Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(17): 1302-1312
DOI: 10.1055/s-0041-103562
Fachwissen
CME
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hämolytische Anämien und Vitamin-B12-Mangel

Hemolytic anemias and vitamin B12 deficieny
Hermann Dietzfelbinger
1   Hämato-onkologische Schwerpunktpraxis, Herrsching
,
Max Hubmann
1   Hämato-onkologische Schwerpunktpraxis, Herrsching
› Author Affiliations
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Korrespondenz

Dr. med. Hermann Dietzfelbinger
Seestraße 43
82211 Herrsching

Publication History

Publication Date:
25 August 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Die hämolytischen Anämien werden in korpuskuläre, autohämolytische (AIHA) und toxisch-bedingte hämolytische Anämien eingeteilt. Außer bei der erworbenen paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) liegen den korpuskulären Formen angeborene Störungen in der Erythroztenmembran (hereditäre Sphärozytose, Kugelzellenkrankheit), in den Erythrozyten-Enzymen (G-6PH- und Pyruvatkinase-Mangel) oder im Hämoglobin-Molekül (Thalassämien und Sichelzellkrankheit) zugrunde. Bei immunhämolytischen Anämien (AIHA) lösen gegen Erythrozyten-Antigene gerichtete Auto- oder Allo-Antikörper eine Hämolyse aus. Sie werden in einen Wärme-, Kälte-, Misch-, Donath-Landsteiner- und Medikamenten-induzierten Typ unterteilt. Therapeutisch stehen Glukokortikoide oder andere Immunsuppressiva im Vordergrund. Hauptvertreter der Vitamin-B12-Mangel-Krankheit ist die perniziöse Anämie. Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis von erniedrigtem Vitamin B12 und Intrinsic-Faktor-Antikörpern. Die Symptome sprechen im allgemeinen gut auf eine adäquate, evtl. lebenslang erforderliche Vitamin-B12-Behandlung an.


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Abstract

Hemolytic anemias consist of corpuscular, immun-hemolytic and toxic hemolytic anemias. Within the group of corpuscular hemolytic anemias, except for the paroxysmal nocturnal hemoglobinuria (PNH), all symptoms are caused by underlying heredetiary disorders within the red blood cell membran (hereditary spherocytosis), deficiencies of red cell enzymes (G6PDH- and pyrovatkinase deficiency) or disorders in the hemoglobin molecule (thalassaemia and sickle cell disease). Immune-hemolytic anemias are acquired hemolytic anemias and hemolysis is caused by auto- or allo-antibodies which are directed against red blood cell antigens. They are classified as warm, cold, mixed type or drug-induced hemolytic anemia. Therapy consists of glucocorticoids and other immunsuppressive drugs. Pernicious anemia is the most important vitamin B12 deficiency disorder. Diagnosis relies on cobalamin deficiency and antibodies to intrinsic factor. The management should focus on a possibly life-long replacement treatment with cobalamin.


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Eine hämolytische Anämie kann viele Ursachen haben: von genetischen Defekten an den Erythrozyten über autoimmune Mechanismen bis hin zu Medikamenten. Die Patienten sind in vielen Fällen schwer krank. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die korpuskulären und serogenen hämolytischen Anämien sowie über den Vitamin-B12-Mangel und er klärt, was Sie bei Diagnostik und Therapie beachten müssen.

Definition | Bei hämolytischen Anämien ist die Lebensdauer der roten Blutkörperchen verkürzt. Das Knochenmark versucht, diesen Verlust an Erythrozyten auszugleichen.

Eine Anämie tritt erst auf, wenn das Verhältnis zwischen Blutzerfall und gestörter Blutbildung so stark zugunsten der Hämolyse verschoben ist, dass eine Kompensation nicht mehr möglich ist.

So stehen sich die Zeichen der Hämolyse und der Kompensation gegenüber (Abb.  [ 1 ]).

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Abb. 1 Übersicht über die hämolytischen Anämien (auf Basis von [1]).

Einteilung | Hämolytische Anämien werden eingeteilt in

  • korpuskulär,

  • serogen und

  • toxisch bedingte hämolytische Anämien [1] [2] [3] [4] (Abb. [1]).

Entsprechend der klinischen Bedeutung liegen in der folgenden Übersicht die Schwerpunkte auf den ersten beiden Formen.

Korpuskuläre hämolytische Anämien

Weltweite Prävalenz | Die korpuskulären hämolytischen Anämien sind je nach genetischem Muster außerordentlich variabel in ihrer Klinik: Sie reicht von asymptomatischen Anlageträgern bis zu schwersten Krankheitsbildern, bei denen die Patienten vom Säugling bis zum Erwachsenen mit rezidivierenden Krisen behandelt werden müssen. Infolge internationaler Migration haben sich diese Anämieformen in alle Welt verteilt. Auch ein Internist in Deutschland wird demnach zunehmend in die Behandlung dieser Patienten eingebunden.

Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellenanämie)

Prävalenz | Die hereditäre Sphärozytose und Elliptozytose sind die häufigsten angeborenen hämolytischen Anämien. In Mitteleuropa, wo eher mildere oder moderate Hämolysen vorkommen, schätzt man die Prävalenz der Kugelzellenanämie auf 1:5000–1:2500. Bei etwa 70 % der Betroffenen wird die Erkrankung autosomal dominant, nur bei etwa 15 % autosomal rezessiv vererbt. Die übrigen Patienten erkranken aufgrund von Neumutationen.

Pathophysiologie | Die Lipid-Doppelschicht der Erythrozytenmembran wird an ihrer Innenseite von einem feinen, aus Skelettproteinen bestehenden Netzwerk gestützt. Diese Proteine verleihen der Membran ihre einmaligen Eigenschaften der inneren Spannung, Flexibilität und Stabilität. Genmutationen führen zu Defekten bei verschiedenen Proteinen und damit zu einer Destabilisierung dieser Membranstruktur. So entwickeln sich schlecht deformierbare Sphärozyten, die dem Abbau in der Milz anheimfallen. Betroffen sind hauptsächlich die Gene für die Proteine Ankyrin (~ 50 %), Bande 3 (~ 20 %) und Spektrin (~ 20 %).

