Laryngorhinootologie 2014; 93(12): 861-864
DOI: 10.1055/s-0034-1394366
Gutachten + Recht
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Medicolegale Aspekte bei der Behandlung von Kindern

85. Jahresversammlung Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chi­rurgie e. V. Dortmund, 29. Mai 2014Medical Treatment of Infants in Terms of Medico-Legal Aspects
A. Wienke
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Rechtsanwalt Dr. A. Wienke
Fachanwalt für Medizinrecht
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Publication History

Publication Date:
01 December 2014 (online)

 

Die Behandlung von Kindern stellt nicht nur an die verantwortlichen Ärzte und das Pflegepersonal besondere und spezifische Anforderungen; auch die maßgeblichen Rechtsrahmenbedingungen, unter denen die ärztliche Behandlung von Kindern erfolgt, muss seit jeher spezifische Besonderheiten beachten. Besonders augenfällig wird dies aus medizinischer Sicht im Zusammenhang mit dem Einsatz von Arzneimitteln bei der Behandlung von Kindern. Nur ganz wenige Arzneimittel sind für den Einsatz bei Kindern mit der zu fordernden Evidenz erforscht; vielmehr beruhen die Erkenntnisse über den Einsatz und die Wirkungsweise von Arzneimitteln im Wesentlichen auf Forschungsergebnissen beim Einsatz an Erwachsenen. Eben solche Besonderheiten müssen bei der Behandlung von Kindern aus rechtlicher Sicht beachtet werden, da viele Kinder im Rahmen der notwendigen Behandlung selbst ein eigenes Bestimmungsrecht, was mit ihnen und der Krankenversorgung geschehen soll, nicht äußern können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kinder ein solches Selbstbestimmungsrecht von vornherein nicht hätten. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall.

Rechtsgrundlagen

Jeder ärztliche, auch der auf Heilung gerichtete Eingriff stellt tatbestandlich eine Körperverletzung dar. Diese seit den ersten Entscheidungen des Reichsgerichts Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Rechtsdogmatik wurde zuletzt auch in den am 26.02.2013 in Kraft getretenen Änderungen des Patientenrechtegesetzes vom aktuellen Gesetzgeber bestätigt. Nur die auf Basis einer umfassenden Aufklärung abgegebene wirksame Einwilligung des Patienten kann den ärztlichen Eingriff rechtfertigen und damit gleichzeitig legalisieren. Die Pflicht zur Einholung der Einwilligung des Patienten ist in § 630 d) Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) festgehalten. Dort heißt es:

„Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen.“

Eine solche wirksame Einwilligung kann allerdings nur auf Basis einer umfassenden Aufklärung erfolgen. Daher hält § 630 e) Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB fest:

„Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.“

Jeder ärztliche Eingriff – so auch der bei einem Minderjährigen – bedarf also der Rechtfertigung. Zentrale Frage ist daher, wer diese rechtfertigende Einwilligung bei der Behandlung Minderjähriger erteilen muss. Neben den vorstehenden allgemeinen, auch in der Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg entwickelten Grundaussagen zur Einwilligung und Aufklärung schweigt das Patientenrechtegesetz, wenn es um die Frage der Einwilligungserklärung bei der Behandlung von Minderjährigen geht. Lediglich in der Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz ist der Hinweis enthalten, es müsse im Einzelfall entschieden werden, „ob seine Eltern als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen“. Genaue Kriterien oder Fallgruppen, wann etwa eine Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen anzunehmen ist, und wie dies zu dokumentieren ist, wird im Pa­tientenrechtegesetz nicht festgehalten. Damit verschließt sich der Gesetzgeber der Möglichkeit, in diesem Zusammenhang eine erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen.


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Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen

Es besteht in der Rechtsprechung und juristischen Literatur kein Zweifel darüber, dass das grundrechtlich verbürgte medizinische Selbstbestimmungsrecht einem Kranken oder Gebrechlichem in gleicher Weise zusteht wie einem Gesunden. Auch Minderjährige sind Träger dieses Selbstbestimmungsrechtes. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 21.12.1977 ausgeführt, dass der Minderjährige mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ­geschützte Persönlichkeit ist.

Hiervon zu trennen ist jedoch die Fähigkeit des Minderjährigen, sein ihm grundsätzlich zustehendes Recht auf Ausübung der Selbstbestimmung zu realisieren. Diese Fähigkeit nennt man Grundrechtsmündigkeit.

