Z Orthop Unfall 2016; 154(04): 326-329
DOI: 10.1055/s-0042-112141
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tipps zum Strahlenschutz – „Immer entgegen der Richtung der Nutzstrahlung stehen.“

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Publication Date:
30 August 2016 (online)

 

    Beatrix Kattinger vom Regierungspräsidium Stuttgart schildert aktuelle Defizite im Strahlenschutz und gibt Tipps für Beschäftigte.


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    Die Diplom-Ingenieurin Beatrix Kattinger arbeitet seit 2002 in der Fachgruppe Strahlenschutz, früher beim Gewerbeaufsichtsamt, heute im RP Stuttgart. Die gebürtige Stuttgarterin (Jahrgang 1958) referiert darüber hinaus zum Thema Strahlenschutz in Fachkundekursen für Mediziner und OP-Personal.

    ? Was genau ist Ihre Tätigkeit?

    Als Mitarbeiterin des Regierungspräsidiums Stuttgart besuchen wir Kliniken und Arztpraxen und kontrollieren die Voraussetzungen für den Betrieb der Röntgengeräte. Wir überprüfen die Organisation, wer ist in welchem Bereich tätig, und welche Ausbildungen und Qualifikationen haben die anwendenden Personen. Die Überwachung der Strahlenbelastung für die Beschäftigten wird beim Helmholtz Zentrum München durchgeführt. Bei Dosisüberschreitungen wird das Regierungspräsidium Stuttgart informiert.

    ? Wie beurteilen Sie die Lage zum Strahlenschutz in den hiesigen Kliniken und Praxen?

    Ich sehe durchaus noch Defizite.

    ? Steigt die Strahlenbelastung, die durch die C-Bögen in den OPs verursacht wird?

    Im OP kommen mobile C-Bögen oder fest installierte C-Bögen, wie zum Beispiel im Herzkatheterlabor, zum Einsatz. Je länger die Durchleuchtung dauert, desto höher ist die Strahlenbelastung für das Personal. An angiografischen Arbeitsplätzen kann es zu hohen Durchleuchtungszeiten kommen. Bei Einhaltung aller Strahlenschutzmaßnahmen kommen in der Regel keine Überschreitungen der Grenzwerte vor.

    ? Kommen wir zur Praxis für die Beschäftigten. Wer alles im Klinikum muss ein Dosimeter tragen? Nehmen wir an, da ist ein chirurgischer OP, in dem der C-Bogen ab und an zum Einsatz kommt. Muss der Arzt, der da rein soll, ein Dosimeter tragen?

    Ja, unbedingt. OP-Personal zählt in der Regel zu Beschäftigten der Kategorie B der Röntgenverordnung, für die man annimmt, dass sie im Jahr zwischen 1 bis maximal 6 mSv an Strahlenbelastung abbekommen könnten. Sie müssen ein Dosimeter tragen, wenn sie sich im Kontrollbereich aufhalten.

    ? Auch wenn der C-Bogen mal nicht da ist?

    Wenn der C-Bogen eingesetzt werden könnte, muss jeder Mitarbeiter das Dosimeter tragen. Ist hingegen schon vorher klar, dass bei einer OP kein C-Bogen zum Einsatz kommt, kann er das Dosimeter und natürlich auch die Schutzkleidung für die Zeit ablegen.

    ? Wer ist dafür zuständig, das zu managen? Darauf zu achten, dass alle sich an diese Spielregeln halten?

    Die oberste Zuständigkeit liegt beim Betreiber einer Anlage. Er ist der Strahlenschutzverantwortliche. Das wäre hier beim Klinikum Stuttgart zum Beispiel unser OB.

    ? Der kennt sich jetzt womöglich beim Thema Strahlenschutz nicht so detailliert aus.

    Die Zuständigkeitskaskade geht daher weiter. Der Betreiber bestellt den Geschäftsführer als Strahlenschutzbevollmächtigten. Und der muss dafür sorgen, dass für alle Abteilungen entsprechende Strahlenschutzbeauftragte bestellt werden.

    ? Die Orthopädie und Unfallchirurgie im Krankenhaus hätte damit einen eigenen Strahlenschutzbeauftragten?

    Ja. Das kann der Chefarzt sein, kann aber auch ein anderer Arzt sein. Die Bedingung ist immer die Fachkunde im Strahlenschutz. Jede Abteilung, auf der Geräte zum Einsatz kommen, braucht mindestens einen Strahlenschutzbeauftragten.

    ? Und wie erhält man die Qualifikation?