Klinisches Bild | Bereits im Kindesalter können sich entwickeln:

  • Gallensteine

  • Konstitutionsanomalien mit grazilem Körperbau

  • Wachstumsstörungen (sog. „lienaler Infantilismus“) mit „Turmschädel“ und gotischem Spitzbogen-Gaumen

  • Mikrophthalmie („Schweinsaugen“)

  • Ulcera cruris [5] [6] [7]

Labor | Pathognomonisch sind die kleinen Kugelzellen, die Mikrosphärozyten. Der typischerweise erhöhte MCHC-Wert (mittlere korpuskuläre Hämoglobin-Konzentration) gilt als differenzialdiagnostisches Kriterium gegenüber anderen hämolytischen Anämien. Die Price-Jones-Kurve der Erythrozyten ist linksverschoben (Abb.  [ 2 ]). Wegen mangelnder Spezifität der osmotischen Erythrozyten-Resistenz hat sich neben dem Kryohämolyse- und Pink-Test (Modified Acidified-Glycerol-Lysis-Test, AGLT) vor allem der EMA-Test bewährt: Dieser Test untersucht mittels Durchflusszytometrie die Bindung des Fluoreszenzfarbstoffs Eosin-5-Maleimid (EMA) an das Protein-3 bzw. Bande-3-Protein der Erythrozytenmembran [8]. Bei Unklarheiten kommt die Mutationsanalyse der Membran-Protein-Gene infrage.

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Abb. 2 Größenverteilung der Erythrozyten bei Gesunden sowie bei Kugelzellen- und perniziöser Anämie, Price-Jones-Kurve (aus [2]).

Therapie | In leichten Fällen reicht die Gabe von Folsäure aus. Die einzig wirksame Therapie ist je nach klinischer Indikation die Splenektomie. Um Entwicklungsstörungen zu vermeiden, sollte diese am besten in der Jugend durchgeführt werden – jedoch nicht vor dem 6. Lebensjahr. Alternativ wird bei Kindern auch die partielle Splenektomie vorgenommen, um wesentliche Restfunktionen der Milz zu erhalten. Die Prognose ist im Allgemeinen günstig [5] [7] [7] [9].


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Enzymopenisch bedingte hämolytische Anämien

Unter enzymopenisch bedingte hämolytische Anämien fallen:

  • Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G-6-PDH-Mangel), X-chromosomal-rezessiv

  • Pyruvat-Kinase-Mangel, autosomal-rezessiv

  • Gluthathionreduktase- und Gluthationsynthetasemangel, autosomal-rezessiv

Definition | Angeborene Enzymdefekte im Hexosemonophosphat-Zyklus und sehr selten auch im Gluthationstoffwechsel verursachen diese hämolytischen Anämien. Treten zusätzliche Stoffwechselbelastungen wie bestimmte Medikamente, Chemikalien und Vegetabilien hinzu, sind die in ihrer Enzymausstattung defizitären Erythrozyten diesen nicht mehr gewachsen. Im Allgemeinen werden Anämie (mit Heinz-Innenkörperchen im Blutbild), Ikterus und Splenomegalie erst dann bemerkbar. Der Nachweis erfolgt durch Bestimmung der Enzyme in den Erythrozyten.

Prävalenz | Diese Erkrankung ist unter den hereditären Stoffwechseldefekten weltweit am häufigsten. Schätzungsweise sind davon heute mehr als 20 Mio. Menschen betroffen.

Therapie | Die Therapie besteht darin, die auslösenden Substanzen zu meiden (Patientenausweis und -aufklärung).

Favismus | Eine der stärksten Wirkungen des G6-PDH-Mangels ist die Hämolyse nach dem Genuss der Favabohnen („Favismus“), die in den Mittelmeerländern ein Hauptnahrungsmittel sind [10], [11].


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Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)

Definition | Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) wird auch Marchiafava-Anämie oder Strübing-Marchiafava-Micheli-Syndrom genannt.

Die PNH ist die einzige erworbene korpuskuläre Erythrozytenanomalie mit hämolytischer Anämie.

Pathophysiologie | Zugrunde liegt eine erworbene klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzelle mit Phosphatidylinositolglykan-Anker-(PIG-A)-Mutation auf dem X-Chromosom. Diese führt zu einem Mangel an Glykosylphosphatidylinositol-(GPI)-Anker-Proteinen und damit verankerten Schutzproteinen (DAF = Decay accelerating factor [CD55] und MIRL = membran inhibitor of reactive lysis [CD59]). Fehlen diese Proteine, ist die Erythrozytenmembran unzureichend geschützt. Zur Hämolyse führt dann die Komplementaktivierung, z. B. durch Operationen oder Infektion. Namengebende Überlegungen, dass ein nächtlich abfallender pH-Wert mit „diagnoseweisendem“ Säurehämolyse-Test (Ham-Test) zur Komplementaktivierung führt, sind historisch und inzwischen widerlegt. Der Cola-farbene Morgenurin tritt bei Erstdiagnose nur bei einem Viertel der Patienten auf.

Klinisches Bild | Klinisch resultiert die Trias aus

  • hämolytischer Anämie,

  • Thrombophilie und

  • Zytopenie

mit stark unterschiedlichen Schweregraden bei meist noch jungen Patienten.

Diagnostik | Die diagnostische Standardmethode zum Nachweis des PNH-typischen GPI-Anker-Defekts besteht in der Durchfluss-zytometrischen Untersuchung von Blutzellen. Diese erfolgt nach der 2 × 2-Regel: 2 Zellreihen wie Granulozyten und Erythroyzyten, jeweils untersucht mit je 2 separierbaren Reagenzien.

