Z Orthop Unfall 2016; 154(04): 337
DOI: 10.1055/s-0042-110644
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Polytraumamanagement – “Tertiary Survey” des Polytraumamanagements

Contributor(s):
Anica Herlyn
Ferree S, Houwert RM, van Laarhoven JJ et al.
Tertiary survey in polytrauma patients should be an ongoing process.

Injury 2016;
47: 792-796
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Anica Herlyn
Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsmedizin Rostock

Publication History

Publication Date:
30 August 2016 (online)

 

Die retrospektive Kohortenstudie aus den Niederlanden analysiert polytraumatisierte Patienten und unterstreicht die Wichtigkeit der ausführlichen Untersuchung in der dritten Phase (tertiary survey) des Polytraumamanagements.

Ferree S, Houwert RM, van Laarhoven JJ et al. Tertiary survey in polytrauma patients should be an ongoing process. Injury 2016; 47: 792–796


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Einleitung

Die Priorisierung des initialen Schockraummanagements mit der Maxime “treat first what kills first” bringt mit sich, dass nicht lebensbedrohliche Erkrankungen zunächst übersehen werden (dürfen). Trotz Implementierung der CT Polytrauma-Spirale werden ca. 1 – 10 % der Verletzungen nicht während der ersten oder zweiten Phase (primary/secondary survey) erfasst. Beide Begriffe entstammen dem weltweit etablierten ATLS-Konzept (ATLS: advanced trauma life support) und umfassen die standardisierten diagnostischen und therapeutischen Handlungsabläufe im Schockraum. Die dritte Phase stellt die ausführliche Reevaluation des Patienten nach Abschluss der Schockraumdiagnostik dar. Diese kommt nur leider viel zu häufig zu kurz.


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Methodik

Bis dato analysierte keine Studie alle polytraumatisierten Patienten einer Klinik, da zumeist die Patienten, die einer intensivmedizinischen Therapie bedürfen, im Fokus stehen. Die vorliegende Studie an 1416 Patienten eines Schwerverletztenzentrums mit einem ISS (injury severity score) ≥ 16 erfasste alle polytraumatisierten erwachsenen Patienten aus den Jahren 2007 bis 2012, unabhängig von der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Therapie. Wie viele der erfassten Patienten jedoch nicht auf der Intensivstation behandelt werden mussten, bleiben die Autoren dem Leser leider schuldig.


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Ergebnisse

Trotzdem sind die Ergebnisse der Studie reliabel und wichtig. Denn es zeigt sich wie wichtig diese dritte, oft unbeliebte Phase, und auch die hierüber hinaus durchgeführte Diagnostik im Rahmen des Polytraumamanagement ist: Bei insgesamt 12 % der Patienten blieben Verletzungen während der ersten und zweiten Phase unerkannt. Hiervon konnten 22 % der Verletzungen während der dritten Phase (durchgeführt 24 h nach Schockraumaufnahme) diagnostiziert werden. 63 % wurden noch binnen der ersten 5 Tage entdeckt und 15 % erst nach Entlassung des Patienten.

Extremitätenverletzungen machten mit 19 % den größten Teil der unerkannten Verletzungen aus, unter diesen rangierten Handverletzungen (59 %) an erster Stelle, gefolgt von Fußverletzungen (38 %). Verletzungen der Tibia lagen an dritter Stelle (21 %) vor Fibula-, Sprunggelenks- und Humerusfrakturen (18 %, 15 % und 15 %). Verletzungen die häufig erst nach der Patientenentlassung entdeckt wurden, waren Meniskus- und Kreuzbandläsionen (23 %), gefolgt von Handfrakturen und Rotatorenmanschettenläsionen (je 19 %). Bei 35 % aller später erkannten Verletzungen wurde ein operatives Vorgehen erforderlich, bei den Frakturen sogar bei 90 %.

Eine multivariate Regressionsanalyse der mit unerkannten Verletzungen assoziierten Risikofaktoren ergab als unabhängige Risikofaktoren Hochrasanztraumata, abdominelle Verletzungen und Extremitätenverletzungen. Dies ist wahrscheinlich auf die großflächigere Kräfteverteilung im Rahmen eines Hochrasanztraumas zurück zu führen.

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(Bild: T. Möller/Thieme Verlagsgruppe)

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Kommentar

Die Empfehlung der Autoren ist die konsequente Anwendung der dritten Phase, mit besonderem Fokus auf Hand- und Fußverletzungen, täglich während der stationären Therapie bis der Polytraumatisierte seine Beschwerden adäquat mitteilen kann. Erhöhte Aufmerksamkeit sollte Patienten nach einem Hochrasanztrauma zuteilwerden.


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Korrespondenzadresse

Dr. med. Anica Herlyn
Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsmedizin Rostock


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(Bild: T. Möller/Thieme Verlagsgruppe)