Rofo 2017; 188(01): 89-91
DOI: 10.1055/s-0042-124285
Gesellschaftsnachrichten
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Radiologie & Recht – Die Bedeutung der wirtschaftlichen Aufklärung gegenüber Privatpatienten bei Erstattungslücken

René T. Steinhäuser
Further Information

Korrespondenz

René T. Steinhäuser
Rechtsanwälte Wigge
Neuer Wall 44
20354 Hamburg
Phone: (040) 3398705-90   
Fax: (040) 3398705-99   
URL: www.ra-wigge.de   

Publication History

Publication Date:
09 January 2017 (online)

 

Die Erstattungspraxis einiger privater Krankenversicherer hat sich unter dem Eindruck der allgemeinen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen für die Radiologen nachteilig entwickelt. Medizinische Leistungen, die die privaten Krankenversicherungen in der Vergangenheit anstandslos den Versicherten erstattet haben, führen heute häufiger zu Nachfragen und der Verweigerung der Kostenerstattung. Den Konflikt der Kostenerstattung mit ihren Versicherten verlagern einzelne private Krankenversicherungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. Unter der ökonomischen Auseinandersetzung zwischen Arzt, Patient und privater Krankenversicherung leidet weniger das Verhältnis zwischen Versicherung und Versicherten, sondern das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Der Arzt steht dabei schnell als Abrechnungsoptimierer da, weil einzelne private Krankenversicherungen gegenüber den Patienten den Eindruck vermitteln, dass der Arzt allein aus monetären Gründen einzelne Leistungen erbracht hat und nicht aufgrund einer medizinischen Notwendigkeit. Bei bestimmten Abrechnungsnummern der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gibt es zudem immer wieder Auseinandersetzungen mit privaten Krankenversicherungen, obwohl eine Vielzahl von vermeintlichen Zweifelsfällen von der Rechtsprechung in Einzelfällen zum Vorteil oder auch zum Nachteil des Arztes geklärt ist. Bei den Differenzen geht es aber nicht nur um die in der GOÄ aufgeführten Abrechnungsnummern, sondern daneben auch um Analogziffern, die auch ohne Reform der GOÄ Einzug in die ärztlichen Abrechnungen erhalten. Eine besondere Problematik ergibt sich im Zusammenhang der vom Gesetzgeber im Rahmen des Patientenrechtegesetzes vom 20.02.2013 (BGBl. I., S. 277) in § 630c Abs. 3 BGB eingeführten wirtschaftlichen Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten, deren Tragweite dem Arzt im Allgemeinen und im Besonderen im Zusammenhang mit nicht eindeutig geklärten Erstattungsansprüchen des Patienten häufig nicht klar ist.

Wirtschaftliche Aufklärung als Informationspflicht

Bereits seit längerem wird verstärkt diskutiert, ob und inwieweit der Arzt verpflichtet ist, den Patienten auch über die wirtschaftlichen Folgen der Behandlung aufzuklären. Rechtlich wird die wirtschaftliche Aufklärung als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag mit dem Patienten abgeleitet. Schutzgut der wirtschaftlichen Aufklärung ist nicht das Selbstbestimmungsrecht und Integritätsinteresse des Patienten, sondern allein das Vermögensinteresse des Patienten. Sofern der Arzt gegen die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung verstößt, kann der Patient möglicherweise Schadensersatz verlangen. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung besteht gegenüber Kassenpatienten und Privatpatienten.

Die wirtschaftliche Aufklärungspflicht wird nunmehr in § 630c Abs. 3 BGB gesetzlich bestimmt. In der Begründung zum Regierungsentwurf wird diese Verpflichtung des Behandelnden im Verhältnis zu den Patienten mit dem „überlegenen Wissen des Behandelnden im täglichen Umgang mit Abrechnungen und dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse“ begründet.

§ 630c Abs. 3 BGB lautet:

„Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Weitergehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften bleiben unberührt.“

Nach der Begründung zum Gesetzentwurf des Patientenrechtegesetzes fallen unter den Anwendungsbereich des § 630c Abs. 3 BGB insbesondere die sogenannten „Individuellen Gesundheitsleistungen“ (IGeL), deren Behandlungskosten nicht von Dritten (z. B. gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungen) übernommen werden und vom Patienten selbst zu bezahlen sind.

