Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2015; 50(9): 524-528
DOI: 10.1055/s-0041-103880
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Protektive Beatmung reduziert postoperative pulmonale Komplikationen – Pro

Intraoperative protective ventilation reduces postoperative pulmonary complications – PRO
Andreas Güldner
,
Marcelo Gama de Abreu
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Dr. med. Andreas Güldner
Prof. Dr. med. Marcelo Gama de Abreu

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Publication Date:
16 September 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Postoperative pulmonale Komplikationen tragen in relevantem Ausmaß zur Erhöhung von Morbidität und Mortalität nach chirurgischen Eingriffen bei, deren Risiko durch eine intraoperative protektive Beatmung reduziert werden kann. Demnach reduziert die Anwendung niedriger Tidalvolumina während der intraoperativen Beatmung die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen. Obwohl die Applikation von positivem end-exspiratorischem Druck (PEEP) und die Anwendung von Lungenrekrutierungsmanövern die Lungenfunktion intraoperativ verbessern, können diese eine Kreislaufinstabilität hervorgerufen. Bei Patienten, welche sich offenen abdominal chirurgischen Eingriffen unterziehen und keine Lungenschädigung sowie Fettleiblichkeit aufweisen, schützen PEEP und Lungenrekrutierungsmanöver nicht gegen postoperativen pulmonalen Komplikationen. Noch ist es unklar, ob die Anwendung von intraoperativem PEEP bei anderen Patientenpopulationen und chirurgischen Interventionen, wie z.B. Adipositas bzw. Thoraxeingriffen , für die Lungenprotektion relevant ist.


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Summary

Postoperative pulmonary complications add to higher mortality and morbidity. This risk could be lowered with intraoperative protective ventilation, especially with low tidal volumes. The application of PEEP and the use of recruitement maneuvers can enhance the lung function during surgery, but can also cause haemodynamic instability. In patients with open abdominal surgery and no lung damage or obesity, PEEP and recruitement maneuvers have no protective effect against postoperative pulmonary complications. It is still unclear, wether the use of intraoperative PEEP in other patient groups and during different surgery procedures is relevant for lung protection.


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Dr. med. Andreas Güldner ist Assistenzarzt an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie an der Technischen Universität Dresden. E-Mail: andreas.gueldner@uniklinikum-dresden.de

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Prof. Dr. med. Marcelo Gama de Abreu ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie an der Technischen Universität Dresden. E-Mail: mgabreu@uniklinikum-dresden.de

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Postoperative pulmonale Komplikationen tragen in relevantem Ausmaß zur Erhöhung von Morbidität und Mortalität nach chirurgischen Eingriffen bei. Das Risiko kann durch eine intraoperative protektive Beatmung reduziert werden. Demnach verringerte die Anwendung niedriger Tidalvolumina während der intraoperativen Beatmung die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen. Im Folgenden sollen die für die Ausbildung dieser Komplikationen wichtigen Mechanismen der beatmungsinduzierten Lungenschädigung gezeigt, die aktuelle Evidenz für die intraoperative protektive Beatmung bewertet sowie eine Empfehlung für deren Implementierung gegeben werden.

Ausmaß postoperativer pulmonaler Komplikationen

Postoperative pulmonale Komplikationen sind eine klinische Entität, welche in relevantem Umfang zur Erhöhung von Morbidität und Mortalität nach chirurgischen Eingriffen beiträgt. Etwa 8 % aller Patienten, die sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen, entwickeln postoperative pulmonale Komplikationen [1]. Dabei steigt deren Rate konsekutiv mit dem Risiko für diese Komplikationen. Sie ergibt sich aus patienten- und eingriffsbezogenen Faktoren,

  • von 3,4 % bei niedrigem,

  • über 13 % bei mittlerem,

  • auf 38 % bei hohem Risiko.

In Abhängigkeit von der Anzahl erhöht sich die Mortalität im Krankenhaus

  • von 1,4 % bei einer,

  • auf 23,5 % bei ≥ 4 postoperativen pulmonalen Komplikationen [1] [2].

Darüber hinaus tragen diese auch zu einer erheblichen Steigerung der Krankenhauskosten bei [3]. Damit sind postoperative pulmonale Komplikationen eine große klinische Herausforderung, deren Vermeidung – durch Elimination bzw. Modifikation relevanter Risikofaktoren – eine immense Bedeutung in der perioperativen Medizin zukommt.

Postoperative pulmonale Komplikationen sind häufige Ereignisse, welche zu einer Erhöhung von Morbidität und Mortalität nach chirurgischen Eingriffen sowie der eingriffsbezogenen Krankenhauskosten beitragen.


