Der Klinikarzt 2016; 45(06): 274-275
DOI: 10.1055/s-0042-109578
Medizin & Management
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Entlassmedikation

G-BA fasst ausführlichen Beschluss
Isabel Häser
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Korrespondenz

Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin Fachanwältin für Medizinrecht
Haimhauser Str. 1
80802 München

Publication History

Publication Date:
29 June 2016 (online)

 

Die Neuregelung zum Entlassmanagement (§ 39 Abs. 1a SGB V) soll Lücken in der Versorgung beim Übergang von stationärer in ambulante Behandlung schließen. Mittlerweile hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die vorgeschriebenen Änderungen der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) zur Entlassmedikation beschlossen. Leider werfen die Regelungen nur noch mehr Fragen auf.


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Durch das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) wurden u. a. die gesetzlichen Regelungen zum Entlassmanagement der Krankenhäuser klarer gefasst und auch deutlich erweitert (siehe auch klinikarzt 2015; 45 (12): 584–585). Neben dem Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden Krankenhäuser dadurch auch berechtigt, z. B. Arzneimittel zu verordnen, soweit die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln unmittelbar nach der Entlassung erforderlich ist.

Nach Entlassung unmittelbar erforderlich?

Bereits die Prüfung der Voraussetzung, ob die Versorgung mit Arzneimitteln nach der Entlassung „unmittelbar erforderlich“ ist, dürfte die meisten betroffenen Ärzte zum (Ver-)Zweifeln bringen. Denn keineswegs darf einfach von der Erforderlichkeit ausgegangen werden. Vielmehr spricht der G-BA in seinen „Tragenden Gründen“ zu den Änderungen der AM-RL davon, dass eine Verordnung durch die Krankenhäuser im Rahmen des Entlassmanagements „nicht in jedem Fall vorgesehen“ sei. Die Prüfung umfasse vielmehr sowohl medizinische als auch organisatorische Aspekte. Leider sind die weiteren Ausführungen des G-BA hierzu sehr unkonkret, sodass sie im Ernstfall nicht weiterhelfen.


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Medizinische und organisatorische Aspekte

So schreib der G-BA in den Tragenden Gründen zum Beschluss: „Als medizinische Aspekte sollen insbesondere die therapie-, indikations- oder arzneimittelspezifische Erforderlichkeit einer nahtlosen Arzneimitteltherapie unmittelbar nach der Entlassung berücksichtigt werden. Hinsichtlich der organisatorischen Aspekte soll in Abhängigkeit vom notwendigen Umfang des Entlassmanagements und der Weiterbehandlung sowie der Morbidität und der psycho-sozialen Situation des Patienten bei der Erforderlichkeit einer Verordnung durch das Krankenhaus insbesondere berücksichtigt werden, ob der Patient in der Lage ist, einen weiterbehandelnden Arzt rechtzeitig zu erreichen sowie ob bereits bekannte oder geplante Arzttermine nach der Entlassung bestehen. In Abhängigkeit von der Gesamtsituation kann dies zum Beispiel durch Befragung des Patienten oder durch Kontaktaufnahme mit dem weiterbehandelnden Arzt erfolgen.“


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Fehler bei der Verordnung – Regressgefahr?!

Entscheidet sich der verordnende Arzt falsch, unterliegt er den „vertragsärztlichen Regelungen“. Letztlich müssten sich die Krankenhausärzte also mit allen im niedergelassenen Bereich für GKV-Verordnungen geltenden Regelungen vertraut machen – und das sind zahlreiche. Unklar ist bisher, wie und in welchem Umfang dann auch (wie beim Vertragsarzt) ein Regress ausgesprochen werden kann bzw. muss. Haften wird dann voraussichtlich der Krankenhausträger. Je nach Umfang der Verordnungstätigkeiten und der Präparate könnten sich Regresse durchaus in beträchtlichen Höhen bewegen, da die Preise der Offizinapotheke (abzüglich Rabatten etc.) – und nicht die „günstigen Krankenhauspreise“ zugrunde zu legen wären. Mit Regressen muss allerdings gerechnet werden, denn der G-BA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Prüfverpflichtung zur Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit allgemein alle Ärzte trifft. Und er weist besonders darauf hin, dass neben diesem allgemeinen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit die Verordnung von Arzneimitteln als Teil der Krankenhausbehandlung im Entlassmanagement eben von der weiteren (!) Voraussetzung abhängig ist, dass diese dem Ziel der Überbrückung der Übergangsphase von der stationären zur ambulanten Versorgung dient.