Üblicherweise werden Entscheidungen des Minderjährigen stellvertretend durch seine Eltern abgegeben. Die Eltern sind nach § 1627 BGB auch in Fragen der Krankenversorgung des Kindes sorge- und damit vertretungsberechtigt. § 1627 BGB lautet:

„Die Eltern haben die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.“

Dieses aus § 1627 BGB abgeleitete Elternrecht reduziert sich mit zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes bis zur gänzlichen Aufhebung mit Erreichen der Volljährigkeit. Sofern eine partielle Mündigkeit des Minderjährigen in bestimmten Bereichen oder in bestimmten Entscheidungsfragen bejaht wird, wird das elterliche Sorgerecht gegenstandslos. Eine Parallelität zwischen der Ausübung des elterlichen Sorgerechtes und der Grundrechtsmündigkeit des Minderjährigen existiert nicht. Insoweit wird das elterliche Sorgerecht durch das Vorliegen des eigenen Selbstbestimmungsrechtes des Kindes vollständig aufgehoben.


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Die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit

Im Zusammenhang mit der Festlegung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger werden auch in Deutschland immer wieder starre Altersgrenzen vom Gesetzgeber gefordert. Es wird in diesem ­Zusammenhang insbesondere von den behandelnden Ärzten gefordert, dass es ihnen nicht zu zumuten sei, in jedem Einzelfall die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen zu beurteilen. Auch im Patientenrechtegesetz hat es hierzu keine Klarstellungen gegeben. Interessant sind in diesem Zusammenhang allerdings die gesetzlichen Bemühungen des österreichischen Gesetzgebers, der mit Wirkung zum 01.01.2013 das Bundesgesetz über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen in Kraft gesetzt hat. Hiernach sind jedenfalls für den Bereich der reinen ästhetischen Behandlungen und Operationen solcher Eingriffe bei Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, generell unzulässig. Der deutsche Gesetzgeber hat sich zu solchen starren Altersgrenzen bisher auch in Teilbereichen nicht entschließen können.

Interessant sind auch vom deutschen Gesetzgeber in anderem Zusammenhang bereits eingeführte gesetzliche Altersgrenzen. So liegt die Grenze für die Einwilligung in eine Adoption oder die Grenze für die Verfahrensfähigkeit nach dem Familienverfahrensgesetz bei 14 Jahren. Die 16-Jahresgrenze hat der Gesetzgeber in Bezug auf das Vereidigungsverbot der ­Zivilprozessordnung, der Eheschließung, der Testierfähigkeit oder auch der Organspende vorgesehen. So heißt es im Transplantationsgesetz unter anderem:

„Wer eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgibt, kann in eine Organ- und Gewebespende nach § 3 einwilligen, ihr widersprechen oder die Entscheidung einer namentlich benannten Person seines Vertrauens übertragen (Erklärung zur Organ- und Gewebespende). Die Erklärung kann auf bestimmte Organe oder Gewebe beschränkt werden. Die Einwilligung und die Übertragung der Entscheidung können vom vollendeten sechszehnten, der Widerspruch kann vom ­vollendeten vierzehnten Lebensjahr an erklärt werden.“

Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie zur enteralen und parenteralen Ernährung wird eine Altersgrenze von 14 Jahren für die Einwilligungsfähigkeit empfohlen. Für entsprechende Maßnahmen bei 14- bis 17-jährigen wird eine Einzelfallprüfung vorgeschlagen.

Starre Altersgrenzen sind letztlich für die Einzelfallbeurteilung ungeeignet. Das ­Alter des Minderjährigen allein kann nicht darüber entscheiden, ob eine Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall vorliegt oder nicht. Insoweit ist regelmäßig eine Einzelfallentscheidung über die individuelle Reife des Minderjährigen in der konkreten Situation zu treffen. Eine gewisse Richtung gibt § 40 Abs. 4 Nr. 3 des Arzneimittelgesetzes vor, wo es heißt:

„Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich. Eine Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch nach Absatz 2 Satz 2 ist neben dem gesetzlichen Vertreter auch dem Minderjährigen zu eröffnen.“

Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht hat im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung von Kindern als Entscheidungskriterien insbesondere auch die Schwere der Erkrankung und die Fähigkeit des Kindes, dem Aufklärungsgespräch zu folgen, Fragen zu stellen, das Für und Wider abzuwägen sowie besondere eigene Situation zu erfassen und sich dazu zu äußern, hervorgehoben. Insoweit können Altersgrenzen nur als Faustregel oder Richtschnur gelten:

Bei unter 14-jährigen Minderjährigen ist in der Regel keine Einwilligungsfähigkeit anzunehmen, bei denjenigen Jugendlichen, die kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres stehen, ist in der Regel von einer Einwilligungsfähigkeit auszugehen.

Aber auch Art, Umfang und Gefährlichkeit des geplanten ärztlichen Eingriffes sind Abwägungskriterien. So wird man auch zwischen Routinemaßnahmen, wie Blutentnahmen, einerseits und lebensbedrohlichen Eingriffen, wie z. B. die Durchführung einer Tonsillektomie anderseits, unterscheiden müssen. Auch die jeweilige individuelle psychische Konstitution des Minderjährigen, sein Bildungsgrad, seine Herkunft, die bestimmenden kul­turellen Traditionen und auch die eigene Krankheitserfahrung des Minderjährigen werden als Entscheidungskriterium für die Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit heranzuziehen sein.

