Zahnmedizin up2date 2017; 11(01): 59-83
DOI: 10.1055/s-0042-115054
Kraniomandibuläre Dysfunktion
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Untersuchung und Diagnosebildung bei kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD)

Oliver Schierz
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Dr. med. dent. Oliver Schierz
Universitätszahnmedizin Leipzig
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde
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04103 Leipzig
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Fax: 03 41/9 72 13 09   

Publication History

Publication Date:
01 March 2017 (online)

 

Einleitung

Auf dem Weg zur Diagnose einer Erkrankung wird in der Regel aus den gewonnenen Informationen eine Arbeitshypothese gebildet, die dann durch konfirmatorische Tests bestätigt bzw. zugunsten von Differenzialdiagnosen widerlegt werden kann. Insofern ist die finale Diagnose ein konduktiver Prozess. Dieser beginnt mit Informationen aus dem Auftreten und der Haltung des Patienten beim Vortragen des Anliegens sowie der Beschwerden und generiert eine oder mehrere hypothetische Diagnose(n). Diese werden beständig mit den durch die Anamnese, Tests und bildgebenden Verfahren gewonnenen Informationen und entsprechend dem Wissen und den Erfahrungen des Untersuchers korrigiert bzw. präzisiert. Dieser Prozess erfolgt in der Regel so lange, bis relevante Differenzialdiagnosen ausgeschlossen und die Diagnose mit hinreichend genauer Wahrscheinlichkeit bestätigt wurde.

Merke

Die Diagnose ist dann mit hinreichend genauer Wahrscheinlichkeit gefunden, wenn eine weitere Subdifferenzierung keine Änderung des therapeutischen Vorgehens bewirkt.

Die Grenze der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist dabei abhängig davon, ob eine weitere Subdifferenzierung eine Änderung des therapeutischen Vorgehens bewirken würde und wie invasiv die angestrebte Therapie ist. Idealerweise ist dieser diagnostische Prozess einfach und eine präzise Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich. Insbesondere im Bereich der kraniomandibulären Dysfunktionen ist der diagnostische Prozess leider selten simpel. Es gibt eine Vielzahl klinischer und instrumenteller Verfahren, die hier den Untersucher bei der Diagnosefindung unterstützen sollen. Doch wie können die verfügbaren Techniken dabei helfen, eine Diagnose zu stellen, und welche Anforderungen müssen diese Verfahren hierbei erfüllen?

Anforderungen an ein diagnostisches Instrument

Ein ideales diagnostisches Instrument würde unabhängig von der durchführenden Person oder Situation immer das gleiche Ergebnis liefern. Es hätte demzufolge eine perfekte Wiederholgenauigkeit, die in der wissenschaftlichen Literatur als Reliabilität bezeichnet wird. Dies bedeutet dabei aber nicht, dass es auch den wahren Wert erfasst. Hierfür steht die Validität. Diese beschreibt, dass der wahre Wert im Mittel getroffen ist. Da bekanntlich knapp daneben auch vorbei ist, kann demzufolge ein valides Instrument im individuellen Fall erhebliche Ungenauigkeiten beinhalten, wenngleich es im Mittel misst, was es messen soll. Insofern wird bei der Individualdiagnostik ein sowohl hinreichend reliables als auch valides Instrument benötigt ([Abb. 1]).

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Abb. 1  Zusammenhang zwischen Reliabilität und Validität.

Dies bedeutet immer noch nicht, dass der mit diesem reliablen und validen Instrument erfasste Parameter Erkrankte von Gesunden perfekt abgrenzen kann. Wünschenswert wäre demzufolge ein Instrument, das jede erkrankte Person als erkrankt markiert (perfekte Sensitivität bzw. keine falsch negativen Personen) und dabei keine gesunde Person als erkrankt markiert (perfekte Spezifität bzw. keine falsch positiven Personen). Für die Sensitivität und Spezifität wird hierbei prozentual angegeben, wie viele erkrankte bzw. nicht erkrankte Personen richtig erkannt wurden. Im Idealfall lägen die Werte für Sensitivität und Spezifität demzufolge bei 100 %. Da es solche idealen Instrumente für die Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktionen – wie auch in den meisten anderen Bereichen der Medizin – nicht gibt, wird empfohlen, dass die verwendeten Instrumente mindestens eine Sensitivität und Spezifität von jeweils 70 % aufweisen [1].

Merke

Diagnostische Verfahren für kraniomandibuläre Dysfunktionen sollten eine hohe Reliabilität und Validität, klar definierte Messvorgänge und eine Sensitivität sowie Spezifität von ≥ 70 % aufweisen.

Weiterhin gibt es zur Beschreibung der Güte von diagnostischen Instrumenten bzw. Testverfahren den Vorhersagewert eines Instruments ([Tab. 1]). Dieser bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erkrankter als krank markiert (= positiver Vorhersagewert) bzw. ein nicht Erkrankter als nicht krank markiert wird (= negativer Vorhersagewert). Im Gegensatz zu Spezifität und Sensitivität wird hier zusätzlich berücksichtigt, wie häufig eine Erkrankung in der untersuchten Personengruppe vorliegt (Prävalenz). Dies wird umso wichtiger, je seltener die Erkrankung in dieser Personengruppe vorkommt.

Tab. 1  Gütekriterien diagnostischer Instrumente.

Kriterium

Beschreibung

Reliabilität

Beschreibt die Zuverlässigkeit. Unter gleichen Rahmenbedingungen müssen immer die gleichen Ergebnisse erzeugt werden.

Validität

beschreibt, ob das Testverfahren im Mittel den Parameter des Interesses korrekt erfasst

Sensitivität

gibt den Prozentsatz erkrankter Patienten an, bei denen die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird

Spezifität

gibt den Prozentsatz nicht erkrankter Personen an, die im Test auch als nicht erkrankt erkannt werden

Vorhersagewert

dient der Einschätzung der Aussagekraft von medizinischen Testverfahren unter Verwendung der Sensitivität und Spezifität und zusätzlicher Berücksichtigung, wie viele Personen in der jeweiligen Population tatsächlich erkrankt sind (Prävalenz)

Leider ist zur Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktionen kein ideales Instrument vorhanden. Alle bisher verfügbaren und dahingehend untersuchten diagnostischen Verfahren haben einen mehr oder weniger stark fehlerbehafteten prädiktiven Wert. Zugegebenermaßen ist diese Vielzahl an Parametern verwirrend. Es ist jedoch wichtig, zu erkennen, dass ein z. B. als reliabel beworbenes Instrument nicht zu der Annahme verleiten sollte, dass dieses zuverlässig erkrankte von nicht erkrankten Personen unterscheiden kann. Die Angabe der Sensitivität und Spezifität von Testverfahren für die jeweilige Erkrankung ist demzufolge sehr wichtig, um die Testqualität einschätzen zu können.

Die Angabe dieser Gütekriterien ist im Bereich der Zahnmedizin im Allgemeinen, aber insbesondere bei Verfahren zur Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktionen, leider noch eine Rarität. Oftmals wird eminenzbasiert eine Meinung oder ein Verfahren postuliert, ohne nachzuweisen, dass dieses Verfahren Erkrankte von Gesunden bzw. behandlungsbedürftige von nicht behandlungsbedürftigen Personen unterscheiden kann.

Aufgrund einer hohen Vielfalt an Testverfahren zur Diagnostik kraniomandibulärer Dysfunktionen (Palpation, Auskultation, diverse klinische Tests, instrumentelle Verfahren, Fragebögen) ist es ad hoc schwer überschaubar, welche sinnvoll und wichtig, welche ergänzend einsetzbar und welche im besten Fall nutzlos bzw., bedingt durch einen erhöhten Anteil falsch positiver Vorhersagen einer Behandlungsbedürftigkeit, sogar schädigend sind.

Leider ist festzustellen, dass für viele Testverfahren im Bereich der kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) Gütekriterien für deren diagnostischen Wert fehlen. Über den Wert dieser Verfahren kann deshalb oft nur kontrovers spekuliert werden.

Im Jahr 2006 veröffentlichte der Interdisziplinäre Arbeitskreis für Mund- und Gesichtsschmerzen der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. (DGSS) aktualisierte Empfehlungen zur Diagnostik von Patienten mit Schmerzen im Bereich der Kaumuskulatur und/oder Kiefergelenke [2]. Diese Empfehlungen untergliedern sich in eine Standard- und eine erweiterte Diagnostik ([Abb. 2]). Da der zeitliche Zusatzaufwand der Standarddiagnostik gegenüber der Mindestdiagnostik minimal ist, sollte heutzutage bei Patienten mit Verdacht auf CMD generell die Standarddiagnostik Anwendung finden. Dies beugt auch dem Problem vor, dass der Patient erst nach dem Versagen einer therapeutischen Intervention hinsichtlich psychologischer Variablen befragt wird und dies als „Abschieben in die Psychoecke“ wahrnimmt.

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Abb. 2  Diagnostisches Stufenschema der DGSS für Patienten mit Kaumuskel- und Kieferschmerzen.

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Die Achsen der CMD-Diagnostik

Während viele Befunderhebungssysteme vor allem eine strukturierte Sammlung physischer Befunde darstellen (gemäß DC/TMD als Achse-I-Befunde bezeichnet) wurde mittlerweile in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen, dass psychosoziale Befunde (als Achse-II-Befunde bezeichnet) einen erheblichen Einfluss auf den Therapieerfolg, aber auch die Ausprägung der Beeinträchtigung und damit das Gesamterscheinungsbild beim Individuum haben ([Abb. 3]).

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Abb. 3  Achsen der CMD-Diagnostik. Patienten mit physisch sehr ausgeprägten Befunden können eine nur geringe Beeinträchtigung zeigen, während andere mit physisch geringen Auffälligkeiten eine hohe Beeinträchtigung aufweisen (Sterne).

In den letzten Jahren ist zu diesen beiden Achsen noch eine 3. hinzugekommen, die sich mit genetischer Prädisposition, Hirnaktivitäten und hormonellen Einflüssen beschäftigt. Bei den Befunden der „Achse III“ hat sich zwar in den letzten Jahren das Wissen erheblich erweitert und das Verständnis für die interindividuell unterschiedliche Ausprägung von Erkrankungen verbessert, für einen routinemäßigen Einsatz mit daraus folgenden therapeutischen Konsequenzen sind diese Informationen aber derzeit noch nicht geeignet [3].

Hintergrund der Einteilung in die verschiedenen Achsen ist, dass einerseits Patienten mit physisch sehr ausgeprägten Befunden eine geringe Beeinträchtigung zeigen können, während andere mit physisch geringen Auffälligkeiten eine hohe Beeinträchtigung aufweisen. Diese Diskrepanz kann durch unterschiedliche Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung erklärt werden, die auf zentralnervöser Ebene stattfinden.

