Zahnmedizin up2date 2016; 10(04): 303-323
DOI: 10.1055/s-0042-103063
Oralmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Analgetika und Antiphlogistika in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Pascal Oppel
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Publikationsdatum:
01. August 2016 (online)

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Einleitung

Vor mehr als 100 Jahren wurden die Acetylsalicylsäure (ASS), das Phenazon und das Acetanilid (Vorläufer von Paracetamol und Phenacetin) entdeckt und in die Therapie von Fieber und passageren Schmerzen eingeführt. Zu diesen fiebersenkenden Analgetika kamen im Laufe der Zeit einige Derivate (z. B. Propyphenazon, Metamizol) sowie die der Rheumatherapie entlehnten sauren, entzündungshemmenden Analgetika (Diclofenac, Ibuprofen) und das Etoricoxib hinzu. Arzt und Patienten haben heute Zugriff auf ein breites Spektrum an Schmerzmedikamenten. Um richtig beraten oder rezeptieren zu können, muss der Zahnarzt hinreichend über die Pharmakologie der Wirkstoffe informiert sein.

In diesem Beitrag wird der Versuch einer zum Teil subjektiven Bewertung relevanter Wirkstoffe vorgenommen, die im zahnärztlichen Alltag eine Rolle spielen können. Dabei wird sich zeigen, dass Diclofenac, Ibuprofen und Etoricoxib zwar keineswegs ideale, aber im Vergleich zu zahlreichen alten Substanzen wie ASS und Paracetamol die risikoärmeren und wirksameren Wirkstoffe sind. Etoricoxib ist für die zahnärztliche Verwendung (Therapie von postoperativen Zahnschmerzen) seit 2012 zugelassen. Es weist attraktive Eigenschaften auf (zuverlässige, lange Wirkungsdauer bei guter Verträglichkeit). Ob diesen Vorzügen gravierende Probleme gegenüberstehen, ist noch offen.

Eine insuffiziente Therapie akuter Schmerzen kann weitreichende Folgen haben. Studien sprechen dafür, dass es bei unzureichender Therapie zur Chronifizierung des Schmerzes kommen kann. Ein erhöhter Bedarf an Schmerzmitteln bei Folgeeingriffen konnte ebenfalls gezeigt werden. Weiterhin führen unbehandelte Schmerzen zu einem signifikanten Anstieg postoperativer Komplikationen, z. B. verzögertem Kostaufbau oder verzögerter Mobilisation im Kiefergelenk. Gerade um die postoperativen Komplikationen zu minimieren, ist es für Zahnärzte wichtig, eine adäquate Schmerztherapie anbieten zu können.

In dieser Arbeit soll der Schwerpunkt auf die medikamentöse Therapie gelegt werden, obwohl begleitende Maßnahmen wie physikalische Therapie (z. B. Kryotherapie), psychologische Schulung, TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation), Akupunktur und besonders die Physiotherapie ebenso wichtige schmerztherapeutische Verfahren darstellen.

Die Wahl der Medikamente sollte von mehreren Faktoren abhängig gemacht werden:

  • akuter Schmerz, chronische oder neuropathische Schmerzen

  • Grunderkrankung und Begleitmedikation

  • Lebensalter und Risikofaktoren (z. B. kardiovaskuläre Erkrankung, Schwangerschaft)

Zur Anwendung bei akuten und auch bei chronischen Schmerzen kommen meist Zyklooxygenasehemmer (COX-Hemmer). Die Medikamente dieser Gruppe unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit je nach Dauer der Anwendung. Als 2. Standbein der Pharmakotherapie können Opioide eingesetzt werden, die auf unterschiedlichen Stufen der Schmerztherapie stehen und meist eine Begleitmedikation erfordern. Bei neuropathischen Schmerzen sind jedoch COX-Hemmer nicht mehr wirksam. Auch Opioide stehen hier nicht mehr im Vordergrund der medikamentösen Therapie.

In Anlehnung an die derzeit gültigen Leitlinien sollen hier einige Schmerztherapien besprochen werden, die in diesem Fach relevant sind. Dazu gehört die medikamentöse Therapie von postoperativen und posttraumatischen Schmerzen sowie neuropathischen Schmerzen. Im Anschluss wird ein kurzer Überblick über die Schmerztherapie in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie das therapeutische Vorgehen bei Kindern und Jugendlichen gegeben. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der übersichtlichen Darstellung der systemischen, medikamentösen Schmerztherapie. Die regionalen Analgesietechniken sollen in dieser Abhandlung nur kurz genannt werden.