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DOI: 10.1055/s-0043-102407
Übernahme der sektorübergreifenden Versorgung durch private Leistungsanbieter – Pro
Takeover of Cross-Sectoral Care by Private Providers? – ProKorrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
11. April 2017 (online)
Spricht man über sektorübergreifende Versorgung, macht es sicherlich Sinn, ein gemeinsames Verständnis dieses Begriffs herzustellen, bevor man darüber diskutieren kann, welche Struktur mit welchen Kompetenzen und mit welcher Form von Finanzierung die Versorgung übernehmen kann.
Unzweifelhaft ist, dass das Gesundheitssystem in zwei große Sektoren aufgeteilt ist. Der ambulante ärztliche/psychotherapeutische Sektor wird über die kassenärztlichen Vereinigungen der Länder organisiert und finanziert, die zugleich eine konkrete Bedarfsplanung erstellen. Die Bedarfsplanung des stationären Sektors, der über krankenhausindividuelle Budgets finanziert wird, erfolgt durch die Ministerien der jeweiligen Länder. Der ambulante ärztliche/psychotherapeutische Sektor ist in weitere Subsektoren aufgeteilt, zum einen in den haus- und fachärztlichen Bereich, zum anderen auch innerhalb des fachärztlichen Bereichs in Budgets der einzelnen Fachgruppen. Darüber hinaus gibt es in der psychiatrischen Versorgung einen ambulanten nichtärztlichen Sektor bestehend aus den Bereichen ambulante psychiatrische Pflege, Soziotherapie und Heilmittel (Ergotherapie). Eine Bedarfsplanung hierfür besteht nicht, Zulassung und Finanzierung erfolgen über die Krankenkassen direkt.
In der psychiatrischen Versorgung existiert außerdem eine Besonderheit. Neben dem oben bezeichneten SGB-V-finanzierten Versorgungssystem existiert ein weiterer relevanter Versorgungssektor der Eingliederungshilfe. Die Versorgung richtet sich am Bedarf aus und wird kommunal finanziert und gesteuert.
Sprechen wir über sektorübergreifende Versorgung, stellt sich also die Frage, welche Sektoren wir meinen. Entsprechend unterschiedlich sind die bisher realisierten Projekte zur sektorübergreifenden Versorgung aufgestellt. Es gibt nur wenige Projekte mit einem hohen Integrationsgrad. Als Beispiel sei das regionale Budget Kinzigtal genannt, in dem große Teile der SGB-V-Leistungen integriert sind [1]. Ein analoges Projekt – hier ausschließlich die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung betreffend – existiert im Elbe-Weser-Bereich mit dem regionalen Budget am Ostebogen [2]. Ein indikationsbezogenes regionales Budget war das Schizophrenieprojekt der AOK Niedersachsen [3] unter Beteiligung einer Pharma-Firma. Allen diesen Projekten mit einem hohen Integrationsgrad ist gemein, dass sie die Kosten der großen Finanzierungssektoren integrieren und potenziell alle Leistungserbringer – ob ambulant oder stationär –, die in dem jeweiligen Versorgungsumfeld tätig sind, kontrahieren können. Die beiden erstgenannten Projekte haben nie ihren regionalen Bezug verlassen, letzteres währte nur wenige Jahre.
Daneben existieren in Deutschland zahlreiche Projekte mit geringerem Integrationsgrad, oftmals hervorgegangen aus Initiativen eines Versorgungssektors. Hervorzuheben sind hier prototypisch das Netzwerk psychische Gesundheit (NwpG) der Techniker Krankenkasse [4], die Integrierte Versorgung für Menschen mit Schizophrenie am UKE [5] und die Sozialpsychiatrie-Vereinbarungen der IVPNetworks [6]. Das NwpG ist aus einer Initiative des Dachverbands Gemeindepsychiatrie, also der Eingliederungshilfe, entstanden, das UKE-Projekt aus dem Krankenhaus heraus, die Projekte der IVPNetworks aus Initiativen von ambulanten Fachdiensten und -ärzten.
Einen Sonderfall von sektorübergreifender Versorgung stellen die regionalen Krankenhausbudgets gemäß § 64b [7] dar. Sie ermöglichen eine Flexibilisierung von Leistungen innerhalb des stationären Sektors, integrieren jedoch nicht andere Versorgungssektoren wie die niedergelassenen Ärzte, die Eingliederungshilfe oder nichtärztliche ambulante Leistungserbringer.
Allen Projekten mit dem Anspruch, möglichst viele Versorgungssektoren einzubeziehen, ist gemein, dass sie eine Trägerstruktur benötigen. Diese hat ganz praktische Umsetzungsaufgaben. Sie muss die Versorgungsidee – z. B. die Implementierung eines stationsersetzenden ambulanten Komplexleistungsangebots – in die Fläche bringen. Dazu gehören der Einbezug entsprechend geeigneter Leistungserbringer mit Schulung, Vernetzung und Support, die Schaffung vertraglicher Rahmenbedingungen, aber auch das Qualitätsmanagement, das Controlling und die Abrechnung von Leistungen. Ohne eine IT-Struktur, die allen Leistungsanbietern aus den verschiedenen Versorgungssektoren einen Zugriff erlaubt, ist eine Umsetzung in der Fläche nicht denkbar. Die Erfahrung der letzten 12 Jahre mit Selektivverträgen zeigt:
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Es mangelt nicht an Versorgungsideen, es mangelt an Umsetzungskompetenz gerade für flächendeckende Versorgung.
