physiopraxis 2015; 13(09): 24-28
DOI: 10.1055/s-0035-1564468
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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10 September 2015 (online)

 

OP-Nachbehandlung – Kompressions-Kryotherapie wirkt nicht besser als einfache Eisanwendungen

Eis wird in der Medizin seit Jahrhunderten zur Schmerzbekämpfung eingesetzt. Auch Kompression kann Schmerzen nach muskuloskeletalen Verletzungen lindern. Die Kompressions- Kryotherapie (KK) verbindet beide Anwendungen miteinander. Dabei pumpt eine Maschine Eiswasser und Luft in eine Manschette und erzeugt so lokal Kälte und Druck. Über eine Steuereinheit kann der Patient die Kompressionsstufe, die Temperatur und die Anwendungsdauer regulieren.

Amerikanische Wissenschaftler der CU Sports Medicine in Colorado stellten deshalb die Hypothese auf, KK wirke besser gegen postoperative Schulterschmerzen als die herkömmliche Eisanwendung. Um sie zu überprüfen, führten sie eine randomisierte Studie mit 46 Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren durch. Diese hatten zuvor entweder eine Rotatorenmanschettenrekonstruktion oder eine subakromiale Dekompression erhalten. Beide Eingriffe waren arthroskopisch. Während der ersten postoperativen Woche erhielten 25 Patienten ein KK-Gerät und 21 Patienten einen Eisbeutel, der mit einer elastischen Binde fixiert wurde. Alle Probanden sollten das Narbengebiet selbstständig in regelmäßigen Abständen kühlen:

  • > Tag null bis zwei: ganztägig je eine Stunde kühlen und eine Stunde Pause, außer während der Nacht

  • > Tag drei bis sieben: zwei oder drei Anwendungen täglich für je eine Stunde

Zusätzlich führten die Teilnehmer ein Tagebuch, in das sie zweimal täglich ihre aktuellen Schmerzen in eine visuelle Analogskala eintrugen und die insgesamt eingenommene Schmerzmittelmenge notierten. Am ersten Nachsorgetermin füllte jeder Proband zudem einen modifizierten SF-12-Fragebogen aus, der den allgemeinen Gesundheitszustand ermittelte.

Die Ergebnisse überraschten die Forscher. Als sie beide Gruppen miteinander verglichen, fanden sie bei den angegebenen Schmerzen und dem allgemeinen Gesundheitszustand keine Unterschiede. Die KK-Gruppe nahm im Schnitt sogar mehr Schmerzmittel ein. Dies war zwar nicht statistisch signifikant, aber laut der Wissenschaftler trotzdem klinisch relevant.

Die Ergebnisse überraschten die Forscher. Als sie beide Gruppen miteinander verglichen, fanden sie bei den angegebenen Schmerzen und dem allgemeinen Gesundheitszustand keine Unterschiede. Die KK-Gruppe nahm im Schnitt sogar mehr Schmerzmittel ein. Dies war zwar nicht statistisch signifikant, aber laut der Wissenschaftler trotzdem klinisch relevant.

Sie kamen zu dem Schluss, Kompressions- Kryotherapie als Standardversorgung gegen Schmerzen bei Patienten mit einer operierten Schulter nicht empfehlen zu können. Zudem sei das Gerät kompliziert zu bedienen und schränke die Bewegungsfreiheit ein. Das in der Studie verwendete Modell zu mieten koste außerdem 190 Dollar für neun Tage und werde meist nicht von den Krankenversicherungen bezahlt.

bm

J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 854–859


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Schlaganfall – Mehr Rezidive nach Stent

Patienten mit einem Schlaganfall, die unmittelbar nach dem Ereignis erst eine Ballondilatation der verengten Stelle im Blutgefäß und dann einen Stent eingesetzt bekommen (Abb. 1), erleiden im ersten Jahr häufiger einen erneuten Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) als Patienten, die lediglich medikamentös behandelt werden. Das fanden US-amerikanische Wissenschaftler heraus.

