Pädiatrie up2date 2014; 09(02): 107-125
DOI: 10.1055/s-0034-1365480
Immunologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

HIV/AIDS bei Kindern

Tim Niehues
,
David Nadal
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Tim Niehues
Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin
Helios Klinikum Krefeld
Akademisches Lehrkrankenhaus RWTH Aachen
Lutherplatz 40
47805 Krefeld

Publication History

Publication Date:
01 June 2014 (online)

 

Einleitung

Bei der Verhinderung der vertikalen Übertragung des HI-Virus von der infizierten Mutter auf ihr Kind und der Behandlung von Kindern mit HIV-Infektion hat es in den letzten 25 Jahren große Fortschritte gegeben. Bei Kenntnis einer HIV-Infektion der Mutter und Verordnung einer korrekten Anti-HIV-Therapie kann heute die Übertragung des Virus auf das Kind fast immer vermieden werden. Noch Ende der 1990er Jahre starben viele HIV-infizierte Kinder, weil keine effektiven antiviralen Medikamente zur Verfügung standen. Danach änderte sich die Situation beinahe schlagartig, als antiretrovirale (Anti-HIV-) Medikamente mit unterschiedlichem Angriff auf HIV zur Verfügung standen und kombiniert werden konnten. Ähnlich wie bei der Leukämie gelang es durch die Kombination von Chemotherapeutika die Replikation von HI-Viren einzugrenzen und das bereits geschädigte Immunsystem sich erholen zu lassen. Die Erkenntnis, dass insbesondere Säuglinge bezüglich eines raschen Fortschreitens der HIV-Infektion gefährdet sind und alle Säuglinge eine antiretrovirale Therapie (ART) benötigen, hat die Prognose für HIV-infizierte Kinder weiter verbessert. Die Erfahrung mit der ART ist inzwischen langjährig und ausgedehnt, und für den Fall, dass ein Therapieregime versagt, stehen alternative Medikamente zur Auswahl.

Merke: Die Verfügbarkeit von antiviralen Medikamenten mit unterschiedlichen Angriffspunkten gegen HIV hat seine vertikale Übertragung von der infizierten Mutter auf das Kind nahezu vollständig unterbunden und die Prognose von HIV-infizierten Kindern entscheidend verbessert.


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Epidemiologie

Deutschland und Schweiz

Genaue Zahlen über HIV-infizierte Kinder in Deutschland liegen nicht vor. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt, dass ca. 200 Kinder in Deutschland mit HIV infiziert sind, eine Umfrage der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft für AIDS in Deutschland (PAAD) ergibt ca. 300 – 400 Kinder. In der Schweiz gibt es unter 100 infizierte Kinder (unveröffentlichte Daten, 2012).

Dies stellt nur einen Bruchteil der ca. 67 000 HIV-infizierten Menschen in Deutschland dar. Aufgrund der besonderen familiären Situation (Mutter auch infiziert, zum Teil mit schwerer Erkrankung) und der psychosozialen Besonderheiten sowie Stigmatisierungen bedürfen HIV-infizierte Kinder einer umfassenden und intensiven Betreuung. Die Komplexität der HIV-Infektion mit ihrem chronischen Verlauf erfordert für die medizinische Behandlung eine detaillierte Kenntnis des natürlichen Verlaufs der Infektion und der Erkrankung, deren Immunpathogenese und der antiretroviralen Medikamente.


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Welt

Im „UNAIDS 2013 Report on the global AIDS Epidemic“ wurde geschätzt, dass am Jahresende 2012 weltweit 35,3 Millionen Menschen mit HIV oder dem Endstadium der Erkrankung, AIDS, am Jahresende 2012 lebten [1]. Die jährliche Neuinfektionsrate (Inzidenz) der HIV-Infektionen wurde 2012 auf 2,3 Millionen Menschen geschätzt. Rund 11 % dieser Infektionen (260 000 Fälle) treten bei Kindern unter 15 Jahren auf. Seit 2001 hat die Zahl der Neuinfektionen bei Kindern um mehr als 50 % abgenommen, als Folge des verbesserten Zugangs zu perinataler Transmissionsprophylaxe. Der Zugang zur Versorgung HIV-infizierter Kinder ist weltweit begrenzt. Es wird geschätzt, dass 2012 weniger als 30 % der ART-bedürftigen Kinder eine ART erhielten. Während in den westlichen Ländern bei rechtzeitiger Diagnose und Therapie nur noch selten Todesfälle auftreten, wird davon ausgegangen, dass 2012 ca. 210 000 Kinder an HIV und AIDS starben. UN AIDS schätzt, dass im Jahr 2012 nur etwa 62 % aller schwangeren HIV-infizierten Frauen eine Transmissionsprophylaxe erhalten haben, was die hohen Infektionsraten weltweit erklärt.

