Frauenheilkunde up2date 2017; 11(02): 139-153
DOI: 10.1055/s-0043-100744
Allgemeine Gynäkologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe

Teil 2: Notfälle in der späten Schwangerschaft und Geburt
Ulrich Pecks
,
Dirk O. Bauerschlag
Further Information

Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Pecks
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel

Publication History

Publication Date:
31 May 2017 (online)

 

Auch in der 2. Hälfte der Schwangerschaft kann es zu schwangerschaftsspezifischen Notfällen kommen, die ein rasches Management erfordern – insbesondere aus mütterlicher Indikation Zu nenne sind vaginale Blutungen verschiedener Genese und Hypertension. Bei umgehend erforderlichem Transport der Schwangeren richtet sich die Wahl der Entbindungseinrichtung nach dem Gestationsalter und den Umständen der Schwangerschaft.


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Abkürzungen

AST: Aspartataminotransferase
CTG: Kardiotokografie
DIC: disseminierte intravasale Gerinnung
ET: Entbindungstermin
ERC: European Resuscitation Council
HELLP-Syndrom: Hemolysis, elevated Liver Enzymes, low Platelet Count
LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion
PlGF: Placental Growth Factor
PPH: postpartale Hämorrhagie
QFR-RL: Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene
SSW: Schwangerschaftswoche
sFlt-1: Soluble fms-like Tyrosine Kinase-1

Einleitung

Im 1. Teil des Beitrags wurden leitsymptomorientiert die Notfalleinsätze bei der schwangeren Patientin dargestellt [1]. Dieser Artikel legt den Fokus auf die Notfälle in der Spätschwangerschaft sowie auf die außerklinische Geburt.

Zusatzinformation

Mutterpass

Für den Notfallarzt bietet in Deutschland der Mutterpass wichtige Informationen über die aktuelle Schwangerschaftswoche, die bisherige Vorsorge und den Schwangerschaftsverlauf sowie Vorerkrankungen und Risiken.

Der Mutterpass ist das wichtigste Dokument der Schwangeren. Er muss durch den Ersthelfer eingesehen und in die Klinik mitgenommen werden.

Merke

Für den Notfallhelfer im geburtshilflich-präklinischen Notfall gilt: Die Erfordernisse rascher und zielgerichteter Maßnahmen ergeben sich vorrangig aus mütterlicher Indikation.

Die hämodynamische Stabilisierung der Mutter – wenn notwendig – hat höchste Priorität parallel zum Transport in eine Entbindungseinrichtung, die der Schwangerschaftswoche bzw. den Umständen der Schwangerschaft und der Situation angemessen ist (zum Gestationsalter siehe Kasten). Im Folgenden sind die geburtshilflichen Versorgungsstufen dargestellt.

Hintergrund

Schreibweise des Gestationsalters

Die Darstellung des Gestationsalters erfolgt in Schwangerschaftswochen (SSW); i. d. R. werden die vollendeten Wochen plus Einzeltage (0 – 6) post menstruationem genannt.

Der errechnete Entbindungstermin (ET) liegt danach bei 40 + 0 SSW.


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Geburtshilfliche Versorgungsstufen

Entsprechend der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses werden die Versorgungseinrichtungen in Deutschland in die Stufen I – IV nach festgelegten Kriterien für die Aufnahme von Schwangeren unterteilt [2].

Versorgungsstufe I: Perinatalzentrum Level 1

  • Schwangere mit erwartetem Frühgeborenen mit einem geschätzten Geburtsgewicht unter 1250 g oder mit einem Gestationsalter < 29 + 0 SSW

  • Schwangere mit Drillingen und mit einem Gestationsalter < 33 + 0 SSW sowie Schwangere mit über 3 Mehrlingen

  • Schwangere mit allen pränatal diagnostizierten fetalen oder mütterlichen Erkrankungen, bei denen nach der Geburt eine unmittelbare spezialisierte intensivmedizinische Versorgung des Neugeborenen absehbar ist. Dies betrifft insbesondere den Verdacht auf angeborene Fehlbildungen.


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Versorgungsstufe II: Perinatalzentrum Level 2

  • Schwangere mit erwartetem Frühgeborenen mit einem geschätzten Geburtsgewicht von 1250 – 1499 g oder mit einem Gestationsalter von 29 + 0 bis 31 + 6 SSW

  • Schwangere mit schweren schwangerschaftsassoziierten Erkrankungen, z. B. HELLP-Syndrom (Hämolysis, elevated Liver Enzymes, low Platelet Count) oder Wachstumsretardierung des Fetus unterhalb des 3. Perzentils

  • Schwangere mit insulinpflichtiger diabetischer Stoffwechselstörung mit absehbarer Gefährdung für Fetus bzw. Neugeborenes


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Versorgungsstufe III: Perinataler Schwerpunkt

  • Schwangere mit erwartetem Frühgeborenen mit einem geschätzten Geburtsgewicht von mindestens 1500 g oder mit einem Gestationsalter von 32 + 0 bis ≤ 35 + 6 SSW

  • Schwangere mit Wachstumsretardierung des Fetus (zwischen dem 3. und 10. Perzentil des auf das Gestationsalter bezogenen Gewichts)

  • Schwangere mit insulinpflichtiger diabetischer Stoffwechselstörung ohne absehbare Gefährdung für Fetus bzw. Neugeborenes


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Versorgungsstufe IV: Geburtsklinik

Schwangere ab 36 + 0 SSW ohne zu erwartende Komplikationen.


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Vaginale Blutung im 2. und 3. Trimester

Blutungen in der 2. Hälfte der Schwangerschaft kommen bei 5% aller Schwangerschaften vor und gelten unabhängig vom Ausmaß der Blutung als abklärungswürdig. Lebensbedrohlich und für die Notfallmedizin im Speziellen relevant sind dabei

  • die Placenta-praevia-Blutung,

  • die vorzeitige Plazentalösung und

  • die sehr seltene Uterusruptur.

Für das ungeborene Kind ist zudem die Insertio velamentosa akut gefährdend, bei der es nach Blasensprung zu einem erheblichen fetalen Blutverlust kommen kann ([Abb. 1]). [Tab. 1] gibt eine Übersicht zur Ursachenhäufigkeit vaginaler Blutungen in der 2. Schwangerschaftshälfte.

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Abb. 1 Insertio velamentosa. Dargestellt sind fetale Gefäße der Nabelschnur, die sich in den beiden Blättern des Amnions über eine weite Strecke bis zur Plazenta ziehen. Im Fall des Blasensprungs kann es mit Einreißen des Amnions auch zur Gefäßruptur mit kindlicher Blutung kommen.