    Es sind 3 Kurse zu absolvieren, ein Kenntniskurs, ein Grund-, und ein Spezialkurs. Sie brauchen 1 Jahr dafür, weil sie nach dem Kenntniskurs noch die Sachkunde absolvieren – eine Zeit der praktischen Erfahrung. Für die Notfalldiagnostik, also die kleinste Sachkunde, müssten Sie da mindestens 1 Jahr lang eine bestimmte Anzahl von Aufnahmen machen und unter Aufsicht eines fachkundigen Arztes mitbefunden. Die Unterlagen über die 3 Kurse plus die bestätigte Sachkundezeit schicken Sie an die Ärztekammer, dort wird Ihnen die Fachkunde im Strahlenschutz auf einem bestimmten Gebiet anerkannt.Wer die Fachkunde im Strahlenschutz hat, muss sie übrigens alle 5 Jahre aktualisieren. Für Ärzte ist das ein achtstündiger Kurs.

    ? Der Strahlenschutzbeauftragte ist auch der, den ich fragen kann, wenn ich den Eindruck habe, da läuft was nicht rund mit dem Strahlenschutz im OP?

    Ja, er ist quasi wie der Betriebsrat oder die Fachkraft für Sicherheit, die ich fragen kann. Der Strahlenschutzbeauftragte muss außerdem für alle Personen, die sich im Kontrollbereich aufhalten, jährlich eine Unterweisung durchführen.

    ? Nun kann der aber kaum vor jedem OP stehen und ständig alles kontrollieren, schauen, ob jeder sein Dosimeter an hat?

    Richtig. Deshalb muss jeder Arzt, der im OP mitentscheidet, wann der C-Bogen zum Einsatz kommt, ebenfalls die Fachkunde im Strahlenschutz haben. Sodass mindestens einer im Team dann auch im OP dafür sorgen kann und muss, dass die Vorschriften beim Einsatz ionisierender Strahlung eingehalten werden. Der Betreiber hat dafür zu sorgen, dass genügend geschultes Personal vorhanden ist. Angenommen, wir würden nachweisen, dass keine Ärzte mit Fachkunde bei der Anwendung ionisierender Strahlen anwesend sind, dann dürfte ein Gerät nicht mehr betrieben werden. Das Regierungspräsidium kann dem Betreiber die Betriebserlaubnis entziehen.

    ? Kommt das vor?

    Sehr selten, in Einzelpraxen ja.

    ? Jeder fachkundige Arzt im OP ist zuständig dafür – „Leute, ihr geht jetzt raus und holt die Dosimeter und die Schutzkleidung.“ Doch genau da läuft es offenbar nicht immer rund, wie Umfragen zeigen.

    Und da ist das Problem, dass es im Alltag im chirurgischen OP schon mal schnell heißt, jetzt hol mal eben den C-Bogen, obwohl keiner im Team die Fachkunde hat.

    ? Gibt es dafür Sanktionen?

    Wenn die Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde davon erfahren, wird der Strahlenschutzverantwortliche zur Stellungnahme angeschrieben, gegebenenfalls wird der Sachverhalt vor Ort geklärt.

    ? Laut Richtlinien und Röntgenverordnung muss die berufliche Strahlenbelastung unter 20 mSv im Jahr bleiben.

    Ja, die Beschäftigten tragen ein Dosimeter unter ihrer Strahlenschutzschürze, und die Auswertung des Dosimeters muss monatlich durchgeführt werden. Die Filmplaketten werden beim Helmholtz Zentrum München in Oberschleißheim ausgewertet. Sobald die Werte ein Zehntel der jährlichen Grenzdosis erreichen, also 2 mSv – werden wir informiert. Der Strahlenschutzverantwortliche wird dann von uns angeschrieben und gegebenenfalls auch vor Ort überprüft.

    ? Sie gehen dann vor Ort?

    Meistens wird der Strahlenschutzverantwortliche erst einmal schriftlich informiert, dass ein Dosissignal bei einem seiner Mitarbeiter aufgetreten ist. Die meisten Informationen vom Helmholtz Zentrum beziehen sich auf nicht auswertbare Dosimeter, weil sie zum Beispiel mitgewaschen wurden.

    ? Erfahren die Träger der Dosimeter von ihren Werten?

    Das ist die Aufgabe des Strahlenschutzbeauftragten, seine Leute zu informieren. In meinen Kursen frage ich gelegentlich – kennen Sie ihre dosimetrischen Auswertungen? Und dann sagen überraschend viele, dass sie noch nie nachgefragt haben. Und auf meine Aufforderung, fragen Sie doch mal den Strahlenschutzbeauftragten kommen dann schon mal fragende Blicke und dann die Diskussionen – ja, ist das nicht der, oder der?

