? Als Adresse des Medibüros Berlin
findet man im Internet Gneisenauerstraße
2a, dort findet auch
Ihre Beratung statt?
Genau. Ich bin seit ein paar Jahren mit dabei.
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus
sind sozusagen unser erstes Klientel.
Wir bieten allerdings keine medizinische
Diagnostik oder Behandlung, vermitteln
diese Menschen vielmehr bei Bedarf
an Ärzte aus unserem Netzwerk, oder an
andere Beratungsstellen.
? Wie finden die Leute Sie?
Das meiste spricht sich wohl herum.
Einige kommen, weil sie es im Internet gelesen
haben, manche werden auch wiederum
von anderen Beratungsstellen zu uns
geschickt.
? Wie viele Menschen kommen zu
Ihnen?
Es sind ungefähr 20 pro Termin. Wir erheben
kaum Daten, gerade weil es ein niederschwelliges
Projekt sein soll. Wir sehen
als groben Überblick so 1000 bis 1500
Vermittlungen pro Jahr. Etwa zwei Drittel
sind Leute ohne gültige Aufenthaltspapiere,
ein Drittel sind Leute aus neuen EULändern,
die keinen Zugang zum Sozialsystem
haben, etwa aus Rumänien oder
Bulgarien.
? Wie viele Leute arbeiten beim
Medibüro Berlin mit?
Das sind einige Dutzend. Hinzu kommen
über 100 Ärzte, Hebammen und Therapeuten
in unserem Netzwerk. Wir haben
auch Kooperationen mit Kliniken, etwa
für Geburten.
? Geburten?
Die Geburtsvorsorge ist heute in
Berlin anonym und kostenlos möglich
über die Gesundheitsämter. Die Entbindung
wird aber nur finanziert, wenn eine
Duldung beantragt wurde, so dass wir hier oft einspringen müssen. Wir haben
Absprachen mit einigen Kliniken, in denen
wir Entbindungen zu vergünstigten
Tarifen durchführen können. Ich muss
aber gleich dazu sagen, dass wir das nicht
in dem Umfang machen können, wie es
Bedarf gibt.
? Hatten Sie nie Kontakt mit der
Polizei? Im Prinzip müsste die ja
nur in der Gneisenauerstraße vor der
Türe stehen und die Pässe kontrollieren,
wenn sie Menschen ohne Papiere
überführen wollte.
Es gab die Angst, dass so etwas passieren
würde, als das Medibüro Berlin 1996 entstanden
ist. Das ist bisher aber nicht passiert.
? Ärzte laufen kein Risiko, dass sie
wegen der Behandlung von Patienten
ohne Papiere Probleme wegen
möglicher Beihilfe zum unerlaubten
Aufenthalt bekommen. Aber Sie sind
erst Student. Kein Thema für Sie?
Nein, das ist kein Thema – und auch rechtlich
klar geregelt, nicht nur für Berufstätige,
sondern auch für das sogenannte ‚Ehrenamt‘.
? Es gibt an die 30 solcher Medibüros
im Bundesgebiet. Wie gut
sind Sie vernetzt?
Wir sind mit den anderen im Kontakt, es
gibt aber keinen Dachverband. Es gibt einen
Austausch und ein jährliches Treffen.
? Und wie stark sind Sie mit Einrichtungen
wie den Maltesern
oder der Ärztekammer Berlin vernetzt?
Da gibt es einzelne Kontakte. Manchmal
kommen Patienten, die bei den Maltesern
waren, zu uns. Etwa wenn sie dort ein Medikament
verschrieben bekommen haben,
dass sie aber selber nicht bezahlen
können.
? Dann bezahlen Sie?
Wir können die Kosten für manche
Medikamente und Untersuchungen übernehmen.
Wir haben dafür einen Topf aus
Spendengeldern, der, das darf ich hinzufügen,
immer mal wieder leer ist.
? Angenommen, jemand kommt
mit heftiger Arthrose im Kniegelenk.
Erleben Sie solche Fälle?
Ja. Was wir dann vermitteln, sind zunächst
Allgemeinarzttermine. Prinzipiell
vermitteln wir meist erst zum Allgemeinarzt
und dann bei Bedarf weiter zu einem
Spezialisten.