Bei Aufnahme in einer geburtshilflichen Einrichtung verschafft das geburtshilfliche Team sich zunächst einen Überblick über die Vitalzeichen der Patientin sowie sonografisch bzw. per Kardiotokografie (CTG) über die Vitalität des Fetus. Mit der Spekulumeinstellung ist zwischen einer endozervikalen und einer oft harmlosen ektozervikalen Blutung zu unterscheiden. Bei Letzterer handelt es sich meist um die in der Schwangerschaft aufgrund erhöhter Vulnerabilität der Portio vermehrt auftretende Portioektopieblutung. Bei endozervikalem Blutaustritt sollte bildgebend per Sonografie die Blutungsquelle gesucht werden.

Tab. 1 Häufige Ursachen der vaginalen Blutung in der 2. Schwangerschaftshälfte (aus [3]).

Ursache

Häufigkeit (%)

Plazentarandblutung

17 – 33

Abruptio placentae

15 – 26

Placenta praevia

12 – 24

Zeichnungsblutung

15 – 20

Uterusruptur

0,8

Vasa praevia

0,5

schwangerschaftsunabhängig (Kolpitis, Ektopie, Polyp, Karzinom)

6 – 10

nicht bestimmbar

30 – 50

Cave

Generell gilt: Bei einer vaginalen Blutung nicht ohne vorherige Spekulumsichtung des Muttermunds digital untersuchen, da hierdurch (z. B. bei Placenta praevia) die Symptomatik verschlimmert werden kann!

Praxis

Starke vaginale Blutung in der Schwangerschaft

Vorgehen

Bei überregelstarken vaginalen Blutungen in der Schwangerschaft sollte das nächstgelegene Krankenhaus mit einer Entbindungsabteilung angesteuert werden. Einem Perinatalzentrum mit Neonatologie ist insbesondere vor der 37. SSW in Abhängigkeit vom Zustand der Patientin und zeitnaher Erreichbarkeit der Vorzug zu geben.

In jedem Fall sollte das Kreißsaalteam telefonisch über den Zugang informiert werden.

Der Notarzt muss unbedingt den Blutverlust abschätzen und diesen der Klinik mitteilen, möglichst schon bei Ankündigung per Telefon.

Gegebenenfalls können Blutproben u. a. zur Bereitstellung von Blutkonserven bereits vorab, z. B. mit der Polizei, vorausgeschickt werden.

Placenta praevia

Die Placenta praevia (Inzidenz 4 : 1000) macht ca. 20% der Blutungen in der späten Schwangerschaft aus. Häufig liegt der „Praevia“ eine Implantationsstörung in einem zervixnahen uterinen Narbenbereich zugrunde, z. B. bei vorangegangener Sectio. Es werden die folgenden Formen unterschieden:

  • Placenta praevia partialis bzw. marginalis (die Plazenta bedeckt zum Teil den Muttermund oder reicht bis an ihn heran)

  • Placenta praevia totalis (die Plazenta überdeckt komplett den inneren Muttermund)

Letztere stellt ein absolutes Geburtshindernis dar. Die Schwangerschaft muss somit per Sectio beendet werden.

Die Diagnose wird sonografisch gestellt. Bei guter Vorsorgeinfrastruktur kann man die plazentare Lageanomalie frühzeitig entdecken und die Patientin entsprechend an ein Perinatalzentrum verweisen.

Ein Drittel der Patientinnen hat ihre 1. Blutung vor der 30. SSW. Dies ist mit erhöhter Frühgeburtsrate und Notfallmanagement assoziiert. 10% der Patientinnen erreichen ohne Blutung Terminnähe. Meist präsentiert sich die Blutung hellrot und schmerzlos. Eine Prolongation der Schwangerschaft bei sistierender Blutung unter engmaschiger Überwachung von Mutter und Fetus ist möglich.

Die Entbindungsindikation wird akut in Abhängigkeit von der mütterlichen und fetalen Gefährdung und prospektiv von der fetalen Reife und dem weiteren Blutungsrisiko gestellt. Das geburtshilfliche Team sollte hierzu ein Notfallmanagement vorbereitet haben, das die operative und anästhesiologische Beherrschung von Blutungskomplikationen unter Entbindung vorsieht (s. u.).


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Vorzeitige Plazentalösung

Die vorzeitige Plazentalösung beschreibt eine vorgeburtliche Blutung an der dezidual-plazentaren Grenzfläche und kommt bei 0,3 – 1% der Schwangerschaften vor. Die kindliche Letalität liegt bei 12% und erfolgt zumeist (ca. 77%) bereits in utero.

Praxis

Risikofaktoren – vorzeitige Plazentalösung

  • Bauchtraumata

  • Nikotin- bzw. Drogenabusus (insbesondere Kokain)

  • hypertensive Schwangerschaftserkrankungen

  • Mehrlingsgravidität

  • Polyhydramnion

  • länger bestehender vorzeitiger Blasensprung

Bei schwerer Hämorrhagie auf dem Boden einer Plazentalösung besteht die Gefahr der disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (DIC). Klinisch imponieren starke abdominelle Schmerzen und hyperaktive Uteruskontraktionen in Kombination mit einer vaginalen Blutung.

Die Plazentalösung lässt oft wenig Zeit für eine apparative Diagnostik. Die Sensitivität der Ultraschalluntersuchung ist gering (25 – 50%). Die Klinik der Patientin und die fetale Überwachung (CTG) entscheiden über die Indikation zur Notfallsectio. Im Fall eines bereits stattgefundenen intrauterinen Fruchttods ist aufgrund der Assoziation zur DIC ebenfalls eine rasche Entbindung zur Vermeidung hämorrhagischer Komplikationen anzustreben.


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Uterusruptur

Die Uterusruptur ist definiert als eine komplette Unterbrechung der uterinen Wandschichten einschließlich des Myometriums und der Serosa. Die Inzidenz der Ruptur am Termin liegt unter 1%. Das größte Risiko haben Frauen unter Geburt bei Z. n. Kaiserschnitt.

Klinisch manifestiert sich die Uterusruptur häufig nach einem Wehensturm (Dystokie) mit starken Schmerzen im Unterbauch (meist im Bereich einer alten Sectionarbe) und einer hochsteigenden Bandl-Furche bzw. durch das Abweichen des führenden Kindsteils nach oben bei der Wehe.

