ergopraxis 2015; 8(07/08): 12-13
DOI: 10.1055/s-0035-1558877
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Durch die professionelle Brille sehen – Ergotherapeutische Modelle

Florence Kranz

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
10 July 2015 (online)

 

Wozu sind ergotherapeutische Modelle eigentlich gut? Man kann sagen, mit Modellen setzen sich Ergotherapeuten eine professionelle Brille auf. Dadurch bekommen nicht nur sie, sondern auch andere Berufsgruppen einen klaren Blick auf die ergotherapeutische Praxis.


#

Florence Kranz

Zoom Image
Florence Kranz Ergotherapeutin BcOT und M.A. Gesundheitsmanagement, arbeitet freiberuflich als Journalistin, Redakteurin und Dozentin. In ihrer Arbeit lässt sie sich gerne von internationalen Entwicklungen inspirieren.

Ergotherapeuten gelten als Experten für das menschliche Handeln. Sie unterstützen ihre Klienten darin, bedeutsame Handlungen (wieder) auszuführen. Dazu müssen sie mit vielfältigem Wissen jonglieren. Gleichzeitig benötigen sie umfassende Informationen über ihre Klienten, deren individuelle Lebenssituation, Handlungseinschränkungen und -bedürfnisse. Das reicht aber nicht aus: Die gesammelten Informationen wollen auch sinnvoll mit ihrem theoretischen Wissen verknüpft werden, um geeignete Ansatzpunkte für die Therapie identifizieren zu können. Ergotherapeutische Modelle helfen ihnen dabei, ihr Wissen zu strukturieren und in die Praxis zu übertragen [1–4]. Außerdem bieten sie ihnen einefundierte Grundlage, um Erfahrungen aus der Praxis professionell einordnen und interpretieren zu können. Damit aber nicht genug: Indem sieden Gegenstandsbereich und das Grundverständnis der Ergotherapie verdeutlichen, tragen sie zu ihrer Professionalisierung bei. Denn sie definieren eine professionelle Sprache und ermöglichen es, die Ergotherapie gegenüber anderen Berufsgruppen darzustellen und abzugrenzen [1–3].

Menschliches Handeln begreifbar machen

Ergotherapeutische Modelle präsentieren und strukturieren theoretische Zusammenhänge, die Ergotherapeuten in ihrer täglichen Arbeit nutzen [1]. Damit stellen sie vereinfachte Abbilder der Wirklichkeit dar. Ihr Fokus liegt auf dem menschlichen Handeln. Einige Modelle führen den englischsprachigen Begriff „Occupation“ sogar direkt im Namen: Model of Human Occupation (MOHO), Canadian Model of Occupational Performance and Engagement (CMOP-E) oder Occupational Performance Model Australia (OPMA). Beim Kawa-Modell und dem Bieler-Modell handelt es sich um zwei weitere Inhaltsmodelle, die zentrale Aspekte der Ergotherapie thematisieren [5]. Dabei nutzen

» Ergotherapeutische Modelle tragen zur Professionalisierung der Ergotherapie bei. «

sie in der Regel eine interdisziplinäre Basis und stützen sich auf Wissen und Forschungsergebnisse aus verschiedenen Disziplinen [1, 2, 6], MOHO kombiniert beispielsweise Erkenntnisse aus der Systemtheorie, Psychologie, Sozialpsychologie, Anthropologie und Ergotherapie. Auf dieser Grundlage erklärt es, wie Menschen in ihrertäglichen Umwelt ihre Handlungen motivieren, strukturieren und durchführen [7], Dabei unterscheidet es zwischen drei Ebenen, die auch andere Ergotherapiemodelle aufgreifen: Person, Handlung und Umwelt.