Haupthindernisse zur Verbesserung des Zugangs zur antiretroviralen Therapie/Prophylaxe
  • fehlende Infrastruktur

  • Fehlen von geschultem medizinischem Personal

  • hohe Kosten der kinderspezifischen Formulierung von antiretroviralen Medikamenten

  • Komplexität der Behandlung von Kindern

Erfreulicherweise vermochten verschiedene Initiativen die Zahl der behandelten Kinder in den letzten Jahren deutlich zu steigern. Darüber hinaus trägt eine hervorragende klinische Forschung dazu bei, die Therapie HIV-infizierter Kinder auch in den Entwicklungsländern zu optimieren: Ein Beispiel ist die so genannte ARROW-Studie. Sie zeigte, dass aufgrund eines einfachen klinischen Monitorings auch ohne aufwändiges Monitoring mittels Laboruntersuchungen bei Kindern die ART sicher gesteuert werden kann [2] [3].


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Ätiologie

Virus

HIV-1 und HIV-2 sind Mitglieder der Retroviren-Familie, deren Genom einzelsträngige RNA enthält [4]. Das HIV-Genom enthält 3 größere Regionen (Abb. [1]):

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Abb. 1 Zusammensetzung HI-Virus und Lokalisation der HIV-Proteine sowie deren jeweilige Funktionen.
  • die gag-Region, welche die so genannten Viral Core Proteins codiert,

  • die pol-Region, die virale Enzyme wie reverse Transkriptase, Protease und Integrase kodiert, und

  • die env-Region, die Hüllproteine (z. B. gp120 und gp41) kodiert.

Diese HIV-Proteine bilden unter anderem die Grundlage für den HIV-Antikörper-Test im Serum. Weitere HIV-Proteine sind regulatorische Proteine wie tat, rev, nef, vpa, vif und wpu. Diese Eiweiße sind wichtig für die HIV-Replikation, die Induktion des Anhaltens des Zellzyklus und die Erleichterung des Imports der reversen Transkriptase in den Zellkern der Wirtszelle, sowie die Herabregulierung der CD4 – und Klasse-1-MHC-Moleküle usw. (Abb. [1], HI-Virus).

HIV-1 ist wesentlich häufiger als HIV-2. Die Infektion mit HIV-2 scheint etwas langsamer zu verlaufen. Von HIV-1 gibt es 4 Untergruppen (M, N, O und P). Die M-Gruppe (Major Group) ist verantwortlich für mehr als 90 % aller HIV-Infektionen. Innerhalb der M-Gruppe gibt es 9 Subtypen (A, B, C, D, F, G, H, J und K). Der Subtyp B kommt v. a. in Nordamerika und Europa vor, A und D in Afrika und C in Afrika und Asien.


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Replikationszyklus als Ansatzort für die antiretrovirale Therapie (ART)

Das Verständnis des Replikationszyklus auf molekularer Basis hat die Entwicklung neuer Medikamente revolutioniert und die unverhofft großen Erfolge der ART begründet. Das HI-Virus benutzt 2 Rezeptoren, um in die Wirtszelle einzudringen (Abb. [2]). Ein Rezeptor ist das CD4-Molekül auf T-Helfer-Lymphozyten, der andere ist ein Chemokin-Rezeptor (CXCR4 oder CCR5). Nach Bindung des HI-Virus an die CD4- und Chemokin-Rezeptoren kommt es zur Fusion zwischen Virus und Zellmembran (Ansatzpunkt ART: Fusionsinhibitoren, z. B. Enfuvirtid). Als nächster Schritt schreibt die HIV-reverse Transkriptase RNA in provirale DNA um (Ansatzpunkt ART: Reverse-Transkriptase-Inhibitoren). Das Provirus kann nun für unbestimmte Zeit in der Zelle verweilen und wird sich nur dann in die Wirts-DNA integrieren, wenn die Wirtszelle aktiviert wird. Die Zusammensetzung neuer HI-Viren erfordert die HIV-spezifische Protease (Ansatzpunkt ART: Proteaseinhibitoren). Die neu produzierten HI-Viren knospen aus der Wirtszelle aus, und zahlreiche neue Viren werden freigesetzt (Abb. [2]).