Leitsymptome der stattgefundenen Ruptur sind dagegen:

  • akuter Zerreißungsschmerz mit abdomineller Abwehrspannung

  • schlagartiges Sistieren der Wehentätigkeit

  • eine sich rasch entwickelnde hämorrhagische Schocksymptomatik (Blässe, Unruhe, Dyspnoe, Kollaps)

Fakultativ:

  • Kindsteile in der Bauchhöhle der Mutter tastbar

  • vaginale Blutung

Merke

Das geringe Ausmaß einer vaginalen Blutung steht bei der Uterusruptur oft nicht im Verhältnis zur mütterlichen Instabilität.

Das Management außerhalb einer Entbindungseinrichtung besteht aus folgenden Maßnahmen:

  • Stabilisierung der Patientin

    • O2-Gabe

    • Substitution von Flüssigkeit und Blutbestandteilen

  • Gabe von Tokolytika

  • unmittelbarer Transport ins Krankenhaus

In der Klinik gibt neben der mütterlichen Symptomatik ein pathologisches CTG in den meisten Fällen die Indikation zur Notfallsectio vor.


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Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen

Begriffsbestimmung

Als „Gestosen“ (veralteter Begriff) fasst man einen Symptomkomplex zusammen, der i. d. R. mit einer Hypertonie in der Schwangerschaft einhergeht und alle Organsysteme involvieren kann.

Übersicht

Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen

  • schwangerschaftsinduzierter Hypertonus

  • Präeklampsie

  • Eklampsie

  • HELLP-Syndrom:

    • Hemolysis

    • elevated Liver Enzymes

    • low Platelet Count

Die Präeklampsie als Inbegriff der Schwangerschaftshypertonie ist dabei definiert als

  • Blutdruck über 140/90 mmHg erstmalig nach der 20. SSW

  • in Kombination mit einer Proteinurie von mehr als 300 mg pro Tag.

Mit Progress der Erkrankung können weitere Organe betroffen sein:

  • die Nieren (Anstieg des Kreatinins, Oligo- und Anurie)

  • das hämatopoetische System (Thrombozytopenie, Hämolyse)

  • die Gerinnung (DIC)

  • die Leber (AST-Anstieg)

  • das Nervensystem (Seh- und Hörstörungen, Kopfschmerz)

Merke

Akut lebensbedrohlich sind insbesondere Krampfanfälle (Eklampsie) sowie das gefürchtete HELLP-Syndrom – eine laborchemische Konstellation aus Hämolyse, erhöhten Leberwerten, Thrombozytopenie sowie Oberbauchschmerzen.


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Pathogenese

Die Pathogenese wird durch eine Imbalance angiogener und antiangiogener Proteine bestimmt: Konzentrationsveränderungen des plazentaren Wachstumsfaktors PlGF und seiner löslichen Rezeptorkomponente sFlt-1 gehen bereits Tage bis Wochen den Symptomen voraus.


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Vorgehen im Rettungsdienst

Praxis

Vorgehen bei gestosetypischen Beschwerden

Im Rahmen der Notfallversorgung ist bei jeder schwangeren Patientin mit gestosetypischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Hör- und Sehstörungen oder Oberbauchschmerzen im 2. und 3. Trimenon der Blutdruck zu messen und eine Proteinurie über den Urinteststreifen auszuschließen.

Hyperreflexie und v. a. verbreiterte Reflexzonen weisen auf eine erhöhte neuronale Erregbarkeit hin und gehen einem eklamptischen Anfall oft voraus. Eine symptomatische Patientin sollte wegen der erheblichen Konsequenz für Mutter und Kind umgehend in einer Entbindungseinrichtung vorgestellt werden.

Blutdruck. Zur akuten Blutdrucksenkung werden folgende Substanzen eingesetzt:

  • Nifedipin

  • Urapidil

  • Dihydralazin

Allerdings sollte der Blutdruck nicht zu rasch gesenkt und nicht zu niedrig gehalten werden. Der bei einer Präeklampsie ohnehin oftmals verminderte plazentare Blutfluss wird dadurch weiter reduziert, was zu einer akuten Unterversorgung des Fetus führen kann.

Merke

Der diastolische Zielblutdruck liegt zwischen 80 und 100 mmHg.

Mittelfristig wird zur Langzeitblutdrucksenkung meist α-Methyldopa oder ein β-Blocker genutzt, z. B. Metoprolol. Bei Nichtansprechen stehen Urapidil oder Dihydralazin als i. v.-Medikation zur Verfügung.

Krämpfe. Eine Krampfprophylaxe mit Magnesiumsulfat-Therapie (4 – 6 g Bolus über 15 Minuten i. v. gefolgt von 1 – 2 g/Stunde als Dauerinfusion) ist bei neurologischen Prodromi indiziert.

Merke

Intravenöses Magnesium 4 – 6 g Bolus über 15 Minuten gefolgt von 1 – 2 g/Stunde als Dauerinfusion ist das Mittel der Wahl im manifesten und bei drohendem Krampfanfall (Prodromi).

Hirndruck. Gefürchtet ist insbesondere die intrakraniale Hämorrhagie. Bei Verdacht auf erhöhten Hirndruck sollte die Patientin in eine schräge Position von 30 – 45° gebracht werden, den Kopf in Mittelposition, um den venösen Abfluss durch die Vv. jugulares zu fördern. Flüssigkeitssubstitution ist in diesem Fall zu vermeiden. Eine Mannitol-Infusion kann die Hirndrucksymptomatik über osmotische Diurese verbessern. Die sonst gern gegebenen Schleifendiuretika sollten, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend zur Anwendung kommen.

Therapie

Auf den Punkt gebracht

Eine kurative Therapie der Gestose besteht in der Entbindung.

Komplikationen wie Krampfanfälle oder das HELLP-Syndrom können aber auch postpartal auftreten, insbesondere innerhalb von 48 Stunden nach Entbindung. Eine Magnesiumtherapie und engmaschige Überwachung inklusive Vitalzeichen, Ausscheidungsbilanz und „HELLP-Labor“ sind daher auch postpartal unverzichtbar [4].


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Die präklinische Geburt

Die Geburt kann zu akuten Notfällen führen, die Mutter und Kind betreffen. Außerhalb einer geburtshilflichen Einrichtung bestehen wenige Möglichkeiten zur Intervention. Eine fetale Überwachung ist wegen der Konsequenzlosigkeit bei pathologischem CTG (keine Möglichkeit zur operativen Entbindung) sinnlos.