Die im Gesetz angelegte einseitige Informationslastzuschreibung ist als problematisch anzusehen. Auch die Krankenversicherungen haben ihre Versicherten zu informieren und aufgrund der größeren Sachnähe genaue Kenntnis darüber, welche Kosten im Einzelfall zu tragen sind. Darüber hinaus bestehen bereits in anderen untergesetzlichen Vorschriften (§ 3 Abs. 1 S. 2, § 18 Abs. 8 Nr. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte; § 12 Abs. 4 Muster-Berufsordnung) Regelungen zu dieser Frage. Das Nebeneinander von Vorschriften im selben Regelungsbereich trägt jedoch nicht zur Rechtsklarheit bei.


#

Umfang der wirtschaftlichen Aufklärung

Es verwundert daher nicht, dass die Regelung des § 630c Abs. 3 BGB in der Praxis bisher nur eine geringe Berücksichtigung findet. Die Folgen aus einer unvollständigen Aufklärung trägt nach dem Willen des Gesetzgebers alleine der Arzt. Die Frage, ob der Patient letztlich selbst, also in dem Fall, in dem eine private Krankenversicherung die Behandlungskosten nicht erstattet, zur Zahlung verpflichtet ist, verhält sich in bestimmten Situationen des Praxisalltages jedoch anders, als der Radiologe es erwarten dürfte.

Das Oberlandesgericht Stuttgart (vgl. Urteil vom 08.01.2013, Az. 1 U 87/12) entschied in dem Fall einer Krankenhausbehandlung vor der Einführung des § 630c Abs. 3 BGB, dass der Patient, der ein Krankenhaus besucht, in dem – ohne dass er es weiß – unter einem Dach eine Privatklinik und ein Plankrankenhaus betrieben werden, von der Behandlungsseite wirtschaftlich aufzuklären ist, wenn diese Anhaltspunkte dafür hat, dass der private Krankenversicherer die Behandlungskosten in der Privatklinik nur in der Höhe übernimmt, wie sie im Plankrankenhaus angefallen wären. Die Behandlungsseite hatte nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Stuttgart Anhaltspunkte, weil die privaten Krankenversicherer bereits seit längerem allgemeine Bedenken gegen den Betrieb einer Privatklinik und eines Plankrankenhauses unter einem Dach erhoben hätten. In dem konkreten Fall hatte der PKV-Verband 2 Rechtsgutachten zu der Frage einer Privatklinik unter dem Dach eines Plankrankenhauses veröffentlicht.

Zwar obliege nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart der Behandlungsseite weder, den Patienten umfassend wirtschaftlich zu beraten, noch müsse sie sich etwa Kenntnisse über den Inhalt und Umfang seines privaten Versicherungsschutzes verschaffen. Jedoch gehöre es zu ihren Pflichten, den Patienten vor unnötigen Kosten und unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen zu bewahren, soweit sie über bessere Kenntnisse und ein besseres Wissen verfügt (BGH NJW 2000, S. 3429; OLGR Stuttgart 2003, 91). Das sei etwa dann der Fall, wenn die Behandlungsseite positive Kenntnis von der Unsicherheit der Kostenübernahme durch den Krankenversicherer habe, oder wenn sich aus den Umständen zumindest hinreichende Anhaltspunkte dafür ergäben, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten nicht gesichert sei. Diese Rechtsauffassung hat der Gesetzgeber in die Regelung des § 630c Abs. 3 BGB übernommen (vgl. BT-Drucks. 17/10488 vom 15.08.2012, S. 22). Auch eine der Behandlungsseite bekannte Nichtanerkennungspraxis der Krankenversicherer kann – ob berechtigt oder nicht – eine entsprechende Aufklärungspflicht begründen (Kaiser in: Ratzel / Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 225).

Die wirtschaftliche Aufklärung hat in Textform zu erfolgen und daher nicht lediglich mündlich, sodass die Übergabe eines Informationsschreibens oder eine E-Mail der Form genügen. Zwar bedarf es anders als bei der Schriftform keiner eigenhändigen Unterschrift, aber den Zugang der Information muss der Radiologe dokumentieren. Nach § 630c Abs. 3 S. 2 bleiben weitergehende Formanforderungen aus anderen Gesetzen unberührt. Primär zielt dieser Satz nach dem Gesetzgeber auf die Schriftformerfordernisse in § 17 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz und § 18 Abs. 8 S. 3 Nr. 2 und 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte ab.