Merke

Für die Diagnose bei kraniomandibulären Dysfunktionen ist sowohl die Erhebung physischer als auch psychosozialer Befunde obligat. Physische Befunde werden auch als „Achse-I-Befunde“ und psychosoziale Befunde als „Achse-II-Befunde“ bezeichnet. Die Befunde der „Achse III“ sind im klinischen Einsatz am Individuum noch nicht sinnvoll integrierbar und dienen derzeit primär Forschungszwecken.


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Vorsorgeuntersuchung (Screening)

Da vor umfangreichen prothetischen Maßnahmen im Rahmen der Voruntersuchung auch der Ausschluss des Vorliegens kraniomandibulärer Dysfunktionen (CMD) obligat ist, sollte sowohl anamnestisch als auch klinisch ein Screening erfolgen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es hierbei vollkommen ausreichend, folgende Frage zu stellen: „Haben Sie Schmerzen in der rechten Gesichtshälfte, in der linken oder in beiden?“. Mit einer Sensitivität von 98 % bzw. Spezifität von 97 % kann diese Frage nachweislich hervorragend schmerzhafte und damit behandlungsbedürftige CMD von nicht behandlungsbedürftigen unterscheiden [4]. Allerdings werden dabei Personen mit schmerzfreien Funktionseinschränkungen (z. B. tumorbedingte Mundöffnungseinschränkung bzw. Änderungen der Okklusion) und asymptomatische Personen nicht erfasst, was vor umfangreichen zahnärztlichen Rehabilitationen die Ergänzung um grundlegende klinische Befunde (asymmetrische Mundöffnung, Kiefergelenkgeräusche, druckschmerzhafte Muskulatur, Mundöffnungskapazität) notwendig macht.

Im klinischen Alltag findet in Deutschland der CMD-Check von Ahlers und Jakstat häufig Anwendung, der auf klinisch erhobenen Daten beruht (asymmetrische Mundöffnung, Kiefergelenkgeräusche, druckschmerzhafte Muskulatur, Mundöffnungskapazität, Okklusionsgeräusche, traumatische exzentrische Okklusion). Diese Kriterien wurden auf Basis von Expertenmeinungen festgelegt. Der Screeningindex weist bei einem Grenzwert von ≥ 2 eine Sensitivität von 92 % und Spezifität von 79 % auf [5]. Die Reliabilität und Validität der Kriterien „Okklusionsgeräusche“ und „traumatische exzentrische Okklusion“ erscheinen allerdings fraglich.

Es existieren noch viele weitere proprietäre Screeninginstrumente, für die aber in der Regel keine Gütekriterien bekannt sind bzw. publiziert wurden.

Erst durch Dokumentation grundlegender Befunde kann gemäß dem Sorgfaltsprinzip aktuell von einer rechtssicher ausreichenden Voruntersuchung zum Ausschluss von behandlungsbedürftigen CMD vor umfangreichen zahnärztlichen Rehabilitationsmaßnahmen ausgegangen werden. Patienten, die aufgrund von unspezifischen Schmerzen im Gesichtsbereich, schmerzhaften oder beeinträchtigenden Geräuschen in den Kiefergelenken, Einschränkungen in der Mundöffnungskapazität oder Veränderungen des Bisses beim Zahnarzt vorstellig werden, sollten direkt einer Standarddiagnostik zugeführt werden.


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Standarddiagnostik

Die zur Standarddiagnostik gehörenden Instrumente verfügen über einen nachgewiesenen allgemeinen diagnostischen Wert im Rahmen der Befunderfassung bei CMD und sind nach heutigem Wissensstand für eine zuverlässige Diagnosebildung bzw. Differenzialdiagnostik unerlässlich. Alle Verfahren, die zur weiteren Verfeinerung der Diagnose oder Diagnosesicherung in speziellen Subgruppen Anwendung finden bzw. einen nicht oder unzureichend nachgewiesenen diagnostischen Wert besitzen, sind der erweiterten Diagnostik zugeordnet.

Anamnese

Die schmerzbezogene Anamnese ist gemeinsam mit der klinischen Untersuchung der wichtigste Baustein einer suffizienten Diagnostik. Während bis vor 20 Jahren die Diagnosestellung bzw. Therapie primär auf physischen Befunden aufbaute, hat sich heutzutage weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Gespräch mit dem Patienten eine sehr wichtige Basis darstellt. Auch in der allgemeinen Schulmedizin galten die messbaren Laborparameter lange Zeit als das Maß aller Dinge und das Gespräch mit dem Patienten verlor immer mehr an Bedeutung. Hintergründe lagen einerseits in einer Technikgläubigkeit, einem fehlenden Verständnis für körperlich-seelische Zusammenhänge und in der schlechten Honorierung der „sprechenden“ Medizin. Heutzutage hat die „sprechende“ Medizin wieder erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Anamnese sollte

  • allgemeine,

  • spezielle, problemspezifische und

  • soziale Informationen erfassen.

Zur allgemeinen Anamnese gehört die übliche Erfassung von Allgemeinerkrankungen, wobei hier vor allem Tumorerkrankungen, den Kopf-Hals-Bereich betreffende Ereignisse (z. B. Schleudertrauma, Bandscheibenvorfall) und systemische Erkrankungen (rheumatischer Formenkreis, Schuppenflechte bzw. Psoriasis, Fibromyalgie, Arthrosen anderer Gelenke), aber auch Medikamente von Interesse sind. Dabei können teilweise ursächliche, aber auch begünstigende Faktoren gefunden werden. Dies geschieht in der Regel mittels der üblichen Anamnesebögen.

Zur speziellen Anamnese gehören in diesem Zusammenhang die spezifische Erfassung von

  • Mundgesundheitsproblemen,

  • Parafunktionen und oralen Habits,

  • Schmerzen.

Mundgesundheitsprobleme lassen sich am effektivsten systematisch mit entsprechenden Fragebögen erfassen. Die einzelnen Fragen sollten die 4 Problembereiche (Funktion, Schmerz, Ästhetik und psychosozialer Einfluss) der wahrgenommenen Mundgesundheit systematisch und unspezifisch abdecken und können auch zur Messung des Therapieerfolgs herangezogen werden. Der in diesem Zusammenhang am besten etablierte und untersuchte Fragebogen ist das Oral Health Impact Profile (OHIP), das mittels 14 Fragen alle zahnmedizinisch relevanten Bereiche abbildet [6]. Es gibt hierfür gute Interpretationshilfen (Normen und der kleinste relevante Unterschied) und der Summenwert lässt sich einfach zur Verlaufsbeobachtung verwenden. Das OHIP ist online kostenfrei verfügbar und nähere Informationen auf www.wikipedia.de abrufbar. Damit identifizierte, oft oder sehr oft auftretende Probleme können anschließend gezielt und damit zeiteffizient mit dem Patienten verbal präzisiert werden.

Merke

Die systematische Erhebung anamnestischer Informationen mittels standardisierter Fragebögen sorgt für eine zeiteffektive, aber trotzdem umfangreiche Erfassung potenziell relevanter Informationen aus der allgemeinen und speziellen Anamnese. Hierdurch kann die Gesprächszeit besser für die den Patienten beeinträchtigenden Probleme oder im Zusammenhang mit der Erkrankung relevanten Parameter genutzt werden.

Okklusale parafunktionelle Aktivitäten (Pressen und Knirschen) können, insbesondere wenn diese tagsüber und nachts ausgeübt werden, CMD erheblich intensivieren [7]. Eine Erfassung erfolgt üblicherweise multimodal, wobei die anamnestische Angabe ein zentrales Kriterium darstellt. Allerdings erweisen sich Suggestivfragen hier als problematisch. Deshalb wird empfohlen, die folgende Fragestellung zu verwenden: „Hat Sie schon mal jemand im Schlaf knirschen gehört?“. Diese weist mit einer Sensitivität von 78 % und einer Spezifität von 98 % sehr gute Eigenschaften auf [8]. Das anamnestische Erfassen des Pressens ist derzeit nicht zeugenbasiert möglich und demzufolge unzuverlässig in der Aussage.

Daneben zählen klinische Anzeichen als ein wesentliches Indiz für okklusale Parafunktionen [9]. Hierzu gehören okklusaler Zahnhartsubstanzverlust, Zahnhalsdefekte oder Zerstörungsspuren und Gravuren des Okklusionspfads am Zahnersatz oder Aufbissbehelf. Allerdings lassen sich aktuelle Defekte bzw. Spuren nur unzulänglich von denen aus der Vergangenheit unterscheiden. Sie bilden also nicht zwingend die Ist-Situation ab. Auch die gegenseitige Verstärkung von Abrasion und Erosion bietet Herausforderungen in der Diagnostik.

Eine weitere Möglichkeit der Erfassung besteht über die Elektromyografie. Diese Methode weist aber ohne zeitgleiche Erfassung der Herzfrequenz eine hohe falsch positive Rate auf. Der einzige Beweis und damit der Goldstandard ist die Polysomnografie, die für den nicht wissenschaftlichen Bereich aber in einem unangemessenen Aufwand-Nutzen-Verhältnis steht ([Tab. 2]).

Praxis

Aspekte der schmerzbezogenen Anamnese

  • zeitliches Auftreten, z. B. kontinuierlich, periodisch, anfallsartig

  • Zeitraum seit erstmaligem Auftreten der Beschwerden

  • Qualität, z. B. stumpf, stechend, quälend

  • Intensität, z. B. mittels visueller oder numerischer Analogskala (NAS, VAS)

  • Lokalisation und Ausstrahlung, z. B. mittels Zeichnung

  • Begleitzeichen, z. B. Rötung, Schwellung, Erwärmung

  • modifizierende Faktoren, z. B. Wärme, Kälte, Stress, Ruhe

  • provozierende Faktoren, z. B. weite Mundöffnung, festes Zubeißen

  • bisherige Behandlungsversuche und -erfolge bzw. -misserfolge

Tab. 2  Empfehlungen zur Diagnosebildung bei Bruxismus der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT).

Diagnose

Diagnosekriterien

möglicher Schlaf- oder Wachbruxismus

Selbstangabe oder Anamnese (+)

wahrscheinlicher Schlaf- oder Wachbruxismus

Selbstangabe (+) und klinische Untersuchung (+)

definitiver Schlaf- oder Wachbruxismus

Selbstangabe (+) und klinische Untersuchung (+) und Polysomnografie (+)

Einer umfassenden Schmerzanamnese sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Auch hier sollten Suggestivfragen vermieden und möglichst offene Fragen gestellt werden. Dies erfordert ein gewisses Maß an Kommunikationstraining. Auch sollten teilweise befremdlich anmutende Schilderungen und Kausalvorstellungen bzw. kürzere Gesprächspausen ohne eigene Kommentare zugelassen werden.

