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DOI: 10.1055/s-0034-1389223
Hypogonadismus – Anabolikamissbrauch ist häufige Ursache
Publication History
Publication Date:
28 August 2014 (online)
Anabole Steroide werden als Dopingsubstanzen zur Leistungssteigerung nicht nur im Profisport verwendet – manche Autoren schätzen für die USA eine Zahl von bis zu 3 Mio. Nutzern. Eine häufige unerwünschte Wirkung der Anabolika ist ein hypogonadotroper Hypogonadismus, aufgrund der negativen Feedback-Hemmung auf Hypothalamus und Hypophyse, mit entsprechendem Abfall der endogenen Testosteronsynthese. Eine Gruppe aus Texas legt nun neue Daten zu dem Thema vor.
J Urol 2013; 190: 2200–2205
mit Kommentar
Bei jungen Männern, die wegen eines Hypogonadismus ihren Arzt aufsuchen, ist ein vorangeganger Missbrauch von anabolen Steroiden die häufigste Ursache. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommen Robert Coward und seine Kollegen des Baylor College, die zunächst eine retrospektive Auswertung der Daten von insgesamt 6033 Männern vorgenommen haben, die zwischen 2005 und 2010 wegen eines Hypogonadismus behandelt worden waren.
Dabei fand sich ein ausgeprägter Hypogonadismus, definiert als Testosteronkonzentration im Serum von 50 ng / dl oder weniger, bei 97 Männern (1,6 %). Bei 71 von ihnen lagen Symptome eines Hypogonadismus vor, bei 26 eine Infertilität. Bei der weiteren Abklärung fand sich bei 77 Männern ein hypogonadotroper Hypogonadismus, und in dieser Subgruppe gaben 42 Männer die frühere Einnahme anaboler Steroide an (43 % der Grundgesamtheit) – kein anderer einzelner Grund war so häufig.


Aufgrund dieses Ergebnisses führten die Autoren dann bei allen Männern, bei denen am Baylor College die Diagnose „Hypogonadismus“ gestellt worden war und eine Testosteronersatztherapie erfolgte, von September bis Dezember 2012 eine prospektive Untersuchung mit einer anonymen Fragebogenerhebung durch. Dabei ging es in einem ersten Teil um allgemeine demografische Daten und um die Verwendung anaboler Steroide in der Vergangenheit. Männer, die einen Anabolikagebrauch angaben, wurden weiter befragt zur Dauer der Einnahme, Alter bei der erstmaligen Einnahme, dem verwendeten Präparat und unerwünschten Wirkungen.
382 Männer im mittleren Alter von 49 Jahren beantworten den Fragebogen, von ihnen gab gut ein Fünftel (n = 80) eine frühere Anabolikaeinnahme an. Diese Männer waren deutlich jünger als die Gesamtgruppe und als die Männer, die keine Anabolika eingenommen hatten, mit im Mittel 40 Jahren genauer 51,5 Jahren. Die erstmalige Einnahme war durchschnittlich im Alter von knapp 27 Jahren erfolgt.
Stratifiziert nach dem Alter, berichtete mehr als ein Drittel der Patienten vor dem abgeschlossenen 50. Lebensjahr von einer Anabolikaeinnahme, gegenüber 9 der älteren Männer (35 % vs. 5 %). Daraus berechnete sich für die jüngeren Männer eine mehr als 10-mal so hohe Wahrscheinlichkeit, dass in der Vergangenheit ein Anabolikagebrauch stattgefunden hatte (Odds Ratio 10,16). Anabolikaverwender waren dabei nicht nur signifikant jünger, sondern auch weniger gut ausgebildet und hatten weniger Kinder.
Am häufigsten und am längsten wurden eingenommen: Nandrolon über im Mittel 14 Monate von 60 Patienten, Stanozolol über im Mittel 9,5 Monate von 45 Patienten und Metandienon (Methandrostenolon) über im Mittel 10,7 Monate von 39 Patienten. Im Mittel hatte jeder Mann mehr als 3 verschiedene Präparate eingenommen. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen umfassten Flüssigkeitsretention (45 %), verminderte Größe der Hoden (41,3 %) und Akne (37,5 %).