Unbestritten ist bei alldem, dass der verantwortliche behandelnde Arzt eine Entscheidung im Einzelfall anhand der dargestellten Kriterien treffen muss und diese Entscheidung unter Heranziehung der von ihm für wesentlich erachteten Kriterien in den Krankenunterlagen dokumentieren muss.


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Folgen der Einwilligungsfähigkeit

Bei Vorliegen einer Einsichtsfähigkeit kann und muss der Minderjährige selbst in die Behandlung einwilligen, ein „bißchen“ Einwilligungsfähigkeit gibt es nicht. Die Aufklärung richtet sich in diesem Fall allein an den Minderjährigen selbst, denn nur derjenige, dem Risiken bekannt sind, kann selbstbestimmt entscheiden, ob er in den Eingriff einwilligt oder nicht. Das Personensorgerecht der Eltern nach § 1631 BGB tritt in diesem Fall vollständig hinter die Einwilligungsmündigkeit des Minderjährigen zurück. Es besteht daher keine Verpflichtung oder Berechtigung des behandelnden Arztes, die Eltern oder Dritte in das Behandlungsgeschehen einzubinden, wenn zuvor die Einwilligungsfähigkeit des Kindes bzw. des Minderjährigen positiv festgestellt worden ist. In diesen Fällen ist von besonderer Bedeutung, das die behandelnden Ärzte den einwilligungsfähigen Minderjähren gegenüber bereits eine eigene Schweigepflicht haben. Markantes Beispiel für die wesentliche Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht in diesen Situationen ist die Verschreibung von Kontrazeptiva an jugendliche Mädchen, die kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres stehen und selbst nicht wünschen, dass die Eltern über die Einnahme der Kontrazeptiva vom Arzt informiert ­werden.

Liegt eine Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen vor, haben die sorgeberechtigten Eltern auch kein Vetorecht gegen die im einwilligungsfähigen Zustand getroffene Entscheidung des Minderjährigen. Das elterliche Sorgerecht gewährleistet allerdings einen Informationsanspruch der Eltern über den ärztlichen Eingriff; insoweit können Eltern beratend auf den Minderjährigen einwirken. Anzustreben ist daher eine gemeinsame Entscheidung des Minderjährigen und der Eltern unter Mitwirkung des behandelnden Arztes; möchte der einwilligungsfähige Minderjährige eine Beteiligung und Mitwirkung der Eltern aber nicht, hat diese zu unterbleiben.


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Folgen der Einwilligungsunfähigkeit

Stellt sich nach individueller Beurteilung durch den behandelnden Arzt heraus, dass der Minderjährige im Hinblick auf den beabsichtigten Eingriff einwilligungsunfähig ist, verbleibt es bei der Ausübung des elterlichen Sorgerechtes. Grundsätzlich haben dabei beide Elternteile die Einwilligung in bevorstehende Eingriffe vorzunehmen. Allerdings darf der behandelnde Arzt bei kleinen und weniger Risiko behafteten Eingriffen darauf vertrauen, das Erscheinen nur eines Elternteils und dessen Zustimmung zum bevorstehenden Eingriff auch der andere nicht erschiene Elternteil dem Eingriff zustimmt. Bei Kenntnis über ein Getrenntleben der Eltern und ein alleiniges Sorgerecht hat der behandelnde Arzt auch diese Umstände zu berücksichtigen. Bestehen Zweifel über die Sorgeberechtigung und insbesondere bei der bevorstehenden Durchführung Risiko behafteter Eingriffe, muss der Arzt Wert darauf legen, dass die Einwilligung in den bevorstehenden Eingriff immer von beiden ­Elternteilen durchgeführt wird. Insoweit dürfte z. B. vor Durchführung der Tonsillek­tomie es ratsam sein, immer beide Elternteile in das Aufklärungsgespräch einzubinden und die Einwilligung für die Durchführung der Tonsillektomie von beiden Elternteilen einzuholen.

Bei der Verweigerung eines dringend gebotenen ärztlichen Eingriffes wird man in der Regel auf den Missbrauch des elterlichen Sorgerechtes schließen können. In diesem Fall ist die Anrufung des Familien­gerichtes durch den verantwortlich behandelnden Arzt erforderlich. Die Entscheidung des Familienrichters ersetzt dann die unterbliebene Entscheidung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten.