Ganzkörperzeichnungen bieten den Vorteil, dass der Patient sich in seiner Darstellung nicht nur auf den Kopfbereich beschränkt, sondern auch Auskunft über weitere schmerzhafte Regionen erteilt ([Abb. 4]). Dies ist insofern wichtig, da lokale – z. B. auf den Gesichtsbereich beschränkte – Schmerzphänomene oftmals auf lokale Therapien (Aufbissbehelfe, manuelle Therapie) gut ansprechen, multilokale hingegen nicht [10]. Auch können über die Ausstrahlungspfade teils Hinweise auf den Ort der Schmerzentstehung gezogen werden.

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Abb. 4  Schmerzzeichnung der DGSS, Erfassung der Schmerzlokalisation und Schmerzausstrahlung.

Die Erfassung der Schmerzintensität erfolgt bevorzugt mit visuellen oder numerischen Analogskalen ([Abb. 5]), da diese eine Verfolgung der Schmerzintensität über die Zeit erlauben und damit zur Verlaufskontrolle verwendet werden können.

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Abb. 5  Numerische Analogskala zur Erfassung der Schmerzintensität.

Als standardmäßig applizierte Minimaldiagnostik sollte der Status zur Graduierung chronischer Schmerzen (Graded Chronic Pain Scale, GCPS) Anwendung finden. Neben der Erfassung der Schmerzintensität wird hier als psychosozialer Parameter die Schmerzbeeinträchtigung erfasst. Mittels eines Auswertungsbogens kann eine Kategorisierung in Patienten mit funktionalem und dysfunktionalem chronischem Schmerz vorgenommen werden, wobei letztere dringend einem genaueren psychologischen Screening zugeführt werden sollten [11].

Als generisches Instrument, welches die strukturierte Schmerzanamnese unterstützen kann, steht der Deutsche Schmerzfragebogen der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. (DGSS) zur Verfügung, der zuletzt 2015 aktualisiert wurde. Dieser ist allerdings unspezifisch verfasst und auf allgemeinmedizinische Belange fokussiert. Der Deutsche Schmerzfragebogen enthält neben einer Schmerzzeichnung auch den Status zur Graduierung chronischer Schmerzen (GCPS). Türp und Marinello stellten 2002 einen deutschsprachigen Schmerzfragebogen für Patienten mit chronischen orofazialen Schmerzen vor, der eine auf CMD-Patienten zugeschnittene, systematische schmerzbezogene Anamnese erlaubt und auf einer älteren Version des Deutschen Schmerzfragebogens basiert [12].

Die soziale Anamnese gibt einen Überblick über das soziale Umfeld und die damit verbundenen potenziellen Probleme und Lebensumstände. So sind in bestimmten Berufsgruppen typische Fehlhaltungen zu finden, die schmerzhafte CMD intensivieren können, z. B. bei Musikern oder bei unergonomischen und einseitigen Arbeitshaltungen. Auch Stressfaktoren wie chronische berufliche oder familiäre Überforderung sowie Mobbing und Scheidungen sind bekannte krankheitsauslösende und -modifizierende Faktoren. Bei der sozialen Anamnese werden oftmals Informationen gewonnen, welche die Grundlage für spätere Empfehlungen zu Verhaltensänderungen oder Modifizierung der Lebensumstände bzw. das Annehmen von Hilfsangeboten sind.

Merke

Am Ende des anamnestischen Gesprächs sollte der Untersucher einen umfassenden Überblick über den allgemeinen Gesundheitszustand, die allgemeinen und speziellen Probleme, die vom Patienten empfundenen Schmerzen und Beeinträchtigungen sowie die bisherigen misslungenen und erfolgreichen Therapieversuche haben, um sich in die Gedanken- und Erlebniswelt des Patienten hineinversetzen zu können.


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Psychologisches Screening (Achse II)

Das psychologische Screening soll helfen, Patienten mit den Therapieerfolg beeinträchtigenden psychologischen Komorbiditäten (zusätzliche Erkrankungen) herauszufiltern und einer adäquaten Therapie zuzuführen. Wichtig ist, zu erwähnen, dass der Zahnarzt keine dies betreffenden Diagnosen stellen kann und darf, sondern nur Auffälligkeiten feststellen kann, die durch einen psychologisch geschulten Arzt bestätigt werden müssen. Leider ist eine direkte Überweisung an einen Psychologen bzw. Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie durch den Zahnarzt nicht möglich und erfordert den Umweg über einen Facharzt (z. B. den Hausarzt).

Insbesondere in spezialisierten Praxen und Zentren sollte aufgrund der vorselektierten Patienten mit einem deutlich höheren Anteil chronischer Schmerzen und vorangegangener erfolgloser Behandlungsversuche obligat eine Erfassung wichtiger psychologischer Parameter erfolgen. Hier kommt vor allem der Erfassung depressiver Symptome und unspezifischer Schmerzen eine hohe Bedeutung zu.

Screening nach depressiven Symptomen

Depressionen haben im Zusammenhang mit CMD bezüglich der Ätiopathogenese keine bekannte klinisch relevante Bedeutung. Allerdings ist das Vorliegen einer Depression generell ein ungünstiger prognostischer Faktor bei chronischen Schmerzerkrankungen. Zum einen verstärkt eine Depression das Schmerzerleben und andererseits verstärken anhaltende Schmerzen eine vorhandene Depression. Dabei entsteht ein Circulus vitiosus, der durchbrochen werden muss, um die therapeutischen Erfolgschancen zu verbessern.

Zur Erfassung einer vorliegenden Depression stehen vielfältige, gut validierte und untersuchte Instrumente zur Verfügung. Ein klassisches Instrument zur Erfassung depressiver Symptome ist die Allgemeine Depressionsskala (ADS-L), die recht einfach zu erfassen ist und durch die eingebauten inversen Kontrollfragen auch erkennen lässt, ob sich der Patient mit den Fragen angemessen beschäftigt hat.

Alternativ sind kombinierte Skalen anwendbar. So ist auch die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) zur zeitgleichen Erfassung von Angst und Depression bei Patienten mit physisch oder/und psychisch bedingten Körperbeschwerden geeignet. Ein weiteres geeignetes Kombinationsinstrument sind die im Deutschen Schmerzfragebogen enthaltenen und kostenfrei verfügbaren Depressions-Angst-Stress-Skalen (DASS) [13].

Die Wahl des Instruments kann sich primär daran orientieren, ob die enthaltenen Zusatzinformationen gewünscht sind. Ein wissenschaftlicher Nachweis des Nutzens der über die Depression hinausgehenden Informationen steht für CMD-Patienten allerdings noch aus.


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Screening nach unspezifischen Symptomen

Dieses Screening ist ein Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung der subjektiven Beeinträchtigung durch unspezifische körperliche Symptome bzw. Allgemeinbeschwerden. Ein häufig angewendetes und bewährtes Instrument ist die durch von Zerssen erstellte und 2011 revidierte Beschwerden-Liste (B-LR). Alternativ kann die Freiburger Beschwerdenliste (FBL) oder der Gießener Beschwerdebogen (GBB) verwendet werden.

Vergleichbar mit dem in der Anamnese beschriebenen OHIP kann der Patient bei diesen Gesundheitsbelastungsindizes markieren, wie häufig welche Beschwerden auftreten. Diese sind z. B. innere Unruhe, Kurzatmigkeit, Grübelei, Müdigkeit und ein Kloßgefühl im Hals. Eine Häufung dieser unspezifischen Symptome ist ein Hinweis auf eine unzureichende Trennung von psychischen Problemen und physischen Beschwerden, was den betroffenen Personen in der Regel nicht bewusst ist.

Eine verminderte Fähigkeit, Gefühle von körperlichen Sensationen zu unterscheiden, sollte Anlass sein, die betroffenen Patienten an einen Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie zur näheren Diagnostik zu überweisen. Eine Übersicht zu den Bezugsquellen wird in [Tab. 3] gegeben.

Tab. 3  Bezugsquellen der verschiedenen Erhebungsbögen.

Erhebungsbogen

Bezugsquelle

Oral Health Impact Profile (OHIP)

https://de.wikipedia.org/wiki/OHIP

Schmerzfragebogen für Patienten mit chronischen orofazialen Schmerzen

http://qos.quintessenz.de/qos/downloads/schmerzfragebogen.pdf

Deutscher Schmerzfragebogen der DGSS

http://www.dgss.org/deutscher-schmerzfragebogen/

Status zur Graduierung chronischer Schmerzen (GCPS)

www.fomt.info/Frageboegen/GCPS.pdf

www.dentaconcept.de

Allgemeine Depressionsskala (ADS)

https://www.testzentrale.de/shop/allgemeine-depressionsskala.html

Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS)

https://www.testzentrale.de/shop/hospital-anxiety-and-depression-scale-deutsche-version-69320.html

Depression, Anxiety and Stress Scale (DASS)

www.dgss.org

www.dentaconcept.de (inkl. Auswertungshilfe)

Beschwerden-Liste

https://www.testzentrale.de/shop/beschwerden-liste-revidierte-fassung.html


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Klinische Funktionsanalyse

Befunderhebung

Bei der klinischen Funktionsanalyse sollen alle für die Diagnostik und die Differenzialdiagnostik von CMD notwendigen klinischen Befunde erhoben werden. Hierzu gehört die Erfassung der:

  • Bewegungskapazität des Unterkiefers

  • Palpationsempfindlichkeit der Kaumuskulatur

  • Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke

  • Gelenkgeräusche

Bewegungskapazität des Unterkiefers

Bei der Bewegungskapazität des Unterkiefers sollten mindestens folgende Kriterien untersucht werden:

  • maximal mögliche Mundöffnung (Schneidekantendistanz und Overbite)

    • aktiv ohne Schmerz

    • aktiv, auch wenn Schmerzen provoziert oder intensiviert werden

    • passiv, das heißt durch den Untersucher

  • die Form der Bewegungsbahn des Inzisalpunkts bei Mundöffnung (gerade, Deflexion bzw. Deviation nach links oder rechts; s. [Abb. 6])

  • die maximale Beweglichkeit des Unterkiefers nach rechts und links (Laterotrusion)

  • die maximale Beweglichkeit des Unterkiefers nach vorne (Protrusion)

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Abb. 6  a–f Deviation und Deflexion bei der Mundöffnungsbewegung. Zur Orientierung kann ein Lineal oder ein schmaler Instrumentengriff als Hilfe für den „normalen“ Bewegungskorridor (± 2 mm) genutzt werden (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer).