Wenn ein junger Mann wegen eines ausgeprägten hypogonadotropen Hypogonadismus behandelt werden muss, sollte zunächst nach dem früheren Gebrauch anaboler Steroide gefragt werden, folgern die Autoren, im Gegensatz zu der häufigen Annahme, dass im Wesentlichen „professionelle“ Athleten die Substanzen verwenden. In diesem Fall besteht, je nachdem wie lange die Einnahme zurückliegt, die Möglichkeit, dass sich die körpereigene Testosteronsynthese wieder erholt. Diese jungen Männer sollten dann, insbesondere wenn noch ein Kinderwunsch besteht, nicht in erster Linie und nicht ausschließlich mit Testosteron behandelt werden, sondern z. B. begleitend auch mit niedrig dosiertem humanem Choriogonadotropin. Insgesamt müssten für diese Patienten neue Therapiealgorithmen aufgestellt werden, schließen die Autoren.
Prophylaxe durch Aufklärung
Wie oft tritt das Phänomen auf; wer ist betroffen?
Die amerikanische Studie identifiziert bei 1,6 % aller Männer mit einem schweren Testosteronmangel einen hypogonadotropen Hypogonadismus (HH); 0,7 % der Gesamtkohorte hatte zu einem früheren Zeitpunkt anabole Steroide (AAS) eingenommen, weniger gut ausgebildete kinderlose Männer, jünger als 50 Jahre, applizierten häufiger AAS.
Nebenwirkungen der AAS – nur wenig ist den Anwendern bekannt
Von den berichteten Nebenwirkungen der nicht ärztlich verordneten Steroide, die über das Internet bezogen wurden, standen Flüssigkeitsretention, Schrumpfung der Hoden, Ausbildung von Akne und Aggressivität im Vordergrund. Die Suppression der Fertilität, der Anstieg des Hämatokrits, die Störung des Fettstoffwechsels (Senkung des HDL und Steigerung des LDL-Cholesterins) war weniger als 10 % der Patienten bewusst. Die Unterdrückung der körpereigenen Testosteronproduktion, die lebertoxische Wirkung alkylierter AAS (wie Oxandrolon, Stanazolol), die den klinischen Gebrauch in Europa ausschließen, wurden von keinem Patienten als Nebenwirkung erwähnt; ebensowenig der negative Effekt hoch dosierter und über längere Zeiträume eingenommener anaboler Steroide auf Herz und Gefäße (Entwicklung einer konzentrischen linksventrikulären Hypertrophie mit möglicherweise irreversibler Einschränkung der diastolischen Relaxation, sowie Steigerung des Blutdrucks) [ 1 ].
Koinzidenz oder Kausalität?
Die Autoren der Studie schließen auf einen Kausal-Zusammenhang zwischen der anamnestischen Angabe der Einnahme von AAS und dem Vorliegen eines hypogonadotropen Hypogonadismus. Es erfolgen keine Angaben zur Höhe der Serum-Gonadotropin-Spiegel. Auch bleibt unklar, wie lange die AAS-Einnahme zurücklag, ob das Riechvermögen systematisch untersucht wurde und ob die Patienten spontan oder mithilfe einer Testosteronsubstitution in die Pubertät gekommen waren. Diese Untersuchungen sind jedoch erforderlich, um einen kongenitalen HH und ein Kallmann-Syndrom, insbesondere bei jungen Männern, differenzialdiagnostisch abzugrenzen. Auch fehlen Angaben zum Vorhandensein weiterer hypophysärer Hormonausfälle, die auf eine andere Genese der Störung der gonadotropen Achse hinweisen würden. Somit bleibt die Frage offen, ob es sich nicht bei einem Teil der Patienten eher um eine Koinzidenz als einen Kausalzusammenhang von / zwischen AAS-Konsum und hypogonadotroper Störung handelt, zumal die Suppression der gonadotropen Achse ein reversibles Phänomen darstellt, sofern auf eine Substitution von Testosteron und die Einnahme von AAS über mehrere Monate vollständig verzichtet wird.
