Psychiatr Prax 2016; 43(02): 72-73
DOI: 10.1055/s-0041-109340
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Benchmarking ist ein wirksames Instrument zur Verbesserung der klinischen Versorgung – Kontra

Benchmarking is an Effective Instrument to Improve Clinical Services – Contra
Peter Lepping
1   Consultant Psychiatrist (BCULHB), Honorary Professor (Bangor University, North Wales and Mysore Medical College and Research Institute, India), Wrexham Community Mental Health Team, Betsi Cadwaladr University Health Board, Tŷ Derbyn, Wrexham Maelor Hospital
,
Brian Tehan
2   Consultant Anaesthetist und Medical Director for Quality and Transformation (BCULHB, North Wales), Health Foundation Fellow
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Korrespondenzadresse

Prof. Peter Lepping, MRCPsych, MSc
Consultant Psychiatrist (BCULHB), Honorary Professor (Bangor University, North Wales and Mysore Medical College and Research Institute, India), Wrexham Community Mental Health Team, Betsi Cadwaladr University Health Board, Tŷ Derbyn, Wrexham Maelor Hospital
Croesnewydd Road
Wrexham LL13 7TD
Wales

Publication History

Publication Date:
08 March 2016 (online)

 

Benchmarking erscheint intuitiv sinnvoll, hat sich jedoch in der Praxis als enttäuschend erwiesen. Kaplan und Norton beobachten, dass „95 % der Unternehmen, die Benchmarking versucht haben, zwar eine Menge Geld ausgegeben, aber im Gegenzug sehr wenig bekommen haben [1]“.

Die Beführworter von Benchmarking gehen von einer ganzen Reihe von Prämissen aus, die größtenteils unbewiesen sind.

Bei der Verwendung von Benchmarking setzen wir voraus, dass die Teilnehmer durch den Benchmarking-Prozess motiviert werden, Verbesserungen anzustreben. Außerdem wird unterstellt, dass die beim Benchmarking gemessenen Parameter auch tatsächlich vergleichbar und zudem klinisch relevant sind. Die Fragen, die erlaubt sein müssen, sind allerdings, wem diese Parameter nutzen, ob sie einen Wert für den Patienten darstellen, und vor allem, ob sie wirklich einen Motivationsschub erzeugen. Außerdem ist im Gegensatz zur Industrie ein Wertzuwachs im Gesundheitswesen oft schwer zu definieren, da es außer den Patienten auch noch andere relevante „Kunden“ gibt, nicht zuletzt Angehörige, Betreiber und Ärzte.

Das Streben danach, beim Benchmarking die besten Ergebnisse zu erreichen, stellt uns vor die Herausforderung, wohin man sich weiter entwickeln kann, wenn man Bestergebnisse erzielt hat. Woher kommt die nächste Motivation zur Veränderung? Beispiele aus der Industrie zeigen, dass das bloße Kopieren der „Klassenbesten“ wenig Innovationskraft entfacht. Wirklich erfolgreiche Unternehmen werden zumeist von Innovationen außerhalb ihres direkten Wirkungskreises inspiriert, um wesentliche Qualitätsverbesserungen zu erzielen [2]. Der Wunsch, sich mit den Besten der Branche zu messen, führt oft zu einer Homogenisierung, die sich innovationshemmend auswirken kann, weil es als Motivation ausreicht, möglichst nahe an den momentan Besten heranzukommen, anstatt selber Innovationskraft zu entwickeln. Durch die Homogenisierung verliert man in der Industrie zudem diejenigen Aspekte, die das eigene Produkt aus der Masse herausheben und wiedererkennbar machen. Im besten Fall kann Benchmarking dann zu einer Reduzierung der Varianzbreite führen, um einen Standard verlässlich und wiederholbar erreichen zu können. Dies mag im Gesundheitswesen in bestimmten Bereichen durchaus angestrebt werden, ist aber ein hoher Aufwand, um Standardisierung zu erreichen. Während Benchmarking also theoretisch dazu betragen kann, Qualitätsstandards zu erhöhen, muss man sich andererseits im Klaren sein, dass man dadurch im besten Falle mit der Konkurrenz Schritt hält, aber nie innovativ an ihr vorbeizieht.

Ein weiteres Problem ist das des Selektionsbias, was die veröffentlichten Erfolge von Unternehmen angeht. Denrell führt aus, wie gute Resultate zu weiteren Erfolgen führen, da die Belegschaft Erfolge als Selbstverständlichkeit verinnerlicht [3]. Misserfolge werden von Unternehmen zumeist nicht veröffentlicht und somit auch nur sehr selten analysiert, obwohl man aus ihnen mindestens genauso viel lernen kann wie aus Erfolgen. Der daraus entstehende Selektionsbias macht sinnvolle und qualitativ hochwertige Vergleiche schwierig.

