Aktuelle Urol 2016; 47(05): 356-357
DOI: 10.1055/s-0042-111910
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Metastasierung unter aktiver Überwachung

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Publication Date:
05 October 2016 (online)

 

Bei wenig aggressiv erscheinenden, asymptomatischen Prostatakarzinomen wird bei ausgewählten Patienten oft die Strategie der aktiven Überwachung mit engmaschiger Kontrolle der sofortigen radikalen Therapie vorgezogen. Letztlich bietet dieses Vorgehen aber keine absolute Sicherheit – kanadische Urologen stellen nun eine Serie vor.
J Urol 2016; 195: 1409–1414


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mit Kommentar

Eine ausschließliche aktive Überwachung scheint bei Patienten mit Anteilen eines Gleason-4-Musters in den Prostata-Stanzbiopsien mit einem erhöhten Risiko für die spätere Entwicklung von Fernmetastasen verbunden zus ein. Zu diesem Schluss kommen Toshihiro Yamamoto et al. (Toronto, Kanada), die seit 1995 prospektiv gesammelte Daten von 980 Patienten ausgewertet haben.

Eingeschlossen wurden Männer mit einem Prostatakarzinom, dem zum Zeitpunkt der Diagnose ein geringes (n = 769) oder intermediäres Risiko (n = 211) zugeschrieben worden war. Bei den Patienten wurde in den ersten 2 Jahren alle 3 Monate und bei unauffälligen Befunden in der Folge alle 6 Monate die PSA-Konzentration im Serum bestimmt. Weiterhin wurde die erste Prostatabiopsie nach 12 Monaten wiederholt; wenn dabei die vorherige Risikoklassifikation bestätigt wurde, erfolgten danach weitere Biopsien alle 3–4 Jahre.

Bei einer Verdopplung der PSA-Werte in weniger als 3 Jahren, einer histologischen Höherklassifikation des Karzinoms und bei klinischer Symptomatik wurde den Patienten eine radikale Intervention (Pros­tatektomie, Strahlentherapie) angeboten. Für die jetzige Analyse beurteilten die Wissenschaftler bei den 980 Männern die Überlebensraten bis zum Auftreten einer Metastasierung und suchten nach möglichen damit verbundenen Faktoren.

Dabei fanden sie nach im Median 6,3 Jahren Fernmetastasen bei insgesamt 30 Männern (3,1%) und bei 14 der 211 Männer mit anfänglich intermediärem Risiko (6,6%). Zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung waren 19 dieser 30 Männer gestorben, 15 davon an ihrem Prostatakarzinom. Elf sind mit bestehenden Metastasen in Behandlung. Die metastasenfreien Überlebensraten nach 10 bzw. 15 Jahren betrugen 95,1% bzw. 91,4%.

Als Risikofaktoren für eine Metastasierung errechneten sich in der multivariaten Analyse eine PSA-Verdopplungszeit von weniger als 3 Jahren (Hazard Ratio [HR] 3,7), ein Gleason-Score von 7 (HR 3,0 vs. Score ≤ 6) und 2 oder mehr positive Stanzzylinder in der ersten Biopsie (HR 2,7).

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Fazit

Bei Prostatakarzinomen mit intermediärem Risiko, vor allem bei einem Gleason-Score von 7 (auch bei einem Muster 3 + 4) scheint ein deutlich erhöhtes Risiko für eine spätere Fernmetastasierung zu bestehen, so die Autoren. Dementsprechend sollte bei diesen Patienten die Indikation zum abwartenden Verhalt sorgfältig überdacht werden. Dabei ist die Nachbeobachtungszeit bislang noch relativ kurz, sodass Diagnosen weiterer Metastasen nicht ausgeschlossen sind. Darüber hinaus war kein standardisiertes Protokoll zum Nachweis von Metastasen vorgesehen, sodass die berichtete Rate sich lediglich auf symptomatisch gewordene Befunde bezieht und also insgesamt ein „Best-Case-Szenario“ darstellt.

Kommentar

Gleason-Muster 4 ist wichtiger Risikofaktor

Die Aktive Überwachung (AS) gewinnt eine zunehmende Bedeutung als Therapieoption bei Patienten mit Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom (PCa). Trotz der Verbreitung gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher AS-Einschlusskriterien und Follow-up-Protokolle. Dies kann mit einer hohen Restunsicherheit im klinischen Alltag einhergehen. In der aktuellen Publikation der Arbeitsgruppe von Laurence Klotz, die große Pionierarbeit auf dem Gebiet der AS geleistet hat, werden valide Langzeitdaten von metastasierten PCa-Patienten präsentiert. Ziel der Studie war, klinische und pathologische Risikofaktoren für das Auftreten einer Metastasierung bei AS-Patienten zu identifizieren.

Gemäß den häufig angewendeten deutschen S3-Leitlinien wird eine AS bei Pa­tienten mit klinischem Stadium T1 bis T2a, PSA ≤ 10 ng / ml, Gleason-Score ≤ 6, maximal 2 positiven Tumorstanzen und ≤ 50% maximaler Tumorlast pro Stanze empfohlen. Diese Einschlusskriterien sind sehr ähnlich zu den Leitlinien der European Association of Urology (EAU), bei denen auch klinische Tumorstadien T2b und T2c eingeschlossen werden dürfen. Bei den PRIAS-Kriterien wird zusätzlich die PSA-Dichte von < 0,2 herangezogen, aber es besteht keine Limitation der Tumorlast pro Stanze.

