Psychiatr Prax 2014; 41(05): 239-240
DOI: 10.1055/s-0034-1370085
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Option einer ambulanten Zwangsbehandlung – Pro

Legislation for Compulsory Outpatient Psychiatric Treatment – Pro
Matthias Dose
Isar-Amper-Klinikum, Klinik Taufkirchen (Vils)
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Prof. Dr. med. habil. Matthias Dose
Isar-Amper-Klinikum, Klinik Taufkirchen (Vils)
Bräuhausstraße 5
84416 Taufkirchen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Juli 2014 (online)

 

Pro

Wer kennt das nicht: Nach einer ersten psychotischen Episode wird der Patient mit der (leitliniengestützten und durch psychoedukative Maßnahmen vermittelten) Empfehlung entlassen, die in der Akutbehandlung wirksame antipsychotische Medikation zur Rezidivprophylaxe mindestens für ein Jahr beizubehalten. Die Empfehlung wird aber nicht angenommen und innerhalb eines Jahres – begleitet von erheblichen Belastungen des persönlichen Umfelds, Abbrüchen von Ausbildungen, Arbeitsplatz- und Führerscheinverlust – kommt es zu einer weiteren psychotischen Episode. Jetzt wird – wiederum leitliniengerecht – zur Entlassung die Empfehlung ausgesprochen, die antipsychotische Medikation bis zu 5 Jahren beizubehalten, jedoch wieder erfolglos.


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Um weiterer Chronifizierung und negativen sozialen und gesundheitlichen Folgen erneuter Rezidive vorzubeugen, wird – bei fehlender Krankheits- und Behandlungseinsicht – eine gesetzliche Betreuung mit den Wirkungskreisen „Aufenthaltsbestimmung“ und „Zuführung zur ärztlichen Behandlung“ eingerichtet. Doch kurze Zeit später folgt eine erneute stationäre Aufnahme wegen eines erneuten Rezidivs.

Grund: Trotz (wenn es gut läuft) zunächst regelmäßigen Besuchen auf Initiative oder in Begleitung des gesetzlichen Betreuers beim weiterbehandelnden Arzt hat sich der Patient der Fortsetzung der medikamentösen Behandlung aus allenfalls vage erklärten Gründen plötzlich verweigert, die daraufhin (weil eine ambulante Zwangsbehandlung nicht genehmigungsfähig ist) eingestellt wurde. Unter Umständen beantragt der gesetzliche Betreuer jetzt noch erfolgreich die Aufhebung der Betreuung, weil diese nicht durchführbar sei, und die Spirale erneuter Rezidive mit ihren negativen sozialen und gesundheitlichen Folgen setzt sich fort.

Dazu die Fakten: 40 – 50 % psychotischer Patienten brechen beim Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung die medikamentöse Behandlung ab und nehmen ihre ambulanten Termine nicht wahr [1]. Von ersterkrankten psychotischen Patienten brechen innerhalb von 3 Jahren 85 % ihre Therapie ab [2]. Aus forensischer Sicht zeigt sich, dass die Mehrzahl strafrechtlich Untergebrachter mit schizophrenen Psychosen über mehrere Jahre immer wieder akutpsychiatrisch behandelt wurde [3]. Im Unterschied zu Patienten der forensischen Psychiatrie jedoch, die unter (mit Bewährungswiderruf bewehrten) streng kontrollierten Auflagen (z. B. Plasmaspiegelkontrolle eingenommener Medikamente) entlassen werden, ist das mit Rückfällen verbundene Delinquenzrisiko bei akutpsychiatrisch behandelten (und ambulant eben nicht konsequent weiterbehandelten) Patienten deutlich erhöht [4].

Warum also tun wir uns so schwer, für längerfristig krankheits- und behandlungsuneinsichtige Patienten mit einer (notfalls erzwungenen) ambulanten antipsychotischen Behandlung im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung die geschilderten sozialen und gesundheitlichen Gefahren abzuwenden?