Das präventive Management der Geburt ist die Aufgabe des Geburtshelfers. Die anamnestischen Risikoabschätzungen aus dem Mutterpass und Informationen durch die Schwangere alarmieren den Erst- bzw. Geburtshelfer. Wichtige Informationen ergeben sich hierbei insbesondere aus vorangegangenen Entbindungen:

  • Wie schnell verlief die vorangegangene Entbindung?

  • Kam es unter der Geburt zu Komplikationen?

  • Musste ein Kaiserschnitt durchgeführt werden?

Blasensprung

Die Fruchtblase hat die Funktion, das Kind vor Einflüssen der Umwelt (Krankheitserreger) und vor mechanischer Krafteinwirkung zu schützen. Mit der Ruptur der Fruchtblase bestehen prinzipiell 3 wesentliche Gefahren für das Kind:

  • Aszendierende Krankheitserreger können zu einem Amnioninfektionssyndrom führen. Das Risiko steigt mit der Dauer des bestehenden Blasensprungs, sodass bei bereits vorgeburtlich nachgewiesener vaginaler Besiedlung von Streptokokken der Gruppe B zügig, sonst nach 12 – 24 Stunden eine antibiotische Therapie empfohlen wird.

  • Mit der Ruptur kann es durch den plötzlichen Verlust des Fruchtwassers zu einem Nabelschnurvorfall bei gleichzeitigem Absinken des führenden Kindsteils kommen (Prävalenz: 0,1 – 0,6%). Dies kann die kindliche Zirkulation akut unterbrechen. Das sofortige Hinlegen der Patientin und manuelles Hochschieben des kindlichen Köpfchens könnte in einem solchen Fall lebensrettend für den Fetus sein. Ist die Nabelschnur nicht vor der Vulva sichtbar, wird allerdings der Nabelschnurvorfall ohne apparative Herztonüberwachung des Fetus oder vaginale Palpation wohl kaum auffallen. Ob es generell sinnvoll ist, die Patientin bei einem Blasensprung sich hinlegen zu lassen, um einem Nabelschnurvorfall entgegenzuwirken, wenn das kindliche Köpfchen nicht bereits den Beckeneingang abdichtete, ist nicht erwiesen und wird zum Teil kritisch diskutiert. In der Praxis empfiehlt oft der betreuende Frauenarzt oder die Hebamme den Frauen bereits im Vorfeld bei Blasensprung den Liegendtransport in die Klinik.

  • Eine plötzliche vaginale Blutung im Moment des Blasensprungs kann ein Hinweis auf eine Insertio velamentosa mit akutem kindlichem Blutverlust sein ([Abb. 1]). Der Nothelfer wird in diesem Fall ohne Sectiomöglichkeit keine Chance haben, das Kind vor Schaden zu bewahren.

Zeitpunkt. In der Geburtsterminologie unterscheidet man:

  • vorzeitiger Blasensprung (vor Muttermundseröffnung)

  • frühzeitiger Blasensprung (mit Muttermundseröffnung)

  • rechtzeitiger Blasensprung (bei vollständig eröffneten Muttermund)

Merke

Bei vorzeitigem Blasensprung ist zu etwa 70 – 90% mit Einsetzen der Geburtswehen innerhalb der nächsten 24 Stunden zu rechnen.


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Geburt

Der Geburtsbeginn ist definiert als Einsetzen der regelmäßigen Wehentätigkeit mit Muttermundseröffnung. In der Eröffnungsphase dauern die Wehen i. d. R. 30 – 60 Sekunden an mit wehenfreien Intervallen von 3 – 10 Minuten. Mit vollständig eröffnetem Muttermund (10 cm) beginnt die Austreibungsphase. Sie ist durch eine zunehmende Wehenfrequenz alle 2 – 3 Minuten gekennzeichnet. In der späten Austreibungsphase kommt es mit Tiefertreten des kindlichen Kopfes zu einem instinktiven Pressdrang der Mutter. Das Köpfchen ist in der Scheide sichtbar.

In der Eröffnungsphase ist ein zügiger Transport der Patientin in die Klinik vorzugsweise in Linksseitenlage (zur Vermeidung des V.-cava-Kompressionssyndroms) meist problemlos möglich. Gegebenenfalls kann eine Tokolyse (z. B. mit Fenoterol 1 Amp. mit 1 ml = 25 µg in 4 ml Trägerlösung; Injektion von 5 µg langsam i. v., ggf. einmalige Wiederholung bei unzureichender Wirkung) durchgeführt werden. Wird das kindliche Köpfchen in der Austreibungsphase in der Scheide sichtbar, ist die Geburt meist rasch zu erwarten.


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Leitung der Geburt

Der Notfallhelfer sollte nach Möglichkeit sterile Materialien (sterile Unterlage für die Mutter, sterile Handschuhe für den Helfer, mindestens 2 Klemmen, Schere) und warme Tücher oder eine Wärmeschutzfolie für das Neugeborene bereithalten.

Merke

Das Wichtigste bei der außerklinischen Geburt ist: Ruhe bewahren! Die rasche Geburt erfolgt meist problemlos.

Der geübte Nothelfer drückt mit Einschneiden des kindlichen Kopfes mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand gegen den Damm. Gleichzeitig hält er mit der anderen Hand gegen den kindlichen Kopf und dosiert so die Kraft des Durchtretens. So lassen sich Geburtsverletzungen gering halten (sog. Dammschutz; [Abb. 2]).

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Abb. 2 Dammschutz. Die Wertigkeit des Dammschutzes und der Dammschutztechniken (Hands on oder Hands off) ist umstritten. Dennoch gehört es zur Hebammenkunst, einen Dammschutz korrekt durchzuführen. Hierbei gilt es insbesondere, dem Druck des austreibenden kindlichen Kopfes mit der einen Hand entgegenzuwirken. Dabei kann die andere Hand den Damm umgreifen.

Ist der Kopf geboren, kann mit vorsichtigem Druck des Kindes nach dorsal erst die vordere, dann durch Zug nach ventral die hintere Schulter gelöst werden. Mit der nächsten Wehe wird das Kind ganz entwickelt.

Die Nabelschnur wird anschließend durch 2 Klemmen unterbunden und zwischen beiden Klemmen durchtrennt. Das späte Abnabeln (1 Minute nach Geburt) ist dabei zu bevorzugen. Die Plazenta folgt im Regelfall innerhalb der ersten halben Stunde nach Geburt.


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Schulterdystokie

Die Schulterdystokie beschreibt die Geburt des kindlichen Köpfchens bei hinter der Symphyse feststehenden Schultern, dem hohen Schultergeradstand. Den größten Risikofaktor stellt ein hohes geschätztes Kindsgewicht dar (s. Kasten „Risikofaktoren“). Allerdings tritt die Hälfte aller Schulterdystokien bei einem Geburtsgewicht von unter 4000 g auf.