Im Gegensatz dazu sind die AS-Einschlusskriterien in der AS-Kohorte von Klotz et al. deutlich weniger strikt, denn verwendet werden nur PSA ≤ 10 ng / ml und Gleason-Score ≤ 6. Darüber hinaus wurden im Zeitraum 1995–2000 ≥ 70-jährige Patienten in die Kohorte aufgenommen, bei denen auch erweiterte AS-Einschlusskriterien, d. h. PSA-Werte bis zu 15 ng / ml oder Biopsie Gleason 3 + 4 möglich waren.

Generell werden für die Studienkohorte (n = 980) relativ niedrige Metastasierungsraten von nur 3,1% berichtet. Jedoch lag diese Rate bei 211 Patienten mit intermediärem Risiko bereits bei 6,6% und bei 133 Patienten mit Biopsie Gleason 3 + 4 gar bei 9,8%. Interessanterweise betrug die mediane Dauer bis zur Metastasierung 8,9 Jahre. In multivariabler Analyse waren ein Gleason-Score 7 (HR 3,0), PSA-Verdopplungszeit (PSA-DT) ≤3 Jahre (HR 3,7) und mehr als 2 positive Stanzbiopsien (HR 2,7) unabhängige Prädiktoren einer Metas­tasierung. Umgekehrt war eine Metastasierung bei AS-Patienten mit einem Gleason-Score 6 auch bei erhöhten PSA-Werten praktisch ausgeschlossen. Letzterer Punkt ist insbesondere interessant, weil der Großteil der etablierten AS-Einschlusskriterien stets die statische Grenze von < 10 ng / ml ansetzt. Gerade PSA-Werte sind häufig durch benigne Zustände „artifiziell“ erhöht und daher unspezifisch (z. B. Prostatitis, benigne Prostatahyperplasie). Somit zeigt die Studie auf, dass Gleason 3 + 3 in Kombination mit Werten > 10 (hier bis zu 15 ng / ml) vertretbar sein kann, ohne erhöhtes Risiko.

Weiterhin zeigt die Studie eine hohe Zuverlässigkeit des longitudinalen Parameters der PSA-Verdoppelungszeit unter 3 Jahren. Vor allem zeigt die aktuelle Studie sehr deutlich, dass ein Gleason-Muster 4 einen extrem wichtigen Risikofaktor der Metastasierung darstellt, selbst unter selektierten AS-Patienten, die bei regelrechter AS-Kontrolle im Rahmen des AS-Protokolls identifiziert und behandelt wurden. Diese Ergebnisse sind konsistent mit der kürzlich veröffentlichen Göteborg-Studie, in der AS-Patienten mit intermediärem Risiko ebenfalls das höchste Risiko eines Therapieversagens aufwiesen [1]. Das Problem besteht in der korrekten Stratifizierung bereits bei Erstdiagnose. Indirekte hilfreiche Parameter der Tumorlast sind z. B. die Anzahl und Proportion der positiven Biopsien sowie maximale Tumorlast pro Stanze. Trotz dieser Biopsie-Parameter besteht die Gefahr des Undergradings, die in Zukunft eventuell durch moderne Verfahren, wie z. B. die multiparametrische MRT-3D-Ultraschall-Fusionsbiopsie und / oder genetische Marker, vermieden werden kann.

Eine wichtige Limitation dieser Studie ist die fehlende Information, nach welcher Zeit solche im Verlauf metastasierte Pa- tienten im Rahmen der AS identifiziert wurden, d. h. wie lange solche Patienten tatsächlich im Rahmen einer AS observiert wurden. Auch ist es nachträglich schwer, zwischen einem Undergrading bei Erstbiopsie und einem echten PCa-Progress mit der Zeit zu unterschieden.

Fazit

In Gesamtbeschau zeigt die aktuelle Studie die Validität strengerer AS-Einschlusskriterien mit Einbezug zusätzlicher Biopsie-Parameter als Indikator der Tumorlast, die Bedeutung der Biopsie-Schemata und des Follow-ups. Weitere Studien mit kontemporären Patienten, die nach aktuellen Biopsieschemata mit Gleason 3 + 4 erst- diagnostiziert wurden, sind notwendig, um die Frage zu beantworten, ob die Inklusion von Patienten mit einer kalkulierten Lebenserwartung < 10 Jahre für AS vertretbar ist. Auch offen bleibt das korrekte Follow-up für solche Patienten. Zukünftig kann eine korrekte Stratifizierung durch moderne Verfahren wie z. B. die multiparametrische MRT-3D-Ultraschall-Fusionsbiopsie und / oder genetische Marker erleichtert werden.

Dr. Sami-Ramzi Leyh-Bannurah,
Prof. Dr. Markus Graefen, Hamburg


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Dr. Sami-Ramzi Leyh-Bannurah


ist Assistenzarzt an der Martini-Klinik, Prostatakrebszentrum Hamburg-Eppendorf

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Prof. Dr. Markus Graefen


ist Chefarzt an der Martini-Klinik, Prostatakrebszentrum Hamburg-Eppendorf

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