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Die Finanzierungsgrundlage eines tatsächlichen sektorübergreifenden regionalen Budgets – nicht eines Modellprojekts nach § 64b – ist hoch komplex und kaum kalkulierbar.
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Versorgung ist in Deutschland regional und von Initiativen einzelner Akteure geprägt.
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Für die flächendeckende Umsetzung von Versorgungsideen unter tatsächlichem Einbezug unterschiedlicher Sektoren wird eine kompetente Managementstruktur benötigt.
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Die Managementstruktur sollte unabhängig von institutionellen Interessen einzelner Versorgungsakteure sein.
Wollen wir also eine tatsächliche sektorübergreifende Versorgung umsetzen, benötigen wir eine Managementgesellschaft, welche möglichst unabhängig agieren kann. Bleibt die Frage, wer Träger einer solchen Struktur und damit einer sektorübergreifenden Versorgung sein kann. Kostenträger müssen die Krankenkassen bleiben, das ist ihre ureigene Rolle im Gesundheitssystem. Die fachliche Trägerschaft ergibt sich aus den Anforderungen. Können wir uns vorstellen, dass eine öffentliche Struktur eine solche Aufgabe übernehmen kann? Mir fehlt innerhalb unseres privat aufgestellten Gesundheitssystems der Glaube, dass eine Gebietskörperschaft – quasi eine Superbehörde – in der Lage dazu sein kann. Sicherlich kann und muss innerhalb eines Modellprojekts nach § 64b eines kommunalen Krankenhauses die Kommune eine Umsetzungsrolle spielen. Kommen jedoch Partner aus anderen Sektoren hinzu oder soll die Versorgung über mehrere Krankenhäuser verschiedener Trägerschaften flächendeckend ausgeweitet werden, kommt eine kommunale Trägerschaft an ihre natürlichen Grenzen.
Fazit: Sektorübergreifende Versorgung kann natürlich von privaten Leistungsanbietern übernommen werden. Denkt man Versorgung im größeren Rahmen und nicht nur aus einem Versorgungssektor, scheint dies aufgrund der Anforderungen und der erforderlichen Unabhängigkeit der einzige Weg.
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Literatur
- 1 Schubert I, Siegel A, Köster I. et al. Evaluation der populationsbezogenen ,Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal‘ (IVGK). Ergebnisse zur Versorgungsqualität auf der Basis von Routinedaten. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) 2016; 117: 27-37
- 2 Jürgensen M, Patzelt C, Meyer T. Integrierte Versorgung für schizophren erkrankte Menschen aus Sicht von Patienten und Angehörigen. Psychiat Prax 2014; 41: 29-36
- 3 Preugschat F, Poweleit N. Integrierte Versorgung Schizophrenie der AOK Niedersachsen – neue Hoffnung oder Ausverkauf. Nervenheilkunde 2013; 5: 281-285
- 4 Stegbauer C, Goetz K, Bauer E. et al. What contributes to good patient outcomes in the home treatment of the severely mentally ill: study protocol of a multi-centre analysis. BMC Psychiatry 2013; 13: 283
- 5 Lambert M. et al. Assertive Community Treatment (ACT) as part of Integrated Care versus Standard Care: a 12-month trial in patients with first- and negatively selected multiple-episode schizophrenia-spectrum disorders treated with quetiapine IR. J Clin Psychiatry 2010; 71: 1313-1323
- 6 http://ivpnetworks.de/de/patienten/integrierte-versorgung.php
- 7 Roick C, Deister A, Zeichner D. et al. Das Regionale Psychiatriebudget: Ein neuer Ansatz zur effizienten Verknüpfung stationärer und ambulanter Versorgungsleistungen. Psychiat Prax 2005; 32: 177-184
Korrespondenzadresse
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Literatur
- 1 Schubert I, Siegel A, Köster I. et al. Evaluation der populationsbezogenen ,Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal‘ (IVGK). Ergebnisse zur Versorgungsqualität auf der Basis von Routinedaten. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen (ZEFQ) 2016; 117: 27-37
- 2 Jürgensen M, Patzelt C, Meyer T. Integrierte Versorgung für schizophren erkrankte Menschen aus Sicht von Patienten und Angehörigen. Psychiat Prax 2014; 41: 29-36
- 3 Preugschat F, Poweleit N. Integrierte Versorgung Schizophrenie der AOK Niedersachsen – neue Hoffnung oder Ausverkauf. Nervenheilkunde 2013; 5: 281-285
- 4 Stegbauer C, Goetz K, Bauer E. et al. What contributes to good patient outcomes in the home treatment of the severely mentally ill: study protocol of a multi-centre analysis. BMC Psychiatry 2013; 13: 283
- 5 Lambert M. et al. Assertive Community Treatment (ACT) as part of Integrated Care versus Standard Care: a 12-month trial in patients with first- and negatively selected multiple-episode schizophrenia-spectrum disorders treated with quetiapine IR. J Clin Psychiatry 2010; 71: 1313-1323
- 6 http://ivpnetworks.de/de/patienten/integrierte-versorgung.php
- 7 Roick C, Deister A, Zeichner D. et al. Das Regionale Psychiatriebudget: Ein neuer Ansatz zur effizienten Verknüpfung stationärer und ambulanter Versorgungsleistungen. Psychiat Prax 2005; 32: 177-184