Therapie

Risikofaktoren der Schulterdystokie

  • höheres geschätztes Kindsgewicht:

    • 4000 g: Inzidenz ca. 2%

    • 4500 g: Inzidenz ca. 10%

    • 5000 g: Inzidenz ca. 40%

  • Z. n. Schulterdystokie

  • Diabetes mellitus

  • Übertragung

  • Adipositas der Mutter

  • exzessive Gewichtszunahme während der Schwangerschaft

  • Multiparität

Die Diagnose der Schulterdystokie wird beim sogenannten Turtle-Phänomen (Kopf zieht sich leicht zurück) gestellt. Trotz vorsichtiger Traktion am Kopf nach kaudal und dorsal kann die anteriore Schulter nicht entwickelt werden. Diese Situation ist für den Fetus akut bedrohlich, birgt sie doch 2 Risiken:

  • Das Hängenbleiben der Schulter kann zum Abriss oder mindestens zur Überdehnung des Plexus brachialis mit der Folge der typischen Erb-Lähmung des Armes führen.

  • Die Nabelschnurversorgung kann unterbrochen sein, ohne dass das Kind bereits die Möglichkeit zur Atmung hat. Diese Situation kann zur akuten und schweren Asphyxie mit der Folge hypoxischer Hirnschäden führen, selten auch zum Tod des Kindes.

Merke

Im Management der Schulterdystokie sollte nicht fest am Kind/Kopf gezogen werden.

Für den Ersthelfer bietet sich das McRoberts-Manöver an. Beide Beine der Patientin werden zunächst gestreckt und anschließend angewinkelt bauchwärts geführt ([Abb. 3]). Dadurch kommt es zu einer leichten Anhebung der Symphysenachse. Das Vorgehen kann mit einem suprasymphysären Druck kombiniert werden. Das McRoberts-Manöver kann bei Bedarf mehrfach hintereinander durchgeführt werden. Hierdurch gelingt es in den meisten Fällen, die Schulter zu lösen und das Kind zu entwickeln.

Praxis

McRoberts-Manöver

Nach Durchtreten des kindlichen Kopfes sollte nicht fest am Kind/Kopf gezogen werden. Im Zweifel bei zögerlicher Geburt kann das McRoberts-Manöver in jedem Fall durchgeführt werden und hilft der Schwangeren auch oft zur Entspannung der Beckenbodenmuskulatur. Im Rettungswagen bzw. vom Ersthelfer leicht durchführbar sind ebenfalls der suprasymphysäre Druck und Wechsel der Patientin in den Vierfüßlerstand.

Im englischen Sprachraum wird das Akronym HELPERR für das Management der Schulterdystokie verwendet (s. Box) [5].

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Abb. 3 McRoberts-Manöver. Im Management der Schulterdystokie sollte nicht fest am Kind/Kopf gezogen werden. Für den Ersthelfer bietet sich das McRoberts-Manöver an. Beide Beine der Patientin werden zunächst gestreckt (a) und anschließend angewinkelt bauchwärts (b) geführt. Dadurch kommt es zu einer leichten Anhebung der Symphysenachse. Das Vorgehen kann mit einem suprasymphysären Druck kombiniert werden. So gelingt es in den meisten Fällen, die Schulter zu lösen und das Kind zu entwickeln.

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Versorgung des Neugeborenen

HELPERR-Akronym bei Schulterdystokie

Advanced Life Support in Obstetrics

H – Call for Help

E – Evaluate for Episiotomy

L – Legs → McRoberts Maneuver

P – Pressure (suprapubic)

E – Enter: rotational Maneuvers

R – Remove the posterior Arm

R – Roll the Patient to her Hands and Knees

Aufgabe des Ersthelfers ist es, das Kind warm zu halten; am besten gelingt dies auf dem Bauch bzw. an der Brust der Mutter! Zur standardisierten Zustandsbeschreibung von Neugeborenen wird der Apgar-Score erhoben ([Tab. 2]). Die Zeit nach Geburt sollte dabei immer im Auge behalten und dokumentiert werden. Die Apgar-Scores nach 5 und 10 Minuten sind dabei prognostisch bedeutsamer als der 1-Minuten-Wert und geben Aufschluss über die Effektivität ggf. eingeleiteter Maßnahmen.

Tab. 2 Apgar-Punkteschema zur Bewertung des Neugeborenen.

Kriterium

0 Punkte

1 Punkt

2 Punkte

Herzfrequenz

kein Herzschlag

unter 100/Minute

über 100/Minute

Atemanstrengung

keine

unregelmäßig, flach

regelmäßig, Kind schreit

Reflexe

keine

Grimassieren

kräftiges Schreien

Muskeltonus

schlaff

leichte Beugung der Extremitäten

aktive Bewegung der Extremitäten

(Haut-)Farbe

blau, blass

Stamm rosig, Extremitäten blau

gesamter Körper rosig

Auswertung Bei Wertungen zwischen 5 – 7 gilt das Neugeborene als gefährdet, bei unter 5 Punkten als akut lebensgefährdet.

Merke

Mittels des Apgar-Scores wird nur die Vitalität des Neugeborenen eingeschätzt. Der Apgar-Score dient nicht als Grundlage zur Reanimationsentscheidung.

Virginia Apgar selbst betrachtete die Herzfrequenz des Neugeborenen als wichtigsten Prädiktor des Outcomes. Die wiederholte Überprüfung von Herzfrequenz und Atmung sind geeignete Instrumente, eine Reanimationsindikation zu stellen. Dies erfolgt am besten unter Zuhilfenahme eines Pulsoxymetriegeräts. Die aktuelle Leitlinie des European Resuscitation Council zur Versorgung des kritischen Kindes und Neugeborenenreanimation besteht seit 2015 [6].


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Postpartale Hämorrhagie (PPH)

Die PPH zählt zu den Hauptursachen der maternalen Morbidität und Mortalität. Die Prävalenz liegt bei 2% aller Geburten.

Begriffsbestimmung

Der durchschnittliche Blutverlust bei einer unkomplizierten vaginalen Geburt liegt bei etwa 500 ml, bei einer Sectio bei etwa 1000 ml. Bei Blutverlusten von mehr als 1500 ml spricht man von einer schweren PPH. Andere Definitionen sind ein Blutverlust > 150 ml/Minute oder ≥ 50% des zirkulierenden Blutvolumens innerhalb von 3 Stunden.