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Einfluss der maschinellen Beatmung

Die maschinelle Beatmung ist die grundlegende Voraussetzung, um einen suffizienten pulmonalen Gasaustausch sowie eineradäquate Gewebeoxygenierung während Allgemeinanästhesie sicherzustellen. Im Rahmen experimenteller und klinischer Untersuchungen hat sich jedoch gezeigt, dass sie per se eine Schädigung der Lunge induzieren beziehungsweise aggravieren [4] und damit die Entstehung postoperativer pulmonaler Komplikationen begünstigen kann. Ihre negativen Effekte können jedoch durch die Anwendung lungenprotektiver Einstellungen minimiert werden [5].


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Mechanismen der beatmungsinduzierten Lungenschädigung

Ursachen

Eine Schädigung des Lungenparenchyms durch maschinelle Beatmung, die sog. beatmungsinduzierte Lungenschädigung [4], kann ihren Ursprung sowohl in hohen Atemzugvolumina (Volutrauma) als auch in hohen Beatmungsdrücken (Barotrauma) haben, in deren Folge erhöhter Stress (transpulmonaler Druck) und Strain (Dehnung der Lunge über ihr Volumen in Atemruhelage) entstehen [6]. Parallel dazu kann die Beatmung zyklischen Kollaps und Wiedereröffnung atelektatischer Lungenareale (Atelektrauma) begünstigen [7], wenn Atelektasen vorhanden sind – ein Phänomen, welches regelhaft unter Allgemeinanästhesie auftritt [8].

  • Baro-, Volu- und Atelektrauma repräsentieren die Schlüsselmechanismen in der Pathophysiologie der beatmungsinduzierten Lungenschädigung [9].

Sie werden direkt beeinflusst durch die Einstellung der Beatmungsparameter, insbesondere Tidalvolumen (Vt) und PEEP.


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Physiologische Mechanismen

Die mechanischen Stimuli werden auf zellulärer Ebene in chemische Signale in Form von Ausschüttung oder Aktivierung pro- und antiinflammatorischer Mediatoren transformiert – der Prozess der Mechanotransduktion [10]. Getriggert durch entsprechende Mediatoren werden die zelluläre Immunabwehr aktiviert sowie proapoptotische und profibrotische Mechanismen initiiert [10]. Dieses Phänomen wird mit dem Begriff Biotrauma umschrieben [11]. Die Schädigung kann dabei Auswirkungen auf endotheliale, epitheliale sowie extrazelluläre Elemente der alveokapillären Einheit haben.

  • Schäden am Endothel erhöhen dessen Permeabilität und begünstigen die Ausbildung eines interstitiellen bzw. alveolären Ödems.

  • Verletzungen des Alveolarepithels schränken dessen Fähigkeit ein, ein alveoläres Ödem abzubauen, und reduzieren die Neusynthese von Surfactant [12].

  • Durch Fragmentierung der extrazellulären Matrix infolge der maschinellen Beatmung wird die inflammatorische Reaktion des Lungenparenchyms verstärkt [13].

Diese muss nicht auf das Lungenparenchym beschränkt bleiben, sondern kann über eine Einschwemmung entsprechender Mediatoren in die systemische Zirkulation eine generalisierte inflammatorische Reaktion bis hin zur Ausbildung eines Multiorganversagens begünstigen [14].

Baro-, Volu- und Atelektrauma sind Schlüsselmechanismen in der Pathophysiologie der beatmungsinduzierten Lungenschädigung, die dem direkten Einfluss der Beatmungsparameter und damit der Kontrolle des Anästhesisten unterliegen.


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Evidenz für intraoperative protektive Beatmung

Aktuelle klinische Evidenz

Limitationen

Eines der wichtigsten Ziele der perioperativen Medizin ist die Reduktion postoperativer pulmonaler Komplikationen. Daher existieren besonders zu beatmungsbezogenen Interventionen bereits zahlreiche klinische Untersuchungen, um durch eine lungenprotektive Beatmung das Risiko dieser Komplikationen zu minimieren. Allerdings erschweren typische Limitationen in einem relevanten Teil dieser Studien die Bewertung ihrer Ergebnisse und die folgerichtige Ableitung klarer Empfehlungen für die intraoperative Beatmung.

  • Zum einen vergleichen viele Studien die Kombinationen mehrerer Beatmungsinterventionen mit einer Standardtherapie – in der Regel eine Reduktion der Vt kombiniert mit einer Erhöhung des PEEP – sowie mit dem Einsatz von Rekrutierungsmanövern. Das limitiert die Evaluation des Effekts jedes einzelnen Parameters.