#

Beispiele für wirtschaftliche Aufklärungspflichten im Bereich der GOÄ

Gebührennummer 1 GOÄ

Während bei der Nr. 1 GOÄ die Erstattungsfragen zugunsten der Radiologen erledigt erscheinen, bestehen bei der Nr. 75 GOÄ unverändert Differenzen. Der Ausschuss „Gebührenordnung“ der Bundesärztekammer hatte bereits im Deutschen Ärzteblatt, Jg. 103, Heft 1–2 vom 09.01.2006 Abrechnungsempfehlungen veröffentlicht. Danach erfüllt die in jedem Fall vor einer diagnostischen Auftragsleistung erforderliche Überprüfung der Indikation und des Untersuchungsumfangs im Hinblick auf die medizinische Notwendigkeit und die Anpassung der im Einzelfall erforderlichen Messbindungen und -parameter nicht den Leistungsinhalt der Nr. 1 GOÄ. Abrechenbar ist die Nr. 1 GOÄ aber dann, wenn der Patient den Radiologen direkt aufsucht, sodass dieser selbst eine vollständige Anamneseerhebung und Beratung des Patienten vornehmen muss. Nach den Beispielen der Empfehlungen löst z. B. eine über die Befundmitteilung hinausgehende Erörterung des MRT-Befunds einschließlich einer ersten Bewertung von Therapieoptionen oder des weiteren Verhaltens des Patienten die Abrechenbarkeit der Nr. 1 GOÄ aus. Trotz dieser klaren Abrechnungslage gibt es private Krankenversicherungen, die die Erstattung der Nr. 1 GOÄ rechtsgrundlos verweigern. Obwohl die Rechtslage eindeutig ist, müsste der Radiologe seinen Patienten daher über die voraussichtliche Nichterstattung der Nr. 1 GOÄ seitens seiner privaten Krankenversicherung und der voraussichtlichen Höhe der Nr. 1 GOÄ unterrichten, wenn dieser bei einer privaten Krankenversicherung versichert ist, die die Erstattung voraussichtlich in diesem Fall ablehnt. Diese Aufklärung kann aber der Radiologe nur dann leisten, wenn er vor der Behandlung über die Erstattungspraxis der privaten Krankenversicherung des Patienten Kenntnis haben würde. Dies ist jedoch regelmäßig nicht der Fall und es bestehen keine gesetzlichen Vorschriften, wonach der Radiologe aktiv dieser Frage nachgehen muss. Lediglich aufgrund einer früheren Kommunikation mit einem privaten Krankenversicherer des Patienten könnte die Erstattungspraxis bekannt sein.


#

Gebührennummer 75 GOÄ

Im Fall der Nr. 75 GOÄ ist die Rechtslage zwar nicht generell schwieriger zu beurteilen, als bei der Nr. 1 GOÄ, aber die Leistungsanforderung ist umfangreicher, sodass mehr Interpretationsspielraum für die privaten Krankenversicherer und die Radiologen besteht. Ein ausführlicher schriftlicher Krankheits- und Befundbericht ist nach den vorstehenden Abrechnungsempfehlungen des Ausschusses „Gebührenordnung“ der Bundesärztekammer bei MRT-Leistungen regelhaft nicht gerechtfertigt, weil die Nr. 75 GOÄ zwingend eine epikritische Bewertung des Befunds oder einen epikritischen Vergleich mit Vorbefunden und anderen Informationen voraussetzt. Erfolgt aber ein epikritischer Vergleich mit Vorbefunden und ggf. Therapie- oder Verhaltenshinweisen, dann kann die Nr. 75 GOÄ, sofern die weiteren Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, in Ansatz gebracht werden. Dennoch stellen verschiedene private Krankenversicherer den Gebührenansatz infrage. Es zeichnet sich daher für den Radiologen, ähnlich wie in dem Fall, der dem Oberlandesgericht Stuttgart im Krankenhausbereich vorlag, ab, dass eine Kostenerstattung seitens des Krankenversicherers zugunsten des Patienten unterbleiben könnte. Entsprechend ist der Patient über die Erstattungslücke aufzuklären und diesem die voraussichtliche Höhe der Kosten der Nr. 75 GOÄ mitzuteilen, die er in diesem Fall selbst zu tragen hat.