Zu den gesetzlichen Grundlagen: Mit seinem Beschluss vom 11.10.2000 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass eine „gegen den Willen eines Betreuten in regelmäßigen, hier zweiwöchentlichen, Zeitabständen durchzuführende Dauermedikation mit Neuroleptika und die zwangsweise Zuführung des Betreuten zu dieser – jeweils kurzfristigen – Behandlung keine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahme dar(stellt) und (deshalb) nicht … genehmigungsfähig (ist)“ (BGH XII ZB 69 /00).

In seiner Urteilsbegründung verkannte der erkennende Senat nicht, „dass das Fehlen einer Zwangsbefugnis dazu führen kann, dass ein Betroffener einen erneuten Krankheitsschub erleidet und dann möglicherweise für längere Zeit untergebracht werden muss“. Er verwies jedoch darauf, dass „die Problematik der fehlenden Zwangsbefugnisse im Unterbringungsrecht … indessen bereits im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens zum Betreuungsrechtsgesetz bekannt (war)“, und zog sich darauf zurück, dass „von den Gerichten respektiert werden (müsse), dass der Gesetzgeber auf (entsprechende) Regelungen verzichtet hat“.

Folglich ist „die Politik“ (der Gesetzgeber) gefordert, z. B. analog zu den aktuell gültigen (und sich in der Praxis bewährenden) gesetzlichen Regelungen zur Zwangsbehandlung im Rahmen einer stationären Unterbringung durch entsprechende gesetzliche Regelungen Rechtssicherheit für die „ambulante Zwangsbehandlung“ krankheits- und behandlungsuneinsichtiger schizophrener Patienten im Rahmen gesetzlicher Betreuungen zu schaffen. Eine derartige Regelung sollte dann greifen, wenn mehrfache stationäre (Zwangs-)Aufenthalte mit entsprechend negativen sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen aufgrund psychotischer Rezidive nach Absetzen empfohlener antipsychotischer Medikation gegen ärztlichen Rat erfolgt sind. Die Erfahrung (z. B. mit gerichtlich genehmigter Zwangsbehandlung im stationären Bereich) zeigt, dass in der Regel das Bestehen eines rechtskräftigen Beschluss bei der Mehrzahl der Betroffenen dazu führt, dass ein unmittelbarer Zwang zur Erreichung der Medikamenteneinnahme gar nicht zur Anwendung kommt. So würde vermutlich auch eine rechtskräftige Genehmigung einer „ambulanten Zwangsbehandlung“ in der Regel die Anwendung von unmittelbarem Zwang (z. B. zur Realisierung eines Arztbesuchs, Verabreichung einer Depotmedikation) entbehrlich machen.

Als Gegenposition wird die Auffassung vorgetragen, den sozialen, gesundheitlichen (und forensischen) Gefahren einer Nichteinnahme rezidivprophylaktisch verordneter Medikamente könne der gesetzliche Betreuer bei akuter Selbstgefährdung durch einen Unterbringungsantrag begegnen, bei Fremdgefährdung die öffentlichen Behörden bzw. die Polizei. Dies verkennt aber, dass zwischen dem Absetzen antipsychotischer Medikamente und dem Auftreten eines Rezidivs ein bis zu Monaten oder Jahren dauerndes Intervall liegen kann, in dem eine bestehende Selbst- oder Fremdgefährdung entweder nicht erkannt wird oder aber „subsyndromal“ zu sozialen und gesundheitlichen Gefährdungen führt, die prognostisch für die Betroffenen wesentlich ungünstiger sind als eine gesetzlich geregelte „ambulante Zwangsbehandlung“.