In der Medizin und anderswo gibt es erstaunlich wenige Beispiele dafür, dass Benchmarking zu flächendeckenden Verbesserungen geführt hat. Wissenschaftliche Erhebungen fehlen fast ganz. Steinert et al. zeigen in ihrer Erfahrung mit Benchmarking für Zwangsmaßnahmen, dass es eine typische Regression zur Mitte gibt (Reduzierung der Varianzbreite) [4]. Mit anderen Worten ausgedrückt, werden die „Klassenbesten“ schlechter und die Schlechtesten besser. Es ist außerdem oft schwierig, in medizinischen Bereichen „best practice“ zu definieren, weil sich Qualitälitätsstandards ständig weiterentwickeln und permanent im Fluss befinden. Was heute noch das Beste ist, kann morgen schon überholt sein, wodurch „best practice“ gezwungen ist, sich immer weiterzuentwickeln.

Eine weitere Sorge muss sein, dass durch Benchmarking Kausalitäten impliziert werden, die so nicht existieren. Die Gründe, warum ein Krankenhaus bessere Ergebnisse erzielt als ein anderes, sind oft komplex und multikausal. Außerdem ist nicht jede Verbesserungsstrategie für jedes Krankenhaus richtig. Eben dies wird aber oft impliziert, wenn erfolgreichere Unternehmen analysiert werden. Hinzu wirkt sich auch die Tendenz, nur die Erfolgreichen einer Branche wahrzunehmen und ihre Strategien zu veröffentlichen, zusätzlich einengend auf die Ergebnisse aus. Die Kopie eines Konzepts führt dann nicht automatisch zum gleichen Erfolg. Dies ist ein weiteres Problem des oben erwähnten Selektionsbias. Stattdessen sind gerade im Gesundheitswesen oft lokal akzeptable und durchführbare Lösungen gefragt.

Macht das, von dem wir glauben, dass es den Unterschied ausmacht, wirklich den Unterschied aus? Benchmarking ist stark mit einer negativistischen Psychologie assoziiert: Während grundsätzlich qualitätsförderndes Verhalten angestrebt wird und Mitarbeiter ermutigt werden sollen, Erfolg anzustreben, ist doch oft eine weniger günstigere Wirkung die Betonung des Versagens, und damit einhergehend die Provokation von Abwehrverhalten. Die Betonung von Versagen zeigt sich in Großbritannien zum Beispiel durch die Untersuchungen sogenannter „serious untoward incidents“, also von Ereignissen mit extrem schlechtem Ausgang, wie z. B. Suiziden in der Psychiatrie. Der Fokus liegt hier auf der Fehleranalyse, wobei oft unzulässige Schlüsse aus Einzelfällen gezogen werden. Ähnlich wie beim Benchmarking liegt der Fokus auf dem Versagen, und Kausalitäten sind häufig nicht empirisch bewiesen. Dies führt bei dem betroffenen Personal meist zu defensiven Erklärungsmodellen und reduzierter Motivation. Nur durch erhebliche Vertrauensarbeit kann in einer solchen Atmosphäre Tranzparenz hergestellt werden.

Zusammenfassend kann Benchmarking immer nur ein Ausgangspunkt sein. Wir müssen erwägen, welche Verbesserungsstrategien wirklich einen Qualitätsgewinn für den Patienten darstellen und auf unsere jeweilige Situation anwendbar sind. Wir müssen uns immer im Klaren sein, ob die von uns ausgesuchten Parameter auch wirklich vergleichbar und klinisch sinnvoll sind. Außerdem sollten, in Analogie zu dem industriellen Prinzip schlanker Organisationen, Krankenhäuser von überflüssigen Dingen befreit werden, die keinen Qualitätsgewinn für die Patienten bringen. Am Wichtigsten ist allerdings, dass die Organisationen klare Visionen darüber entwickeln, was sie erreichen möchten, und wie dies umsetzbar ist.


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Peter Lepping

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Prof. Peter Lepping, MRCPsych, MSc
Consultant Psychiatrist (BCULHB), Honorary Professor (Bangor University, North Wales and Mysore Medical College and Research Institute, India), Wrexham Community Mental Health Team, Betsi Cadwaladr University Health Board, Tŷ Derbyn, Wrexham Maelor Hospital
Croesnewydd Road
Wrexham LL13 7TD
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