#

Kulturell beeinflusst

Auch wenn sich der Gegenstandsbereich ergotherapeutischer Modelle grundsätzlich ähnelt, spielt ihre Herkunft eine entscheidende Rolle (ABB.). Der jeweilige Kulturkreis beeinflusst nämlich, welche Inhalte sie wie präsentieren. Das veranlasste japanische Ergotherapeuten um Prof. Michael Iwama Ende der 1990er Jahre dazu, ein eigenes Modell zu entwickeln: das KAWA-Modell. Denn sie fanden ihre kollektiv orientierten Sicht- und Herangehensweisen in westlichen Ergotherapie-Modellen nicht ausreichend berücksichtigt [8, 9]. Vor allem, da diese strikt zwischen dem Menschen und seiner Umwelt trennen. Das KAWA-Modell hebt diese Trennung auf und geht davon aus, dass der Mensch untrennbar in einen Umweltkontext einbezogen ist. Sein Handeln ist nicht nur individuell motiviert, sondern beruht auf dem Zusammenspiel von Mensch und Umwelt [8, 9]. Das KAWA-Modell veranschaulicht diese Wechselbeziehung mit der Metapher eines Flusses. Dieser steht für das menschliche Leben und damitfüreine komplexe und tiefgründige Reise durch Zeit und Raum [9, 10]. Der Fluss beinhaltet verschiedene Elemente, die im Idealfall harmonisch zusammenwirken: das Wasser (Gesundheit und Lebensfluss), das Flussbett (Umweltbedingungen), die Steine (Lebens-umstände und Probleme), die Treibhölzer (Ressourcen und Barrieren) und die Freiräume (Potenziale, therapeutische Ansatzpunkte) [8],

Zoom Image
Abb.: cunico/fotolia.com

#

Assessments bereitstellen

Ergotherapeu-tische Modelle geben Ergotherapeuten häufig konkrete Assessments an die Hand, um wichtige Informationen über Klienten, deren Handlungsfertigkeiten oder -bedürfnisse zu ermitteln [1, 2]. Mit dem Canadian Occupational Performance Measure (COPM) bietet ihnen das kanadische Modell beispielsweise die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Klienten zentrale Handlungsziele zu identifizieren. Dabei schätzt der Klient jeweils ein, wie gut er eine Handlung durchführen kann und wie zufrieden er damit ist [11]. Solche Selbsteinschätzungsbögen erleichtern die Klientenzentrierung: Indem Ergotherapeuten mehr über die Sicht ihrer Klienten erfahren, können sie ihre Interventionen besser darauf abstimmen. Auch das MOHO stellt einige Selbsteinschätzungsbögen zur Verfügung, zum Beispiel das OSAoderdie Interessen- und Rollencheckliste. Gleichzeitig bietet es verschiedene beobachtungsbasierte Assessments. Hierzu gehören das AMPS und das ACIS, die objektive Daten zu den Handlungsfertigkeiten und der Handlungsperformanz eines Klienten ermitteln [6]. Die gesammelten Informationen helfen Ergotherapeuten dabei, ihre Interventionen auf die konkreten Handlungseinschränkungen und -bedürfnisse ihrer Klienten abzustimmen und den Therapiefortschritt zu bewerten [1, 11].

AUSBLICK

Prozessmodelle

Erfahren Sie in ergopraxis 10/15, worin sich Inhalts- und Prozessmodelle unterscheiden und welche Prozessmodelle es in der Ergotherapie gibt.


#

Am besten evidenzbasiert

Damit ergotherapeutische Modelle nicht an der Realität vorbeigehen, benötigen sie eine empirische Basis [1, 6]. Deshalb setzt Forschung häufig schon ein, bevor ein Modell entwickelt wird. Prof. Iwama und seine Kollegen nutzten zum Beispiel Fokusgruppen, um wesentliche Aspekte der japanischen Ergotherapie zu identifizieren und im KAWA-Modell zu veranschaulichen [8, 9]. Nach der Entwicklung eines Modells ist dessen Erforschung aber nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Normalerweise geht es dann erst richtig los [1]. Sowie beim MOHO, das eine lange und rege Forschungstradition aufweist [7]. Zwei Arten von Forschung lassen sich dabei unterscheiden. Die Grundlagenforschung zielt darauf ab, zentrale Annahmen eines Modells zu überprüfen. Und die anwendungsbezogene Forschung untersucht dessen praktischen Nutzen [1]. Die Forschungsergebnissetragen dazu bei, dassergotherapeutische Modelle aktuell bleiben und ihren Zweck erfüllen: das menschliche Handeln begreifbar und Ergotherapeuten handlungsfähig machen.


#
#

Zoom Image
Florence Kranz Ergotherapeutin BcOT und M.A. Gesundheitsmanagement, arbeitet freiberuflich als Journalistin, Redakteurin und Dozentin. In ihrer Arbeit lässt sie sich gerne von internationalen Entwicklungen inspirieren.
Zoom Image
Abb.: cunico/fotolia.com