Darüber hinaus sollen kontrollierte Studien den Nutzen einer „ambulanten Zwangsbehandlung“ nicht belegt haben. So wurde auch in dieser Zeitschrift eine Studie zur „ambulanten Zwangsbehandlung“ in England [5] mit „Erwarteter Effekt auf die Wiederaufnahme blieb aus“ kommentiert [6]. Dabei wurde aber übersehen, dass bei der zitierten Studie eine „ambulante Zwangsmedikation“ gar nicht zur Diskussion stand, sondern es – analog zu widerrufbaren „Beurlaubungen“ in den deutschen Unterbringungsgesetzen – darum ging, dass schizophrene Patienten unter einer „Community treatment order/CTO“ wieder in die Klinik aufgenommen werden konnten, wenn ihr Zustand sich nach einer Entlassung als „instabil“ erwies. Außerdem wurden – für eine genauere Darstellung fehlt hier der Platz (siehe deshalb dazu [7]) – sowohl Methodik als auch Aussagen der Studie massiv kritisiert bzw. infrage gestellt.

Fazit: Die Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen einer „ambulanten Zwangsbehandlung“ für mehrfach erkrankte, krankheits- und behandlungsuneinsichtige schizophrene Patienten könnte ein wirksamer Schritt zur Vermeidung sozialer und gesundheitlicher Gefährdungen für diese Patientengruppe sein, denen durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen (Betreuungsgesetz, PsychKGs und Unterbringungsgesetze) nicht wirksam begegnet werden kann.


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Matthias Dose

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  • Literatur

  • 1 Tiihonen J, Haukka J, Taylor M et al. A nationwide cohort study of oral and depot antipsychotics after first hospitalization for schizophrenia. Am J Psychiatry 2011; 168: 603-609
  • 2 Kreyenbuhl J, Nossel IR, Dixon LB. Disengagement from mental health treatment among individuals with schizophrenia and strategies for facilitating connections to care: a review of the literature. Schizophr Bull 2009; 35: 696-703
  • 3 Hodgins S, Müller-Isberner R. Preventing crime by people with schizophrenic disorders: the role of psychiatric services. Br J Psychiatry 2004; 185: 245-250
  • 4 Hodgins S, Müller-Isberner R, Allaire JF. Attempting to understand the increase in the number of forensic beds in Europe: a multi-site study of patients in forensic and general psychiatric services. Int J Forens Ment Health 2006; 5: 173-184
  • 5 Burns T, Rugkasa J, Molodynski A et al. Community treatment orders for patients with psychosis (OCTET): A randomised controlled trial. The Lancet 2013; 381: 1627-1633
  • 6 Steinert T. Ambulante Zwangsbehandlung in England: Erwarteter Effekt auf die Wiederaufnahmeraten blieb aus. Psychiat Prax 2013; 40: 1-2
  • 7 Curtis D. OCTET does not demonstrate a lack of effectiveness for community treatment orders. Psych Bull 2014; 38: 36-39

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. habil. Matthias Dose
Isar-Amper-Klinikum, Klinik Taufkirchen (Vils)
Bräuhausstraße 5
84416 Taufkirchen

  • Literatur

  • 1 Tiihonen J, Haukka J, Taylor M et al. A nationwide cohort study of oral and depot antipsychotics after first hospitalization for schizophrenia. Am J Psychiatry 2011; 168: 603-609
  • 2 Kreyenbuhl J, Nossel IR, Dixon LB. Disengagement from mental health treatment among individuals with schizophrenia and strategies for facilitating connections to care: a review of the literature. Schizophr Bull 2009; 35: 696-703
  • 3 Hodgins S, Müller-Isberner R. Preventing crime by people with schizophrenic disorders: the role of psychiatric services. Br J Psychiatry 2004; 185: 245-250
  • 4 Hodgins S, Müller-Isberner R, Allaire JF. Attempting to understand the increase in the number of forensic beds in Europe: a multi-site study of patients in forensic and general psychiatric services. Int J Forens Ment Health 2006; 5: 173-184
  • 5 Burns T, Rugkasa J, Molodynski A et al. Community treatment orders for patients with psychosis (OCTET): A randomised controlled trial. The Lancet 2013; 381: 1627-1633
  • 6 Steinert T. Ambulante Zwangsbehandlung in England: Erwarteter Effekt auf die Wiederaufnahmeraten blieb aus. Psychiat Prax 2013; 40: 1-2
  • 7 Curtis D. OCTET does not demonstrate a lack of effectiveness for community treatment orders. Psych Bull 2014; 38: 36-39

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