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Abb. 2 Replikationszyklus von HIV und Ansatzpunkte der antiretroviralen Therapie.

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Immunpathogenese

Charakteristisch ist die Depletion der CD4-T-Helfer-Lymphozyten im Blut, deren Ursache ungeklärt ist. Die Tatsache, dass CD4 den Rezeptor für HIV darstellt, erklärt nicht den Verlust dieser Zellen im Blut. HIV führt zu einer überbordenden Aktivierung des Immunsystems, erkennbar am Aktivierungsstatus von Lymphozyten und übernormalen Immunglobulinspiegeln. Die Architektur lymphatischer Organe, insbesondere der Lymphknoten und der Darmfollikel, zerfällt. Schließlich wird der Thymus zerstört, der für die Schulung und Produktion neuer T-Zellen essenziell ist.

Frisch mit HIV infizierte Erwachsene sind noch in der Lage, sowohl HIV-spezifische T-Zellen als auch HIV-spezifische Antikörper so effektiv auszubilden, dass die Viruslast über eine längere Zeit kontrolliert werden kann. Erst mit der Zeit treten die oben erwähnten Veränderungen auf. Dies ist bei Kindern anders (Abb. [3]).

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Abb. 3 Viruslast und HIV-spezifische T-Zellen bei Erwachsenen bzw. Säuglingen ohne Therapie.

Merke: Das sich entwickelnde, im Aufbau befindliche lymphatische System des Kindes bietet optimale Bedingungen für die Replikation von HIV. Dies hat zur Folge, dass die HIV-Infektion beim Kind im Allgemeinen schneller fortschreitet als bei Erwachsenen und sich merklich davon unterscheiden kann.


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Natürlicher Verlauf (ohne Therapie)

Bei der HIV-Infektion verleihen neutralisierende Antikörper keinen dauerhaften Schutz wie bei anderen Virusinfektionen (z. B. Masern, Röteln). Der natürliche Verlauf ohne ART zeigt bei kleinen Säuglingen und Kleinkindern, dass sie im Gegensatz zu Erwachsenen die HI-Viruslast nicht kontrollieren können. Zwei Formen des natürlichen Verlaufs der HIV-Infektion können bei Kindern unterschieden werden:

  • 75 – 90 % der Kinder zeigen einen eher langsamen Verlauf („late onset“) ähnlich dem der Erwachsenen.

  • 10 – 25 % der Säuglinge zeigen einen schnellen Verlauf („early onset“) der Erkrankung mit oder ohne nachfolgenden Tod. Hier kommt es innerhalb des ersten Lebensjahrs zu opportunistischen Infektionen und HIV-Enzephalopathie.

Die Gründe für die 2 Formen sind nicht geklärt. Es wird angenommen, dass Kinder mit der rascheren Verlaufsform schon früh in utero mit einer größeren Infektionsdosis infiziert werden und dass bisher nicht identifizierte Kofaktoren eine Rolle spielen.

Merke: Ohne eine perinatale Transmissionsprophylaxe wird ein Großteil der Kinder während der Geburt oder postnatal über die Muttermilch infiziert.


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Falldefinitionen und Klassifikation

Die Centers für Disease Control und Prevention (CDC) in den USA und die WHO schufen Falldefinitionen für die HIV-Infektion, um die Erkrankung einheitlich überwachen und beforschen zu können. Die klinischen Stadien gemäß der CDC-Klassifikation für die HIV-Infektion im Kindesalter sind in Tab. [1] aufgeführt. Die WHO-Klassifikation benutzt ein ähnliches Schema, das vorwiegend für Ärzte in den Entwicklungsländern gedacht ist.