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Abb. 1: Bei einer Ballondilatation führt der Arzt den an einen Gefäßkatheter angebrachten Ballon in die Stenose des Blutgefäßes. Dort entfaltet sich der Ballon unter hohem Druck und ermöglicht einen besseren Blutfluss. Daraufhin kann der Arzt einen Stent einsetzen.
Abb.: BlueRingMedia/shutterstock.com

Sie randomisierten 112 Probanden, die in den letzten 30 Tagen einen Schlaganfall aufgrund einer intrakraniellen Stenose erlitten hatten, in zwei Gruppen: 59 bekamen einen Stent mittels Ballondilatation an die Stelle der Stenose eingesetzt und wurden zudem medikamentös behandelt. Die restlichen 53 Probanden erhielten lediglich die medikamentöse Therapie. Zu Beginn der Studie und bei den Follow-up-Untersuchungen nach 30, 90 und 180 Tagen sowie nach einem Jahr dokumentierten die Forscher, ob der Proband im selben Hirnareal einen erneuten Schlaganfall oder eine TIA erlitten hatte. Zudem erfassten sie dessen Aktivitätseinschränkungen und den allgemeinen Gesundheitszustand.

Ihre Ergebnisse: Nach einem Jahr war bei 29 Patienten erneut ein Schlaganfall oder eine TIA im selben Hirnareal aufgetreten. 21 davon waren aus der Stent-, acht aus der Medikamentengruppe. Aus der Stent-Gruppe waren zudem drei Probanden verstorben. In Bezug auf die Aktivitätseinschränkungen und den allgemeinen Gesundheitszustand konnten die Wissenschaftler keinen Unterschied zwischen den beiden Interventionen feststellen. Laut der Autoren scheint demnach die Behandlung mit einem Stent bei Patienten nach einem Schlaganfall nicht sinnvoll.

rrn

JAMA 2015; 313: 1240–1248


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Core-Krafttraining bei Jugendlichen – Labile Unterlagen nicht besser als stabile

Trainiert man mit Jugendlichen die körperliche Fitness mit einem Core-Krafttraining, sind bei den Übungen labile Unterlagen nicht effektiver als stabile. Das fanden zwei deutsche Forscher in einer randomisierten kontrollierten Studie heraus.

Sie ließen 27 gesunde, körperlich aktive Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren über sechs Wochen zweimal pro Woche für 30 Minuten trainieren. Das Zirkeltraining für die frontalen, lateralen und dorsalen Rumpfmuskelgruppen bestand aus drei Übungen: Crunches, Seitstütz und Vierfüßlerstand. Davon machten die Probanden in der ersten Woche jeweils drei Serien à 20 Wiederholungen und steigerten sich dann individuell. Die eine Hälfte der Gruppe absolvierte die Übungen auf instabilen Unterlagen wie Ballkissen oder Bällen, die andere Hälfte trainierte auf stabilen Untergründen. Während des Interventionszeitraums sollten die Jugendlichen ihr normales Sportpensum weiterführen, aber keinen zusätzlichen Sport beginnen.

Zu Beginn der Studie und nach sechs Wochen durchliefen die Teilnehmer verschiedene Tests. Dabei maßen die Autoren deren körperliche Fitness anhand von Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Koordination und statischer und dynamischer Balance:

  • > Bourban-Trunk-Muscle-Strength-Test (TMS): misst die Rumpfkraftausdauer der ventralen, lateralen und dorsalen Muskelkette

  • > Standing-Long-Jump-Test: genereller Index für die muskuläre Fitness bei Jugendlichen

  • > Stand-and-Reach-Test (auch als Finger-Boden- Abstand bekannt): misst die Beweglichkeit der Wirbelsäule und des Beckens

  • > 20m-Sprint-Test: misst die Schnelligkeit

  • > Jumping-Sideways-Test: misst die motorische Koordination unter Zeitdruck

  • > Emery-Balance-Test: misst die statische Balance auf einem Bein

  • > Y-Balance-Test: misst die dynamische Balance (Abb. 2)

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Abb. 2 Um die körperliche Fitness zu bestimmen, bietet sich unter anderem der Y-Balance-Test an. Er misst die dynamische Balance.
M. Bizzini und A. Lütscher, Schulthess Klink Zürich (nachgestellte Situation)

