Aktuelle Urol 2015; 46(03): 194-195
DOI: 10.1055/s-0035-1555691
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Epididymitis – Häufiger als gedacht

Contributor(s):
Elke Ruchalla

J Urol 2014;
192: 1203-1207
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Publication History

Publication Date:
12 June 2015 (online)

 

    Eine Epididymitis ist bei akuten Hodenschmerzen neben einer Hodentorsion oder Hydatidentorsion eine weitere zu bedenkende Differenzialdiagnose. Über demografische und klinische Faktoren, die mit einer akuten Epididymitis in Zusammenhang stehen, ist dabei wenig bekannt. US-amerikanische Mediziner haben Daten dazu zusammengetragen.
    J Urol 2014; 192: 1203–1207

    mit Kommentar

    Eine Epididymitis ist eine relativ häufige Ursache von akuten Hodenschmerzen. So das Ergebnis der Ärzte um Jeffrey Redshaw, die retrospektiv Krankenakten eines pädiatrischen notfallmedizinischen Zentrums ausgewertet haben.

    Einbezogen wurden alle Fälle mit nachgewiesener Epididymitis bzw. Epididymo-Orchitis, die zwischen 1992 und 2012 behandelt worden waren. Eine klinisch nachgewiesene Epididymitis war definiert als Schwellung, Verhärtung und Druckschmerzhaftigkeit des Nebenhodens, sonografische Kriterien waren die Vergrößerung des Nebenhodens mit vermehrter Perfusion.

    Insgesamt 252 diagnostizierte Fälle einer Epididymitis innerhalb von 21 Jahren wurden in die Studie einbezogen. Das mittlere Alter der Kinder lag bei 10,9 Jahren, der Altersgipfel bei 11 Jahren. Im Median betrug die Zeit zwischen Symptombeginn und Vorstellung im Zentrum 5 Tage, aber immerhin jeder 3. Junge (34 %) wies seit mehr als 1 Woche bestehende Beschwerden auf. Bei mehr als einem Viertel der Patienten (27,4 %) handelte es sich um ein wiederholtes Ereignis, wobei die Dauer zwischen Ersterkrankung und Rezidiv zwischen 2 Wochen und 60 Monaten betrug, meistens lag sie zwischen 2 und 6 Monaten.

    Eine sonografische Untersuchung war bei 165 Jungen durchgeführt worden, in 144 Fällen stand der Befund in Einklang mit der klinischen Diagnose einer Epididymitis. Ergebnisse von Urinuntersuchungen waren bei 79 Jungen verfügbar, ein pathologischer Befund fand sich bei 25. Urinkulturen waren bei 38 Jungen angelegt worden, mit 7 positiven Fällen, am häufigsten wurden E. coli und Enterokokken nachgewiesen.

    Ein Miktionscysturethrogramm (MCU) war bei 34 Jungen angefertigt worden und zeigte anatomische Auffälligkeiten bei 9. Dabei handelte es sich am häufigsten um einen vesikoureteralen Reflux oder einen vergrößerten Utriculus prostaticus. Von 23 Patienten lag sowohl eine Urinkultur als auch ein MCU vor, hierbei zeigten 6 MCUs einen pathologischen Befund. Vier der 6 Kinder mit pathologischem MCU hatten auch eine positive Urinkultur (66,7 %, relatives Risiko 5,67). Es konnte kein Nachweis einer Assoziation von Alter (> oder < 1 Jahr) und positivem MCU nachgewiesen werden. Eine rezidivierte Epididymitis war mit einem positiven MCU-Befund invers korreliert.

    Anamnestisch fiel auf, dass die Symptomatik bei 23 Patienten zum Zeitpunkt starker körperlicher Aktivität auftrat. Die Jungen in dieser Gruppe waren 13,4 ± 2,6 Jahre alt und keiner hatte eine positive Urinanalyse oder -kultur oder ein pathologisches MCU.

    Ein aktueller Harnwegsinfekt oder rezidivierende Harnwegsinfekte in der Anamnese bestanden bei 20 Jungen, andere möglicherweise auslösende Faktoren umfassten neurogene Blase, Traumata, chirurgische Eingriffe (Hypospadiekorrektur) oder die Vorgeschichte einer Purpura Schönlein-Henoch oder eines viralen Infekts.

    Fazit

    Epididymitiden treten am häufigsten kurz vor der Pubertät auf, im Säuglings- und Kleinkindalter sind sie eine Seltenheit, so die Autoren. Rezidive sind mit etwa 27% sehr viel häufiger als angenommen – Urologen sollten die Familien über dieses Risiko aufklären, und weitere Studien zum Nachweis prädisponierende Faktoren sind erforderlich. Dabei scheint aber ein Rezidiv nicht mit einer erhöhten Rate auffälliger Befunde im MCU verbunden, eher im Gegenteil, obwohl die untersuchten Fallzahlen zu gering sind, um endgültige Schlüsse daraus zu ziehen. Die routinemäßige Empfehlung, bei einer Rezidiv-Epididymitis ein MCU anzufertigen, scheint aber aus ihren Zahlen auch nicht begründbar, so die Autoren weiter. Eine positive Urinkultur dagegen geht mit einem erhöhten Risiko von pathologischen Ergebnissen im MCU einher.