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HNO-spezifische Schönheitsoperationen bei Minderjährigen

Ärztliche Eingriffe, die nicht medizinisch indiziert sind und nicht dem Kindeswohl entsprechen, sind nicht zu rechtfertigen und stellen regelmäßig den vollendeten Tatbestand der rechtswidrigen, schuldhaften Körperverletzung dar.

Dies gilt insbesondere für rein kosmetische Leistungen bei Nichteinwilligungsfähigen, also nicht einsichtsfähigen Kindern ohne medizinische Indikation. Hier zählt insbesondere das Ohrlochstechen oder Piercing, welches bei nicht einwilligungsfähigen Kindern durchgeführt wird. Entgegen einer landläufigen Meinung handelt es sich daher bei dem Ohrlochstechen bei Kleinkindern, die nicht ­einwilligungsfähig sind, regelmäßig um einen vollendeten Tatbestand der Körperverletzung, die auch nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt werden kann. Die Einwilligung der Eltern würde einen solchen Eingriff nämlich nur dann rechtfertigen, wenn er dem Kindeswohl entsprechen würde. Es dürfte jedenfalls in unserem kulturellen Breiten kein Zweifel darüber bestehen, dass das Ohrlochstechen dem Kindeswohl entspricht. Dass es in diesen Fällen nicht zu vielfältigen gerichtlichen Auseinandersetzungen und die Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kommt, ist darauf zurückzuführen, dass in der Regel solche Eingriffe bei Minderjährigen, nicht einwilligungsfähigen Kindern ohne Komplikationen ablaufen und niemand eine solche Vorgehensweise zum Anlass nimmt, für die Kinder Schadensersatz zu fordern. Grundsätzlich möglich wäre dies aber zweifellos.

Kosmetische Eingriffe in die Körperintegrität des Kindes sind daher grundsätzlich nicht durch den Willen oder Wunsch der Eltern zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere auch für rein kosmetische „Verschönerungen“ der natürlichen anatomischen Gegebenheiten des Kindes. Insbesondere gilt dies auch für das Anlegen abstehender Ohren, soweit damit keine funktionellen Behinderungen beseitigt werden.

Bei sogenannten Ohranlegeplastiken ohne funktionelle Beeinträchtigungen ist daher immer eine medizinische Indika­tion festzustellen und zu dokumentieren. Eine solche Indikation kann sich nur in einer psychiatrischen Indikation zeigen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind psychiatrische oder psychotherapeutische Beeinträchtigungen regelmäßig mit den Mitteln der Psychia­trie und Psychotherapie zu bekämpfen. Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg zeitigen, können weitergehende und weitereingreifende Maßnahmen, wie etwa operatives Vorgehen, gerechtfertigt sein. Vor Durchführung einer operativen Ohranlegeplastik ist daher die Durchführung psychotherapeutischer oder psychia­trischer Maßnahmen zu erwägen, wenn tatsächlich nach eingehender Anamnese eine psychische oder psychiatrische Beeinträchtigung des Kindes vom behandelnden Arzt festgestellt werden kann. In der Regel wird es sich in diesen Fällen anbieten, den Eltern des Kindes zu raten, das Kind einer psychologischen oder psychiatrischen Begutachtung vorzustellen und mit dieser bei den zuständigen Krankenkassen die Durchführung des operativen Eingriffes abzustimmen. Liegt eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung der zuständigen Krankenkassen zur Durchführung des operativen Eingriffes vor und ist ersichtlich, dass die psychischen oder psychiatrischen Beeinträchtigungen mit den Mitteln der Psychiatrie nicht erfolgreich behandelt werden können, kann der Arzt mit den Eltern und dem Kind gemeinsam eine Entscheidung zur Operationsdurchführung treffen.


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Zusammenfassung

Bei der ärztlichen Behandlung von Kindern ist wie bei der Behandlung Erwachsener stets das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu berücksichtigen. Soweit der Arzt im persönlichen Gespräch mit dem Minderjährigen feststellt, dass der Minderjährige in Bezug auf die konkrete vorgesehene ärztliche Behandlung sein Selbstbestimmungsrecht auch selbst ausüben kann, also einsichtsfähig ist, muss sich die Aufklärung über den bevorstehenden Eingriff ausschließlich oder jedenfalls gemeinsam mit den Eltern auf den Minderjährigen beziehen. Seine Einwilligung ist für die Durchführung des Eingriffes maßgeblich, wenn er selbst einwilligungsfähig ist.

Auch bei der ärztlichen Behandlung von Kindern ist stets eine objektive Entscheidung auf Basis der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zu treffen. Wünsche oder Erwartungen der ­Kinder bzw. Sorgeberechtigten sind im Hinblick auf den besonderen Schutz der Minderjährigen nicht nachzugeben.

Rechtsanwalt Dr. Albrecht Wienke
Fachanwalt für Medizinrecht


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Rechtsanwalt Dr. A. Wienke
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