Die Verwendung eines Lineals ist ausreichend, um diese Werte zuverlässig erfassen zu können. Insbesondere die Mundöffnung ist auch durch unerfahrene Untersucher zuverlässig zu beurteilen (Korrelationskoeffizient 0,90). Die Laterotrusionsbewegung ist dagegen weniger zuverlässig, aber immer noch ausreichend genau messbar (Korrelationskoeffizient 0,65) [14].

Definition

Deflexion = Seitenabweichung des Inzisalpunkts des Unterkiefers bei maximaler aktiver Mundöffnungsbewegung von der Mitte um mehr als 2 mm, ohne zu dieser zurückzukehren

Deviation = Seitenabweichung des Inzisalpunkts des Unterkiefers bei maximaler aktiver Mundöffnungsbewegung von der Mitte um mehr als 2 mm, wobei dieser terminal zur Mitte zurückkehrt

Es sollten eine Mundöffnung von mindestens 40 mm (im Mittel bei Gesunden 55 mm) und eine Bewegungskapazität in der Laterotrusion von mindestens 5 mm (im Mittel bei Gesunden 10 mm) vorliegen. Der Unterschied zwischen aktiver und passiver Mundöffnung sollte weniger als 5 mm (im Mittel bei Gesunden 1–2 mm) betragen.


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Palpationsempfindlichkeit der Kaumuskulatur

Die Prüfung der Palpationsempfindlichkeit der Kaumuskulatur sollte mindestens die Mm. masseterici und Mm. temporales umfassen. Leider variiert gerade bei Palpationsmaßnahmen der applizierte Druck ohne vorherige Kalibrierung sehr stark. Deshalb wird empfohlen, vorher und ggf. auch während der Untersuchung den Palpationsdruck auf einer haushaltsüblichen Küchenwaage zu überprüfen.

Alternativ kann ein Algometer verwendet werden. Für die Kieferschließer (M. masseter und M. temporalis) wird dabei eine Druckapplikation von 1 kg mit der flachen Fingerkuppe für 3–5 Sekunden empfohlen. Die Finger sollten dabei etwa in einem Winkel von 45° angesetzt werden. Submandibulär und retromandibulär sollte der Druck auf 500 g reduziert werden.

Der Palpation unzugängliche Muskeln und Sehnen können mittels isometrischer Tests überprüft werden.


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Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke

Die Palpationsempfindlichkeit der Kiefergelenke sollte von lateral mit einem Druck von 500 g und von dorsal oder laterodorsal mit 1 kg geprüft werden. Eine Palpation des dorsalen Bereichs kann über den äußeren Gehörgang erfolgen. Für die alternative Möglichkeit, den Kondylus bzw. die Kapsel von laterodorsal zu palpieren, muss sich der Unterkiefer in einer leicht protrusiven Position befinden. Hierdurch wird der dorsolaterale Kondylenpol präaurikulär erreichbar.


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Gelenkgeräusche

Gelenkgeräusche werden durch druckarme Palpation des lateralen Kondylenpols erfasst. Dies erfolgt in der Regel während Ausführung der Grenzbewegungen (Mundöffnung, Protrusion, Laterotrusion), wobei die Bewegung immer ausgehend von der maximalen Interkuspidation gestartet werden sollte. Hierbei wird auf pathologische Geräusche geachtet. Diese sind in der Regel einem Knacken oder Reiben zuordenbar. Die Verwendung von Hilfsmitteln (Mikrofon oder Stethoskop) wird nicht empfohlen [15].


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Befunderfassung

Generell ist eine Erfassung von Befunden mittels strukturierter Erhebungsbögen sinnvoll. Dies beugt einer vorschnellen Diagnosestellung auf Basis einer 1. Verdachtsdiagnose ohne umfassende Würdigung aller relevanten Befunde vor. Das konkrete Erhebungsprozedere und die detaillierten Vorgehensweisen sind in den entsprechenden Manualen bzw. Büchern beschrieben und werden in praktischen Kursen vermittelt. Diese Befundsammlungen bzw. Erhebungsbögen sind in vielfältiger Anzahl und mit variablen Schwerpunkten verfügbar und ermöglichen eine systematische Erfassung.

Bekannt und weitverbreitet sind der Funktionsstatus der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) und die Befundbögen von DentaConcept®. Nahezu alle in Deutschland üblichen Erhebungsbögen sind für eine systematische Befundsammlung geeignet und enthalten die oben genannten Mindestbefunde. Als sehr angenehm für den funktionsdiagnostisch unerfahrenen Zahnarzt sind bei DentaConcept® die digitale Erfassung der Messwerte und Hilfestellungen zu erwähnen.


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Diagnosefindung

Leider sind oftmals weder eindeutige Anweisungen zur Erhebung der Befunde vorhanden (bzw. werden diese nur in sehr kostenintensiven Kursen vermittelt), noch bestehen validierte Möglichkeiten, aus diesen Befunden mittels eines Entscheidungsbaums Diagnosen zu bilden. Dieser Problematik hat sich ein internationaler Forscherverbund angenommen, der 1992 die Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD) geschaffen hat [16]. Für die darauf basierende Befundsammlung liegen in deutscher Sprache eindeutige Anweisungen zum verbalen und praktischen Vorgehen vor. Zusätzlich wurden für grundlegende Diagnosen Entscheidungsbäume erstellt, die bei der Diagnosefindung unterstützen.

Diese Kriterien wurden auf Basis der inzwischen neu gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich überarbeitet und 2014 in einer revidierten Fassung publiziert. Die durch das Entfernen des „Research“ in DC/TMD umbenannten Kriterien stellen momentan die einzige zur Verfügung stehende Befundsammlung mit validierter Diagnosebildung dar [17]. Derzeit erfolgt eine durch die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde geförderte Übersetzung und Validierung für den deutschsprachigen Raum und wird bald unter www.rdc-tmdinternational.org abrufbar sein. Konkrete und detaillierte Handlungsanweisungen zum klinischen Vorgehen und ein Video eines exemplarischen Untersuchungsablaufs sollten demnächst ebenfalls in deutscher Sprache verfügbar sein. Leider steht derzeit nur eine papierbasierte Erfassungsoption zur Auswahl. Eine Integration in Softwarelösungen ist entsprechend wünschenswert.


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Klinische Okklusionsanalyse

Auch wenn derzeit der Einfluss der Okklusion auf CMD kritisch bewertet wird, sollten doch einige Basisparameter erfasst werden:

  • Zahnstatus

  • Attrition und keilförmige Defekte (als Anzeichen okklusaler Parafunktionen)

  • Zahnkontakte in statischer (maximale Interkuspidation bzw. zentrische Kondylenposition) und dynamischer Okklusion

Insbesondere bei Auftreten von Anzeichen kraniomandibulärer Dysfunktionen im zeitlichen Zusammenhang mit prothetischen Neuversorgungen sollte diesem Aspekt verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt und diese Analyse ggf. um eine instrumentelle Okklusionsanalyse erweitert werden.


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Panoramaschichtaufnahme

Als Standardinstrument zur bildgebenden Diagnostik bei CMD hat sich die Panoramaschichtaufnahme (PSA), auch unter der Bezeichnung Orthopantomogramm bekannt, etabliert. Bekanntermaßen sind hierbei nur die knöchernen Anteile des Gesichtsschädels in einer begrenzten Schicht zweidimensional beurteilbar. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass muskuläre und knorpelbasierte Gewebe nicht direkt sichtbar sind. Wenn wir berücksichtigen, dass 80 % der CMD-Patienten myofasziale Schmerzen aufweisen, stellt sich zunächst die Frage, wozu die Anfertigung einer PSA denn dann überhaupt sinnvoll ist.

Ein direkter diagnostischer Wert für die Bestätigung von CMD-bezogenen Diagnosen besteht nur für osteoarthrotische Veränderungen. Während initiale Veränderungen kaum erkennbar sind, können fortgeschrittene Stadien zuverlässig diagnostiziert werden. Hierzu gehören kondyläre Formveränderungen wie die Abflachung des Kondylus und Knochenapposition am anterioren Kondylenpol, ein Fehlen der kortikalen Verschattung und zystische Aufhellungen im und unterhalb des Kontaktbereichs. Bei in der PSA erkennbarem Auftreten dieser Veränderungen kann mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer osteoarthrotischen Veränderung im betreffenden Gelenk ausgegangen werden (Spezifität: 99 %). Da frühe Stadien (Verdickung und zackenförmige Ausläufer der kortikalen Verschattung) nicht sicher erkannt werden können, ist die Falsch-negativ-Rate entsprechend hoch (Sensitivität: 26 %) [18].

Gerne wird die PSA auch verwendet, um über die Breite des sichtbaren Gelenkspalts auf Verlagerungen des Gelenkköpfchens oder Verlagerungen bzw. Verschleiß des Discus articularis zurückzuschließen. Dies wurde vor einigen Jahrzehnten bereits erfolglos an den mittlerweile obsoleten Aufnahmen nach Schüller bzw. Parma versucht. Die Darstellung des Gelenkspalts ist stark abhängig vom Strahlengang. Ein verengter Gelenkspalt kann also genauso aus einem ungünstigen Strahlengang resultieren. Eine Bewertung der Dimension des Gelenkspalts sollte deshalb nicht auf Basis einer PSA erfolgen.

Auch kommen interindividuell erhebliche Varianzen in der Kondylenform vor. Hier ist vor allem die Seitensymmetrie ein entscheidender Anhaltspunkt und weniger die individuelle Form. Beispiele für die hohe Formenvielfalt der Kondylen sind in [Abb. 7] dargestellt.

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Abb. 7  a–h Beispiele für die Formenvielfalt humaner Kondylen (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer; Bildmaterial: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle [19]).

Viel wichtiger und den Routineeinsatz rechtfertigend ist die Verwendung als differentialdiagnostisches Ausschlussverfahren. So können hier eine Dentitio difficilis, (infizierte) Zysten, auf eine Osteolyse hindeutende Umbauvorgänge oder auch Frakturen erkannt werden ([Abb. 8]).

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Abb. 8  Darstellungen unterschiedlicher Kasuistiken im Bereich der Kondylen. a Normales Kiefergelenk, b Hypoplasie, c Arthrose, d Chondromatose mit Kalzifizierungen (siehe punktuelle Aufhellungen im Bereich der Position des Discus articularis), e Kollumfraktur.