  • Zum anderen repräsentiert die Therapie der Kontrollgruppe in einigen Studien nicht den tatsächlichen klinischen Standard der intraoperativen Beatmung zum Zeitpunkt der Studiendurchführung. Dadurch wird die Bewertung der jeweiligen Interventionen gegenüber der Standardtherapie erschwert [15].

Im Folgenden soll daher die aktuelle klinische Evidenz für die wichtigsten Beatmungsparameter bzw. -interventionen, Vt, PEEP und Rekrutierungsmanöver in Bezug auf die intraoperative Beatmung dargestellt und im Anschluss eine Empfehlung für eine protektive intraoperative Beatmung gegeben werden.


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Tidalvolumen (Vt)

Niedrige Vt

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Anwendung niedriger Vt von 6 ml/kg PBW (PBW = predicted body weight) bei Patienten mit Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) mit einer reduzierten Mortalität assoziiert ist [16]. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung zeigt sich auch für die intraoperative Beatmung von primär lungengesunden Patienten ein Trend zur Reduktion der Vt [17]. Jedoch konnten verschiedene experimentelle [18] und klinische Untersuchungen [19] zeigen, dass hohe Vt nicht unbedingt die Lungenschädigung in primär nicht geschädigten Lungen verstärken. Andere Untersuchungen wiesen wiederum eine Reduktion der pulmonalen Inflammation durch die Anwendung niedriger Vt nach [20].


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Postoperatives Outcome bei niedrigen Vt

Auch hinsichtlich des postoperativen Outcomes kamen verschiedene Studien zu divergierenden Ergebnissen: So senkten Sundar et al. die Rate postoperativer Reintubationen durch Beatmung mit niedrigen Vt [21], während Treschan et al. keinen Einfluss dieser Intervention auf die Inzidenz postoperativer pulmonaler Komplikationen zeigen konnten [22].

Trotz dieser Unterschiede einzelner Untersuchungen belegen aktuelle Metaanalysen deutlich den positiven Effekt niedriger Vt auf das klinische Outcome von Patienten ohne ARDS. Dabei zeigte sich in einer generellen Analyse der Beatmung solcher Patienten auf Intensivstation sowie im OP-Saal, dass niedrige Vt die Rate an Lungenschädigungen, pulmonalen Infektionen sowie die Mortalität im Vergleich zur Beatmung mit hohen Vt reduzierten [23]. Speziell während der intraoperativen Beatmung ließ sich durch applizierte Vt ≤ 7 ml/kg im Vergleich zu > 10 ml/kg die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen signifikant senken. Darüber hinaus war zumindest im Trend auch hier ein positiver Effekt auf die Krankenhausmortalität nachweisbar [24].

Die Anwendung niedriger Tidalvolumina während der intraoperativen Beatmung reduziert die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen.


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PEEP

Atelektasen

Atelektasen können bei 90 % aller Patienten, die sich einer Allgemeinanästhesie unterziehen, nachgewiesen werden. Sie sind ein typisches Phänomen während der intraoperativen Beatmung, können jedoch auch bis in die postoperative Phase persistieren [25]. Die Größe der nicht belüfteten Lungenareale liegt bei ca. 4 % des Lungenvolumens – ein Volumen, welches 16–20 % des Lungengewebes beinhaltet [26].


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Mechanismen

Für die Ausbildung von Atelektasen sind eine Reihe von Mechanismen verantwortlich. Dazu gehören

  • die Kompression von Lungenstrukturen durch die Verlagerung des Zwerchfells und intra-abdomineller Organe nach kranial sowie durch die chirurgische Manipulation,

  • der Kollaps kleiner Atemwege,

  • die Absorption von intraalveolärem Gas – besonders bei hoher inspiratorischer O2-Fraktion – und

  • die Einschränkung der Produktion von pulmonalem Surfactant [15].

Experimentelle Studien wiesen negative Effekte durch Atelektasen infolge erhöhter Scherkräfte an der Grenzschicht zwischen belüfteten und nicht belüfteten Lungenregionen [27] mit konsekutiver Verstärkung der pulmonalen Inflammation nach [28].