Therapie | Früher waren lediglich supportive, therapeutische Maßnahmen möglich. Seit 2007 steht für symptomatische Patienten als zielgerichtete Langzeittherapie der monoklonale C5-Antikörper Eculizumab (Soliris©) zur Verfügung. Dieser bindet den Komplementfaktor C5 und verhindert die Bildung des terminalen Komplementkomplexes. Eculizumab hemmt somit die Komplement-vermittelte Zerstörung der Erythrozyten.

Prognose | Wird die PNH rechtzeitig erkannt und adäquat behandelt, ist die Lebenserwartung der Patienten fast normal. In fortgeschrittenen Fällen liegt die 5-Jahresüberlebensrate jedoch nur bei 35 %. Bei schwerkranken Patienten kommt als einzige potenziell kurative Therapie die allogene Knochenmarktransplantation infrage [12] [13] [14] [15] [16] [17].


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Hämoglobinopathien: Thalassämie

Entstehung | Das normale Hb-Molekül setzt sich aus 2 Paaren von α- und β‑Peptidketten zusammen (Abb.  [ 3 ]). Bei den Thalassämien ist die Synthese der α- (auf Chromosom 11) und / oder β-Globulinketten (auf Chromosom 16) gestört – es entsteht ein Überschuss an α- bzw. β-Globulinketten. Je nach vermindertem Globin unterscheidet man zwischen α- und β-Thalassämien. Die Diagnose wird durch Hb-Analyse (Hb-Elektrophorese) und ggf. molekulargenetische Untersuchungen gesichert.

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Abb. 3 Normales Hämoglobinmolekül mit 4 Globinketten (aus [2]).

β-Thalassämie | Die β-Thalassämie ist die häufigste Form. Von ihr sind über 4000 Mutationen bekannt, die meist autosomal rezessiv vererbt werden. Sie wird in

  • β-Thalassaemia major,

  • β-Thalassaemia intermedia und

  • β-Thalassaemia minor

eingeteilt.

β-Thalassaemia major | Bei der homozyten Thalassaemia major (Cooley Anämie) werden keine β-Ketten gebildet. HbA1 (α2β2) fehlt, sodass fast ausschließlich fetales Hämoglobin (HbF, α2γ2) vorliegt.

Die Patienten sind schwerkrank: Sie leiden an einer ausgeprägten hypochromen und mikrozytären Anämie mit den typischen Schießscheibenzellen (Targetzellen) im Blutbild.

Die osmotische Resistenz der Erythrozyten ist verbreitert. Bereits im 3.–6. Lebensmonat treten eine Hepatosplenomegalie und Knochenveränderungen auf mit

  • Facies thalassaemica,

  • Turmschädel und

  • Bürstenschädel.

Die lebenslange Transfusionsabhängigkeit führt zu einer Eisenüberladung (Hämochromatose) mit Organschäden in Leber, Herz und Pankreas. Für diese Überladung ist zusätzlich auch eine vermehrte Eisenresorption im Darm infolge starken Hepcidin-Mangels verantwortlich. Dieses Hormon Hepcidin, das die Eisenhomöostase steuert, wurde erst um die Jahrtausendwende entdeckt [18] [19].

β-Thalassaemia intermedia und minor | Im Gegensatz dazu zeigt die hetero- oder homozygote β-Thalassaemia intermedia eine eher mittelschwere Verlaufsform. Die heterozygote β‑Thalassaemia minor ist klinisch weitgehend unauffällig und außer bei zusätzlichem Eisenmangel nicht behandlungsbedürftig [20] [21].

Differenzialdiagnose | In der täglichen Praxis ist bei hypochromen und mikrozytären Anämien die Differenzialdiagnose zur Eisenmangelanämie wichtig – bei der Thalassaemia minor ist eine Eisentherapie kontraindiziert. Zur schnellen Orientierung haben sich hierfür einfache Formeln bewährt:

  1. Mentzer-Index = MCV / Erythroztenzahl: Ist dieser Wert > 13, spricht das Ergebnis für eine Eisenmangelanämie, andernfalls für eine Thalassaemia minor [22].

  2. Diskriminationsfaktor F = MCV-Erthrozytenzahl – (5 × Hb) – 3,4 [23]: Ein positiver Wert spricht für Eisenmangelanämie, ein negativer für Thalassaemia minor oder Polycythaemia vera (außer bei Schwangerschaft).

α-Thalassämie | Die seltenere, autosomal-rezessiv vererbte Variante ist die α-Thalassämie mit verminderten α-Ketten. Bei der schwersten Form mit Inaktivierung aller 4 verantwortlichen α-Gene (Hb Bart’s, γ2γ2) ist der Fetus nicht lebensfähig (Hydrops fetalis). Drei inakive Gene führen zur sog. HbH-Krankheit als leichtere Form der Thalassämie. Fehlen ein oder zwei Gen-Kopien, liegen keine (α-Thalassämie minima) oder allenfalls eine leichte Anämie und Mikrozytose (α-Thalassämie minor) vor [20] [21].

Therapie der Thalassaemia major | Therapie der Wahl ist die allogene Stammzelltransplatation – meist im Kindesalter, um Entwicklungsstörungen vorzubeugen. Die Gen-Therapie befindet sich noch im experimentellen Stadium.

