Z Orthop Unfall 2016; 154(04): 323-324
DOI: 10.1055/s-0042-112646
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Strahlenschutz – „Viele Krankenhäuser müssen mehr tun.“

Further Information

Publication History

Publication Date:
30 August 2016 (online)

 

    Chirurgen und ihre Arbeitgeber müssen sich viel mehr um die Einhaltung der Vorschriften zum Strahlenschutz kümmern – meint Alexander Joeris von der AO Foundation. Schließlich geht es hier um die eigene Gesundheit.


    #
    Zoom Image
    Dr. med Alexander Joeris (Jahrgang 1973) ist Head of „Medical Affairs und Health Economics“ beim Institut Clinical Investigation and Documentation (AOCID) der AO Foundation in Dübendorf bei Zürich. Der gebürtige Eifeler (aufgewachsen in Olef) lebt und arbeitet seit 2001 in der Schweiz, wo er auch seinen Facharzt für Kinderchirurgie machte.

    ? Sie haben Ende letzten Jahres Ergebnisse einer Umfrage zum Strahlenschutz im OP vorgestellt – ist das jetzt auch ein Thema für die AO Foundation?

    Ja, das ist schon länger ein Thema für die Foundation, vor allem für das AO Education Institute. Die primäre Aufgabe im CID ist die klinische Forschung auf dem Gebiet der Unfallchirurgie und Orthopädie. Das Thema Strahlenschutz wurde aber auch an uns aus einer Expertengruppe in einem anderen Institut der Foundation – dem AOTK System in Davos – herangetragen. Es ist wiederum das Institut in der AO, das sich vorrangig mit der Entwicklung und Weiterentwicklung von Implantaten, Instrumenten und Technologien unter der Führung von unabhängigen Chirurgen beschäftigt. Die dortige „Computer assisted and image guided surgery expert group“ hatte uns vorletztes Jahr den Auftrag gegeben, eine Literaturstudie zu erstellen zur Frage, was zur Strahlungsexposition und dadurch bedingte Risiken von Traumachirurgen bekannt ist.

    ? Und?

    Wir mussten leider feststellen, dass die Evidenz dazu sehr niedrig ist, es gibt kaum aussagekräftige Studien. Und wenn es welche gibt, dann werden da unterschiedliche Einheiten gewählt, die Methoden sind teilweise schlecht und nicht vergleichbar, da brauchen wir auf jeden Fall methodisch bessere Erhebungen und Forschung.Mir kam dann die Idee, zu dem Thema auch einmal die Teilnehmer der AO Kurse im Dezember 2014 in Davos zu befragen. Zwei Wochen lang kommen Chirurgen aus aller Welt nach Davos und nehmen an Kursen teil.

    ? Haben Sie einen Fragebogen verteilt?

    Nein, den haben die Chirurgen direkt auf dem iPad am Stand ausgefüllt. Wir hatten einen Stand im Kongresszentrum. Unsere Mitarbeiter haben die Chirurgen angesprochen, 532 Leute haben mitgemacht.

    ? War das eine statistisch relevante Stichprobe?

    Ich denke ja. Wir haben den Survey über 2 Wochen durchgeführt, an die 1800 bis 2000 Chirurgen nehmen in den 2 Wochen teil. Die Teilnehmer der Kurse kommen aus aller Welt. Wir haben sie für unsere Umfrage nach Regionen aufgeteilt, wie es auch die AO Foundation macht: Europa, Nordamerika, Südamerika, mittlerer Osten und Asien-Pazifik.

    ? Den Leser der ZfOU interessiert vor allem die Lage hierzulande, also in Mitteleuropa.

    Von den Befragten kommen 50 % aus Europa, wir gehen davon aus, dass wir die Ergebnisse auch auf Deutschland übertragen können.

    ? Welche Ergebnisse?

    Der Grad an Unkenntnis und die Nichteinhaltung von eigentlich vorgeschriebenen Schutzvorschriften sind hoch. Von den 532 Teilnehmern waren über 90 % Männer, 88,5 %war zwischen 25 und 54 Jahren alt. Fast jeder Dritte meinte, die intraoperative Bildgebung sei mittlerweile bei einem Großteil der Operationen nötig. Und immerhin 72 % macht sich Sorgen um die eigene berufliche Strahlenbelastung. Aber gerade mal 21 %, nur jeder Fünfte, trägt immer ein Dosimeter. Nur jeder Dritte trägt den nötigen Schilddrüsenschutz, und nur knapp 2 von 3 tragen immer eine Bleischürze. 83 % verwendet keine Schutzbrille. Auch Handschuhe werden nach unserem Survey kaum getragen.

    ? Das ist schon erstaunlich, zumal es ja klare Vorschriften für die Schutzmaßnahmen gibt. Sind Ärzte besonders nachlässig mit ihrer eigenen Gesundheit?

    Es wirkt so, ja. Ich glaube, dahinter steckt eine Kombination aus Unwissenheit und Sorglosigkeit.

    ? Unwissenheit, und das bei Ärzten?