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Einfluss des PEEP

Obwohl PEEP Atelektasen eliminieren kann [29], ließ sich bisher keine Verbesserung des postoperativen Outcomes durch die Applikation eines PEEP während der intraoperativen Beatmung nachweisen. So reduzierte sich in der bisher einzigen randomisierten kontrollierten Studie zum Einfluss der intraoperativen Anwendung eines PEEP auf das klinische Outcome die Inzidenz postoperativer pulmonaler Komplikation nicht [30]. Diese Untersuchung verglich bei normalgewichtigen Patienten mit einem hohen Risiko für diese Komplikationen während offener Abdominalchirurgie

  • einen PEEP von 12 cmH2O inklusive der Anwendung von Rekrutierungsmanövern mit

  • einem PEEP von 2 cmH2O unter Beibehaltung eines identischen Vt von 7 ml/kg PBW.

Die Applikation des hohen PEEP verbesserte intraoperativ zwar die Lungenfunktion, war aber gleichzeitig mit einem höheren Bedarf an Katecholaminen assoziiert. Bezogen auf das postoperative klinische Outcome zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen [30].


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Konzept der „permissiven Atelektasen“

Aus diesen Ergebnissen lässt sich das Konzept der „permissiven Atelektasen“ ableiten. Dabei wird durch die Anwendung eines minimalen PEEP die Ausbildung von Atelektasen in Kauf genommen, unter der Annahme, dass diese nur einen kleinen Anteil der Lunge betreffen und das Lungengewebe innerhalb atelektatischer Lungenregionen vor beatmungsinduzierten Kräften geschützt ist. Der globale statische Stress in der Lunge reduziert sich und negative hämodynamische Konsequenzen höherer PEEP-Einstellungen werden vermieden [15]. Noch ist unklar, ob die Anwendung einer sog. „Best PEEP“-Strategie das klinische Outcome verbessert. Dabei wird der PEEP anhand lungenphysiologischer Parameter – wie z. B. der Lungencompliance – festgelegt und damit für jeden Patienten individuell eingestellt.

Die Applikation des PEEP während der intraoperativen Beatmung verbessert die Lungenfunktion während der Operation, kann jedoch die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen nicht reduzieren und intraoperative Kreislaufinstabilität hervorrufen.


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Rekrutierungsmanöver

Strategie

Zusammen mit der Applikation eines PEEP bilden Rekrutierungsmanöver der Lunge die Eckpunkte einer Beatmungsstrategie, deren Ziel es ist, atelektatische Lungenareale wieder zu öffnen (zu rekrutieren) und in diesem rekrutierten Zustand zu stabilisieren. Ohne die nachfolgende Applikation von ausreichendem PEEP, welcher eine De-Rekrutierung von Lungengewebe verhindert, führen Rekrutierungsmanöver intermittierend zur Wiedereröffnung atelektatischer Lungenareale mit nachfolgendem Kollaps und verstärken damit das Atelektrauma. Ohne ein vorangehendes suffizientes Rekrutierungsmanöver, welches die Öffnungsdrücke atelektatischer Lungenareale übersteigt, erhöht der PEEP den globalen statischen Stress in der Lunge und damit das Risiko für ein Baro- bzw. Volutrauma.


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Vorgehensweise

Klinische Untersuchungen haben Öffnungsdrücke von bis zu 40 cmH2O für normalgewichtige Patienten und von bis zu 50 cmH2O für übergewichtige Patienten nachgewiesen [31] [32]. Eine Reihe von Rekrutierungsmanövern ist in der klinischen Routine etabliert. Im Gegensatz zum klassischen „Bag Squeeze“ können die notwendigen Öffnungsdrücke bei besserer hämodynamischer Stabilität auch erreicht werden durch

  • eine schrittweise Anhebung des Vt unter niederfrequenter volumenkontrollierter Beatmung oder

  • die schrittweise Anhebung des PEEP bei konstanter Druckdifferenz zwischen Inspirationsdruck und PEEP unter niederfrequenter druckkontrollierter Beatmung [30] [33].


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Studien

In der Mehrzahl der bisher verfügbaren klinischen Studien wurden PEEP plus Rekrutierungsmanöver als kombinierte Beatmungsstrategie angewendet und mit ZEEP (end-exspiratorischer Atemwegsdruck = 0 cmH2O) bzw. einem minimalen PEEP ohne Rekrutierungsmanöver verglichen. Die erstgenannte Strategie ist dabei i. d. R. mit einer Verbesserung der Lungenfunktion assoziiert [30]. Im Gegensatz dazu konnten Unzueta et al. nur durch die Anwendung eines Rekrutierungsmanövers während intraoperativer protektiver Beatmung den Gasaustausch verbessern [34]. Bisher zeigte jedoch keine Untersuchung für PEEP plus Rekrutierungsmanöver bzw. Rekrutierungsmanöver allein einen Effekt auf das klinische Outcome.

Rekrutierungsmanöver können intraoperativ die Lungenfunktion verbessern, verbessern jedoch nicht das klinische Outcome.