Anabolika in Leistungssport und Fitnessstudio – was ist bekannt?
Seit den 1950er Jahren ist der Konsum von synthetischen Derivaten des Testosterons (AAS) als „Doping“ unter Leistungssportlern bekannt; dass auch Freizeitsportler zunehmend diese Substanzen einnehmen, ist ein neueres Phänomen. Die benutzten Dosen anaboler Steroide sind 5- bis 20-fach höher als die Dosen, die im Rahmen einer Testosteron-Substitutionstherapie aus medizinischer Indikation eingesetzt werden [ 1 ]. Während beim Doping auch andere Substanzen mit dem Ziel der Leistungssteigerung verabreicht werden (darunter Erythropoetin, Wachstumshormon und Insulin), geht es dem Besucher des Fitnessstudios eher um eine Verbesserung seines Körperbilds durch Muskelaufbau. Neben AAS, wie in der Studie beschrieben, werden verschreibungspflichtige Testosteron-Ersatz-Präparate (Testosteron-Enanthat, Testosteron-Undecanoat) und Substanzen zu Steigerung der körpereigenen Testosteronproduktion (humanes Choriongonadotropin [hCG], Tamoxifen, Clomifen), teils in Kombination mit Ephedrin und Clenbuterol zum „Fettwegschmelzen“ ohne ärztliche Kontrolle eingesetzt.
Die Studie spricht ein Problem an, das nicht nur in Amerika existiert, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Dies zeigt eine Fragebogen-Erhebung an 113 deutschen Fitnessstudios aus dem Jahr 2006: 13,5 % aller Erhebungsteilnehmer gaben zu, zu irgendeinem Zeitpunkt anabole Substanzen zu sich genommen zu haben [ 2 ]. Eine Assoziation zu Alkohol und dem Konsum illegaler Drogen und zu einem geringen Bildungsniveau wird in dieser und weiteren Untersuchungen berichtet [ 3 ]. Eine Umfrage bei schwedischen 16–17-jährigen Jugendlichen zeigte, dass das Problem auch in Europa bereits früh beginnt: 3,2 % der Jungen gaben an, schon einmal AAS eingenommen zu haben [ 4 ]. Aufklärende Interventionsprogramme konnten den Abusus im Jugendalter signifikant senken [ 5 ].
Folgen des Anabolika-Konsums für die gonadotrope Achse
Die Effekte der AAS sind abhängig vom Körpergewicht des Konsumierenden, von der applizierten Dosis, der Halbwertzeit der AAS und der Dauer des Konsums [ 1 ]. Insbesondere wird hiervon die Dauer der Suppression der gonadotropen Achse (mit Senkung des Testosteronspiegels auf ein infantiles Niveau und mit Suppression der Spermatogenese) beeinflusst. Der erhöhte Östrogenspiegel, resultierend aus der Aromatisierung der Androgene im Fettgewebe, verstärkt diese Suppression [ 6 ]. Das Wiederaufleben der Aktivität des hypothalamischen GnRH-Pulsgenerators und somit der hypophysären LH- und FSH-Sekretion kann nach dem Absetzen der AAS zwischen 3 und 24 Monaten betragen. Nach dieser variabler Latenz kehrt der Testosteronspiegel und auch die Spermatogenese auf das Ausgangsniveau vor der AASApplikation zurück [ 7 ]. In der Latenzphase kann der betroffene Mann Androgenmangelsymptome verspüren, die sein subjektives Befinden beeinträchtigen: Müdigkeit, Stimmungslabilität, Libidoverlust, eine Beeinträchtigung der erektilen Funktion und eine verringerte körperliche Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund der Beschwerden.
