Aktuelle Urol 2015; 46(06): 431-432
DOI: 10.1055/s-0035-1569086
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Postoperative Erholung – Musik bei der Operation?

Contributor(s):
Judith Lorenz
Further Information

Publication History

Publication Date:
24 November 2015 (online)

 

Obwohl die Ergebnisse verschiedener Studien darauf hindeuten, dass sich der perioperative Einsatz von Musik günstig auf die Erholung eines Patienten nach einem chirurgischen Eingriff auswirkt, hat dieses Vorgehen noch keinen Eingang in die klinische Routine gefunden. Eine Arbeitsgruppe aus London hat anhand einer Metaanalyse untersucht, inwiefern die postoperative Erholung durch musikalische Unterstützung gefördert werden kann und welche Patienten hiervon am meisten profitieren.
Lancet 2015; DOI: 10.1016/S0140-6736(15)60169–6

mit Kommentar

Zoom Image
(Bild: Jiri Hera / Fotolia)

Jenny Hole und Kollegen werten in Ihrer Metaanalyse 73 randomisierte, kontrollierte Studien aus. Alle Publikationen befassen sich mit der postoperativen Erholung erwachsener Patienten nach perioperativ begleitendem Einsatz von Musik. Patienten mit chirurgischen Eingriffen am zentralen Nervensystem bzw. im Kopf-Hals-Bereich wurden nicht in die Metaanalyse aufgenommen.

Der Effekt der Musik wurde mit der Standardbehandlung bzw. anderen nicht pharmakologischen Interventionen (z. B. Kopfhörer ohne Musik bzw. mit einem Störrauschen, ungestörte Bettruhe) verglichen. Die Outcome-Parameter umfassten:

  • die postoperativen Schmerzen,

  • den Analgetikabedarf,

  • die Dauer des Klinikaufenthalts,

  • die Angst der Patienten sowie

  • die Zufriedenheit mit der Behandlung.

Meistens beruhigende Melodien ausgewählt

In die einzelnen Studien waren zwischen 20 und 458, meist elektiv chirurgisch behandelte Patienten eingeschlossen worden. Die operativen Prozeduren umfassten ein breites Spektrum von Eingriffen, von endoskopischen Interventionen bis hin zur Transplantation.

Die Musik – meist beruhigende Melodien – wurde über Kopfhörer, Lautsprecher oder Lautsprecher-Kopfkissen vermittelt und über einen variablen Zeitraum vor, während und nach dem Eingriff abgespielt. Die Musikauswahl wurde vom Patienten oder dem Studienpersonal getroffen.


#

Weniger Angst und Schmerzen

Bei den musikalisch betreuten Patienten waren eine signifikante Verringerung

  • der postoperativen Schmerzen (Standard Mean Difference [SMD] –0,77),

  • der Angst (SMD –0,68) und

  • des Analgetikabedarfs (SMD –0,37)

sowie eine Zunahme der Behandlungszufriedenheit (SMD 1,09) nachweisbar. Die Dauer des Klinikaufenthalts wurde nicht durch die Musik beeinflusst (SMD –0,11).

Die Auswahl der Musikrichtung und der Zeitpunkt der Musik-Applikation hatten nur wenig Einfluss auf das Outcome. Bei einer musikalischen „Intervention“ während der Vollnarkose wurde ebenfalls eine Reduktion der postoperativen Schmerzen beobachtet, obgleich der Effekt stärker ausgeprägt war, wenn die Patienten bei Bewusstsein waren.

Fazit

Die Ergebnisse der Metaanalyse legen nahe, dass sich der perioperative Einsatz von Musik günstig auf das Wohlbefinden der Patienten auswirkt. Aussagen über die Infektionsrate, die Qualität der Wundheilung sowie die entstehenden Kosten, so Hole et al., seien jedoch mangels Studiendaten nicht möglich. Art und Zeitpunkt der perioperativen Musik-Applikation müssen nach Einschätzung der Autoren immer an das individuelle klinische Setting angepasst werden. Insbesondere sei darauf zu achten, dass die Konzentration des medizinischen Behandlungsteams, die Kommunikation der Teammitglieder untereinander sowie die Kommunikation mit den Patienten nicht unter der Musik leiden. Musik, so das Fazit der Autoren, stellt eine wenig aufwändige, nicht invasive, sichere und kostengünstige „Behandlungsmöglichkeit“ dar und sollte allen chirurgischen Patienten zugänglich gemacht werden.


#
Kommentar

Sanfte Klänge, wenig Schmerz

Seit nunmehr 100 Jahren wird über die günstige Auswirkung von Musik auf Patienten im Rahmen von Operationen und diagnostischen Eingriffen berichtet. Musik stellt ein einfach anzuwendendes Hilfsmittel dar. Darüberhinaus ist ihre Anwendung im perioperativen Umfeld – z. B. verglichen mit Analgetika oder Sedativa – nebenwirkungsfrei [ 1 ].