Supportive Therapie | Die Gabe von Folsäure gehört zur supportiven Therapie. Ab dem Säuglingsalter besteht meist lebenslanger Transfusionsbedarf (sog. Hypertransfusionsregime). Wegen der Gefahr der Eisenüberladung ist ab 10.–11. Lebensjahr eine konsequente Eisenchelat-Therapie erforderlich (Deferioxamin s. c., Deferasirox p. o. oder Deferipron p. o, evtl. sogar in Kombination). Während der Therapie ist ein Monitoring angezeigt mittels:

  • Bestimmung von Serumferritin

  • MRT bzw. SQUID (= Supraconducting Quantum Interference Device) von Leber- und Herzeisengehalt


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Hämoglobinopathien: Sichelzellkrankheit (Drepanozytose)

Prävalenz | Die Sichelzellkrankheit ist die häufigste und am weitesten verbreitete Hämoglobinopathie.

20–40 % der Bevölkerung im tropischen Afrika und 5–10 % der schwarzen Bevölkerung Amerikas sind heterozygote Anlagenträger der Sichelzellkrankheit.

Diagnose | Pathognomonisch für die Krankheit ist eine Sichelung der Erythrozyten (Sichelzelltest, unter O2-Entzug). Beweisend ist der Nachweis von Hämoglobin S (HbS) durch die Hämoglobinelektrophorese. Eine molekulargenetische Untersuchung ist nur bei Verdacht auf Kombinationen von HbS mit β- oder α-Thalassämie und im Rahmen der Pränataldiagnostik indiziert.

Entstehung | Das HbS entsteht aufgrund einer autosomal-kodominanten Punktmutation im β-Globinkomplex des Chromosom 11. Dabei ist in Position 6 der β-Kette die Aminosäure Glutamat (HbA) gegen Valin (HbS) ausgetauscht.

Genotypen | Häufige Genotypen sind

  • die schwer verlaufende homozygote HbSS-Sichelzellkrankheit,

  • die compound heterozygote Sichelzellkrankheit,

  • die HbS-β-Thalassämie und

  • die Hb-SC-Krankheit.

Bezeichnung | Auf die früher übliche Bezeichnung „Sichelzellanämie” sollte man entsprechend der internationalen Nomenklatur verzichten: Nicht die Anämie, sondern die Gefäßverschlusskrisen und die Folgen des Krankheitsgeschehens dominieren bei weitem.

Klinisches Bild | Für das klinische Bild der homozygoten Sichelzellkrankheit sind schon ab dem Säuglings- bzw. frühen Kindesalter charakteristisch:

  • rezidivierende Schmerzen im Skelettsystem bzw.

  • Schmerzkrisen durch Gefäβverschlüsse, vor allem im Thorax (akutes Thorax-Syndrom, ATS), Abdomen und ZNS

  • Schocksymptomatik mit ausgeprägter Splenomegalie

  • Hand-Fuß-Syndrom

Weitere akute Ereignisse bestehen in Milzsequestration sowie Pneumokokkensepsis / -Meningitis, aplastischen Krisen bei Parvo-Virus-B-19-Infektion, ZNS-Infarkten und paralytischem Ileus durch Mesenterialinfarkte (sog. Girdl-Syndrom). Für die erhöhte Infektneigung werden auch eine Atrophie der Milz infolge einer „Autosplenektomie“ durch Milzinfarkte verantwortlich gemacht. Bei Erwachsenen führen häufige Durchblutungsstörungen zu Organschäden:

  • chronische Glomerulonephritis / Sklerose

  • pulmonale Hypertonie

  • aseptische Nekrose von Hüft- und / oder Humeruskopf

  • Retinopathie

  • stumme ZNS-Infarkte

  • Knochenmarkinsuffizienz

  • Priapismus

  • bei Dauer-Transfusionsprogramm Eisenüberladung

  • endokrinologische Ausfälle

Heterozygote Sichelzellkrankheit | Dagegen weisen heterozygote HbS-Anlageträger keine oder nur geringe Krankheitszeichen auf. Da ihnen eine Konduktorenrolle zukommen kann, ist eine genetische Beratung wichtig.

Therapie | Die einzige kurative Therapie besteht in der allogenen Stammzelltransplantation, möglichst mit HLA-identischem Familienspender. Im Gegensatz zu Zentral- und Westafrika erreichen in Europa und USA heute 85–90 % der Kinder mit Sichelzellkrankheit das Erwachsenenalter – mit einer mittleren Lebenserwartung von 50 Jahren. Haupttodesursachen sind die pulmonale Hypertonie sowie akute Ereignisse wie ATS und Vaso-Okklusionen [2] [3] [24]. Zu den therapeutischen Optionen gehören:

  • bei Schmerzkrisen: Hydrierung und Analgetika

  • Hydroxyurea (HU) mit strenger Indikation, da es als einziges Medikament Zahl und Intensität der Schmerzkrisen (bei 70–75 %) sowie die Zahl der ATS-Episoden reduzieren und die Mortalität (um 40 %) senken kann

  • aktive Immunisierung

  • Antibiotika:

    • prophylaktisch (Penicillin vom 3.–5. Lebensjahr)

    • therapeutisch (z. B. bei Pneumokokkensepsis oder Verdacht auf Osteomyelitis)

  • ACE-Hemmer bei Proteinurie

  • Chelatbildner bei Eisenüberladung

  • Bluttransfusionen nur unter strenger Indikation wegen Risiko von Hyperviskositätssyndrom

  • bei Organversagen evtl. Austauschtransfusion

  • Operation:

    • Splenektomie nach Milzsequestrationen und Hypersplenismus

    • Cholezystektomie bei Gallensteinen

    • orthopädische Eingriffe bei aseptischer Hüft- bzw. Humeruskopfnekrose

  • lebenslange medizinische Behandlung und sozialmedizinische Betreuung


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Balanzierter Polymorphismus

Sowohl die Hämoglobinopathien als auch der G-6PDH-Mangel sind ähnlich wie die Malaria über einen großen geografischen Gürtel vom Mittelmeerraum über den Nahen und mittleren Osten bis nach Indien und Südostasien verbreitet. Die Sichelzellkrankheit kommt vornehmlich in Afrika vor.