Wie erkennen und behandeln?
Wie durch die Studienautoren resumiert wird, ermöglicht die Kenntnis der Tatsache, dass Männer mit stark erniedrigtem Testosteronspiegel und / oder einer Fertilitätsstörung AAS konsumiert haben könnten, eine gezielte Anamnese. Der „Phänotyp des Bodybuilders“ kann diesen Verdacht erhärten. In dieser Situation ist derzeit keine Therapie verfügbar, die die endogene GnRH-Pulsatilität ad hoc wiederherzustellen vermag. Wie von den Autoren vorgeschlagen, ist bei unerfülltem Kinderwunsch eine fertilisierende Gonadotropin-Therapie mit hCG (ggf. in Kombination mit rFSH als s.c-Injektionen) über mindesten 6–9 Monate möglich. Sowohl der Testosteronspiegel als auch die Spermatogenese lassen sich auf diese Weise normalisieren, jedoch persistiert die GnRH-Suppression. Auch sind die Substanzen sehr kostenintensiv, sodass dieses Vorgehen gegenüber den Kostenträgern als Alternative zum Zuwarten nur in Ausnahmefällen begründbar ist. Orale Östrogen-Rezeptor-Antagonisten (Tamoxifen) oder -Modulatoren mit überwiegend antagonistischer Wirkung (Clomifen) sind ebensowenig für die genannte Indikation zugelassen, wie Aromatase-Hemmer (Anastrozol, Letrozol) und bergen das Risiko unerwünschter Wirkungen. Die genannten Substanzen verringern die Hemmung der negativen Rückkopplung der Östrogene auf Hypothalamus und Hypophyse, und können somit die Wiederherstellung der körpereigenen Hormonsekretion beschleunigen.
Fazit
Das Erkennen eines funktionellen hypogonadotropen Hypogonadismus, der durch eine Suppression der gonadotropen Achse im Rahmen eines AAS-Konsums entstanden und somit reversibel ist, ist Voraussetzung für ein adäquates therapeutisches Vorgehen. Die Prophylaxe des Anabolika-Abusus durch Aufklärung über die unerwünschten Folgen erscheint insbesondere in Schulen und Fitness-Studios in zunehmendem Maße erforderlich zu sein, um dem mediengetriggerten Wahn des muskelgestylten männlichen Körpers entgegenzuwirken.
Dr. Julia Rohayem, Münster
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Literatur
- 1 Vorona E, Nieschlag E. Sequelae of doping with anabolic steroids in Nieschlag E, Behre HM, eds. Testosterone: Action, Deficiency, Substitution. Cambridge: University Press; 4. th ed. 2012: 535-543
- 2 Striegel H, Simon P, Frisch S et al. Anabolic ergogenic substance users in fitness-sports: a distinct group supported by the health care system. Drug Alcohol Depend 2006; 81: 11-19
- 3 Durant RH, Rickert VI, Ashworth CS et al. Use of multiple drugs among adolescents who use anabolic steroids. N Engl J Med 1993; 328: 922-926
- 4 Nilsson S, Baigi A, Marklund B et al. The prevalence of the use of androgenic anabolic steroids by adolescents in a county of Sweden. Eur J Public Health 2006; 11: 195-197
- 5 Goldberg L, Elliot D, Clarke GN et al. Effects of a multidimensional anabolic steroid prevention intervention. The Adolescents Training and Learning to Avoid Steroids (ATLAS) Program. JAMA 1996; 276: 1555-1562
- 6 Birkeland KI, Jørgensen J, Hemmersbach P. Endocrine effects of doping with androgenic anabolic steroids. Tidsskr Nor Laegeforen 1994; 114: 426-428
- 7 Knuth UA, Maniera H, Nieschlag E. Anabolic steroids and semen parameters in bodybuilders. Fertil Steril 1989; 52: 1041-1047
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Literatur
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