    ? Wenn jemand sein Dosimeter nicht trägt, ist das eine Falle auch für die Auswertenden. Dann bleiben die Werte natürlich immer schön niedrig.

    Genau. Der Strahlenschutzbeauftragte hat dafür zu sorgen, dass das Personal die Dosimeter ordnungsgemäß trägt. Bei Zuwiderhandlungen kann er dafür sorgen, dass der Mitarbeiter den Kontrollbereich nicht mehr betreten darf.

    ? Was ist ein Kontrollbereich?

    Es gibt in der Röntgenverordnung 2 Strahlenschutzbereiche. Den Kontrollbereich und den Überwachungsbereich. Ein Kontrollbereich ist immer dort, wo im Jahr mehr als 6 mSv an Dosisleistung auftreten können. Das ist eine theoretisch abgeleitete Leistungsangabe, um einen bestimmten Bereich der Strahlenbelastung zu definieren. Ein Überwachungsbereich ist dort, wo es Werte zwischen 1 bis 6 mSv im Jahr geben kann.

    ? Was für einen Bereich schafft ein C-Bogen?

    Einen Kontrollbereich mit einem Radius von circa 3 Metern um die Röntgenröhre herum. Wie groß der Kontrollbereich ist, hängt vom jeweiligen Gerät ab.Immer dann, wenn das Röntgengerät betriebsbereit ist, und Röntgenstrahlung freigesetzt werden kann, gibt es einen Kontrollbereich. Ist das Röntgengerät hingegen nicht betriebsbereit, dann ist auch kein Kontrollbereich vorhanden.

    ? Erklären Sie bitte die wichtigsten Schutzmaßnahmen.

    Die wichtigste Strahlenschutzmaßnahme im OP ist, Abstand vom Patienten zu halten.Wenn bei einer angiografischen Untersuchung im OP durchleuchtet wird, kann das schon mal eine halbe Stunde dauern. Der Arzt steht dabei relativ nahe am Patienten und muss dort auch bleiben für seine Arbeit. Der fachkundige Arzt könnte zum Beispiel vor Anwendung der Röntgenstrahlen rechtzeitig sagen – „Achtung Schuss, bitte alle Personen, die gerade nicht am Patienten arbeiten müssen, einen Schritt zurücktreten.“Obendrein gibt es bei dosisintensiven Untersuchungen wie an einem Herzkathetermessplatz Dauerschutzeinrichtungen, eine Übertischblende, einen Unterkörperschutz, meist Acrylglasscheiben, die man bei der Durchleuchtung vor sich schieben kann und sollte. Trotzdem muss zusätzlich zu Dauerschutzeinrichtungen immer Schutzkleidung getragen werden.

    ? Welche Schutzkleidung wann? Es gibt die Bleischürze, den Schilddrüsenschutz, dann noch die Schutzbrille. und Handschuhe.

    Der Reihe nach, die Schürze geht vom Halsansatz bis unterhalb der Kniescheibe. Unter der Schürze müssen Sie das Dosimeter tragen, an einer repräsentativen Stelle der Körperoberfläche. Am Rumpf vorne oben. Das wird dort angesteckt.

    ? Warum eigentlich unter der Schürze?

    In Deutschland ist das so geregelt. Weil man die Belastung messen möchte, die womöglich doch noch beim Körper ankommt, wenn man alle Schutzmaßnahmen ergriffen hat.

    ? Bei den Schürzen gibt es offenbar verschiedene Modelle, die leichteren sind besser zu tragen, werden aber wohl von Kliniken aus Kostengründen seltener gekauft.

    Die Schürzen haben einen bestimmten Bleigleichwert. Die normale Schürze hat den Bleigleichwert von 0,35 mmPb, muss allseitig umschlossen sein und vom Halsansatz bis unter die Kniescheibe gehen. Im OP gibt es Sonderregeln, da dürfen die Schürzen 0,25 mmPb Bleigleichwert haben und können auch hinten teilweise offen sein. Das bedingt mehr Tragekomfort weil sie leichter sind.

    ? Dann sind aber trotz Schürze immer noch relevante Körperbereiche frei – Gesicht, Kopf. Hände.

    Ja, der Grenzwert für den ganzen Körper beträgt 20 mSv effektive Dosis im Jahr. Die Grenzwerte für einige Teilkörper sind hingegen höher. Bei den Händen erlaubt die Verordnung einen Wert für die Organdosis von 500 mSv/a. Wenn hier zu erwarten ist, dass ein Drittel der Grenzwerte erreicht werden kann, muss ein Teilkörperdosimeter zur Verfügung gestellt und getragen werden.

    ? Salopp gesagt, der Gesetzgeber findet, die Hände können ruhig ein bisschen mehr abbekommen?