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Prävention

Ein präventives Geburtsmanagement kann in vielen Fällen eine PPH verhindern. Hierzu gehören z. B.:

  • der zurückhaltende Einsatz von wehenstimulierendem Oxytocin vor der Geburt des Kindes

  • die Vermeidung eines stark protrahierten Geburtsverlaufs insbesondere in der Austreibungsphase

  • der Einsatz von Kontraktionsmitteln nachgeburtlich bei Vorliegen von Risikofaktoren einer PPH


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Management

Merke

Der größte Risikofaktor postpartal ist die Unterschätzung des Ausmaßes der Blutung.

Die manifeste PPH stellt einen Notfall dar, der eine rasche Entscheidung und v. a. eine exakte Diagnose und Ursachenanalyse notwendig macht, um die korrekten therapeutischen Maßnahmen in interdisziplinärer Zusammenarbeit rechtzeitig einzuleiten. Die interdisziplinäre D-A-CH-Konsensusgruppe PPH hat einen Handlungsalgorithmus entwickelt, der im deutschsprachigen Raum heute allgemeine Anwendung findet ([Abb. 4]). Dieser sieht in Abhängigkeit von der Persistenz der Blutung 4 Schritte vor.

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Abb. 4 Handlungsalgorithmus der PPH-D-A-CH-Konsensusgruppe zum Vorgehen bei postpartaler Blutung [8].

Von geburtshilflicher Seite steht die ursachenadaptierte Therapie der PPH nach der 4-T-Regel ([Tab. 3]) im Vordergrund [7]. Neben Maßnahmen zur Kontraktion oder Tamponade des Uterus müssen ggf. operative Therapieschritte eingeleitet werden. Von anästhesiologisch-intensivmedizinischer Seite sind die Therapie von Mikrozirkulationsstörung, der Hypothermieausgleich und insbesondere die Korrektur der Gerinnungsstörung essenziell. Die medikamentöse Therapie sieht ein Eskalationsschema vor bestehend aus

  • Kontraktionsmitteln (Oxytocin, Misoprostol 800 µg rektal, Sulproston maximal 500 µg/Stunde bzw. 1500 µg/24 Stunden),

  • Fibrinolytika (Tranexamsäure 2 g) und

  • Substitution von Gerinnungs- bzw. Blutfaktoren vor (Fibrinogen 2 – 4 g, Erythrozyten-, Thrombozytenkonzentrate und Fresh frozen Plasma).

Tab. 3 Die 4-T-Regel der postpartalen Blutung (nach [7]).

„T“

Ursache

Anteil

Diagnose

Fokus der Intervention

TEM/TEG = Thrombelastometrie/-grafie; FFP = Fresh frozen Plasma

Tonus

Uterusatonie

70 – 90%

Höhenstand und Konsistenz des Uterus

Kontraktionsmittel (z. B. Oxytocin, Sulproston, Misoprostol)

Trauma

Weichteilverletzung, Uterusruptur

20%

Inspektion der Geburtswege

chirurgische Versorgung

Tissue

Plazentaretention, Plazentalösungsstörung, Plazentaimplantationsstörung

10%

Kontrolle der geborenen Plazenta auf Vollständigkeit

sonografische Darstellung des Cavum uteri

Kürettage

Thrombin (Koagulopathie)

primär traumatisch, primär koagulopathisch

ca. 1%

diffuses Blutungsmuster

Labor:

  • Gerinnung

  • Blutbild

  • TEM/TEG

Koagulanzien:

  • Tranexamsäure

  • FFP

  • gezielte Faktorensubstitution wie Fibrinogen, Faktor VII etc.


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Die kritisch kranke Patientin in Schwangerschaft und Wochenbett

Weniger als 2% der Frauen bedürfen während der Schwangerschaft oder im Wochenbett einer intensivmedizinischen Überwachung und Behandlung. Die häufigsten Indikationen für eine Verlegung in eine Intensivstation sind

  • postpartale Blutungen und

  • Erkrankungen des hypertensiven Formenkreises.

Ist eine Intensivüberwachung notwendig, so ist die maternale Morbidität mit 3,4 – 14% vergleichsweise hoch. Differenzialdiagnostisch ist zu denken an

  • Lungenembolie

  • Luftembolie

  • Fruchtwasserembolie

  • Myokardinfarkt

  • septischen Schock

  • peripartale Kardiomyopathie

  • anaphylaktischen Schock

  • anästhesiologische Komplikationen wie hoher spinaler Block

  • geburtshilfliche Komplikationen wie Eklampsie

In Deutschland sterben im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und Geburt 4 Frauen je 100 000 Lebendgeborene (Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung [9]). Damit gehört Deutschland weltweit zu den Ländern mit der geringsten Müttersterblichkeit. Auf 2 seltene, aber schwangerschaftsspezifische potenziell letale Krankheitsbilder wird im Folgenden eingegangen.

Fruchtwasserembolie

Eine seltene, aber oft unterschätzte, potenziell (13 – 44%) letal verlaufende Komplikation des Geburtsvorgangs ist die Fruchtwasserembolie. Die Inzidenz liegt bei 2 – 8/100 000 Geburten. Sie steht aber in den Industrienationen an vorderster Stelle bei den Ursachen der Müttersterblichkeit.

Pathomechanistisch wird ein Übertritt von Fruchtwasser mit fetalen Zellbestandteilen in die maternale venöse Blutbahn diskutiert, bei der es durch Freisetzung vasoaktiver Substanzen zu einer anaphylaktoiden Reaktion kommt.

Die Fruchtwasserembolie tritt im zeitlichen Zusammenhang zur Wehentätigkeit/Sectio, aber auch bis 48 Stunden post partum auf.

Praxis

Risikofaktoren – Fruchtwasserembolie

  • höheres mütterliches Alter

  • Mehrlingsschwangerschaft

  • eine Sectio caesarea als Geburtsmodus

  • die Induktion der Wehentätigkeit/Geburtseinleitung

Nach eher unspezifischen Symptomen kommt es durch pulmonale Vasokonstriktion zum akuten Rechtsherzversagen und respiratorischer Insuffizienz. Klinisch imponieren

  • akute Dyspnoe (50 – 80%),

  • Hypotonie (56 – 100%) oder auch

  • maternaler Herzstillstand (30 – 87%).

  • Krämpfe, akute Verwirrtheit oder im Extremfall Bewusstlosigkeit/Koma sind möglich.