Diese Anämieformen bieten gegen Malaria eine relative Resistenz, die in Endemiegebieten zu einem evolutionären Selektionsvorteil geführt hat („balanzierter Polymorphismus“).

Auf Zypern ist die Thalassämie besonders häufig, weswegen dort seit Jahren ein intensives Präventionsprogramm stattfindet [25].


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Serogene hämolytische Anämien

Immunhämolytische Anämien

Auto- / Allo-Antikörper | Bei immunhämolytischen Anämien verursachen gegen Erythrozyten-Antigene gerichtete Auto- oder Allo-Antikörper eine Hämolyse, indem sie entweder das Komplementsystem oder die zelluläre Immunität aktivieren.

Klinisches Bild | Verlauf und klinisches Bild sind variabel und hängen vom auslösenden Antikörper ab. Die Autoimmunhämolyse wird unterteilt in:

  • Wärme-Typ (ca. 70 %)

  • Kälte-Typ (ca. 20 %)

  • Misch-Typ ( < 0,1 %)

  • Donath-Landsteiner-Typ (ca. 10 %)

  • Medikamenten-induzierter Typ [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33]

Diagnostik | Wegweisend für die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) ist der positive direkte Coombs-Test. Es folgt die Bestimmung der Autoantikörper. Die BSG ist stark beschleunigt.

AIHA durch inkomplette Wärme-Auto-Antikörper vom Typ IgG | Der IgG-Wärmetyp ist die häufigste Form der Coombs-positiven AIHA (70 % aller Patienten mit AIHA, ca. 1:70 000). Frauen sind 2-mal so oft betroffen wie Männer. 45 % der Wärme-AIHA sind idiopathisch, 55 % treten auf:

  • sekundär bei systemischem Lupus erythematodes (SLE), rheumatischer Arthritis und chronischer lymphatischer Leukämie (CLL)

  • Medikamenten- bzw. Hapten-induziert vor allem durch nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR), Antibiotika (Ceftriaxon, Penicillin), Chemotherapeutika (Fludarabin, Cladribin) und Methyldopa [31]

Die gegen Erythrozyten gerichteten Wärme-Auto-Antikörper können bei 37–40 °C ihre hämolytische Wirkung entfalten. Der Verlauf ist oft schwer, selten jedoch fatal.

AIHA durch Kälteagglutinine | Die AIHA vom Kältetyp wird durch Kälteagglutinine hervorgerufen, die fast immer vom Typ IgM sind. Kälteagglutinine vom Typ Anti-i-Kälteantikörper finden sich bei EBV-Infektionen und Lymphomen, Anti-I-Antikörper dagegen bei Mykoplasmen-Infektionen. Klinisch unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Kälte-Agglutinin-Syndrom [32].Bei niedrigeren Temperaturen (10–15 °C) kommt es meist an den Akren zu einer Erythrozyten-Agglutination und anschließend durch Komplementaktivierung zur Hämolyse. Diese kann durch Verlegung von Kapillaren ein Raynaud-ähnliches Syndrom verursachen und bei physiologischen Temperaturen wieder zurückgehen.

Warmblutprobe | Bei Verdacht auf Kälte-Antikörper sollte zur Vermeidung gerinnungsbedingter Probleme die Blutentnahme so erfolgen, dass das Blut warm ins Labor transportiert wird.

AIHA durch gemischte, biphasische bzw. bithermische Hämolysine | Diese AIHA wird auch AIHA vom Donath-Landsteiner-Typ oder paroxasmale Kältehämoglobinurie genannt. Sie tritt meist akut nach einem Virusinfekt im Kindesalter auf. Typisch ist nach Kälteexposition eine plötzlich auftretende Hämolysesymptomatik mit Hämoglobinurie und starkem Hb-Abfall ( < 5 g / dl). Trotz des schweren Krankheitsbilds ist der Verlauf meist gutartig. Die chronische Form trat früher bei Lues auf und kommt heute praktisch nicht mehr vor. Die wichtigste Differenzialdiagnose der AIHA ist die Alloimmun-Hämolyse (hämolytische Transfusionsreaktion und Erythroblastose [Morbus haemolyticus neonatorum]) [33].


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Therapie der autoimmunhämolytischen Anämie (AIHA)

Behandlung der Grundkrankheit | Die Therapie der AIHA ist noch nicht evidenzbasiert. Möglichst sollte eine potenzielle Grundkrankheit behandelt werden (NHL, CLL, SLE, Mykoplasmen-Pneumonie).

Wärme-AIHA | Zur Therapie eingesetzt werden:

  • Glukokortikoide (70–85 % Ansprechen), evtl. zusätzlich:

  • polyvalente Immunglobuline

  • Rituximab (80–90 % Ansprechen)

  • Azathioprin

  • Cyclophosphamid

  • Cyklosporin

  • Mycophenolat

  • Danazol

  • Plasmapherese

  • Alemtuzumab

  • Ultima Ratio: Hochdosis Cyclophosphamid

  • bei anhaltender Resistenz evtl. Splenektomie (~ 60 % Ansprechen, ~ 20 % Heilung)

Kälte-AIHA | Cortison und Milzexstirpation sind unwirksam, daher setzt man Rituximab (als Erstlinientherapie empfohlen) oder Zytostatika wie Chlorambucil und Cyclophosphamid oder Plasmapherese ein. Am effektivsten ist der Schutz vor Kälte, vor allem an den Akren („Handschuhe und Pantoffeln“), und bei der Medikamenten-induzierten Form die Antigenkarenz. In Extremfällen kommt es evtl. zur Stammzelltransplantation (z. B. beim Evans-Syndrom = Auto-Immunhämolyse + Autoimmun-Thrombopenie, vorrangig mit einer CLL assoziiert).

