Aktuelle Dermatologie 2014; 40(04): 119
DOI: 10.1055/s-0034-1367558
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Piercing – Baustelle Haut?

Piercing – Body Modifying Art?
C. Bayerl
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Christiane Bayerl
Klinik für Dermatologie und Allergologie
Hauttumorzentrum Wiesbaden
HSK, Dr. Horst Schmidt Kliniken
Ludwig-Erhardt-Straße 100
65199 Wiesbaden

Publication History

Publication Date:
11 April 2014 (online)

 

Ich kann Ihnen in diesem Heft u. a. die sehr schöne Übersichtsarbeit zur religiös begründeten Beschneidung empfehlen, die im Idealfall mit dem Wunsch beider Eltern und medizinisch kontrolliert durchgeführt wird.

Es gibt aber typischerweise in der Pubertät den Trend, sich eine Körperdekoration mittels Piercing setzen zu lassen, ohne dass eine ausreichende Information oder Überwachung der Maßnahme erfolgt. Piercing ist bei unter 14-Jährigen untersagt. Die Kunden müssen sich üblicherweise ausweisen. Zwischen 14 und 16 Lebensjahren muss ein Elternteil oder ggf. ein Vertreter des Jugendamts beim Beratungsgespräch dabei sein. Im Alter zwischen 16 und 18 Jahren reicht eine Einverständniserklärung des gesetzlichen Vormunds oder die Vorlage eines Ausweises im Original [1]. Die Prävalenz des Piercing in Deutschland beträgt 6,5 %, d. h. 5,3 Mio. Bundesbürger sind gepierct, mit steigender Tendenz vor allem bei Frauen [2].

Piercen ist ein invasives Verfahren, bei dem die Haut durchtrennt wird. Ein Risiko besteht zunächst beim Setzen des Piercings in einer Blutung durch Verletzung von Gefäßen besonders bei Piercings im Bereich der Mundschleimhaut. Größere Verletzungen werden naturgemäß bei den Piercings gesehen, die in Abhängigkeit zu ihrer Lokalisation starke Blutungen, Knorpelnekrosen, Nervenschädigungen oder Verletzungen der Urethra verursachen können. Extreme Schwellungen können auch eine Gangrän, z. B. des Penis, bedingen. Piercings in Knorpelregionen können zu Knorpelnekrosen führen, z. B. am Ohrknorpel. Piercings an den Lippen können die Gingiva reizen und zu einer Atrophie an der gegenüberliegenden Schleimhaut an den Zahnhälsen führen [3].

Oft wird durch den invasiven Kontakt der Schmuckstücke eine Nickelallergie gebahnt oder ausgelöst. Aber auch eine Sarkoidose kann reaktiviert werden, ebenso wie eine Kollagenose. Generell sollten Piercings nicht bei Patienten mit einem M. Crohn, M. Behçet, Rheuma oder einer Neurodermitis vorgenommen werden. Jede Verletzung der Haut birgt zudem das Risiko (2 %), ein Keloid zu entwickeln. Durch ein Piercing könnten Nerven verletzt werden und Sensibilitätsstörungen auftreten oder Schmerzen (2 %).

Wird nicht sauber gearbeitet, kann eine Infektion erworben oder übertragen werden. Oft sind dies nur leichte Infektionen, sie wurden aber von immerhin 77 % der Gepiercten angegeben. Als Infektionen werden übertragen: Warzen, Hepatitis, Tuberkulose, HIV. Jede Verletzung der Haut bringt das Risiko mit sich, eine Eintrittspforte für Bakterien zu bilden, die so unter die Haut gelangen. Ausgeprägte Infektionen können hämatogen zur Absiedlung von Bakterienrasen an den Herzklappen führen und diese langfristig schädigen. Deshalb tragen Patienten mit einem Herzklappenersatz einen Ausweis bei sich, der darauf hinweist, dass bei Operationen, auch bei Zahnarzteingriffen, prophylaktisch ein Antibiotikum eingenommen werden muss. Es wurde übrigens auch ein Zungenpiercing in Zusammenhang mit einem Hirnabszess beschrieben.

Das Infektionsrisiko hängt eher von den hygienischen Umständen beim Setzen des Piercings ab und von der Sorgfalt, mit der ein Gepiercter mit seinem Schmuck umgeht. Treten häufige Minimaltraumen auf, die zu kleinen Verletzungen an einer Piercingstelle führen, ist das Infektionsrisiko erhöht. Komplikationen leichterer Art wurden gefunden bei Piercings in Knorpelgewebe zu 32 % und im Weichteilgewebe zu 29 %.

Der „Klassiker“ des Piercings, der Ohrlochstich am Ohrläppchen, ist bekanntermaßen die häufigste Sensibilisierungsquelle gegenüber Nickel. Die Hälfte der Frauen mit Ohrlochstich und Nickel-Ohrringen erwirbt darüber eine Nickelallergie, die lebenslang persistiert. Dies kann dazu führen, dass weite Berufsfelder verschlossen sind, wie Berufe in der metallverarbeitenden Industrie oder handwerkliche Berufe mit Kontakt zu diesem Metall [2] [3] [4].

Nach psychologischer Einschätzung ist Piercing inzwischen „Mainstream“ geworden und ein Hilfsmittel zur Konstruktion und Vervollständigung der eigenen körperlichen und psychischen Identität [5].

Es ist also an der Zeit, dass wir Öffenlichkeitsarbeit betreiben. Einige Schulen informieren über das Risiko beim Piercen, aber die Information darüber sollte zuhause intensiviert werden.

Ihre
Christiane Bayerl


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Prof. Dr. Christiane Bayerl

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  • Literatur

  • 1 Zylke-Menhorn W. Piercing. Die rechtliche Situation. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: A1546
  • 2 Sigmund-Schulze N. Piercing. Unter die Haut: Körperschmuck mit Risiken. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: A1542-1544
  • 3 Ghersetich I. Body Modifying Art. Adverse effects and complications. Int J Anti-Aging Med 2014; 4: 63-69
  • 4 Bone A, Ncube F, Noah ND. Body piercing in England: a survey of piercing at sites other than earlobe. BMJ 2008; 336: 1426-1428
  • 5 Stirn A, Möller J. Psychologische und medizinische Aspekte von Tattoo und Piercing, ein Update. Akt Dermatol 2013; 39: 228-235

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Christiane Bayerl
Klinik für Dermatologie und Allergologie
Hauttumorzentrum Wiesbaden
HSK, Dr. Horst Schmidt Kliniken
Ludwig-Erhardt-Straße 100
65199 Wiesbaden

  • Literatur

  • 1 Zylke-Menhorn W. Piercing. Die rechtliche Situation. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: A1546
  • 2 Sigmund-Schulze N. Piercing. Unter die Haut: Körperschmuck mit Risiken. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: A1542-1544
  • 3 Ghersetich I. Body Modifying Art. Adverse effects and complications. Int J Anti-Aging Med 2014; 4: 63-69
  • 4 Bone A, Ncube F, Noah ND. Body piercing in England: a survey of piercing at sites other than earlobe. BMJ 2008; 336: 1426-1428
  • 5 Stirn A, Möller J. Psychologische und medizinische Aspekte von Tattoo und Piercing, ein Update. Akt Dermatol 2013; 39: 228-235

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