Arzneimittel begründet werden – obwohl neu, so zeigen es immer wieder systematische Bewertungen, keineswegs innovativ im Sinne eines therapeutischen Fortschritts bedeuten müssen, dies wird allenfalls bei jedem dritten oder vierten neuen Mittel konstatiert (zu grundlegenden Überlegungen siehe [2]).


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Zum anderen geht es um das wichtigste „Kapital“ für ein pharmazeutisches Unternehmen, nämlich um den Patentschutz für einen Wirkstoff. Durch die Vergabe von Patenten besitzt der Halter nämlich ein Monopol auf die wirtschaftliche Nutzung seiner Erfindung (Wirkstoff, Wirkprinzip, Herstellungsverfahren etc.), aus der die hohen Herstellerpreise zugelassener Originalpräparate resultieren. Die Laufzeit eines Patents für einen Wirkstoff beträgt 20 Jahre (Europäische Patentkonvention). Das Patent kann um 5 Jahre durch ein zusätzliches Schutzzertifikat verlängert werden (Verordnung (EWG) Nr. 1768/1992). Mit der Zulassung eines Arzneimittels zur Behandlung seltener Erkrankungen ist eine 10-jährige Marktexklusivität verbunden, d. h. die Zulassungsbehörden dürfen über eine Dauer von 10 Jahren keinen Zulassungsantrag für ein ähnliches Produkt desselben therapeutischen Anwendungsgebietes und desselben Wirkprinzips annehmen (Verordnung (EWG) Nr. 141/2000). Kann ein Unternehmen vorweisen, dass es sein Arzneimittel auch für pädiatrische Indikationen getestet hat, erhält es eine zusätzliche Marktexklusivität von 6 Monaten (Verordnung (EG) 1901/2006).

Hohe Preise, die durch solche Patente möglich werden und auch Anbietermonopole schützen, bedeuten aber in vielen Ländern Barrieren für die Anwendung und die Zugänglichkeit zu neuen und vielversprechenden Therapien – die Mittel sind für viele Gesundheitssysteme und erst recht für einzelne Patientinnen und Patienten viel zu teuer. Dies hat sich insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung von überlebenswichtigen AIDS-Medikamenten in vielen afrikanischen Ländern gezeigt, die wegen des hohen global festgesetzten Preises und trotz des dringenden Bedarfs keinen Eingang in die Behandlung des Erkrankten fand. Die Vermarktung eines der AIDS-Arzneimittel hat denn auch zu einer Veränderung der Rahmenbedingen für öffentlich geförderte Forschung und der Nutzung von Forschungsergebnissen geführt, die aus einer öffentlichen Forschung stammen. Es ging dabei um den Wirkstoff Stavudin (Handelsname Zerit®), der in der Universität Yale zunächst als Krebsmittel, später dann als Mittel zur Behandlung von AIDS erforscht worden ist. Das Patent an dieser Anwendung überließ die Universität dann dem Pharmaunternehmen Bristol Meyer Squibb (BMS) im Rahmen einer Exklusivlizenz. BMS ahnte, welchen „Schatz“ es da in der Hand hielt: Das Mittel wurde weltweit zu einem einheitlichen Preis angeboten, der so hoch war, dass es für Patientinnen und Patienten in Afrika unbezahlbar war. Aufgrund des daraufhin entstehen öffentlichen Drucks aus den eigenen Reihen nahm die Universität Yale dann allerdings die Exklusivlizenz zurück und erlaubte die Herstellung auch durch andere Unternehmen. Die Folge: Der Preis für den Wirkstoff fiel im Laufe eines Jahres um 96%, was dann auch die Anwendung dieses wirksamen Mittels in ärmeren Gesundheitssystemen ermöglichte. Dies ist ein anschauliches Beispiel für den universitären Einfluss auf die globale Preisgestaltung von Medikamenten, die in dem Beitrag von Jaehn und Mitarbeiter auf Seite 530 angesprochen und im Sinne einer Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit für Patientinnen und Patienten unabhängig von Einkommen, sozialem Status oder Nationalität gefordert wird, wenn ein objektiver Bedarf für eine entsprechende Therapie besteht.

Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung wurde im Jahre 2001 der Begriff „Equitable Licensing“ („Gerechte Lizenzen“) geprägt, der letztlich v. a. die öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen wie Universitäten oder ähnliche Forschungsinstitutionen dazu auffordert, trotz möglicher finanzieller Eigeninteressen bei der Vergabe von Lizenzen für eigene Forschungsergebnisse darauf zu achten, dass die Lizenznehmer einer an den Möglichkeiten der jeweiligen Gesundheitssysteme orientierten Versorgungsverpflichtung vertraglich zustimmen oder ihre Patente nicht dazu nutzen, um nationale preisgünstigere Hersteller vom Markt fernzuhalten (zu dieser Entwicklung siehe [3]).