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Empfehlungen für intraoperative protektive Beatmung

Aktuelle klinische Evidenz

Aus der aktuellen klinischen Evidenz lassen sich Empfehlungen für eine intraoperative protektive Beatmung ableiten, die zu einer Reduktion postoperativer pulmonaler Komplikationen beitragen kann. Die entsprechenden Empfehlungen beziehen sich auf Patienten ohne vorbestehende schwere Lungenerkrankung, z. B. ARDS. Aufgrund entsprechender Ausschlusskriterien sind nur diese in den relevanten Studien abgebildet.

  • Während einer intraoperativen protektiven Beatmung sollten niedrige Vt von 6–8 ml/kg PBW angewendet werden.

Auch wenn einzelne Studien diesbezüglich divergierende Ergebnisse zeigen, belegen entsprechende Metaanalysen das Potenzial dieser Intervention als wichtigen Bestandteil einer intraoperativen protektiven Beatmung zur Reduktion postoperativer pulmonaler Komplikationen [24].

  • Bei normalgewichtigen Patienten, die sich einem offenen abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen, sollte ein minimaler PEEP von 2 cmH2O angewendet werden.

Höhere PEEP-Werte können intraoperativ zwar die Lungenfunktion verbessern, reduzieren jedoch nicht die postoperativen pulmonalen Komplikationen. Sie haben aber andererseits das Potenzial, die hämodynamische Stabilität zu beeinträchtigen. Bei der Mehrheit der Patienten lässt sich auch mit diesen PEEP-Einstellungen eine suffiziente Oxygenierung sicherstellen. Bei Auftreten einer Hypoxämie kann nach Ausschluss anderer Ursachen erst die inspiratorische O2-Konzentration bis zu einem Wert von 0,6 und dann der PEEP erhöht werden. Bei weiterhin persistierender Hypoxämie kann ein Rekrutierungsmanöver erwogen werden. Dieses verbessert den pulmonalen Gasaustausch, reduziert jedoch nicht die postoperativen pulmonalen Komplikationen [30]. Durch dieses Konzept einer intraoperativen protektiven Beatmung wird einerseits der positive Effekt niedriger Vt auf das klinische Outcome ausgenutzt und andererseits eine erhöhte Beatmungsinvasivität vermieden.


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Andere Patientenkollektive

Für andere Patientenkollektive, z. B. adipöse Patienten und solche, die sich einem laparoskopischen Eingriff oder einem Eingriff unter Einlungenventilation unterziehen, fehlen zum jetzigen Zeitpunkt Studien. Es kann noch nicht beurteilt werden, ob PEEP und / oder Rekrutierungsmanöver neben einer Verbesserung der Lungenfunktion auch postoperative pulmonale Komplikationen verringern.

Fazit Durch eine intraoperative protektive Beatmung kann das Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen minimiert und damit das klinische Outcome verbessert werden. Besonders die Applikation niedriger Vt scheint dabei entscheidend für den positiven Effekt einer solchen Beatmung zu sein.

Interessenkonflikt  Prof. M. Gama de Abreu fungierte als Berater für Novalung GmbH (Heilbronn), Dräger Medical AG (Lübeck) und Ventinova Ltd. (Eindhoven, Holland).

Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0041-103880

Kernaussagen

  • Postoperative pulmonale Komplikationen tragen in relevantem Ausmaß zur Erhöhung von Morbidität und Mortalität nach chirurgischen Eingriffen bei. Deren Reduktion ist somit ein wichtiges Ziel in der perioperativen Medizin.

  • Auch die intraoperative Beatmung kann mit einer beatmungsinduzierten Lungenschädigung zur Entstehung postoperativer pulmonaler Komplikationen beitragen.

  • Die intraoperative protektive Beatmung senkt das Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen, besonders die Applikation niedriger Vt ist dabei entscheidend.

  • Die Anwendung von PEEP und / oder Rekrutierungsmanövern trägt zwar zu einer Optimierung der Lungenfunktion bei, kann jedoch zumindest bei normalgewichtigen Patienten, die sich einem offenen abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen, die Rate an postoperativen pulmonalen Komplikationen nicht verringern.

  • Ob bei adipösen Patienten und / oder während laparoskopischen oder Eingriffen unter Einlungenventilation durch PEEP und / oder Rekrutierungsmanöver das klinische Outcome verbessert werden kann, müssen weitere Untersuchungen zeigen.


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Korrespondenz

Dr. med. Andreas Güldner
Prof. Dr. med. Marcelo Gama de Abreu

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