? Was ist mit den Kosten?
Die Ärzte, die bei uns mitmachen,
stellen ihre Arbeitszeit unentgeltlich zur
Verfügung. Klar ist, dass viele uns nur bestimmte
Termine und Zeitfenster zur Verfügung
stellen. Was wir direkt finanzieren
sind manche Laborkosten oder auch bildgebende
Verfahren.
? Auch mal ein MRT?
Unsere Möglichkeiten nehmen leider
ab, je teurer und aufwändiger die Untersuchung
wird. Bei allem, was wir machen,
kann man auf jeden Fall sagen, dass
es keine gleichwertige Versorgung zur Regelversorgung
ist.
Wenn es etwa um Orthopädie geht, wird
es eher knapp. Eine MRT-Aufnahme wäre
vielleicht mal finanzierbar, aber die Frage
ist, was danach mit den Konsequenzen
aus dem Befund der Aufnahme sein wird.
Wenn das eine OP ist, dann ist leider
schnell ein Punkt erreicht, wo wir nicht
mehr finanzieren können.
? Und dann? Kennen Sie einen Fall,
wo sie die Implantation eines
künstlichen Hüftgelenks in einem
Berliner Krankenhaus vermittelt haben?
Nein, solch große Operationen können
wir nicht finanzieren.
? Was bleibt dann?
Physiotherapie können wir teilweise
noch vermitteln, auch Schmerzmedikamente.
Darüber hinaus aber vieles nicht,
was eigentlich indiziert wäre. Es ist Teil
unseres Selbstverständnisses, dass wir es
ablehnen, für Fehler im System gerade zu
stehen – und man sieht an diesem Beispiel
sehr gut, dass wir auch gar nicht die Möglichkeiten
dazu haben.
? Laut Asylbewerberleistungsgesetz,
bekommen Betroffene vor
allem die Versorgung von akuten Erkrankungen
und Schmerzzuständen
erstattet.
Ja, und prinzipiell auch Dinge, die für die
Aufrechterhaltung der Gesundheit unbedingt
notwendig sind. Wir reden hier aber
jetzt von Leuten im Asylverfahren, die den
Weg zum Sozialamt überhaupt gehen können,
und die dann genau dort diese Leistungseinschränkungen
erfahren. Für die
Illegalisierten kommt dieser Schritt ohnehin
nicht in Frage. Aber auch für Menschen
im Asylverfahren muss man sagen, dass sie
eben nur drittklassige Medizin erhalten,
weil viele Dinge ausgespart sind.
? Zurück zur Gruppe der Menschen
ohne Papiere. Was ist bei
einem Notfall?
Im Notfall müssen diese Menschen im
Krankenhaus behandelt werden, was
nach meinem Eindruck meist auch geschieht.
Ein Problem ist, dass die Finanzierung
nicht geklärt ist und dass bislang die Krankenhäuser
häufig auf den Kosten sitzen
blieben. Es gibt bisher die Möglichkeit
hinterher, nach dem Nothilfeparagraphen
(SGBXII, § 25) beim Sozialamt abzurechnen.
Das wurde nach meiner Kenntnis
aber von den Kliniken ohnehin eher selten
versucht, weil das sehr aufwändig ist bzw.
die Sozialhilfeämter meist primär ablehnen.
Ein Gerichtsverfahren wurde meist
nur bei hohen Kosten angestrebt.
Mittlerweile gibt es zu dem Notfallparagraphen
obendrein ein neues Urteil
des Bundessozialgerichts vom letzten
Herbst, das diese Möglichkeit weiter
einschränkt.
? Und jetzt?
Bis zur Bundesregierung ist durchgedrungen,
dass es hier eine gesetzliche
Lücke gibt. Sie soll im Rahmen der anstehenden Novelle des AsylbLG behoben
werden, wobei die bisherigen Entwürfe
nicht sehr vielversprechend sind.
? Wenn das Krankenhaus notfallmäßig
behandelt und, zumindest
bis Ende letzten Jahres, versucht
hat, sich die Kosten vom Sozialamt zu
holen, dann galt und gilt der verlängerte
Geheimnisschutz. Klappt das?