Insbesondere in den folgenden klinischen und anamnestischen Situationen sollte eine Anfertigung obligat erfolgen [20]:

  • erfolglose konventionelle Behandlung

  • faziale Asymmetrie, einseitig offener Biss (Tumorausschluss)

  • Trauma (Frakturausschluss)

  • stark eingeschränkte Mundöffnung

  • Ausschluss von Metastasen (Tumorerkrankung alio loco in den letzten Jahren)

  • bekannte bzw. Verdacht auf eine systemische Gelenkerkrankung (rheumatoide Arthritis, Psoriasisarthritis, ankylosierende Spondylitis)


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Erweiterte Diagnostik

Die erweiterte Diagnostik enthält Instrumente, die nur bei speziellen diagnostischen Fragestellungen zur Diagnosesicherung benötigt werden oder keinen gesicherten diagnostischen Wert bzw. Therapierelevanz haben. Hierzu gehören Verfahren zur Erfassung weiterer physischer Parameter (z. B. bildgebende Verfahren, manuelle Strukturanalyse, instrumentelle Analyseverfahren) sowie zur Evaluierung psychosozialer Parameter (z. B. Lebensqualität, Schmerzverarbeitung, Stressaufkommen und Stressverarbeitung).

Physische Instrumente

Resilienztest nach Gerber

Dieser Test wurde bereits 1971 von Gerber vorgestellt. Ziel ist es, durch eine einseitige Bisserhöhung mittels Zinnfolie verschiedener Stärken (0,3 mm; 0,6 mm; 0,9 mm) im Bereich der Prämolaren eine Aussage über das Kompensationsvermögen des kontralateralen Kiefergelenks zu erlangen ([Abb. 9]). Allerdings ist nur bei gezielter Anspannung der Adduktoren eine klinisch verwertbare Aussage möglich.

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Abb. 9  Resilienztest nach Gerber für das linke Kiefergelenk (grün: Zinnfolie; rot: Prüffolie).

Es wird hierfür folgendes Vorgehen empfohlen [21]:

  • einseitiges Aufbeißen auf eine Zinnfolie (PM-Bereich) auf der dem zu prüfenden Gelenk gegenüberliegenden Seite

  • Anweisung: „Fest auf die dicke Folie beißen und versuchen, die Prüffolie festzuhalten.“

  • prüfen, ob kontralateral die Prüffolie (z. B. Shimstock-Folie) im hinteren Molarenbereich gehalten wird

Hintergrund

Wertigkeit der instrumentellen Funktionsanalyse

Trotz all der auf den ersten Blick technisch interessanten Möglichkeiten wird weiterhin empfohlen, die Diagnostik von CMD primär auf Informationen aus der Anamnese, klinischen Untersuchung und bildgebenden Verfahren zu stützen, da Verfahren zur instrumentellen Funktionsanalyse bisher den Standards bezüglich Sensitivität und Spezifität nicht genügen bzw. ein derartiger Nachweis aussteht [15].

Auch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) rügte in seinem Bericht (HTA-Report 101; 2010), dass Studien fehlen, welche die instrumentelle Funktionsanalyse zur Diagnose von kraniomandibulären Funktionsstörungen im Vergleich zur klinischen Funktionsanalyse beurteilen.

In der aktuellen S2k-Leitlinie der DGFDT von 2015 zur instrumentellen zahnärztlichen Funktionsanalyse ist vermerkt, dass die klinische der instrumentellen Funktionsanalyse vorausgehen sollte und die instrumentelle Bewegungsanalyse als Screeninginstrument für intraartikuläre Störungen nicht geeignet ist.

Je nach Kompensationsfähigkeit kann das kontralateral zur Zinnfolie liegende Gelenk in Kompressions-, normal resilientes und Distraktionsgelenk unterschieden werden ([Tab. 4]).

Tab. 4  Diagnosezuordnung zum Ergebnis des Resilienztests nach Gerber.

Diagnose

Testergebnis

Kompressionsgelenk

Prüffolie wird bei 0,3 mm nicht gehalten.

normal resilientes Gelenk

Prüffolie wird bei 0,3 und 0,6 mm gehalten.

Distraktionsgelenk

Prüffolie wird bei 0,9 mm gehalten.


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Orthopädische Testverfahren

Zur Berücksichtigung möglicher aufsteigender, CMD modifizierender, bzw. absteigender, die Körperhaltung beeinflussender, orthopädischer Faktoren können verschiedene Testverfahren und Messungen durchgeführt werden. Unter anderem können die Kopfhaltung, Verkrümmungen der Wirbelsäule und Schulter- bzw. Beckenschiefstände erfasst werden. Auch orthopädische Tests von Beinlängendifferenzen und zur Beweglichkeit der Iliosakralgelenke finden teilweise Anwendung.

Die Prüfung eines potenziellen absteigenden Einflusses okklusaler Faktoren auf die Position des Beckens bzw. die Körperhaltung im Allgemeinen kann mithilfe des Watterollentests nach Meersemann erfolgen [22].

Für alle diese Testverfahren wurde bislang eine therapeutische Relevanz bezüglich der Behandlung von CMD nicht nachgewiesen [23]. In der Literatur finden sich vorwiegend Einzelfallberichte mit empirisch gewonnenen Behauptungen. Die einzigen, wissenschaftlich fundierten Belege finden sich bislang im Zusammenhang mit der Korrektur einer protrusiven Kopfhaltung [24]. Die Effektstärken orthopädischer Korrekturen auf schmerzhafte CMD erscheinen bislang gering.


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Physiotherapeutische Untersuchungstechniken

Die Untersuchungstechniken der Manuellen Strukturanalyse (MSA) entstammen physiotherapeutischen Verfahren und ergänzen die Palpation der Muskulatur und Kiefergelenke durch isometrische Belastungstests. Synonym wird hierfür auch der Begriff Manuelle Funktionsanalyse (MFA) verwendet. Hierzu gehören isometrische Belastungstests der Muskulatur (= ohne Längenänderung des Muskels) bei Mundöffnung, Mundschluss, Laterotrusion und Protrusion. Es werden im Gegensatz zur Palpation nicht exemplarische Muskelanteile auf Druck, sondern Muskelgruppen auf Schmerzhaftigkeit unter Belastung geprüft. Weiterhin kann eine Abschätzung des Trainingszustands der Muskulatur (normal, hypertroph, hypotroph) erfolgen. Darüber hinaus ist es möglich, im Rahmen der isometrischen Muskeltests die Muskelkraft zu eruieren. Während der Palpation kann zusätzlich der Muskeltonus bewertet werden (normal, verhärtet).

Durch Kompression oder Distraktion der Kiefergelenke unter aktiver Funktion kann deren Gleitverhalten hinsichtlich Veränderung der Intensität oder/und des Zeitpunkts von Gelenkgeräuschen beurteilt werden. Durch manipulative Techniken wird die Gelenkkapsel passiv auf entzündliche Veränderungen hin untersucht. Hierbei stehen je nach Schule unterschiedliche, mehr oder weniger komplexe Grifftechniken zur Verfügung, um die Gelenke nach dorsal, dorsokranial, kranial, lateral, medial und anterior zu bewegen und auf Schmerzhaftigkeit entsprechender Gelenkareale zu testen. Durch Traktion der Kiefergelenke kann die Elastizität der Gelenkkapsel geprüft werden. Auch können ergänzend Informationen über aktive bzw. passive Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule erfasst und neurodynamische Tests durchgeführt werden. Insbesondere Letzteres ist eher dem geschulten Physiotherapeuten zu überlassen.


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Instrumentelle Okklusionsanalyse

Die instrumentelle Okklusionsanalyse beschreibt die Simulation der okklusalen Verhältnisse im Artikulator. Diese bietet gegenüber der klinischen Okklusionsanalyse Vor- und Nachteile ([Tab. 5]). Insbesondere aufgrund des Risikos von Übertragungs- und Simulationsfehlern müssen die daraus gewonnenen Erkenntnisse immer klinisch auf Plausibilität geprüft werden. Die Modelle werden hierfür oftmals mittels Zentrikregistrat montiert. Bei der dabei vorgehensbedingt notwendigen Absenkung der vertikalen Kieferrelation für die Okklusionsanalyse treten bei nicht scharnierachsengerechter Montage verstärkt Simulationsfehler auf. Um diese Fehler zu reduzieren, wird der Oberkiefer oftmals unter Zuhilfenahme eines Gesichtsbogens montiert. Zur Reduktion der Fehler bei der Simulation der dynamischen Okklusion kann zusätzlich die Gelenkbahn des Artikulators individualisiert werden.

Tab. 5  Vor- und Nachteile der instrumentellen Okklusionsanalyse.

Vorteile

Nachteile

  • Beurteilung der okklusalen Interaktion von dorsal

  • keine Resilienz der Strukturen (Parodont, Gelenke)

  • bessere Reproduzierbarkeit

  • einfachere Beurteilung von Abrasions- und Erosionsspuren (insbesondere im Molarenbereich), Zahnposition

  • eingeschränkte Bewegungssimulation

  • Übertragungsfehler (Modellfehler, Montagefehler)


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Instrumentelle Funktionsanalyse

Unter dem Oberbegriff instrumentelle Funktionsanalyse werden im Bereich der Zahnmedizin Untersuchungsmethoden verstanden, bei denen spezielle Geräte zum Einsatz kommen. Mithilfe dieser Geräte können folgende Aspekte untersucht werden:

  • kinematische Bewegungen des Unterkiefers

  • Veränderungen der Kondylenposition

  • elektrische Muskelaktivität

Bewegungen des Unterkiefers

Die Bewegungsanalyse dient der Aufzeichnung und grafischen Darstellung der Unterkieferbewegungen. Primär erfolgt eine Berechnung der Steilheit, Form und Länge der individuellen Gelenkbahn in der sagittalen und transversalen Richtung im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang. Im deutschsprachigen Raum bekannt sind hier vor allem das CADIAX der Firma GAMMA, das JMA-System der Firma Zebris und das weitgehend baugleiche ARCUSdigma der Firma KaVo [25].

Anhand der Form und Länge der Gelenkbahn können Informationen zu Bewegungsanomalien gesammelt werden. Die darauf basierende Berechnung der Steilheit der Gelenkbahn sowie des Gelenkspiels können zur Individualisierung von Artikulatoren verwendet werden. Auch kann darüber die zeitliche Kongruenz von Bewegungen in beiden Kiefergelenken erfasst werden.