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Kleinste Packungsgröße

Bei der Verordnung von Arzneimitteln dürfen Krankenhäuser nur eine Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß der Packungsgrößenverordnung verordnen. Gibt es keine Packungsgröße mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen, kann eine Packung verordnet werden, deren Packungsgröße die Größe einer Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß Packungsgrößenverordnung nicht überschreitet.

Bereits jetzt wird von Apotheken darauf hingewiesen, dass häufig die kleinste Packungsgröße nicht vorrätig gehalten wird.


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7-Tage-Verordnung (max.)

Während für Arzneimittelverordnungen immer die Regelung der kleinsten Packungsgröße gilt, können im Übrigen die im Rahmen der Entlassung erlaubten Verordnungen für einen Zeitraum von bis zu 7 Tagen verordnet werden. Damit sind Verordnungen z. B. von Verband-, Heil- und Hilfsmitteln gemeint (z. B. bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, Harn- und Blutzuckerteststreifen).


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Vorrang Mitgabe gegenüber Verordnung

Der Beschluss des G-BA stellt eindeutig klar, dass neben der neu geschaffenen Verordnungsmöglichkeit nach wie vor die Möglichkeit der bisher praktizierten Mitgabe von Arzneimitteln (§ 14 Abs. 7 Apothekengesetz) besteht, sofern auf die Entlassung ein Wochenende oder Feiertag folgt. Der G-BA weist in den Tragenden Gründen zum Beschluss aber ausdrücklich darauf hin, dass die beiden Möglichkeiten zwar grundsätzlich nebeneinanderstehen, sich aus dem Gebot zur wirtschaftlichen Verordnungsweise jedoch eine Verpflichtung (!) des Krankenhauses ergeben kann, die notwendige Überbrückung des Arzneimittelbedarfs beim Übergang in die ambulante Versorgung durch die Mitgabe sicherzustellen (und gerade keine Verordnung auszustellen). Ein solcher Fall sei gegeben, so der G-BA, wenn mit der Mitgabe von Arzneimitteln die Behandlung abgeschlossen werden kann. Darüber hinaus seien in Einzelfällen weitere Konstellationen denkbar, in denen das Krankenhaus „aus Sachgründen“ der Mitgabe gegenüber einer Verordnung den Vorzug einzuräumen hat. Hier wird also ausdrücklich von einer Verpflichtung gesprochen. Was dann als Erläuterung folgt, ist leider wenig hilfreich: „Diese durch ihre Besonderheiten geprägten Konstellationen sind einer generellen Regelung in der Richtlinie jedoch nicht zugänglich und unterliegen der Prüfung im Einzelfall.“


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Informationspflicht des Krankenhauses an Weiterbehandler

Der Beschluss sieht noch eine weitere Verpflichtung vor: Das Krankenhaus hat den weiterbehandelnden Vertragsarzt/die Vertragsärztin rechtzeitig im Zusammenhang mit der Entlassung aus dem Krankenhaus zu informieren. Dies schließt die Information über die medikamentöse Therapie bei Entlassung, deren Dosierung und die im Rahmen des Entlassmanagements verordneten Arzneimittel ein. Dabei sind insbesondere Änderungen einer vor Aufnahme bestehenden und dem Krankenhaus bekannten Medikation darzustellen und zu erläutern sowie ggf. Hinweise zur Therapiedauer neu verordneter Arzneimittel zu geben. Nach Auffassung des G-BA können hierbei Stichpunkte ausreichen, um für die Weiterbehandlung notwendige Informationen bereitzustellen (z. B. Hinweise auf eine Neuverordnung wegen einer Diagnose im Krankenhaus oder auf das Absetzen einer Medikation im Rahmen des therapeutischen Gesamtkonzepts).