    Kommentar

    Umfang der diagnostischen Abklärung unklar

    Das sogenannte akute Skrotum – die schmerzhafte Schwellung eines Skrotalfaches meist mit Rötung und Überwärmung – ist eine relativ häufige Notfallsituation in der Kinderurologie. Dabei sollte eine Hodentorsion von einer akuten Epididymitis (AE) und einer Torsion der Appendix testis bzw. epididymis abgegrenzt werden.

    Die Häufigkeit des Anteils der AE im Rahmen dieses Notfallgeschehens variiert zwischen 10 und 71 % in retrospektiven Studien der letzten 30 Jahre. Trotz dieses gut bekannten Krankheitsbildes ist bzgl. der Ätiologie bei pädiatrischen Patienten wenig gesichert. Spezifische Risikofaktoren oder ein Konsensus bzgl. des erforderlichen Umfangs der diagnostischen Abklärung sind ebenso nicht gesichert. Vor diesem Hintergrund scheint die o. g. Publikation recht hilfreich sein zu können.

    Die aktuelle Arbeit von Redshaw et al. zur AE betrachtet das eigene Krankengut über 21 Jahre und bezieht dabei 252 Patienten ein. Die Grundlage der Diagnosestellung ist lediglich basiert auf einer klinischen Tastuntersuchung. Angesichts einer Erkrankung, die dann zumeist ambulant behandelt wird, liegt genau hierin auch die Schwäche der Arbeit.

    Sicherheit der Sonografie zur Frage der AE

    Nach klinischer Diagnosestellung war eine (absichernde) Ultraschalluntersuchung nur bei 165/252 Jungen (65,5 %) nachvollziehbar. Diese zeigte nur bei 87,3 % der untersuchten Jungen die typische sonografische Befundkonstellation einer Nebenhodenschwellung mit vermehrter Durchblutung.

    Weitergehende Laboruntersuchungen

    Zum Thema der Blutuntersuchungen oder Fieber finden sich keine Angaben. Bzgl. der Urinuntersuchungen waren bei 79/252 Patienten (31,3 %) Befunde nachvollziehbar. Im Urin wurde nur bei 25/79 Jungen eine Harnwegsinfektion nachgewiesen, wobei die Urinkulturen nur bei 7 der 38 (21 %) angelegten Urinkulturen im Gesamtkollektiv einen Erregernachweis erbrachten. In diesen Fällen fand sich relativ häufig eine Harntraktanomalie, was aber angesichts der sehr geringen Fallzahl nicht überbewertet werden sollte.

    Auch wenn diese Analyse somit erfrischend ehrlich mit den Primärdaten umgeht, können damit hinsichtlich der empfehlenswerten über die klinische Untersuchung hinausgehenden Untersuchungen und deren Wertigkeit nur sehr begrenzt Aussagen gemacht werden.

    Altersgipfel der AE um 11 Jahre

    Festzuhalten ist, dass der Altersgipfel dieser Erkrankung um das 11. Lebensjahr ± 4 Jahre liegt und somit dem Alter der beginnenden Pubertät zugeordnet wird. Damit scheinen anatomische Fehlbildungen gemessen an anderen Faktoren von untergeordneter ätiologischer Bedeutung zu sein.

    Hohe Rezidivneigung der AE im Kindes- / Jungendalter

    Ein Viertel der Jungen wies im Follow-up mindestens eine weitere AE auf, wobei die Latenz überwiegend 2–6 Monate betrug. Betroffene und Eltern sollten hierüber aufgeklärt werden.

    Nach der Lektüre der Analyse und der Diskussion erscheint die alleinig klinisch basierte Diagnosestellung der AE fraglich, denn die Autoren räumen ein, dass einige AE abakterielle Entzündungen des Nebenhodens als Folge einer retorquierten Verdrehung des Apendix des Hodens oder Nebenhodens oder des Hodens selbst gewesen sein könnten.

    Ratsam erscheint zur Absicherung der Diagnose einer AE neben der Anamnese und der klinischen Diagnose in der aktuellen Zeit: eine Ultraschalluntersuchung der Hoden einschließlich der Bewertung der Durchblutungsverhältnisse und eine Urinuntersuchung. In unserer Klinik ist die Kontrolle der Entzündungsparameter im Blut ebenso verpflichtend.

    Dr. Olaf A. Brinkmann, Lingen


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    Dr. Olaf A. Brinkmann


    ist Chefarzt der Klinik für Urologie und Kinderurologie am St. Bonifatius Hospital Lingen

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