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Kondylenposition

Die Analyse vergleicht die Kondylenposition der Kiefergelenke bei unterschiedlichen okklusionsnahen Positionen relativ zueinander. Dies kann z. B. zwischen zentrischer Kondylenposition oder therapeutischer Position und der Position in habitueller Bisslage stattfinden.


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Elektrische Muskelaktivität

Eine weitere Option ist die elektromyografische Aufzeichnung von evozierten Muskelpotenzialen. Diese bietet Möglichkeiten, die neuromuskuläre Situation des Patienten besser zu verstehen. Auch kann mittels entsprechender Instrumente die Beißkraft der Personen erfasst werden. Es zeigen jedoch auch gesunde Personen eine Seitendifferenz, sowohl der motorisch evozierten Muskelpotenziale als auch der maximalen Beißkraft. Folglich sind diese Methoden derzeit eher zur Verlaufskontrolle als zur Unterstützung der Therapieentscheidung geeignet.


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Bildgebende Verfahren

Konventionelle transkranielle Röntgenaufnahmetechniken (z. B. nach Schüller) gelten heute für funktionsdiagnostische Zwecke als obsolet. Als einziges zweidimensionales, röntgenbasiertes Verfahren wird derzeit die bereits in der Standarddiagnostik beschriebene Panoramaschichtaufnahme empfohlen. Heute in der CMD-Diagnostik gebräuchliche dreidimensionale röntgenbasierte Verfahren sind die dentale digitale Volumentomografie und die Computertomografie. Zu den röntgenstrahlungsfreien Verfahren gehören das Magnetresonanztomogramm und die Sonografie.

Digitale Volumentomografie (DVT)

Die dentale digitale Volumentomografie (DVT) ist inzwischen vielerorts verfügbar und bietet die Möglichkeit der dreidimensionalen Darstellung knöcherner Strukturen. Die Strahlenbelastung ist dabei je nach Gerät und untersuchtem Volumen zwischen der PSA und dem CT anzusiedeln. Nachteilig bei der DVT ist die nur undifferenziert darstellbare Situation der Weichgewebe. Bei geeigneter Auswahl des Untersuchungsvolumens, sowie der Expositionsparameter, lässt sich in den meisten Fällen die Dosisbelastung geringer als im CT gestalten. Zum Teil ist die Auflösung der knöchernen Strukturen im DVT etwas besser als bei der CT.

Bedingt durch den eingeschränkten Aufnahmebereich und weitgehende Beschränkung auf die Darstellung knöcherner Strukturen begrenzt sich die Indikation für die Anfertigung eines DVT im funktionsdiagnostischen Bereich auf lokale knöcherne Veränderungen wie solche der Kondylenform (Osteoarthrose, Tumoren), Ankylose, Entwicklungsanomalien (Hypo- und Hyperplasie) oder Frakturen ([Abb. 10]). Da die individuelle Form der Kiefergelenkköpfchen sehr stark variiert, sollte zum Vergleich das kontralaterale Gelenk ebenfalls erfasst werden.

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Abb. 10  DVT des linken Kiefergelenks, Fragment einer alten Kondylusfraktur.

Entsprechend den Leitlinien der DGZMK ist die dentale DVT zur Diagnostik erosiver kondylärer Veränderungen und degenerativer knöcherner Kiefergelenkerkrankungen der zweidimensionalen Aufnahme deutlich überlegen und das diagnostische Hilfsmittel der 1. Wahl.


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Computertomografie (CT)

Im Gegensatz zur DVT werden im Computertomogramm auch Weichgewebe differenziert dargestellt, wenngleich eine Beurteilung der hyalinen Strukturen des Kiefergelenks (Gelenkknorpel) und der Bänder nicht möglich ist ([Abb. 11]). Aufgrund des größeren Sichtfelds und der zusätzlichen Darstellung von Weichgewebe eignet sich die CT sehr gut zur Ausschlussdiagnostik von raumfordernden Veränderungen oder Frakturen.

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Abb. 11  Darstellung beider Kiefergelenke in der CT in koronaler Schnittrichtung. Subkortikale Sklerose im rechten Kondylus (man beachte die weißen Ausziehungen aus der Kortikalis als Anzeichen einer intermediären Osteoarthrose) und verminderter Gelenkspalt im rechten Kiefergelenk, linkes Kiefergelenk normal (gut gerundeter Kondylenkopf mit gut definiertem kortikalem Rand).
Merke

Insofern sich die Fragestellung zur dreidimensionalen Struktur auf die knöchernen Bestandteile der Kiefergelenke beschränkt, ist die DVT aus Gründen des Strahlenschutzes Mittel der 1. Wahl. Aufgrund der genannten Limitationen (Strahlenbelastung, keine Darstellung von Knorpel) kommen im Rahmen der Diagnostik von CMD sowohl CT als auch DVT eher selten zur Anwendung.


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Magnetresonanztomografie (MRT)

Die MRT, auch Kernspintomografie genannt, ist aufgrund der Freiheit von Röntgenstrahlung, der geringen Neigung zur Artefaktbildung und der dreidimensionalen Darstellung von Knorpel- und Weichgewebe der Goldstandard der dreidimensionalen bildgebenden Verfahren in der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik, wenngleich das Auflösungsvermögen geringer als bei der CT ist.

Die MRT basiert auf der Darstellung von magnetinduzierten Auslenkungseffekten des Eigenimpulses von Wasserstoffprotonen. Wasserstoffarme Gewebe, wie die Kortikalis, werden entsprechend signalarm (= dunkel), Fettgewebe signalreich (= hell) abgebildet. Muskulatur und Knorpel haben eine intermediäre Signalintensität.

Um die Strukturen im Kiefergelenkbereich mit hinreichender Schärfe aufzeichnen zu können, ist es sinnvoll, Oberflächenspulen im Bereich der Kiefergelenke während des Aufnahmevorgangs zu platzieren.

Je nach Aufnahmeparameter können Strukturen selektiv hervorgehoben werden (Gewichtung):

  • In der T1-gewichteten Aufnahme erscheint Fett hyperintens (signalreich, hell) und damit auch fettreiche Gewebe (z. B. Knochenmark). Diese faserbetonte Gewichtung eignet sich gut zur anatomischen Darstellung des Discus articularis.

  • In der T2-gewichteten Aufnahme erscheinen stationäre Flüssigkeiten hyperintens, sodass flüssigkeitsgefüllte Strukturen (z. B. Gelenkerguss, Zysten) signalreich und damit hell erscheinen.

  • Als 3., in der CMD-Diagnostik eher weniger gebräuchliche Option ist die Protonendichtewichtung (PD-Wichtung) verfügbar. Diese vermeidet die T1- und T2-bedingten Kontrastbildungen.

Jedoch nicht nur die Wichtung, sondern auch die Position des Unterkiefers ist relevant. So ist oftmals nicht nur die Darstellung bei geschlossener Zahnreihe, sondern auch in therapeutischer oder in maximal weit mundoffener Position hilfreich bei der Beurteilung der artikulären Strukturen ([Tab. 6]).

Tab. 6  Empfohlene Schnittrichtungen, Kieferposition und Wichtung für die Anforderung eines MRT zur Beurteilung der Kiefergelenkstrukturen.

Schnittrichtung

Mund geschlossen

Mund offen

parasagittal-oblique

T1 und T2

T1

koronal

T1 und T2

T1

Die Indikation im Bereich der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik liegt primär in der Abklärung der Lage und Form des Discus articularis und seiner umgebenden Gewebe. Auch die Position des Gelenkköpfchens innerhalb der Fossa articularis kann beurteilt werden.

Zur einfacheren Abgrenzung der Strukturen hat es sich als hilfreich erwiesen, Bewegungssequenzen (Cine-MRT) anzufertigen, da hierbei die dynamischen Abläufe des Diskus-Kondylus-Komplexes besser visualisiert werden ([Abb. 12]). Die Detaildarstellung ist bei diesen Sequenzen allerdings eingeschränkt.

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Abb. 12  MRT des Kiefergelenks mit anteriorer Diskusverlagerung ohne Reposition (T1-Wichtung, Schnittführung parasagittal-oblique) in geschlossener (a), halboffener (b) und maximal offener Mundöffnungsposition (c). Kreuz: Kondylus; Strichlinie: Diskus.

Gemäß dem Bundesmantelvertrag-Ärzte § 28 kann die Beauftragung formlos (gemäß § 13 Abs. 4 als Anspruchsnachweis ausreichend) oder auf einem Rezeptformular mit der Verdachtsdiagnose und den geforderten Parametern erfolgen.


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Sonografie

Die Ultraschalldiagnostik ist eine eingeschränkt geeignete Alternative zur bildgebenden Darstellung des Diskus-Kondylus-Komplexes in Bewegung. Insbesondere die medialen Anteile des Gelenkkomplexes sind durch die knochenbedingte Verschattung nicht visualisierbar. Größter Vorteil ist die Darstellung intraartikulärer Bewegungen in Echtzeit. Auch kann die Ultraschalldiagnostik zur Messung der Dicke und Darstellung der Struktur der Hauptkaumuskeln bei Auffälligkeiten (z. B. unilaterale Masseterhypertrophie) eingesetzt werden. Aufgrund der schwierigen Handhabung und Interpretierbarkeit der Bilder ist die Anwendung und Auswertung entsprechend ausgebildeten Spezialisten vorbehalten.


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Psychosoziale Messinstrumente

Neben den bereits in der Standarddiagnostik erfassten Parametern Schmerzbeeinträchtigung, Depression und unspezifische körperliche Symptome können weitere Parameter erfasst werden. So können Angsterkrankungen (z. B. mittels des State Trait Anxiety Inventory, STAI), Stressbelastung und Anzeichen auf eine posttraumatische Belastungsstörung abgeklärt werden. Des Weiteren kann, um das Schmerzerleben des Patienten besser zu verstehen, die Hamburger Schmerz-Adjektiv-Liste (HSAL) Anwendung finden. Auch die psychologische Resilienz und die Haltung zur Dankbarkeit können bei Personen mit chronischen Schmerzen von Interesse sein [26].


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Interdisziplinäre Diagnostik

Wie an der Vielzahl potenzieller Faktoren erkennbar, kann der Zahnarzt alleine oftmals nur ein Screening leisten. Bei Hinweisen auf außerhalb seiner Expertise liegende krankheitsverursachende oder -unterhaltende Faktoren sollte er Spezialisten anderer Fachgebiete hinzuziehen. In einer Vielzahl der Fälle wird der Partner der Physiotherapeut sein.

Auch eine nähere Abklärung durch einen psychologisch geschulten Arzt bei erheblichen Auffälligkeiten im psychologischen Screening ist oftmals sinnvoll, wenngleich dem Patienten nicht einfach zu vermitteln. Die Kunst besteht hierbei, den Patienten auf seiner somatischen Wahrnehmungsebene abzuholen [27].

Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, bei orthopädischen Auffälligkeiten die gesamtstatische körperliche Situation durch einen Orthopäden beurteilen zu lassen. Bei Verdacht auf systemische Erkrankungen ist die Einbeziehung eines Internisten zur weiteren Abklärung dringend zu empfehlen. Auch andere Fachärzte wie Neurologe, Augenarzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg können je nach abzuklärender Fragestellung konsultiert werden.


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Diagnosebildung

Kraniomandibuläre Dysfunktionen sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur. Die übergeordnete Diagnose „kraniomandibuläre Dysfunktion“ ist demzufolge therapeutisch wenig hilfreich. Eine weitere Subklassifizierung ist zur Wahl der Therapie sinnvoll.

Eine Übersicht über die heute im Rahmen kraniomandibulärer Dysfunktionen möglichen Diagnosen gibt die erweiterte Taxonomie der DC/TMD ([Tab. 7]) [28]. Allerdings ist eine der größten Herausforderungen die Bildung jener Diagnosen aus den gewonnenen Informationen. Wie auch andere Versuche der taxonomischen Erfassung setzen diese Übersichten auf Vollständigkeit der Erfassung pathologischer Veränderungen. Hierbei bleiben deren Häufigkeit, diagnostische Abgrenzbarkeit und therapeutische Relevanz unberücksichtigt. Dadurch leidet die Übersichtlichkeit erheblich, weshalb diese Übersichten für den täglichen Gebrauch nur bedingt geeignet sind.

Tab. 7  Erweiterte physische Taxonomie der DC/TMD nach Peck [28].

Kiefergelenkserkrankungen

Gelenkschmerz

  • Arthralgie

  • Arthritis

Gelenkstörungen

  • Diskusverlagerung (DV):

  • mit Reposition

  • mit Reposition mit intermittierender Blockade

  • ohne Reposition mit eingeschränkter Mundöffnung

  • ohne Reposition ohne eingeschränkte Mundöffnung

Hypomobilitätsstörungen außer Diskusstörungen

  • Adhäsion

  • Ankylose (fibrös/knöchern)

Hypermobilitätsstörungen

  • Dislokation (Subluxation/Luxation)

degenerative Gelenkerkrankungen

  • Osteoarthrose

  • Osteoarthritis

  • systemische Arthritiden

  • Kondylolyse/idiopathische Kondylusresorption

  • Osteochondritis dissecans

  • Osteonekrose

  • Neoplasie

  • synoviale Chondromatose

Frakturen

kongenitale Entwicklungsstörungen

  • Aplasie

  • Hypoplasie

  • Hyperplasie

Kaumuskelerkrankungen

Muskelschmerzen

  • Myalgie

  • lokale Myalgie

  • myofaszialer Schmerz

  • übertragener myofaszialer Schmerz

  • Tendinitis

  • Myositis

  • Spasmus

Kontraktion

Hypertrophie

Neoplasie

Bewegungsstörungen

  • orofaziale Dyskinesie

  • oromandibuläre Dystonie

systemisch/zentral bedingte Schmerzen der Kaumuskulatur

  • Fibromyalgie

  • Widespread Pain

Kopfschmerzen

CMD-assoziierter Kopfschmerz (s. a. ICHD-3)

assoziierte Strukturen

koronoidale Hyperplasie

Dem stehen Taxonomien gegenüber, die sich auf Pathologien mit relevanter Häufigkeit beschränken. Hierzu zählt im deutschsprachigen Raum die 1991 erstmals publizierte und 2006 aktualisierte Nomenklatur der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT), die sich an der Grundstruktur der Internationalen Kopfschmerz-Klassifikation der International Headache Society (IHS) orientiert ([Tab. 8]).

Tab. 8  Diagnosen gemäß der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie [31].

Okklusopathien

gestörte statische Okklusion

gestörte dynamische Okklusion

Pressen

Knirschen

Myopathien

Druckdolenz einer oder mehrerer funktioneller Muskelgruppen

Arthropathien

Diskusverlagerung

  • mit Reposition

  • ohne Reposition

Arthrose

  • aktiviert

  • inaktiv

Kapsulitis

Kondylusverlagerung

  • nach kranial

  • nach kaudal

Kondylushypermobilität

Kondylusluxation

Bis jetzt ist es hierfür allerdings noch nicht gelungen, einen nachgewiesen zuverlässigen diagnostischen Pfad von den einzelnen Befunden zur konkreten Diagnose zu bilden. Ahlers und Jakstat versuchten, mittels typischen, wahrscheinlichen und begleitenden Befunden bzw. Symptomen und einem Diagnosepiloten, diese Problematik anzugehen. Die Operationalisierung – und damit eine von der individuellen Meinung und Erfahrung weitgehend unabhängige, von subjektiver Bewertung losgelöste Diagnosestellung – gelang ihnen aber nicht [5]. Damit bieten sie einen Mehrwert gegenüber der überwiegenden Mehrzahl der in Deutschland verfügbaren Befunderhebungssysteme, die oftmals nur eine strukturierte Erfassung relevanter Daten, aber nicht deren operationalisierte Wandlung in Diagnosen unterstützen. Die Bildung einer konkreten Diagnose unterliegt jedoch weiterhin dem Ermessen des individuellen Zahnarztes und ist hierdurch erheblich von dessen bisheriger Erfahrung und seinem Wissen abhängig.

In Kenntnis dieses Problems wurden vor über 20 Jahren von diversen internationalen Fachgesellschaften, darunter auch der European Academy of Craniomandibular Disorders, Anstrengungen unternommen, für die häufigsten Diagnosen reliable Kriterien zu schaffen. Dies resultierte in den Research Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders (RDC/TMD), die 1992 publiziert wurden [16]. Diese Kriterien waren primär zur Erlangung einer besseren Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse gedacht und haben sich zum De-facto-Standard in der internationalen CMD-Forschung entwickelt.

Im Jahr 2014 wurde nach langem Ringen die Nachfolgeversion, die um das „Research“ gekürzten DC/TMD, publiziert [17]. Diese Version befindet sich derzeit in Übersetzung in die deutsche Sprache und kann nach erfolgreicher Validierung unter www.rdc-tmdinternational.com kostenfrei bezogen werden.

Grundsätzlich stellen die DC/TMD ebenfalls eine strukturierte Erfassung spezifischer Befunde dar, bieten aber 2 derzeit einzigartige Vorteile: Es bestehen einerseits präzise Anweisungen, wie, wo und mit welcher Kraft die Untersuchungen erfolgen sollen. Andererseits existieren operationalisierte Diagnosekriterien, die eine nach dem aktuellen Wissensstand möglichst zuverlässige Bildung der häufigsten Diagnosen ermöglichen ([Tab. 9]). Eine detaillierte Darstellung der Diagnosealgorithmen wurde bereits in deutscher Sprache publiziert [29], [30].

Tab. 9  Kriterien für Diagnosen der Achse I gemäß den DC/TMD [17].

Diagnose

Anamnese

Befunde

Schmerzhafte Diagnosen

Myalgie (Sensitivität: 90 %; Spezifität: 99 %)

Schmerzen im Kausystem, die sich durch Kieferbewegungen, unter Belastung oder bei parafunktionellen Aktivitäten beeinflussen lassen

Angabe von bekannten Schmerzen im Bereich der Mm. temporales oder masseterici bei

  • Palpation dieser Muskeln

  • maximaler aktiver oder passiver Mundöffnung

myofaszialer Schmerz mit übertragenem Schmerz (Sensitivität: 86 %; Spezifität: 98 %)

siehe Myalgie

Angabe von bekannten Schmerzen auf Palpation im Bereich der Mm. temporales oder masseterici. Angabe von Schmerzen außerhalb der anatomischen Grenzen des palpierten Muskels (z. B. übertragen zu einem Zahn)

Arthralgie (Sensitivität: 89 %; Spezifität: 87 %)

siehe Myalgie

Angabe von bekannten Schmerzen im Kiefergelenk bei

  • Palpation der Kiefergelenke

  • maximaler aktiver oder passiver Mundöffnung, Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

CMD-assoziierter Kopfschmerz (Sensitivität: 89 %; Spezifität: 87 %)

Kopfschmerzen im Temporalisbereich, die sich durch Kieferbewegungen, unter Belastung oder bei parafunktionellen Aktivitäten beeinflussen lassen

Angabe von bekannten Kopfschmerzen im Bereich der Schläfen bei

  • Palpation der Mm. temporales

  • maximaler aktiver oder passiver Mundöffnung, Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Anmerkung: Zusätzlich muss eine weitere schmerzhafte CMD-Diagnose vorliegen.

Schmerzfreie Diagnosen

Diskusverlagerung mit Reposition (Sensitivität: 34 %; Spezifität: 92 %)

Geräusche in den Kiefergelenken

knackende Geräusche bei

  • Mundöffnung und Mundschluss

  • Mundöffnung oder Mundschluss und bei Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Diskusverlagerung mit Reposition und intermittierender Mundöffnungseinschränkung (Sensitivität: 38 %; Spezifität: 98 %)

Geräusche in den Kiefergelenken und temporäre Mundöffnungsbehinderung

knackende Geräusche bei

  • Mundöffnung und Mundschluss

  • Mundöffnung oder Mundschluss und bei Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Diskusverlagerung ohne Reposition und mit Mundöffnungseinschränkung (Sensitivität: 80 %; Spezifität: 97 %)

Mundöffnungseinschränkung mit aktueller oder früherer Behinderung der Fähigkeit zu essen

maximale passive Mundöffnung unter 40 mm

Diskusverlagerung ohne Reposition und ohne Mundöffnungseinschränkung (Sensitivität: 54 %; Spezifität: 79 %)

Mundöffnungseinschränkung mit aktueller oder früherer Behinderung der Fähigkeit zu essen

maximale passive Mundöffnung 40 mm oder mehr

degenerative Gelenkerkrankung (Sensitivität: 55 %; Spezifität: 61 %)

vorhandene Geräusche in den Kiefergelenken

Reiben während der maximalen aktiven Mundöffnung, Seitwärts- oder Protrusionsbewegung

Subluxation (Sensitivität: 98 %; Spezifität: 100 %)

Mundschlussbehinderung in weit geöffneter Position, die sich durch Manipulation lösen lässt

Bei klinischem Vorliegen der Störung ist ein Manöver zur Deblockade notwendig.