Für den Radiologen ist es juristisch schwierig seine Honorarforderung durchzusetzen, wenn die private Krankenversicherung die Zahlung verweigert. Im Rahmen der wirtschaftlichen Aufklärung wäre der Patient darüber aufzuklären gewesen, dass bestimmte private Krankenversicherungen das Erfordernis eines ausführlichen Befundberichtes infrage stellen. Fehlt es aber an der konkreten wirtschaftlichen Aufklärung auf der Grundlage des § 630c Abs. 3 BGB, dann entfällt die Leistungspflicht des Patienten und in der Folge sein Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine Leistung, die aus Rechtsgründen nicht abzurechnen war. Schüren daher private Krankenversicherungen in Zukunft genügend Streit um einzelne Gebührenziffern, führt dies zu einem steigenden Umfang der wirtschaftlichen Aufklärung seitens des Radiologen und häufigeren Honorarausfällen.

Eine zunehmende Transparenz besteht bei den privaten Krankenversicherungen über die Häufigkeit des Ansatzes bestimmter Abrechnungsziffern in bestimmten radiologischen Praxen. Diese Transparenz nimmt zu, umso mehr Versicherte die Versicherung hat und desto größer die radiologische Praxis ist. Weiß der Radiologe aus anderen Erstattungsverfahren oder allgemein, dass eine einzelne private Krankenversicherung die Erstattung einer oder mehrerer Abrechnungsnummern regelmäßig ablehnt, weil sie die medizinische Notwendigkeit der Leistungserbringung oder den Leistungsumfang infrage stellt, dann hat der Radiologe Kenntnis davon, jedenfalls aber hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass eine Erstattungslücke bei einer privaten Krankenversicherung besteht. Hierüber ist der Versicherte entsprechend aufzuklären. Die Gerichte „schützen“ in diesen Fällen letztlich die rechtswidrige Erstattungspraxis der privaten Krankenversicherungen und verhelfen dem Patienten nicht zur Durchsetzung seiner berechtigten Leistungsansprüche gegenüber seinem Versicherer.


#

Fazit

Der Gesetzgeber hat den Radiologen wie auch anderen Ärzten das Risiko einer korrekten wirtschaftlichen Aufklärung allein übertragen. Ziel der Gesetzgebung ist der Schutz des Patienten. Dieser soll durch den behandelnden Arzt in die Lage versetzt werden, finanziell selbstbestimmt an seiner ärztlichen Therapie und Untersuchung mitzuwirken und darüber zu entscheiden. Mittelbar folgt daraus jedoch zugleich ein unberechtigter Schutz der privaten Krankenversicherungen, die ihrerseits von Informations- und in der Folge auch von Leistungspflichten befreit werden. Der Radiologe sollte sich bewusst machen, dass er dieses Risiko durch geeignete Aufklärungsmaßnahmen beherrschen kann und, dass er aufgrund der Rechtslage bei gerichtlichen Verfahren gegen einen Patienten vor erheblichen Hindernissen stehen kann, wenn es um die Geltendmachung von Honoraren geht, deren Erstattung die privaten Krankenversicherungen häufiger ablehnen.

Eine wirtschaftliche Aufklärung, die vor der Behandlung in Textform zu erfolgen hat, bietet andererseits dem Radiologen einen wertvollen Vorteil. Der Patient weiß, welche Kostenfolge für ihn persönlich entstehen kann. Er hat, wenn er später die Kostenerstattung bei der privaten Krankenversicherung geltend macht, eine andere Erwartungshaltung gegenüber seiner Versicherung. Aber selbst dann, wenn die private Krankenversicherung am Ende unverändert an ihrer zweifelhaften Erstattungspraxis festhalten sollte, besteht eine gesteigerte Chance, das ärztliche Honorar von dem Patienten zu erhalten. Dieser Anspruch besteht bei Erstattungslücken seitens des Radiologen nicht nur aus Rechtsgründen, weil ein zivilrechtlicher Anspruch aus dem Behandlungsvertrag nach § 630a Abs. 1 BGB besteht, sondern zugleich, weil der Radiologe von Anfang an auf ein mögliche Weigerung der Kostenerstattung durch die private Krankenversicherung hingewiesen und der Patient sich dennoch für die Leistung entschieden hat.


#
#
#

Korrespondenz

René T. Steinhäuser
Rechtsanwälte Wigge
Neuer Wall 44
20354 Hamburg
Phone: (040) 3398705-90   
Fax: (040) 3398705-99   
URL: www.ra-wigge.de