Zeitschrift für Phytotherapie 2014; 35(04): 155
DOI: 10.1055/s-0034-1390140
Editorial
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Chancen nutzen!

Matthias F. Melzig

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Publication Date:
01 September 2014 (online)

 

    Ein Warnruf der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erschallte Anfang Mai dieses Jahres: Bakterielle Infektionskrankheiten könnten künftig wieder verstärkt auf dem Vormarsch sein und als lebensbedrohende Erkrankungen Bedeutung erlangen. Grund sei eine globale Zunahme der Resistenzentwicklung von Bakterien gegen Antibiotika. Der stellvertretende WHO-Direktor Keiji Fukuda erklärte „Simple Infektionen und kleinere Verletzungen, die seit Jahrzehnten behandelbar waren, können erneut töten. Es geschieht genau jetzt in jeder Region der Welt und kann jeden treffen, in jeder Altersgruppe, in jedem Land. … Solange es keine Änderung im derzeitigen Einsatz von Antibiotika gibt, wird die Welt dieses Hilfsmittel mehr und mehr verlieren. Die Folgen werden verheerend sein.“ Die WHO dringt darauf, dass Ärzte Antibiotika nur noch dann verschreiben, wenn sie unbedingt notwendig sind und auch nur gezielt Wirkstoffe einzusetzen. Es müsse den Infektionserregern unmöglich gemacht werden, sich anzupassen und Resistenzen zu entwickeln. Dazu zählt auch die strenge Reglementierung des Einsatzes von Antibiotika in der Tiermedizin und besonders in der Tiermast.

    Steuern wir insgesamt auf eine Post-Antibiotika-Ära zu und welchen Stellenwert hat in dieser Problemsituation eigentlich die Phytotherapie?

    Die Einschränkung der Antibiotika-Verordnung muss nicht zu therapeutischem Nihilismus führen, sondern eröffnet gerade der rationalen Phytotherapie (wieder) entsprechende Anwendungsoptionen. Zum Beispiel bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen können Phytotherapeutika sinnvoll eingesetzt werden, ebenso bei Atemwegserkrankungen oder in der Wundbehandlung. Hier gibt es nach meiner Meinung auch kein Erkenntnisproblem, genügend Erfahrungen und Anwendungsbeobachtungen prädestinieren pflanzliche Arzneimittel geradezu für diese Indikationen, zumal es bisher kaum Berichte über eine Resistenzentwicklung gegenüber pflanzlichen, antiinfektiv wirkenden Naturstoffen gibt. Im Gegenteil, eine große Anzahl von Publikationen beschäftigt sich gegenwärtig mit der Wirkung dieser Stoffe auf resistente Keime. Dabei sollte man in diesem Zusammenhang nicht nur an die Humanmedizin denken, auch die Veterinärphytotherapie spielt bei der Eindämmung der Antibiotika-Resistenzentwicklung eine sehr wichtige Rolle. Nicht selten ist ein Haustier, das permanent antibiotisch therapiert wird, der Ausgangspunkt für eine Infektion mit multiresistenten Keimen beim Tierbesitzer!

    Untersuchungen, die gegenwärtig von vielen Forschergruppen vorgenommen werden, könnten eine neue Sichtweise auf das Zusammenwirken von Phytotherapie und Antibiotika begründen. Es gibt Naturstoffe, die die Resistenzmechanismen von Bakterien zu hemmen vermögen und dadurch dem Antibiotikum wieder zu seiner Wirkung verhelfen. Ergebnisse eigener Untersuchungen mit Saponinen sind in diesem Heft nachzulesen. Nicht mehr entweder Antibiotika oder Phytotherapeutika, sondern beides – wobei die pflanzlichen Zubereitungen dabei nicht nur ein Adjuvans sind!

    Somit könnte die gegenwärtige Situation durchaus die Chance für eine Neubesinnung zum Einsatz von pflanzlichen Arzneimitteln bei Infektionen bieten. Gewiss, Forschungsbedarf auf diesem Gebiet besteht weiterhin, aber die gegenwärtigen Kenntnisse reichen aus, um gerade bei unkomplizierten Infektionen zunächst ein Phytotherapeutikum einzusetzen. Eigentlich ist die Hürde nicht sehr hoch!


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    Matthias F. Melzig

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