Der positive Effekt von Musik ist in einigen systematischen Übersichtsarbeiten beleuchtet worden. Die aktuelle Arbeit von Hole et al. weist jedoch als Alleinstellungsmerkmal umfassende Metaanalysen zu relevanten Endpunkten wie Schmerz, Analgetikabedarf und Angst auf. Sie berücksichtigt mit 73 randomisierten, kontrollierten Studien das in diesem Zusammenhang größte untersuchte Patientenkollektiv (n = 6902), wobei der häufigste verwendete Musikstil beruhigenden Charakter hatte.

Die meisten Studien zeigten, dass Musik hilft, postoperative Schmerzen zu reduzieren. Des Weiteren scheint Musik den Analgetikabedarf zu senken, Angst zu lindern und die Patientenzufriedenheit zu erhöhen. Ihre vorteilhafte Wirkung ist bei Operationen in Lokal- oder Regionalanästhesie, also an wachen Patienten, ausgeprägter als bei Operationen unter Allgemeinanästhesie.

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse gilt es zu beachten, dass Musik als kritisch zu bewertende Intervention in Studien zu sehen ist, bei welchen Schmerz als Endpunkt dient. Schmerz wird in Art und Stärke interindividuell unterschiedlich empfunden. Eine Objektivierung ist schwer möglich [ 2 ]. Zudem ist eine Verblindung der Intervention Musik bei wachen Patienten, die sich einem Eingriff unterziehen, nicht realisierbar. Folglich bergen Studien dieser Art ein hohes Verzerrungspotenzial. Viele der eingeschlossenen Studien beinhalten eine verhältnismäßig geringe Patientenanzahl. Ferner zeigen sie im Hinblick auf die Art der durchgeführten Eingriffe sowie die Erfassung von Schmerz und Angst mittels unterschiedlicher Bewertungsskalen eine große Heterogenität.

Schmerzreduktion durch Musik – auch in der Urologie

Trotz dieser Einschränkungen ist die Arbeit von Hole et al. gerade für die Urologie als wertvoll zu erachten. Das Hören von Musik bei routinemäßigen urologischen Eingriffen in Lokalanästhesie, wie rigider Zystoskopie [ 3 ] oder transrektaler Prostatastanzbiopsie [ 4 ], reduziert hiermit assoziierte Schmerzen und Angst. Gleiches gilt für kleinere Operationen in Sedoanalgesie am äußeren Genitale, wie z. B. bei Varikozelen oder Hydrozelen [ 5 ].

Musik anbieten

Musik ist eine nicht invasive, sichere und kostengünstige Intervention. Ob der perioperative Musikgebrauch auch zu einer signifikanten Kosteneinsparung im Rahmen von medizinischen Behandlungen führt, könnte Gegenstand künftiger Studien sein. Die vorgestellten Ergebnisse belegen erneut den positiven Einfluss von Musik bei Maßnahmen in unterschiedlichen Fachdisziplinen. Somit kann dem praktizierenden Urologen empfohlen werden, die Vorteile der Musik im klinischen Alltag zu nutzen. Wenn möglich und sinnvoll, sollte sie jedem Patienten bei einem bevorstehenden Eingriff zumindest angeboten werden.

Roland Umbach, Prof. Dr. Thomas Knoll, Sindelfingen


#

Roland Umbach


ist Assistenzarzt an der Urologischen Klinik des Klinikums Sindelfingen

Zoom Image

Prof. Dr. Thomas Knoll


ist Chefarzt an der Urologischen Klinik des Klinikums Sindelfingen

Zoom Image
  • Literatur

  • 1 Bradt J, Dileo C, Shim M. Music interventions for preoperative anxiety. The Cochrane database of systematic reviews, 2013; 6 p. CD006908.
  • 2 American Pain Society. Current understanding of assessment, management, treatment. Pain 2012;
  • 3 Yeo JK, Cho DY, Oh MM et al. Listening to music during cystoscopy decreases anxiety, pain, and dissatisfaction in patients: A pilot randomized controlled trial. J Endourol 2013; 27: 459-462
  • 4 Tsivian M, Qi P, Kimura M et al. The effect of noise-cancelling headphones or music on pain perception and anxiety in men undergoing transrectal prostate biopsy. Urology 2012; 79: 32-36
  • 5 Sen H, Ates F, Sizlan A et al. Effect of music on sedation during local urological surgeries. Anatolian Journal of Clinical Investigation 2009; 3: 131-135

  • Literatur

  • 1 Bradt J, Dileo C, Shim M. Music interventions for preoperative anxiety. The Cochrane database of systematic reviews, 2013; 6 p. CD006908.
  • 2 American Pain Society. Current understanding of assessment, management, treatment. Pain 2012;
  • 3 Yeo JK, Cho DY, Oh MM et al. Listening to music during cystoscopy decreases anxiety, pain, and dissatisfaction in patients: A pilot randomized controlled trial. J Endourol 2013; 27: 459-462
  • 4 Tsivian M, Qi P, Kimura M et al. The effect of noise-cancelling headphones or music on pain perception and anxiety in men undergoing transrectal prostate biopsy. Urology 2012; 79: 32-36
  • 5 Sen H, Ates F, Sizlan A et al. Effect of music on sedation during local urological surgeries. Anatolian Journal of Clinical Investigation 2009; 3: 131-135

Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
(Bild: Jiri Hera / Fotolia)