Supportive Maßnahmen | Bluttransfusionen sollte man bei Patienten mit AIHA möglichst vermeiden, da sie fast immer problematisch sind. Bei lebensbedrohlicher Anämie sind sie jedoch nicht zu umgehen, auch wenn die Kreuzprobe positiv ausfällt. Die Transfusion sollte mit Rhesus-Kell-kompatiblen Erythrozytenkonzentraten ohne „Buffy Coat“ (Standard 2014 ) und unter strenger Überwachung erfolgen. Bei fortbestehenden Unverträglichkeitsreaktionen werden gewaschene Erythrozyten-Konzentrate [34] [35] verabreicht, bei ausgeprägten Hämolysen prophylaktisch low-dose Heparin.


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Vitamin-B12-Mangel

Physiologie des Vitamin-B12-Stoffwechsels | Vitamin B12 (Cobalamin), das vom Menschen nur aus tierischer Nahrung (Leber, Fleisch, Eier und Milchprodukte) aufgenommen werden kann, wird nach Freisetzung aus der Nahrung durch die Magensäure an den Intrinsic-Faktor (IF) gebunden. Dieser wird von den Parietalzellen (Belegzellen) der Magenschleimhaut gebildet. Nur in diesem IF-Komplex kann Cobalamin im terminalen Ileum resorbiert und schließlich im Blut über Bindung an Transcobalamin I, II oder III zur Leber und anderen Organen transportiert werden. Die Ursachen des Vitamin-B12-Mangels zeigt Tab.  [ 1 ].

Tab. 1

Symptome der perniziösen Anämie und Ursachen der Perniziosa-ähnlichen symptomatischen megaloblastischen Anämie sowie des Folsäuremangels.

Vitamin-B12-Mangel

Folsäuremangel

Perniziöse Anämie (Morbus Biermer):

  • allgemeine Anämiesymptome

  • gastrointestinales Syndrom (Hunter‘sche Glossitis, Gastroskopie: chronisch-atrophische Gastritis (Histologie)

  • Intrinsic-Faktor-Antikörper

  • neurologisch-psychiatrisches Syndrom

  • Funikuläre Myelose (gestörtes Vibrations-empfinden)

Perniziosa-ähnliche symptomatische megaloblastische Anämie

Ursachen:

  • vegetarische Ernährung

  • Metformin-Langzeittherapie

  • Gastrektomie

  • Adipositaschirurgie

  • Malabsorption

  • blind loop syndrom

  • Divertikulose

  • „food cobalamin malabsorption syndrom“ (FCM, ungenügender Aufschluß von Vitamin B12 aus der Nahrung, vorwiegend > 65 Jahre)

  • Fischbandwurm (Diphyllobotrium latum, sehr selten)

Ursachen:

  • Alkoholismus

  • Malabsorption

  • erhöhter Bedarf: Schwangerschaft, Fetus, hämolytische Anämie, Leukämie

  • Medikamente: Folsäure-Antagonisten, Antikonvulsiva, Daraprim

Perniziöse Anämie (Biermer Anämie) [36] [37] [38] [39] [40] [41] [42] | In Europa ist die häufigste, durch Vitamin-B12-Mangel bedingte Erkrankung die perniziöse Anämie. Sie ist sowohl makrozytär (MCV > 98 fl) als auch hyperchrom (MCH > 32 pg) und geht oft mit Leuko- und Thrombopenie einher. Vor Entdeckung der Diät mit Vitamin-B12-haltiger roher Leber, der Lebertherapie, war die Prognose absolut infaust, d. h. „perniziös“. Heutzutage gehört die Perniziosa zu den am besten und leichtesten zu behandelnden Blutkrankheiten.

Häufigkeit | Die Angaben über die Inzidenz der perniziösen Anämie schwanken erheblich zwischen 1–5 / 100 000 (UK und USA) und 9 / 100 000 Einwohner / Jahr (Europa). In jedem Fall nimmt die Erkrankung in höherem Lebensalter zu.

Auftreten mit anderen Erkrankungen | Die Perniziosa ist offensichtlich häufiger mit anderen Autoimmunkrankheiten wie Hashimoto-Thyreoiditis, Diabetes mellitus Typ I, Vitiligo oder Hypoadrenalismus assoziiert – es gibt epidmiologische Hinweise auf eine erbliche Komponente.

Klinisches Bild | Die in Abb.  [ 4 ] aufgeführten Symptome lassen sich einteilen in:

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Abb. 4 Symptome bei perniziöser Anämie (aus [2]).
  • allgemeine Anämie-Symptome einschließlich strohgelber Hautfarbe (Café au lait-Farbe), bedingt durch Blässe und diskreten Ikterus

  • gastrointestinales Syndrom: Autoimmungastritis (= Typ A der chronischen Gastritis) mit Achlorhydrie; (Hunter-)Glossitis mit glatter roter Zunge

  • neurologisch-psychiatrisches Syndrom: funikuläre Myelose bzw. Spinalerkrankung mit Markscheidenschwund sowohl der Hinterstränge (Gangunsicherheit [spinale Ataxie]) als auch der Pyramidenbahn (Paresen, Pyramidenbahnzeichen)

  • Zeichen einer Polyneuropathie sowie Sehstörungen infolge Opticus-Atrophie

  • psychiatrische Symptome

  • Störung der Tiefensensibilität bzw. des Vibrationsempfindens als empfindlichstes Frühsymptom (Stimmgabelversuch)

Da neurologische Störungen bei Vitamin-B12-Mangel auch ohne Anämie auftreten können, kommt bei unklarer Neurologie ursächlich immer auch ein Cobalamin-Mangel infrage.

Knochenmark| Noch vor 20 Jahren waren die charakteristischen megaloblastischen Veränderungen im Knochenmark diagnoseweisend für die perniziöse Anämie (Abb.  [ 5 ]). Mangels Spezifität ist jedoch die Bedeutung der Knochenmarkmorphologie zurückgegangen. Einfacher nachweisbar und vor allem diagnostisch eindeutig ist die Befundkombination von niedrigem Vitamin B12 und positivem Intrinsic-Faktor-Antikörper (IF-AK). So wird die Knochenmarkuntersuchung heute nur noch in unklaren Fällen empfohlen.