Insbesondere die Algorithmen sind ein Meilenstein bei der Diagnosebildung von CMD. Dabei sollte aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass neben diesen häufigen und abgrenzbaren Diagnosen viele Differenzialdiagnosen bestehen, deren Abgrenzung mittels operationalisierter diagnostischer Kriterien noch nicht gelungen ist. Deshalb kann auf diese Diagnosekriterien nicht blind vertraut werden, da eine Sensitivität und Spezifität von nahezu 100 % bei vielen der Diagnosen noch nicht erreicht wurden. Die individuelle klinische Erfahrung wird deshalb weiterhin eine erhebliche Rolle spielen.

Leider lehnen einige Meinungsbildner eine Standardisierung der Diagnosebildung mit der Begründung der Individualität des Patienten vehement ab. Ohne Standardisierung der Diagnosebildung sind jedoch der Vergleich von Therapieerfolgen und die Wahl der passenden Therapie erheblich erschwert.

Merke

Durch die Operationalisierung der Diagnosebildung wird eine vom individuellen Behandler weitgehend unabhängige und damit interindividuell vergleichbare Diagnose mit bekannten Gütekriterien erlangt.


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Abrechnung

Entsprechend § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V dürfen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für funktionsanalytische Leistungen (Analyse der Kiefergelenke, der Kaumuskulatur und umgebender Strukturen) nicht übernehmen. Eine Diagnose ist für die Veranlassung einer Therapie aber eine Conditio sine qua non. Damit eine medizinisch sinnvolle Diagnostik, insbesondere eine umfassende Anamnese, erfolgen kann, ist aus wirtschaftlicher Sicht eine Privatliquidation dieser Leistungen unumgänglich. Die Berechnung dieser Leistungen erfolgt aus diesem Grund auch für GKV-Versicherte nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ, Stand: 2012).

In der Regel werden bei der Erstvorstellung eines Patienten mit Verdacht auf CMD eine Kontrolluntersuchung, Aufklärung, Kosteninformation sowie die Anfertigung einer Panoramaschichtaufnahme erfolgen, Leistungen, die auch im Rahmen der GKV liquidiert werden können. In einer nachfolgenden Sitzung erfolgen dann eine ausführliche Anamnese und eine Ergänzung der bereits erhobenen Befunde zur Komplettierung der Standarddiagnostik.

Für die klinische Funktionsanalyse inklusive Dokumentation ist die Position GOZ 8000 vorgesehen. Die Leistung nach GOZ 8000 umfasst die prophylaktische, prothetische, parodontologische und okklusale Befunderhebung, funktionsdiagnostische Auswertung von Röntgenaufnahmen des Schädels und der Halswirbelsäule sowie klinische Reaktionstests (z. B. Resilienztest, Provokationstest), wobei die BZÄK in ihrem Kommentar zur GOZ eine formgebundene Dokumentation (z. B. mittels der bereits erwähnten Erhebungsbögen) empfiehlt.

Eine CMD-Vorsorgeuntersuchung (Screening) erfüllt nicht die Anforderungen an die GOZ 8000. Eine Übersicht zu zusätzlich berechnungsfähigen Leistungen ist in [Tab. 10] dargestellt. Diese ist nicht konform mit der Auffassung des Verbands der privaten Krankenversicherung, der ein psychosomatisches Screening und das Screening des kraniozervikalen Systems als Bestandteile der klinischen Funktionsanalyse und damit der GOZ 8000 ansieht. Das CMD-Screening wird vonseiten des Verbands als Bestandteil der GOZ 0010 betrachtet (Stand: April 2016).

Tab. 10  Gemäß dem Kommentar der BZÄK (Stand: Juli 2016) zusätzlich zur GOZ 8000 berechnungsfähige Leistungen.

Leistungen

Abrechnungsziffer

eingehende Untersuchung

GOZ 0010, alternativ GOÄ 6

Beratung

GOÄ 1

symptombezogene Untersuchung

GOÄ 5

Röntgenuntersuchungen

GOÄ 5000 ff

Abformung für Situationsmodelle

GOZ 0060

Vitalitätsprüfung

GOZ 0070

Parodontalstatus

GOZ 4000

manuelle Strukturanalyse

GOZ § 6 Abs. 1

Tests zur Aufdeckung orthopädischer Cofaktoren

GOZ § 6 Abs. 1

Tests zur Aufdeckung psychosomatischer Cofaktoren

GOZ § 6 Abs. 1

CMD-Screening zur Überprüfung des Vorhandenseins spezifischer Symptome kraniomandibulärer Dysfunktionen

GOZ § 6 Abs. 1

Für weiterführende Maßnahmen zur klinischen Funktionsanalyse (z. B. manuelle Strukturanalyse) wird vom Verband der privaten Krankenversicherungen zur analogen Verwendung die Position 8000 empfohlen.

Je nach Komplexität der Krankengeschichte sollte für die Standarddiagnostik inklusive Aufklärungsgespräch 60 (schmerzfreies Knacken) bis 90 Minuten (multiple Vorbehandlungen, psychosomatisch auffällige Personen) eingeplant werden. Um den Zeitaufwand planbarer zu gestalten, ist es ratsam, dem Patienten bei der Erstvorstellung bereits die Fragebögen zur Anamnese und psychosozialen Diagnostik auszuhändigen, die dieser aber erst einen Tag vor dem Untersuchungstermin komplettieren und dann zum Termin mitbringen soll. Dies erlaubt sowohl eine strukturierte und zeiteffektive Anamnese als auch eine objektivierte Bewertung der psychosozialen Parameter.

Fazit

Diagnostische Instrumente bzw. Verfahren zur Diagnosebildung sollten zum Wohl des Patienten eine zuverlässige Diagnosebildung ermöglichen. Die Diagnose sollte daher primär auf den Informationen aus der Standarddiagnostik basieren. Dazu zählen eine umfassende schmerzbezogene Anamnese, eine psychosoziale Diagnostik, eine klinische Funktionsanalyse, eine klinische Okklusionsanalyse und eine Panoramaschichtaufnahme.

Die Untersuchungsmethoden der erweiterten Diagnostik eignen sich derzeit mangels ungeklärter Fragen hinsichtlich ihrer Gütekriterien bzw. der therapeutischen Relevanz nicht für den Routineeinsatz und sollten spezifischen Fragestellungen bzw. in der Funktionsdiagnostik sehr erfahrenen Personen vorbehalten bleiben, da ansonsten das Risiko einer Fehlversorgung besteht. Auch die Diagnosebildung sollte, insofern derzeit möglich, auf Algorithmen basieren, die bekannte Gütekriterien aufweisen.

Nichtsdestotrotz ist das Wissen des Untersuchers zur differenzialdiagnostischen Abklärung und Prüfung der Plausibilität im Einzelfall unverzichtbar. Insbesondere die differenzialdiagnostische Abklärung bzw. die Suche nach auslösenden und unterhaltenden Faktoren erfordert oftmals eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und viel Fingerspitzengefühl bei der ausführlichen Anamnese.

Danksagung

Ich danke Herrn Ingolf Riemer für die Unterstützung bei der Anfertigung und Bearbeitung der fotografischen Aufnahmen.


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Über die Autoren:

Oliver Schierz

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Dr. med. dent.; 1995–2000 Studium der Zahnmedizin an der Universität Leipzig. Seit 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde an der Universität Leipzig. 2005 Ernennung zum Oberarzt und Leitung der klinischen studentischen Ausbildung. Schwerpunkte: Funktionsdiagnostik, mundgesundheitsbezogene Lebensqualität, klinische Forschung.

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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  • 31 Ludwig E. Kraniomandibulare Dysfunktion – Diagnostik und Therapie aus der Sicht des Zahnarztes. Manuelle Therapie 2006; 10: 200-202

Korrespondenzadresse

Dr. med. dent. Oliver Schierz
Universitätszahnmedizin Leipzig
Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde
Liebigstr. 12
04103 Leipzig
Phone: 03 41/9 72 13 00   
Fax: 03 41/9 72 13 09   

  • Literatur

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  • 31 Ludwig E. Kraniomandibulare Dysfunktion – Diagnostik und Therapie aus der Sicht des Zahnarztes. Manuelle Therapie 2006; 10: 200-202

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Abb. 1  Zusammenhang zwischen Reliabilität und Validität.
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Abb. 2  Diagnostisches Stufenschema der DGSS für Patienten mit Kaumuskel- und Kieferschmerzen.
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Abb. 3  Achsen der CMD-Diagnostik. Patienten mit physisch sehr ausgeprägten Befunden können eine nur geringe Beeinträchtigung zeigen, während andere mit physisch geringen Auffälligkeiten eine hohe Beeinträchtigung aufweisen (Sterne).
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Abb. 4  Schmerzzeichnung der DGSS, Erfassung der Schmerzlokalisation und Schmerzausstrahlung.
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Abb. 5  Numerische Analogskala zur Erfassung der Schmerzintensität.
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Abb. 6  a–f Deviation und Deflexion bei der Mundöffnungsbewegung. Zur Orientierung kann ein Lineal oder ein schmaler Instrumentengriff als Hilfe für den „normalen“ Bewegungskorridor (± 2 mm) genutzt werden (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer).
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Abb. 7  a–h Beispiele für die Formenvielfalt humaner Kondylen (© Universitätsklinikum Leipzig AöR/Fotograf: I. Riemer; Bildmaterial: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle [19]).
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Abb. 8  Darstellungen unterschiedlicher Kasuistiken im Bereich der Kondylen. a Normales Kiefergelenk, b Hypoplasie, c Arthrose, d Chondromatose mit Kalzifizierungen (siehe punktuelle Aufhellungen im Bereich der Position des Discus articularis), e Kollumfraktur.
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Abb. 9  Resilienztest nach Gerber für das linke Kiefergelenk (grün: Zinnfolie; rot: Prüffolie).
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Abb. 10  DVT des linken Kiefergelenks, Fragment einer alten Kondylusfraktur.
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Abb. 11  Darstellung beider Kiefergelenke in der CT in koronaler Schnittrichtung. Subkortikale Sklerose im rechten Kondylus (man beachte die weißen Ausziehungen aus der Kortikalis als Anzeichen einer intermediären Osteoarthrose) und verminderter Gelenkspalt im rechten Kiefergelenk, linkes Kiefergelenk normal (gut gerundeter Kondylenkopf mit gut definiertem kortikalem Rand).
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Abb. 12  MRT des Kiefergelenks mit anteriorer Diskusverlagerung ohne Reposition (T1-Wichtung, Schnittführung parasagittal-oblique) in geschlossener (a), halboffener (b) und maximal offener Mundöffnungsposition (c). Kreuz: Kondylus; Strichlinie: Diskus.