Nach sechs Wochen verbesserten sich beide Gruppen gleichermaßen in Bezug auf Kraft, allgemeine Fitness, Koordination und dynamische Balance. Unverändert blieben Schnelligkeit und statische Balance. Lediglich in Bezug auf die Beweglichkeit verbesserte sich die Gruppe mit instabilem Untergrund minimal stärker. Demnach verbessert ein Rumpfkrafttraining über sechs Wochen die körperliche Fitness von Jugendlichen – unabhängig davon, ob sie auf labilen oder stabilen Unterlagen trainieren.

smo

BMC Sports Sci Med Rehabil 2014; 6: 40

NACHGEFRAGT
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Jörg Schellbach ist Physiotherapeut und Master in Evidence Based Manual Therapy. Er hat eine eigene Praxis in Freiburg und ist Senior Instructor des McKenzie Institute International. Mit Katja Klein schrieb er die Masterthesis am University College Thim van der Laan in Landquart (CH).

Mit der Masterarbeit ins internationale Journal


Jörg, wie bist du mit deiner Kommilitonin Katja Klein auf das Thema für eure Masterarbeit gekommen?


Wir wollten eine Untersuchung machen, die praxisrelevant und in die Praxis übertragbar ist. Die Studie sollte also ein Programm beinhalten, das wenig Equipment braucht. Wir konnten für die Betreuung Prof. Urs Granacher gewinnen, der eine Professur für Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Universität Potsdam hat. Er hat das Training auf labilen und stabilen Unterlagen schon bei älteren Menschen erforscht und inspirierte uns dazu, das bestehende Forschungsdefizit bei Jugendlichen anzugehen.


Hattet ihr mit Hindernissen zu kämpfen?


Ich habe die Organisation total unterschätzt. Wir haben mit präpubertierenden Jugendlichen gearbeitet – alleine die zu organisieren, war eine Aufgabe für sich. Dann brauchten wir eine Halle, Tester, die wir schulen mussten, Teststationen und Rücksprachen mit dem Professor über die Datenerhebung – das war ein Wahnsinnsaufwand. Auf der anderen Seite gab es auch Highlights. Uns hat erstaunt, dass die Kids trotz heißem Wetter so regelmäßig und intensiv trainiert haben.


Das Ergebnis eurer Studie ist, dass das Core- Training auf labilen und stabilen Unterlagen zu vergleichbaren Verbesserungen der körperlichen Fitness führt. Ist das Training auf instabilen Unterlagen in diesem Fall also unnötig?


Ich hatte den Eindruck, dass die Jugendlichen, die ihre Übungen auf labilen Unterlagen durchgeführt haben, mehr Spaß beim Training hatten. Der Aufforderungscharakter ist höher, und das steigert die Motivation. Unser Fazit ist, dass man labile Unterlagen nutzen kann, um die Motivation hoch zu halten und das Training abwechslungsreich zu gestalten. Denn ansonsten ist solch ein Krafttraining doch relativ monoton.


Hat sich durch die Studie in deinem praktischen Alltag etwas verändert?


Ich benutze nun häufiger die Tests aus der Studie, die alle gute Reliabilitätswerte haben. Vor allem den Y-Balance-Test mache ich inzwischen oft, zum Beispiel bei Sportlern nach Verletzungen oder auch bei älteren Patienten nach einer TEP. Ob ich labil oder stabil arbeite, ist für mich indikationsgebunden.


Welche Schritte durchläuft man bei einer internationalen Publikation?


Die Studie sollte über entsprechende statistische Power und Aussagekraft verfügen. Man sucht sich ein passendes Journal, welches das erforschte Themengebiet abdeckt, die gewünschte Zielgruppe anspricht und den entsprechenden Impact Factor hat. Da jedes Journal ein eigenes Layout hat, ist die Forschungsarbeit den „Instructions for Authors“ des Journals anzupassen. Dann reicht man die Studie ein. Falls die Arbeit diese Hürde überspringt, geht man durch den oft langen Reviewing-Prozess, in welchem die Kritik jedes Reviewers kommentiert und die entsprechenden Korrekturen ins Manuskript eingearbeitet werden müssen. Man braucht einen langen Atem, bis die Studie akzeptiert wird.


Herzlichen Glückwunsch dazu! Hast du zum Schluss einen Tipp für Physios, die auch eine Studie durchführen möchten?