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Abb. 5 Megaloblastische Veränderungen im Knochenmark bei perniziöser Anämie:In dem zellreichen Knochenmark besteht eine hyperplastische und linksverschobene Erythropoese mit megaloblastischen Veränderungen in allen Reifungsstufen. Vor allem auf Erythroblastenstufe fällt die charakteristische, aufgelockerte und feine Chromatinstruktur der Kerne auf. Man sieht den Zellen die DNA-Synthesestörung an. Daneben finden sich riesenstabkernige Granulozyten und Riesenmetamyelozyten. Hypersegmentierte Formen finden sich nicht nur bei den Granulozyten, sondern auch bei den Megakaryozyten.

Diagnostik | Der Mangel wird durch folgende Laborwerte charakterisiert:

  • MCH > 32 pg (hyperchrom)

  • MCV > 98 fl (makrozytar)

  • häufig Leuko- und / oder Thrombopenie mit Rechtsverschiebung der Granulozyten (= Übersegmentierte): Price-Jones-Kurve rechtsverschoben

  • Serumeisen ↑

  • Serumferritin ↑

  • Transferrinsättigung eher ↑

  • indirektes Bilirubin ↑ (strohgelbe Hautfarbe)

  • LDH ↑

  • Haptoglobin ↓

  • im Serum Vitamin B12 ↓ und / oder Folsäure ↓

  • evtl. Holotranscobalamin und Methylmalonat

  • Knochenmark: gesteigerte Erythropoese, Megaloblasten, Riesenstabkernige, Riesenmetamyelozyten, Speichereisen ↑

Bei grenzwertig niedrigem Vitamin B12 ist zur weiteren Abklärung die Bestimmung von Holotranscobalamin (aktives B12) und der Methylmalonsäure möglich (nicht anwendbar bei Niereninsuffizienz und Dehydrierung). Diese Substanzen sind bereits in einer frühen Phase des Vitamin-B12-Mangels erhöht. Im Blutausstrich sieht man Makrozyten bzw. Megalozyten (MCV > 98 fl, MCH > 34 pg) und > 5 % übersegmentierte Granulozyten bei Leuko- und Thrombopenie (Rechtsverschiebung). Die Price-Jones-Kurve ist ungewöhnlich breit (4–14 µ). Ihr Gipfel ist meist deutlich nach rechts verschoben (Abb.  [ 2 ]). Ferritin, indirektes Bilirubin und vor allem LDH sind erhöht.

Antikörper gegen Intrinsic Faktor (IF-AK) sind bei 40–60 % der Patienten mit perniziöser Anämie nicht nur positiv, sondern auch sehr spezifisch.

Obwohl bei den Parietalzell-Antikörpern dieser Prozentsatz mit 80 % noch höher ausfällt, wird ihre Bestimmung mangels Spezifität nicht empfohlen.

Gastroskopie | Mit der Gastroskopie will man über die Frage nach einer „Perniziosa-Konstellation” mittels Stufenbiopsie eine atrophische Gastritis histologisch nachweisen. Auch wenn diesem Befund die Spezifität fehlt, sollte doch jeder Patient gastroskopiert werden. Die Indikation dazu besteht vor allem bei zusätzlicher Eisenmangelanämie, weil Perniziosa-Patienten ein erhöhtes Magenkarzinom-Risiko zeigen. Eine regelmäßige spätere endoskopische Überwachung wird dann nicht mehr empfohlen.

Heute obsolete Untersuchungen | Die früher üblichen Untersuchungen des Schilling-Tests mit radioaktiv markiertem Vitamin B12 [42] [43] und die fraktionierte Magensaftanalyse zum Nachweis einer Histamin- bzw. Pentagastrin-refraktären Achylie sind heute nicht mehr angezeigt.

Therapie (entsprechend Leitlinien 2014 [37])|

  • bei fehlenden neurologischen Störungen: Vitamin B12 1000 µg i. m. 3 × / Woche für 2 Wochen, dann alle 3 Monate

  • bei Hinweis auf oder bei bestehender Neuropathie: jeden 2. Tag Vitamin B12 1000 µg i. m. so lange, bis keine klinische Besserung mehr eintritt. Oder für 3 Wochen mit anschließender klinischer Beurteilung, ob sich eine Besserung eingestellt hat. Wenn ja, dann weiter alle 2 Monate. Anschließend keine weiteren Vitamin-B12-Untersuchungen mehr erforderlich.

  • Bei positiven IF-AK ist Vitamin B12 lebenslang angezeigt.

Die Substitutionsbehandlung zeigt folgende Auswirkungen:

  • rascher Rückgang fast aller klinischer und hämatologischer Erscheinungen

  • nach 5–7 Tagen Anstieg der Retikulozyten („Retikulzytenkrise“, bis zu 400 ‰)

  • häufig Entwicklung eines Eisenmangels

  • in dieser Phase Substitution von Eisen, Folsäure und Kalium; Cave: Hypokaliämie (unklarer Genese) mit Herzrhythmusstörungen

  • passagere Thrombozytose mit Thromboembolierisiko

Durch Cobalamin-Mangel bedingte neurologische Symptome sind im Frühstadium reversibel, nicht jedoch bei erfolgter axonaler Degeneration.

Eine Behandlung der Vitamin-B12-Mangelanämie mit Folsäure ist kontraindiziert, weil die Anämie zwar gut anspricht, die funikuläre Myelose jedoch unbeeinflusst bleibt oder sich sogar verschlimmert.