    Ja. Das Einzige, was einen Einfluss auf das Tragen von Dosimetern hatte, waren hausinterne Fortbildungen. Wenn es die in einer Klinik gab, stieg die Zahl derer, die sich an Schutzvorschriften hielten, deutlich an.

    ? Fortbildungen und Schulungen, die womöglich längst nicht alle Kliniken machen?

    Das deutet darauf hin, ja. Dabei sind solche Schulungen und Einführungen Vorschrift. Ich glaube, dass das Thema mancherorts noch stiefmütterlich behandelt wird.

    ? Angenommen, Sie würden heute in der Schweiz oder in Deutschland mit einem C-Bogen operieren. Es ist dann Pflicht, ein Dosimeter zu tragen, das fordert die Röntgen- und Strahlenschutzverordnung.

    Ja, aber das kontrolliert keiner oder es wird zumindest zu selten kontrolliert. Ich selber kenne Situationen am OP-Tisch, wo nur die Oberärzte ein Dosimeter hatten. Wenn aber das Tragen von Dosimetern nicht konsequent eingehalten wird, führt das am Ende womöglich sogar zu verzerrten Datenlagen. Ich kenne allerdings auch Kollegen, die ihr Dosimeter sorgfältig tragen. Dieser nachlässige Umgang ist im Übrigen nicht immer Absicht. Hinzu kommt das Risiko, dass das Thema in der Hektik des medizinischen Alltags vergessen wird. Man muss jetzt schnell in den OP und dann wird das halt vergessen.

    ? Aber hier geht es doch um Vorschriften?

    Richtig. Es sollte eigentlich in jedem Krankenhaus Strahlenschutzrichtlinien und einen Strahlenschutzbeauftragten geben. Und das Tragen von Dosimetern in Räumen, in denen Geräte nach Röntgenverordnung Verwendung finden, etwa C-Bögen, das ist Pflicht. Diese Geräte für die intraoperative Bildgebung, sind klar auf dem Vormarsch. Die Geräte kommen in der Orthopädie und Traumatologie häufig und in zunehmendem Maße zum Einsatz, unter anderem weil immer mehr Eingriffe minimal-invasiv gemacht werden.

    ? Die Patienten werden vor der OP über den möglichen Einsatz solcher Geräte sicher aufgeklärt, und dann auch über das Risiko einer Strahlenbelastung.

    Ja. Für die Patienten wird immer versucht, die Strahlung zu reduzieren. Die Belastung für das Personal ist hingegen oft kaum Thema, dabei wird das Personal, das den ganzen Tag mit den Geräten hantiert, kumulativ womöglich einer viel höheren Strahlenbelastung ausgesetzt als die Patienten. Das wird oft vergessen.

    ? Und da gibt es keinen Teamleiter, der sagt: „Hallo – Sie haben Ihre Brille und ihre Bleischürze vergessen?“

    Das muss sicher von oben kommen, ja. Bei der Schutzkleidung kommt noch ein Aspekt hinzu, da entscheiden nach meinem Eindruck zu oft Personen über den Einkauf, die keine Ahnung haben, welche Schürzen wirklich geeignet sind. Stellen Sie sich vor, Sie stehen da womöglich Stunden in einem OP, eine traumatologische OP, die auch physisch sehr fordernd sein kann. Und Sie haben dann die ganze Zeit eine Schürze an, die viele Kilos wiegt. Es gibt viel leichtere Modelle, aber die Ärzte werden nicht gefragt, da bestellt halt irgendwer irgendwas, weil es vielleicht billiger ist. Und das trägt natürlich nicht zur Compliance der Chirurgen bei.

    ? Haben Sie je erlebt, dass Jemand aufgrund zu hoher Dosimeterwerte zum Gespräch musste?

    Nein, ich nicht. Es haben aber in unserem Survey 12 % der Chirurgen angegeben, dass sie die Grenzwerte überschritten hatten. Ein paar wenige haben gesagt, dass sie schon mal für eine Zeit lang nicht operieren durften, weil die Dosis zu hoch war.

    ? Zwischen den 5 Regionen weltweit bei Ihrer Umfrage, haben Sie da Unterschiede zum Umgang mit dem Strahlenschutz gesehen?

    Ja. Chirurgen in der Region Asien-Pazifik, in Südamerika und Mittlerem Osten machen sich nach unserem Survey mehr Sorgen zum Thema Strahlenbelastung als ihre Kolleginnen und Kollegen in Europa. Man könnte den Eindruck gewinnen, der alte Kontinent geht offenbar besonders nachlässig mit diesem Thema um. Wir wissen nicht, was die Gründe dafür sind, brauchen da aber auf jeden Fall viel mehr Anleitung und Aufklärung.

    Das Interview führte Bernhard Epping

    Informationen zum AOCID

    #
    Zoom Image
    Dr. med Alexander Joeris (Jahrgang 1973) ist Head of „Medical Affairs und Health Economics“ beim Institut Clinical Investigation and Documentation (AOCID) der AO Foundation in Dübendorf bei Zürich. Der gebürtige Eifeler (aufgewachsen in Olef) lebt und arbeitet seit 2001 in der Schweiz, wo er auch seinen Facharzt für Kinderchirurgie machte.