Verwende viel Zeit für die Organisation! Die Selektion der Probanden, die Art der Randomisierung, der ganze Prozess – das alles sollte man sich gut überlegen und organisieren. Mein Respekt vor Leuten, die Studien machen, ist durch diese Erfahrung auf jeden Fall gewachsen. Die Arbeit, die dahintersteckt, ist enorm.


Die Fragen stellte Stephanie Moers.


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Warm-Up des Oberkörpers – Intensive dynamische Belastung ist am effektivsten

Aufwärmen vor dem Sport ist wichtig, denn es hat das Potenzial, das Verletzungsrisiko zu verringern und die Leistung zu steigern. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema existierten bislang vor allem für spezifische Bein- und Ganzkörperaufwärmprogramme. Ob sich das Aufwärmen des Oberkörpers positiv auf die Leistung und das Verletzungsrisiko eines Sportlers auswirkt, untersuchten nun australische Wissenschaftler der Universität Sydney mithilfe eines systematischen Reviews.

Sie fassten dazu 31 Studien mit 628 Teilnehmern zusammen, in denen insgesamt 25 Aufwärmmethoden untersucht worden waren – beispielsweise Dehnen sowie passives und dynamisches Aufwärmen. Die 43 in den Studien vorkommenden Outcome-Parameter fassten die Autoren für eine bessere Übersichtlichkeit in acht Gruppen zusammen. Dazu gehörten beispielsweise die Gruppen „Power“ (zum Beispiel Höchstgeschwindigkeit des Tennisaufschlags), „Strength“ (zum Beispiel maximale Kontraktionsfähigheit eines Muskels), „Flexibility“ (zum Beispiel Beweglichkeit des Ellenbogengelenks) und DOMS (Muskelkater).

Nach Auswertung der Studien kamen die Wissenschaftler zu folgenden Ergebnissen: Dynamisches Aufwärmen mit hoher Intensität verbessert vor allem Parameter aus den Gruppen „Power“ und „Strength“. Zudem sollte ein Aufwärmprogramm so sportartspezifisch wie möglich sein. So bietet es sich beispielsweise für einen Baseballspieler nicht an, während des Warm-ups Schläger zu benutzen, die ein anderes Gewicht haben als diejenigen, die er im Spiel verwendet.

Sehr ineffektiv sind laut den Autoren dynamisches Aufwärmen mit geringer Intensität sowie passives Erwärmen. Statisches Dehnen, obwohl häufig als kontraproduktiv bezeichnet, beeinflusst laut dieses Reviews die spätere Leistungsfähigkeit dagegen nicht. Studien, die die Auswirkung des Aufwärmens auf das Verletzungsrisiko der oberen Extremität untersuchen, fanden die Wissenschaftler nicht.

Unter Berücksichtigung früherer Übersichtsarbeiten zum allgemeinen Aufwärmen empfehlen die Autoren als einfaches und effektives Aufwärmen des Oberkörpers etwa intensive Übungen in allen drei Bewegungsebenen der Schulter und kurze Dehnungen des M. pectoralis major, M. trapezius, M. latissimus dorsi und M. deltoideus.

bm

Br J Sports Med 2015; 49: 935–942


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Abb. 1: Bei einer Ballondilatation führt der Arzt den an einen Gefäßkatheter angebrachten Ballon in die Stenose des Blutgefäßes. Dort entfaltet sich der Ballon unter hohem Druck und ermöglicht einen besseren Blutfluss. Daraufhin kann der Arzt einen Stent einsetzen.
Abb.: BlueRingMedia/shutterstock.com
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Abb. 2 Um die körperliche Fitness zu bestimmen, bietet sich unter anderem der Y-Balance-Test an. Er misst die dynamische Balance.
M. Bizzini und A. Lütscher, Schulthess Klink Zürich (nachgestellte Situation)
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Jörg Schellbach ist Physiotherapeut und Master in Evidence Based Manual Therapy. Er hat eine eigene Praxis in Freiburg und ist Senior Instructor des McKenzie Institute International. Mit Katja Klein schrieb er die Masterthesis am University College Thim van der Laan in Landquart (CH).