Differenzialdiagnose | Bei unbefriedigendem Ansprechen ergibt sich die Frage nach der Differenzialdiagnose anderer Ursachen wie z. B.:

  • Anämie bei Eisen- oder Folsäuremangel,

  • myelodysplastisches Syndrom (MDS),

  • andere Erkrankungen des Knochenmarks

  • medikamentös-toxisch bedingte Blutbildveränderungen (Alkohol, Hydroxyurea, MTX, HIV-Präparate [Zidovudin u. a.])

Orales Vitamin B12 | Etwa 1 % des mit der Nahrung aufgenommenen Vitamin B12 wird über einen vom IF unabhängigen Weg resorbiert.

Daher haben sich hohe orale Vitamin-B12-Dosen (1000–2000 mg / die p. o.) als ebenso wirksam erwiesen wie i. m.-Injektionen.

Neuerdings wird auch eine nasale Applikationsform untersucht. Weil diesbezüglich noch nicht alle Fragen geklärt sind, empfiehlt sich in der Initialphase bei schwerem Vitamin-B12-Mangel und vor allem bei Neuropathie die i. m.-Applikation. Je nach Wunsch des Patienten kann anschließend zur Erhaltung oder zur Korrektur suboptimaler Vitamin-B12-Spiegel oral substituiert werden. Dabei ist zu beachten, dass bei ineffizienter Therapie mit zu niedrigen Cobalamin-Dosen immer das Risiko der Entwicklung oder Exazerbation einer Neuropathie besteht.

Therapie bei Cobalamin-assoziierten Krankheiten

Niedrige oder grenzwertige Vitamin-B12-Spiegel | Auch bei grenzwertig niedrigen Vitamin-B12-Werten (245–400 pg / ml, normal: 200–950 pg / ml) und fehlender Anämie kann bereits ein subklinischer Vitamin-B12-Mangel vorliegen. Durch Bestimmung von Holotranscobalamin und Methylmalonsäure kann man dies weiter abklären. Eventuell kann dann ein ex juvantibus-Therapieversuch mit Cobalamin sinnvoll sein: 50 mg p. o. täglich für 4 Wochen.

Bei Diabetes Typ 2 | Die Ursache des Cobalamin-Mangels bei Patienten mit Diabetes Typ 2 unter Metformin-Langzeit-Einnahme ist unbekannt. Ergänzend zur Bestimmung des IF-AK und bei positivem Befund rät man zur lebenslangen Vitamin-B12-Behandlung. Andernfalls ist das Vorgehen ähnlich wie bei subklinischem Vitamin-B12-Mangel. Eine prophylaktische orale Cobalamin- Einnahme ist für Metformin-Patienten jedoch nicht erforderlich.

Cobalamin-Malabsorption-Syndrom | Erst vor kurzem wurde vorwiegend bei älteren Patienten ( > 65 Jahre) das nahrungsbedingte Cobalamin-Malabsorption-Syndrom beschrieben (food bound FCM). Dabei kann Cobalamin aus der Nahrung oder aus den bindenden Proteinen nicht freigesetzt werden. Die Diagnose stellt sich durch Ausschluss.

Dieses Syndrom wird im Allgemeinen durch die atrophische Gastritis mit oder ohne H. p.-Infektion und durch Langzeit-Einnahme von Protonenpumpen-Inhibitoren oder Biguaniden verursacht.

Dabei spielen offenbar Mutationen in den Genen eine Rolle, die endozytische Rezeptoren kodieren. Diese sind für die Ileumabsorption und Zellaufnahme von Cobalamin verantwortlich. Diese Vorgänge erklären zumindest teilweise die erbliche Komponente der megaloblastischen Anämie [44].

Cobalamin-Mangel beim Kind | Besteht bei Kindern trotz normaler Vitamin-B12-Werte der Verdacht auf einen Cobalamin-Mangel, ist eine sofortige Vitamin-B12-Substitution angezeigt. Wegen der Frage nach genetischen Störungen (z. B. Imerslund-Gräsbeck-Syndrom, IGS) sollte man eine zusätzliche Spezialdiagnostik vornehmen – am besten in einer Kinderklinik.


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Dr. med. Hermann Dietzfelbinger

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ist Hämatologe und Onkologe in eigener hämato-onkologischer Schwerpunktpraxis in Herrsching.
hermann@dietzfelbinger.de

Dr. med. Max Hubmann

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ist Hämatologe und Onkologe in der hämato-onkologischen Schwerpunktpraxis von Herrn Dr. Dietzfelbinger in Herrsching.
max.hubmann@gmx.de

Interessenkonflikte

HD hat erhalten: Unterstützung für Organisation der Herrschinger Hämato-Onkologie-Symposien, Fa. Alexion. MH gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenz

Dr. med. Hermann Dietzfelbinger
Seestraße 43
82211 Herrsching


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Abb. 1 Übersicht über die hämolytischen Anämien (auf Basis von [1]).
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Abb. 2 Größenverteilung der Erythrozyten bei Gesunden sowie bei Kugelzellen- und perniziöser Anämie, Price-Jones-Kurve (aus [2]).
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Abb. 3 Normales Hämoglobinmolekül mit 4 Globinketten (aus [2]).
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Abb. 4 Symptome bei perniziöser Anämie (aus [2]).
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Abb. 5 Megaloblastische Veränderungen im Knochenmark bei perniziöser Anämie:In dem zellreichen Knochenmark besteht eine hyperplastische und linksverschobene Erythropoese mit megaloblastischen Veränderungen in allen Reifungsstufen. Vor allem auf Erythroblastenstufe fällt die charakteristische, aufgelockerte und feine Chromatinstruktur der Kerne auf. Man sieht den Zellen die DNA-Synthesestörung an. Daneben finden sich riesenstabkernige Granulozyten und Riesenmetamyelozyten. Hypersegmentierte Formen finden sich nicht nur bei den Granulozyten, sondern auch bei den Megakaryozyten.