  • Auf die Initialphase kann ein akutes Linksherzversagen mit Lungenödem folgen.

Merke

Entscheidend für das Überleben ist die rasche Diagnose und sofortige geburtshilfliche und intensivmedizinische Therapie.

Eine Fruchtwasserembolie muss angenommen werden, wenn es ohne erkennbare andere Ursache zur akuten kardiovaskulären Dekompensation kommt. Etwa 50% der Frauen überleben die ersten 2 Stunden nicht [10].

Fallbeispiel

Fruchtwasserembolie

Die 37-jährige erstgravide Patientin wird bei Gemini in der 32. SSW wegen vorzeitigen Blasensprungs stationär aufgenommen. Die Induktion der fetalen Lungenreife erfolgte mit Betamethason unter tokolytischer Therapie mit Fenoterol. Die Patientin bestand nach abgeschlossener Lungenreife auf die Fortführung der tokolytischen Therapie trotz Mangel an Evidenz zum Nutzen bis zur abgeschlossenen 37. SSW.

In der 37 + 0 SSW wurde bei ansteigenden Entzündungsparametern und Wehen die Sectio caesarea indiziert. Auf dem Weg in den OP kam es zu einer akuten Dyspnoe und Schocksymptomatik sowie Verwirrtheit und Bewusstseinseintrübung. Die Notsectio wurde nach Crash-Intubation durchgeführt. Es kam zur Geburt der leicht deprivierten Zwillinge bei milder Hypoxämie.

Noch intraoperativ erfolgte die weitere Evaluation. Das EKG zeigte keine spezifischen Veränderungen. In der Ultrakardiografie ließ sich ein Linksherzversagen nachweisen. Nach weiterer Stabilisierung wurde eine Computertomografie durchgeführt, in der sich pulmonale Ödeme nachweisen ließen. Eine Thrombose wurde ausgeschlossen. Nach weiterer intensivmedizinischer Betreuung stabilisierte sich der Zustand zunehmend.

Differenzialdiagnostisch ist in dem vorliegenden Fall an ein fenoterolinduziertes Lungenödem, an die Lungenembolie und die peripartale Kardiomyopathie zu denken. Rückblickend ist jedoch am ehesten von einer Fruchtwasserembolie als Ursache auszugehen.


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Peripartale Kardiomyopathie

Die peripartale Kardiomyopathie ist eine seltene (etwa 1 : 2000 bis 1 : 4000 Schwangerschaften), meist dilatative, linksventrikuläre kardiale Funktionsstörung der späten Schwangerschaft (meist nach 36 SSW) oder im 1. Monat postpartal (selten bis zu 5 Monate). Bei adäquater Therapie liegt die Mortalitätsrate bei 10%.

Die peripartale Kardiomyopathie ist definiert über die Manifestation klinischer Symptome und einer nicht anders erklärbaren, eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF). Erschwert wird die Diagnosefindung allerdings durch die für die Schwangerschaft oft unspezifische Symptomatik (Dyspnoe, Ödeme, Fatigue). In der klinischen Untersuchung lässt sich gelegentlich ein verstärkter Jugularisdruck, ein 3. Herzton oder ein Strömungsgeräusch über der Mitralklappe nachweisen. EKG-Veränderungen sind eher unspezifischer Natur. Die Echokardiografie zeigt meist eine LVEF < 45% und häufig einen dilatativ vergrößerten linken Ventrikel. Andere Auffälligkeiten wie ein vergrößerter linker Vorhof oder rechter Ventrikel, Thromben oder Segelklappenregurgitationen sind möglich.

Wegen der meist raschen Progression ist es notwendig, die Diagnose schnell zu stellen und die Therapie im interdisziplinären Setting rasch einzuleiten. Die Entbindung (in Abhängigkeit von der Stabilität auch als Notfallsectio) ist meist anzustreben. Bei hämodynamischer Stabilität kann in frühen Wochen aber auch erwogen werden, die Schwangerschaft fortzusetzen.

Das medikamentöse Management entspricht in weiten Zügen dem bei anderen Ursachen der Herzinsuffizienz.

Merke

Digoxin, β-Blocker, Schleifendiuretika und Nitrate erscheinen in der Schwangerschaft sicher. Postpartal kann auch auf ACE-Hemmer oder AT-II-Blocker zurückgegriffen werden.

Eine vielversprechende therapeutische Option stellt Bromocriptin dar, da es in den mutmaßlichen Pathomechanismus eines veränderten Prolaktinhaushalts bei der peripartalen Kardiomyopathie eingreift. Hierbei muss bedacht werden, dass Bromocriptin als Prolaktinantagonist die Milchproduktion unterbindet.

Bei Versagen der konservativ medikamentösen Therapie ist das „Kunstherz“ Therapie der Wahl. Dieses Vorgehen kann gelegentlich vorübergehend eine Option darstellen – bis zur Wiederaufnahme der normalen eigenen Herzfunktion oder einer Herztransplantation [11].

Kernaussagen

Notfälle in der fortgeschrittenen Schwangerschaft erfordern rasche Maßnahmen zur hämodynamischen Stabilisierung der Mutter sowie den umgehenden Transport in eine entsprechende Entbindungseinrichtung – je nach Erfordernissen entweder eine Geburtsklinik oder ein Perinatalzentrum. Vorrangig umfassen spätschwangerschaftsbedingte Notfälle vaginale Blutungen oder hypertensive Erkrankungen. Blutungen können dabei bedingt sein durch den Sitz der Plazenta bzw. deren vorzeitige Ablösung, eine Uterusruptur, insbesondere bei Z. n. Kaiserschnitt, oder einen Blasensprung mit Insertio velamentosa. Ein Bluthochdruck während der Schwangerschaft birgt das Risiko für Präeklampsie, Eklampsie und HELLP-Syndrom. Maßnahmen sind hier die medikamentöse Blutdrucksenkung und eine Krampfprophylaxe mit Magnesiumsulfat. Das erhöhte maternale Risiko besteht bis 48 Stunden postpartal. Bei postpartaler Hämorrhagie besteht für die Mutter mit 2% Prävalenz ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Auch die peripartale Kardiomyopathie sowie die Fruchtwasserembolie im Verlauf der Geburt bergen ein hohes Risiko für maternale Mortalität und ziehen eine intensivmedizinische Behandlung nach sich.