    Ja, denn die Hände sind wesentlich weniger empfindlich gegen Strahlung als der Rumpf.Die Augenlinse wiederum ist sehr empfindlich, bei erhöhter Strahlung steigt das Risiko für einen Katarakt. Eine neue EU-Richtlinie, die bis 2018 umgesetzt werden soll, senkt daher jetzt den Grenzwert für die Augenlinsendosis, die aktuell noch bei 150 mSv liegt, auf 20 mSv im Jahr ab. Das heißt, es müssen jetzt für die Augen eigens Strahlenschutzmaßnahmen ergriffen werden, Sie müssen die Blei-Acrylglasscheiben vor den Geräten nützen oder Schutzbrillen tragen.

    ? Bei den Händen können Handschuhe schützen, andererseits kann man sich vorstellen, dass ein Chirurg mit Schutzhandschuhen Probleme bei seiner Arbeit bekommt.

    Ja, allerdings gibt es auch da brauchbare Modelle. Ein Chirurg in der Humanmedizin kann Handschuhe mit einem Bleigleichwert von 0,05 tragen. Diese Handschuhe sind relativ zart, allerdings sehr teuer. Die Praxis und die Umsetzung ist da eben auch eine Kostenfrage.

    ? Welche Folgen hat es, wenn wirklich am Jahresende mehr als 20 mSv auf einem Dosimeter zusammen kommen?

    Im gesamten medizinischen Bereich, auch bei Hochdosisverfahren, kommen Sie normalerweise nicht an diese Grenzwerte. Chirurgen erreichen auch nicht die 400 mSv an maximaler Lebenszeitbelastung, das sind Werte, die wir allenfalls aus technischen Bereichen kennen.

    ? Was, wenn das OP-Team vergessen hat, die Röntgenröhre abends auszustellen?

    Das kommt nach meiner Erfahrung sehr selten vor. Wenn der Auslöser nicht gedrückt wird, wird auch keine Strahlung freigesetzt.

    ? Man denke an eine Arztpraxis in einem Wohnhaus, wo dann am Wochenende die Strahlung in das Kinderzimmer oben drüber geht.

    Nein, das ist eine irreale Fantasie. Selbst wenn die Röhre noch betriebsbereit wäre, entsteht damit noch lange keine ionisierende Strahlung. Nur wenn Sie auf einen Knopf drücken, wird die Strahlung freigesetzt. Wir haben heute viele technische Sicherungen und Verbesserungen im Strahlenschutz.

    ? Insgesamt also doch alles auf einem guten Weg?

    Die Geräte haben heute viel mehr immanente Sicherheit. Wir haben zum Beispiel auch die Pflicht zur gepulsten Durchleuchtung, es gibt da keine kontinuierliche Strahlung mehr, und auch dadurch kann die Dosis deutlich gesenkt werden. Auch die Detektoren sind wesentlich empfindlicher geworden. All das minimiert die Belastung.

    ? Abschließend noch die Frage der Fragen – wo soll der Arzt beim Einsatz eines C-Bogen am OP-Tisch zwecks Minimierung seiner eigenen Strahlenbelastung stehen?

    Es gibt eine Faustregel. Untersucher sollen entgegen der Nutzstrahlung schauen.

    ? Was ist jetzt bitte die Nutzstrahlung?

    Die Strahlung, die aus der Röntgenröhre kommt. Sie geht durch den Patienten hindurch und ein Teil von ihr landet beim Bildverstärker. Meistens wird gedacht, dass es richtig ist, sich möglichst hinter die Röhre zu stellen, in der irrigen Annahme, dass die Strahlung ja dann von einem weg geht. Aber das ist ganz falsch. Denn dann stehen Sie just in der bevorzugten Richtung der Streustrahlung, kriegen das Gros von ihr ab. Und die bedingt das Gros der Strahlenbelastung.

    ? Streustrahlung ist das, was vom Körper des Patienten zurückkommt?

    Richtig. Und die Hauptstreustrahlung wird entgegen der Richtung der Nutzstrahlung reflektiert. Deshalb ist es günstiger, sich an den Bildverstärker zu stellen und in Richtung der Röhre zu gucken ([1]).

    Das Interview führte Bernhard Epping

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    Abb. 1 Die Abbildung zeigt, wo sich das OP-Personal bei Nutzung eines mobilen C-Bogens am besten hinstellt, um möglichst wenig Strahlung abzubekommen.

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    Abb. 1 Die Abbildung zeigt, wo sich das OP-Personal bei Nutzung eines mobilen C-Bogens am besten hinstellt, um möglichst wenig Strahlung abzubekommen.