Mir sind zumindest keine Fälle bekannt,
wo das nicht geklappt hat, dass etwa doch
Daten an eine Ausländerbehörde gereicht
worden wären.
? Bei planbaren Leistungen war es
hingegen bislang so, dass Betroffene
erst selber zum Sozialamt
müssen, um sich dort einen Behandlungsschein
zu holen.
Ja, und unsere Erfahrung ist, dass das Leute
eben überhaupt nicht machen. Weil die
Daten weiter gegeben werden, somit ist
dieser Weg blockiert, bevor man ihn überhaupt
beschreiten kann.
? Sehen Sie medizinische Folgen?
Man muss sagen, dass die Leute im
Allgemeinen erst in einem späteren Krankheitsstadium
zu uns kommen. Im Notfall
funktioniert eine gewisse Behandlung in
der Anonymität zumindest noch halbwegs
über das Krankenhaus. Aber die Behandlung
davor wird eben nicht ermöglicht.
Das ist ja einer der Gründe, warum die
Medibüros überhaupt entstanden sind.
Weil die eigentlich gesetzlich vorgeschriebenen
Wege nicht funktionieren. Allerdings
ist das Medibüro Berlin eben auch
mit der Idee entstanden, dass es uns eines
Tages nicht mehr geben muss, weil man
eine politische Lösung für das Problem auf
die Wege bringt. Das ist bislang nicht gelungen,
uns gibt es nach 18 Jahren immer
noch.
? Was möchten Sie?
Da wäre 1. unsere Forderung nach
Abschaffung des § 87 im Aufenthaltsgesetz.
Dieser Übermittlungsparagraph, der
Sozialämter verpflichtet, Daten eines
Menschen ohne Papiere an die Ausländerbehörde
zu geben. Wenn das nicht mehr
gegeben wäre, könnten die Betroffenen
zum Sozialamt gehen und dort die Kostenübernahme
zumindest für die Leistungen
nach Asylbewerberleistungsgesetz überhaupt
erst mal beantragen. Zugleich muss die entsprechende Regelung auch aus
dem Asylbewerberleistungsgesetz heraus.
? Wie praxisrelevant ist diese
Furcht eigentlich? Kennen Sie
Fälle, wo Menschen ihre Identität gegenüber
dem Sozialamt aufgedeckt
haben und danach tatsächlich abgeschoben
wurden?
Nein, kenne ich nicht, aber ich glaube, das
liegt daran, dass dieser Weg überhaupt
nicht in Anspruch genommen wird. Manche
Betroffene haben ja schon Angst, nur
zu uns zu kommen.
? Gibt es vielleicht auch mal Sachbearbeiter
auf einem Sozialamt,
die sagen, naja, jetzt drücke ich mal
beide Augen zu und melde das nicht
an die Ausländerbehörde?
Darauf würde ich mich nicht verlassen.
? Welche Forderungen haben Sie
noch?
Wir fordern, dass das Asylbewerberleistungsgesetz
mit seinen Einschränkungen
abgeschafft wird. Wir wünschen eine reguläre
medizinische Versorgung aller hier
lebenden Menschen unabhängig vom
Aufenthaltsstatus und ihrem Herkunftsland.
? Der letzte Deutsche Ärztetag
und die Bundesärztekammer
haben am Ende ähnliche Forderung
und schlagen einen anonymen Krankenschein
vor …
Dieses Konzept ist auch immer wieder bei
den Medibüros diskutiert worden. Das
wäre auf jeden Fall eine starke Verbesserung
der Situation, wenngleich es trotzdem
nicht die Gleichsetzung mit allen anderen
Versicherten bedeutet. Der Anonyme
Krankenschein wurde in Berlin vor
Jahren auch mit dem früheren Senat diskutiert.
Im Moment ist das wieder in weite
Ferne gerückt.
? Ein Punkt, den Sie noch ansprechen
möchten?
Dass wir wenige Orthopäden haben im
Netzwerk und gerne einige mehr hätten.
Eine Gruppe, die auch schwierig ist, sind
Zahnärzte. Wir freuen uns sehr über engagierte
Ärzte, die zu uns stoßen.
Das Interview führte BE