Die Strategie des „Equitable Licensing“ ist neben dem Aspekt der Verpflichtung von Forschern gegenüber der Allgemeinheit (med4all.org) auch und insbesondere mit der Transparenzförderung bei Kooperationsverträgen im Bereich Universitäre Forschung und Industrie verbunden. So hat die Firma Bayer zwar eine „bevorzugte Partnerschaft“ mit der Universitätsklinik Köln bestätigt. Welche Forschungs- und Verwertungsstrategien aber hinter dieser Partnerschaft stehen, ist bisher unbekannt und konnte auch im Rahmen eines von Seiten einer interessierten Öffentlichkeit angestrengten Gerichtsverfahrens nicht aufgedeckt werden. Solange aber diese Möglichkeit verwehrt wird, Kooperationen auch öffentlich diskutieren zu können, sind auch die denkbaren Folgen im Rahmen einer Strategie der „gerechter Lizenzen“ schwer abschätzbar.

Zum Thema des „Equitable Licensing“ gehört im Übrigen nicht nur die Diskussion über die Verwertung bereits vorliegender öffentlich finanzierter oder mitfinanzierter Forschungsergebnisse, sondern auch die Frage des prioritären Forschungsbedarfs z. B. im Bereich seltener oder angeblich wenig „lukrativer“ Erkrankungen oder im Bereich dringend erforderlicher neuer Arzneimittel. Hier ist v. a. die Forschung im Bereich neuer Antibiotika zu erwähnen, die wegen der fortschreitenden und gravierenden Folgen der Antibiotikaresistenzen seit vielen Jahren überfällig ist. Mit dem Schlagwort der "Open Innovation" werden in diesem Zusammenhang nun Strategien bezeichnet, in denen die jeweiligen Partner aus dem Bereich der Wissenschaft und der Industrie nicht mehr durch feste Arbeitspakete ein geregeltes Nebeneinander „leben“, sondern dass von Beginn an gemischte Projektteams gemeinsam tätig sind. Ein Beispiel dieser Art ist die Kooperation des pharmazeutischen Unternehmens Sanofi und der Fraunhofer-Gesellschaft. Sanofi kooperiert aber auch z. B. mit den Großforschungseinrichtungen Hans-Knöll-Institut (HKI) in Jena und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und Saarbrücken. Ein Erfolg aus der Zusammenarbeit mit dem HZI sind Derivate des Griselimycins, ein neues Antibiotikum aus Myxobakterien, die in präklinischen Studien sehr gute Aktivitäten in der Behandlung der Tuberkulose zeigen. Auch bei solchen Forschungsaktivitäten wird irgendwann das Thema Lizenzen und Patente eine Rolle spielen. Es ist zu hoffen, dass bei aktuell geführten Diskussionen zum Thema Equitable Licensing dann bereits so in unserer medizinischen Versorgung verankert sind, dass der Zugang zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten für alle Patientinnen und Patienten, die solcher Therapien bedürfen, gewährleistet ist, unabhängig von Einkommen und sozialem Status. Die Überschrift: „Der Staat finanziert, die Wirtschaft kassiert“ muss der Vergangenheit angehören, insbesondere in der medizinischen Versorgung.


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  • Literatur

  • 1 Jaehn P, Inhoffen J, Scheer J et al. Möglichkeiten der universitären Einflussnahme auf die globale Preisgestaltung von Medikamenten
  • 2 Wagner-Ahlfs C. 2009; Medizinische Forschung – der Allgemeinheit verpflichtet. BUKO, Bielefeld
  • 3 Godt C, Wagner-Ahlfs C, Tinnemann P. 2012. Equitable Licensing – den Zugang zu Innovationen sichern. In: Helfrich S. Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.) Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: S. 500-507

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SOCIUM, Universität Bremen
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  • 1 Jaehn P, Inhoffen J, Scheer J et al. Möglichkeiten der universitären Einflussnahme auf die globale Preisgestaltung von Medikamenten
  • 2 Wagner-Ahlfs C. 2009; Medizinische Forschung – der Allgemeinheit verpflichtet. BUKO, Bielefeld
  • 3 Godt C, Wagner-Ahlfs C, Tinnemann P. 2012. Equitable Licensing – den Zugang zu Innovationen sichern. In: Helfrich S. Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.) Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: S. 500-507

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