Krankenhaushygiene up2date 2017; 12(03): 216-217
DOI: 10.1055/s-0043-104021
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

5000 pro Tag

Winfried V. Kern
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Publication Date:
12 September 2017 (online)

 

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es ist nicht, was Sie glauben! Neymar, einer der bekanntesten Spieler des FC Barcelona, verdient jetzt schon und soll dann in Paris noch viel mehr Euros (> 50 000 Euro pro Tag) verdienen. Auch gab es kürzlich eine Meldung, man könne bis zu 5000 Euro am Tag mit Fake News verdienen – so ein junger Mazedonier, der angeblich gefälschte Nachrichten zugunsten Trumps verbreitete. Oder denken Sie an eine bereits etwas ältere Nachricht, wonach die renommierten Köche Massimo Bottura aus Italien und David Hertz aus Brasilien es tatsächlich „durchzogen“, die tausende Kilos an Essen wiederzuverwenden, welche von den Mahlzeiten übrig blieben, die den Athleten während der Olympischen Spiele serviert wurden: Daraus haben sie tatsächlich 5000 Mahlzeiten pro Tag für Arme produziert. Respekt. Aber auch das meine ich nicht – ich meine etwas anderes.

    Es ist die Meldung der WHO von Ende Juni: „Wir sehen uns mittlerweile mit dem weltweit schlimmsten Cholera-Ausbruch konfrontiert.“ Nach Angaben der Organisation gab es bis dahin mehr als 200 000 Verdachtsfälle, wobei täglich rund 5000 neue hinzukämen. 5000 pro Tag! Das jemenitische Gesundheitsministerium hat bis zum 26. Juli 2017 nun eine Zahl von > 400 000 Verdachtsfällen rapportiert. Innerhalb weniger Monate hat sich die Cholera über beinahe den gesamten Jemen ausgebreitet. Mehr als 1300 Menschen sind gestorben, darunter ein Drittel Kinder. Gemeinsam mit UNICEF bemüht sich die WHO – wie auch andere Organisationen –, die Menschen in betroffenen und gefährdeten Gebieten mit sauberem Wasser, Medikamenten und Sanitäranlagen zu versorgen. Nicht nur das. Im gegenüberliegenden Somalia stiegen zur selben Zeit die Krankheitsfälle: nach Angaben von ProMed-mail 50 000 seit Januar, 50% davon Kinder. Mehr als 5000 Fälle im Südsudan, 50% Kinder. Anfang Juli dann der Ausbruch in Kenia. Die Informationen dazu sind spärlich; es ist nicht klar, ob die Flüchtlingscamps Dadaab and Kakuma betroffen sind. Bald sind Wahlen; auch der Tourismus ist wichtig.

    Das Problem ist nicht allein die Cholera. Die Menschen im Jemen hungern und sind auch sonst schlecht versorgt. Es ist Krieg, die Fronten sind nicht immer klar, die Zivilbevölkerung meist Opfer. Mehr als 50% der medizinischen Infrastruktur im Jemen sind zerstört. Einfach weg. Das medizinische Personal kann nicht mehr entlohnt werden. Die Vereinten Nationen haben versucht, zusätzliches Geld einzusammeln – gegen die Hungersnot, gegen Cholera. Einige hundert Millionen sind es geworden – ein Drittel des geschätzten Bedarfs, und nicht alle damit geplanten Hilfslieferungen kommen an. Eine Massenimpfung gegen Cholera – nur mäßig effektiv, vor allem bei Kleinkindern, und aufwendig, da 2 Dosen im Abstand von Wochen verabreicht werden müssen – lässt sich kaum organisieren und verliert an Priorität gegenüber Sanitäranlagen und Versorgung mit sicheren Möglichkeiten der Rehydrierung.

    Das alles wurde mir bewusst, als ich bei unserer letzten Infektions- und Hygienekommissionssitzung berichtete, dass wir in den ersten 6 Monaten 2017 immerhin noch 10 Fälle mit positiven Blutkulturen für VRE gezählt haben. Bei genauer Durchsicht waren es nur 5 gesicherte Fälle einer VRE-Bakteriämie, die anderen 5 waren (eher) Kontamination. Von den 5 Fällen einer „echten“ VRE-Bakteriämie wurde eine nicht behandelt und war transient, die anderen 4 wurden behandelt; eine persistierte trotz Behandlung – mit schlechtem Ausgang. Bemerkenswert: trotz Verlassen von VRE-Screening und Isolierungspflicht Ende 2016 kein Anstieg der Bakteriämie-Fallzahlen im Vergleich zu den Vorjahren, 5 gesicherte Infektionsfälle mit positiven Blutkulturen pro Halbjahr. Welche Relationen! 5 VRE pro Halbjahr hier, 5000-mal Cholera pro Tag dort. Welche Gegensätze bietet diese Welt für die Menschen, für Infektiologen und Präventionsexperten?

    Infektionsprävention bedeutet Ursachenforschung, Folgeschäden-Abschätzung, Beurteilung der Effektivität von Gegenmaßnahmen. Ursachenforschung ist keine Garantie für effektive Prävention. Die Ursachen für die Häufung von VRE und VRE-Infektionen kennen wir nicht genau. Wir vermuten – und dies ist plausibel – die vermehrte Anwendung von Antibiotika, insbesondere von biliär ausgeschiedenen und/oder schlecht resorbierten Cephalosporinen und von Vancomycin (oral und parenteral). Die Folgeschäden sind ebenfalls nicht exakt zu beziffern. Weniger VRE und dafür wieder mehr VSE – das ist möglicherweise für das Patientenwohl wie auch für die Sterblichkeit kaum ein Unterschied. Strikte Hygienemaßnahmen scheinen in Ausbruchssituationen wirksam, ihr Effekt außerhalb von Ausbruchssituationen ist unsicher. Welcher Aufwand ist damit zu rechtfertigen? Ein Euro pro (verhindertem) Fall? Dieser würde ja wahrscheinlich nicht reichen. Wäre dieser Euro nicht besser und viel wirkungsvoller auszugeben?

    Kommen wir auf Neymar zurück. Würde es eine Verbesserung bewirken, wenn er von seinem jetzigen und zukünftigen üppigen Salär für ihn kaum spürbare 5000 Euro pro Tag an die Vereinten Nationen und UNICEF überweisen würde? Pro Cholera-Fall einen Euro? Jeden Tag? Leider reicht das nicht einmal für einen kommerziell erhältlichen Beutel mit Glukose-Elektrolyt-Pulver für die Rehydrierung, ganz zu schweigen von der Bereitstellung von (sauberem) Wasser, das für die Lösung des Pulvers nötig ist, und vom Personal, das für die Krankenversorgung gebraucht wird. Anthony Lake, der amtierende UNICEF-Direktor, hat Ursachenforschung mit Folgeschäden-Abschätzung und Beurteilung der Effektivität von Gegenmaßnahmen betrieben. Er sagt, es gibt einen Weg, das Desaster zu beenden. Und seine Ansage geht nicht an die Medizin. Er sagt nüchtern und klar: „Stop the war!“ Eine ganz andere – die besondere Art der Infektionsprävention. Bitter, dass wir das heute noch hören müssen und quasi sprachlos zusehen.

    Mit herzlichen Grüßen

    Ihr Winfried Kern


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    Univ.-Prof. Dr. Winfried V. Kern

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