Tabelle 1

Klinische Stadien nach der Klassifikation der HIV-Infektion im Kindes- und Jugendalter der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) [5]

CDC-Stadium

Klinische Symptomatik

Stadium N: keine Symptomatik

Kinder, die keine Symptome oder klinische Zeichen einer HIV-Infektion oder nur eines der unter Stadium A aufgeführten Symptome haben

Stadium A: Frühsymptome

Kinder mit 2 oder mehr der folgenden Symptome, aber ohne der in Stadium B und C aufgeführten Symptome:

  • Lymphadenopathie, Hepatomegalie, Splenomegalie

  • Dermatitis

  • Parotitis

  • rezidivierende Infekte der oberen Atemwege, Sinusitiden oder Otitiden

Stadium B: mäßig schwere Symptome

Kinder, die andere als die in Stadium A und C aufgeführten Symptome haben. Beispiele für Symptome des Stadiums B sind:

  • Anämie (Hb < 80 g/l), Neutropenie (< 1 G/l), Thrombozytopenie (< 100 G/l) über > 30 Tage

  • bakterielle Meningitis, Pneumonie, Sepsis (eine Episode)

  • oropharyngeale Kandidiasis, über > 2 Monate persistierend bei Kindern > 6 Monaten

  • Kardiomyopathie

  • CMV-Infektion mit Beginn im 1. Lebensmonat

  • Durchfälle, rezidivierend oder chronisch

  • Hepatitis

  • Herpes-simplex-Virus-(HSV-)Stomatitis, mehr als 2 Episoden pro Jahr

  • HSV-Bronchitis, -Pneumonitis oder -Ösophagitis im 1. Lebensmonat

  • Herpes zoster (> 2 Episoden an > 1 Dermatom), disseminierte Varizellen

  • Leiomyosarkom

  • lymphoide interstitielle Pneumonie (LIP) oder pulmonale lymphoide Hyperplasie (PLH)

  • Nephropathie

  • persistierendes Fieber > 1 Monat Dauer

  • Toxoplasmose im 1. Lebensmonat; Nokardiose usw.

Stadium C: schwere Symptome, AIDS

  • mehr als 1 schwere, kulturell nachgewiesene Infektion mit gewöhnlichen Bakterien innerhalb von 2 Jahren

  • HIV-Enzephalopathie

  • Wasting-Syndrom, Kachexie

  • Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (vormals Pneumocystis-carinii-Pneumonie, PCP)

  • zerebrale Toxoplasmose bei Kindern im Alter > 1 Monat

  • Kryptosporidiose mit Durchfällen > 1 Monat Dauer

  • Isosporidiasis mit Durchfällen > 1 Monat Dauer

  • verschiedene Lymphome inkl. ZNS-Lymphome

  • Kaposi-Sarkom

  • progressive multifokale Leukenzephalopathie

  • HSV-bedingte mukokutane Ulzera (Dauer > 1 Monat) oder Bronchitis, Pneumonie, Ösophagitis durch HSV bei Kindern im Alter > 1 Monat

  • lymphoide interstitielle Pneumonie durch EBV

  • CMV: u. a. Retinitis, Ösophagitis, Kolitis bei Kindern im Alter > 1 Monat

  • Kandidiasis des Ösophagus oder des Tracheobronchialsystems

  • extrapulmonale Kryptokokkose

  • disseminierte oder extrapulmonale Histoplasmose

  • Tuberkulose, atypische Mykobakteriosen

Klinische Stadien gemäß der CDC-Klassifikation für die HIV-Infektion im Kindesalter

Stadium N: keine Symptome

Stadium A: Frühsymptome

Stadium B: mäßig schwere Symptome

Stadium C: schwere Symptome, AIDS

Neben den klinischen Kriterien gibt es auch immunologische Kriterien, bei denen altersabhängig die absolute oder prozentuale CD4-Zellzahl im peripheren Blut bewertet wird (Tab. [2]):

Tabelle 2

Immunologische Stadien gemäß der CDC-Klassifikation für die HIV-Infektion im Kindesalter von 1994, basierend auf den absoluten bzw. relativen CD4-Zellzahlen [5]

 < 12 Monate

1 – 5 Jahre

6 – 12 Jahre

CDC-Stadium [5]

Zellzahl/µl

(%)

Zellzahl/µl

(%)

Zellzahl/µl

(%)

Stadium 1: kein Immundefekt

 ≥ 1500

(≥ 25)

 ≥ 1000

(≥ 25)

 ≥ 500

(≥ 25)