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Datenschutz – alles nur mit schriftlicher Einwilligung des Patienten

Auch datenschutzrechtliche Vorgaben sind natürlich zu beachten. § 39 Abs. 1a SGB V ist hier eindeutig: „Das Entlassmanagement und eine dazu erforderliche Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten dürfen nur mit Einwilligung und nach vorheriger Information des Versicherten erfolgen. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden. Information, Einwilligung und Widerruf bedürfen der Schriftform.“


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Vorgaben für Rezeptausstellung

Bisher wenig besprochen, aber von erheblicher praktischer Relevanz, sind die Vorgaben zur Entlass-Rezeptausstellung im Krankenhaus, die von den Patienten in niedergelassenen Apotheken eingelöst werden.

  • Die Verordnung muss auf einem ordnungsgemäß ausgestellten Arzneiverordnungsblatt ausgestellt werden.

  • Änderungen und Ergänzungen zu einer ausgestellten Verordnung bedürfen der erneuten Unterschrift mit Datumsangabe.

  • Verordnungen im Rahmen der Entlassmedikation sind als solche zu kennzeichnen.

  • Verordnungen dürfen nur innerhalb von 3 Werktagen zu Lasten der Krankenkassen beliefert (auch BtM) werden („normale“ Kassenrezepte dürfen längstens einen Monat nach Ausstellung beliefert werden).

Praktische Probleme werden sich voraussichtlich aus der Tatsache des Schichtdienstes der ausstellenden Ärzte ergeben.


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Wo bleibt der Rahmenvertrag?

Zur endgültigem Umsetzung der Regelungen bedarf es noch des Rahmenvertrages zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (auch als Spitzenverband Bund der Pflegekassen), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Dort sollen – unter Berücksichtigung der Vorgaben des G-BA – neben weiteren Ausführungen insbesondere Regelungen zur Zusammenarbeit der Leistungserbringer mit den Krankenkassen, Einzelheiten zu den auszustellenden Rezepten etc. geregelt werden.

Der Vertrag sollte bereits seit 31.12.2015 vorliegen – doch „still ruht der See“. Es bleibt also spannend, ob der Rahmenvertrag mehr Licht ins Dunkel bringt.


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Fazit

Die bisherigen Regelungen lassen vermuten, dass der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Krankenhäuser müssen zur Umsetzung einen erheblichen Verwaltungsaufwand betreiben. Sie setzen sich ggf. Regressrisiken aus und ziehen sich möglicherweise noch den Ärger der Patienten zu, weil diese sich nun ggf. selbst um die Versorgung mit Arzneimitteln kümmern und dabei noch die Zuzahlungen in der Apotheke leisten müssen.

Sollten die Wirtschaftlichkeitsprüfungen tatsächlich so durchgeführt werden, wie dies im niedergelassenen Bereich der Fall ist, müssten Krankenhausträger die verordnenden Ärzte auf das komplette GKV-Verordnungssystem schulen (z.B. off-label, nicht verordnungsfähige Medikamente, aut idem etc.).

Es bleibt noch zu hoffen, dass der Rahmenvertrag noch etwas Licht ins Dunkel bringt. Fachjuristen prognostizieren jedoch bereits jetzt, dass die (gut gemeinten) Regelungen des Entlassmanagements – zumindest im Bereich der Arzneimittelversorgung – nach Entlassung an Praktikabilitätshürden scheitern werden.


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