Erstveröffentlichung

Modifizierte Version der Erstveröffentlichung in: Notfallmedizin up2date 2016; 11: 243 – 259


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Über die Autoren

Ulrich Pecks

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Priv.-Doz. Dr. med. Jahrgang 1975. Studium der Humanmedizin an der Universität zu Halle an der Saale und der RWTH Aachen. Approbation 2006. Bis 2015 klinische Tätigkeit an der Uniklinik der RWTH Aachen. Facharztanerkennung Frauenheilkunde und Geburtshilfe 2011. Seit 2014 Oberarzt in Aachen. 2012 – 2013 Forschungsrotation an die Universität Bern. 2014 Habilitation im Schwerpunktbereich Schwangerschaftspathologien. Seit 2015 Oberarzt an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel.

Dirk O. Bauerschlag

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Univ.-Prof. Dr. med. 1993 – 1999 Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 1999 – 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, 2001 Promotion, 2002 – 2004 Postdoc am Genomics Institute of the Novartis Research Foundation, San Diego (USA). 2007 Facharztanerkennung für Gynäkologie und Geburtshilfe. 2009 – 2015 Oberarzt und Leitender Oberarzt an der Frauenklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Uniklinik Aachen, 2013 Habilitation für Gynäkologie und Geburtshilfe, 2014 Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie. Seit 4/2015 Stellv. Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, mit Professur für Gynäkologische Onkologie seit 5/2016.

Interessenkonflikt

Die Autoren bestätigen, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

  • Literatur

  • 1 Pecks U, Bauerschlag D. Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Teil 1: Leitsymptome. Notfallmed up2date 2016; 11: 227-237
  • 2 Gemeinsamer Bundesausschuss. Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene – QFR-RL (Anlage 1, Stand 20.06.2013). Im Internet: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1116/QFR-RL_2015-11-27_iK-2016-02-04.pdf Stand: 27.11.2015
  • 3 Feige A, Rath W, Schmidt S. Hrsg. Kreißsaal-Kompendium. Stuttgart: Thieme; 2013
  • 4 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften – AWMF. S1-Leitlinie. Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie. 2013. AWMF 015/018 Stand: 12/2013
  • 5 Politi S, DʼEmidio L, Cignini P. et al. Shoulder dystocia: an evidence-based approach. J Prenat Med 2010; 4: 35-42
  • 6 Wyllie J, Bruinenberg J, Roehr CC. et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015: Section 7. Resuscitation and support of transition of babies at birth. Resuscitation 2015; 95: 249-263
  • 7 Rath W. Prävention lebensbedrohlicher peripartaler Blutungskomplikationen. Frauenarzt 2004; 45: 20-30
  • 8 Schlembach D, Mörtl MG, Girard T. et al. Management der postpartalen Blutung (PPH). Anaesthesist 2014; 63: 234-242
  • 9 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Im Internet: http://www.bib-demografie.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/M/muettersterblichkeit.html (Stand: 30.03.2017)
  • 10 Rath WH, Hoferr S, Sinicina I. Amniotic fluid embolism: an interdisciplinary challenge: epidemiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 126-132
  • 11 Freerksen N, Jaekel J, Menon AK. et al. Massive respiratory dysfunction as sign of fulminant peripartum cardiomyopathy (PPCM). Hypertens Pregnancy 2012; 31: 451-453

Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich Pecks
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel

  • Literatur

  • 1 Pecks U, Bauerschlag D. Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Teil 1: Leitsymptome. Notfallmed up2date 2016; 11: 227-237
  • 2 Gemeinsamer Bundesausschuss. Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene – QFR-RL (Anlage 1, Stand 20.06.2013). Im Internet: https://www.g-ba.de/downloads/62-492-1116/QFR-RL_2015-11-27_iK-2016-02-04.pdf Stand: 27.11.2015
  • 3 Feige A, Rath W, Schmidt S. Hrsg. Kreißsaal-Kompendium. Stuttgart: Thieme; 2013
  • 4 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften – AWMF. S1-Leitlinie. Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen: Diagnostik und Therapie. 2013. AWMF 015/018 Stand: 12/2013
  • 5 Politi S, DʼEmidio L, Cignini P. et al. Shoulder dystocia: an evidence-based approach. J Prenat Med 2010; 4: 35-42
  • 6 Wyllie J, Bruinenberg J, Roehr CC. et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015: Section 7. Resuscitation and support of transition of babies at birth. Resuscitation 2015; 95: 249-263
  • 7 Rath W. Prävention lebensbedrohlicher peripartaler Blutungskomplikationen. Frauenarzt 2004; 45: 20-30
  • 8 Schlembach D, Mörtl MG, Girard T. et al. Management der postpartalen Blutung (PPH). Anaesthesist 2014; 63: 234-242
  • 9 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Im Internet: http://www.bib-demografie.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/M/muettersterblichkeit.html (Stand: 30.03.2017)
  • 10 Rath WH, Hoferr S, Sinicina I. Amniotic fluid embolism: an interdisciplinary challenge: epidemiology, diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 126-132
  • 11 Freerksen N, Jaekel J, Menon AK. et al. Massive respiratory dysfunction as sign of fulminant peripartum cardiomyopathy (PPCM). Hypertens Pregnancy 2012; 31: 451-453

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Abb. 1 Insertio velamentosa. Dargestellt sind fetale Gefäße der Nabelschnur, die sich in den beiden Blättern des Amnions über eine weite Strecke bis zur Plazenta ziehen. Im Fall des Blasensprungs kann es mit Einreißen des Amnions auch zur Gefäßruptur mit kindlicher Blutung kommen.
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Abb. 2 Dammschutz. Die Wertigkeit des Dammschutzes und der Dammschutztechniken (Hands on oder Hands off) ist umstritten. Dennoch gehört es zur Hebammenkunst, einen Dammschutz korrekt durchzuführen. Hierbei gilt es insbesondere, dem Druck des austreibenden kindlichen Kopfes mit der einen Hand entgegenzuwirken. Dabei kann die andere Hand den Damm umgreifen.
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Abb. 3 McRoberts-Manöver. Im Management der Schulterdystokie sollte nicht fest am Kind/Kopf gezogen werden. Für den Ersthelfer bietet sich das McRoberts-Manöver an. Beide Beine der Patientin werden zunächst gestreckt (a) und anschließend angewinkelt bauchwärts (b) geführt. Dadurch kommt es zu einer leichten Anhebung der Symphysenachse. Das Vorgehen kann mit einem suprasymphysären Druck kombiniert werden. So gelingt es in den meisten Fällen, die Schulter zu lösen und das Kind zu entwickeln.
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Abb. 4 Handlungsalgorithmus der PPH-D-A-CH-Konsensusgruppe zum Vorgehen bei postpartaler Blutung [8].