Stadium 2: mäßiger Immundefekt

750 – 1499

(15 – 24)

500 – 999

(15 – 24)

200 – 499

(15 – 24)

Stadium 3: schwerer Immundefekt

 < 750

(< 15)

 < 500

(< 15)

 < 200

( < 15)

  • Stadium 1: kein Immundefekt

  • Stadium 2: mäßiger Immundefekt

  • Stadium 3: schwerer Immundefekt

Das Stadium der Erkrankung wird dann zusammengesetzt aus dem klinischen und dem immunologischen Stadium, als z. B. N1 oder C3. Ergeben CD4-Zellzahl und CD4-Prozent unterschiedliche Stadien, wird immer das schwerere Stadium dokumentiert. Ein Fortschreiten zu einem schwereren Stadium ist möglich. Die Herabstufung in ein leichteres Stadium (z. B. nach erfolgreicher Therapie) ist nicht möglich.


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Diagnose

Bei der Diagnose ist das Alter des Kindes zu berücksichtigen:

Unter 18 Monate

Bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern unter 18 Monaten ist die sonst übliche Serodiagnostik mit Nachweis der HIV-spezifischen Antikörper nicht geeignet, weil ab der 32. Schwangerschaftswoche die infizierte Mutter Anti-HIV-IgG auf das Kind überträgt. Diese keinen Nestschutz verleihenden Antikörper sind bis zum Alter von 18 Monaten oder selten sogar darüber hinaus beim Kind nachweisbar. Daher ist der Nachweis von HIV-RNA im Blut durch eine Polymerasekettenreaktion (PCR) die einzig eindeutige diagnostische Methode in diesem Alter. Die HIV-Testung per PCR ist aber erst nach 14 – 21 Tagen beim Neugeborenen aussagekräftig, da auch infizierte Säuglinge noch zu einem großen Teil direkt nach Geburt in der PCR-Untersuchung negativ sind. Selbst 4 Wochen nach Geburt sind noch 11 % der HIV-infizierten Kinder mittels PCR-Diagnostik nicht erfassbar [6] [7]. Eine positive PCR sollte umgehend mittels Testung einer zweiten, unabhängig entnommenen Blutprobe bestätigt werden. Bleibt die PCR negativ, sollte die Testung bei exponierten Säuglingen im Alter von 1 – 2 Monaten bzw. 3 – 4 Monaten wiederholt werden.

Seltene HIV-Subtypen (A, C – H, O) können der konventionellen PCR entgehen. Dann sollten Mutter und Kind parallel mit dem gleichen Test untersucht werden. Bleibt die Mutter trotz bekannter HIV-Infektion negativ in der PCR, so ist eine alternative Testmethode in Rücksprache mit dem Virologen zu wählen. Bei Kindern, die negativ bleiben, ist die HIV-Infektion erst dann ausgeschlossen, wenn die mütterlichen Anti-HIV-IgG beim Kind nicht mehr nachgewiesen werden können (Seroreversion).


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Über 18 Monate

Die Diagnostik der HIV-Infektion bei Kindern ≥ 18 Monate folgt den gleichen Prinzipien wie bei Erwachsenen. Es wird ein Suchtest der 4. Generation durchgeführt, bei dem simultan das Vorhandensein von HIV-spezifischen Antikörpern und von HIV-Antigen p24 getestet werden. Dieser Suchtest weist eine hohe Sensitivität und Spezifität auf. Bei bestimmten Patienten wie Schwangeren, Dialysepatienten, Patienten mit akuten Virusinfektionen, Impfungen oder Autoimmunerkrankungen finden sich gelegentlich falsch-positive Tests. Daher ist ein Bestätigungstest erforderlich, der mittels Western-Blot durchgeführt wird. Alternativ kann als Bestätigungstest die HIV-PCR eingesetzt werden.

Häufige AIDS-Manifestationen bei Kindern

Die Anwendung der hocheffektiven ART hat opportunistische Infektionen bei HIV-infizierten Kindern zur Seltenheit gemacht. Trotzdem spielen sie eine zentrale Rolle bei der Erkennung der HIV-Infektion im Säuglingsalter. Ist die Mutter unbekannterweise HIV-positiv und wurde HIV auf das Kind übertragen, so wird die erste Manifestation der HIV-Erkrankung in der Regel eine schwere opportunistische Infektion sein. Die häufigsten AIDS-Manifestationen bei Kindern sind folgende:

  • Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie

  • rezidivierende bakterielle Infektionen

  • HIV-Enzephalopathie

  • Zytomegalie-Infektion

  • rezidivierende bakterielle Infektionen

  • Candida-Ösophagitis

  • Kachexie

  • lymphoide interstitielle Pneumonie (LIP) oder pulmonale lymphoide Hyperplasie (PLH)


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AIDS-definierende Erkrankungen

Unter einer erfolgreichen hochaktiven ART (HAART) tritt das Endstadium AIDS (acquired immuno deficiency syndrome) nicht mehr auf. Die unten aufgeführten Manifestationen sind nur zu erwarten, wenn beim Kind die HIV-Infektion noch nicht bekannt war und diese daher nicht behandelt wurde. Dennoch sind diese Manifestationen von Bedeutung, um rechtzeitig auf eine zugrunde liegende HIV-Infektion aufmerksam zu werden und diese zu erkennen.

Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie, PCP (früher: Pneumocystis-carinii-Pneumonie)

Die Säuglinge präsentieren sich mit Fieber, Tachypnoe, produktivem Husten und zunehmender Dyspnoe. Diese Symptomatik entwickelt sich innerhalb weniger Tage oder über viele Wochen. Das Thorax-Röntgenbild zeigt bilaterale, perihiläre interstitielle Infiltrate, die sich bei fortschreitender Erkrankung zu einer homogenen Verschattung ausweiten (Abb. [4]). Die Diagnose gelingt ausschließlich aus bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit (BAL). Die rasche Gabe von hochdosiertem Cotrimoxazol (20 mg TMP/kg KG/Tag in 3 Einzeldosen i. v. über 1 Stunde über den Zeitraum von mindestens 3 Wochen) kann lebensrettend sein. Bei Cotrimoxazol-Unverträglichkeit wird eine Schnelldesensibilisierung durchgeführt oder eine Therapie mit Pentamidin (4 mg/kg KG 1-mal täglich über 60 – 90 Minuten) eingesetzt. Zusätzlich sind Steroide immer indiziert (Prednison 2 mg/kg KG/Tag für 1 Woche, die anschließend über 3 Wochen ausgeschlichen werden). Die PCP ist gefürchtet, da sie trotz Behandlung in 5 – 40 % letal verläuft. Alle Kinder mit einem schweren Immundefekt (immunologisches Stadium 3) bei HIV-Infektion erhalten eine primäre und alle HIV-infizierten Kinder nach PCP erhalten eine sekundäre PCP-Prophylaxe (150 mg/m2 Körperoberfläche oder 5 mg/kg KG TMP pro Tag an 3 Tagen der Woche). Nach Immunrekonstitution unter ART kann die PCP-Prophylaxe nach Erreichen der Altersnormwerte für CD4-Zellen beendet werden.

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Abb. 4 Röntgenbild des Thorax eines drei Monate alten Säuglings, der sich mit Husten und Fieber seit einigen Wochen vorstellte. In Broncheoalveolärer Lavage nachgewiesene Pneumocystis jirovecii-Infektion. HIV-Test bei der Mutter in der Schwangerschaft nicht durchgeführt, daher keine Transmissionsprophylaxe.

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Schwere invasive bakterielle Infektionen

Insbesondere bekapselte Bakterien wie Pneumokokken, Salmonellen, aber auch Staphylokokken, Enterokokken, Pseudomonas und Haemophilus influenzae verursachen bei Kindern mit HIV-Infektion gehäuft schwere, invasive bakterielle Infektionen. Es besteht eine erhöhte Sepsisgefahr.


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Zytomegalievirus (CMV)

Koinfektionen mit CMV sind sehr häufig. Meist findet sich in der BAL neben dem Nachweis von PCP auch CMV. Hier empfiehlt sich eine intravenöse Therapie mit Ganciclovir über 2 – 3 Wochen in einer Dosis von 5 mg/kg KG 2-mal täglich über jeweils 1 – 2 Stunden. Auf diese folgt eine orale Dauertherapie mit Valganciclovir (20 mg/kg KG/Tag verteilt auf 2 Einzeldosen). Wie lange die Valganciclovir-Gabe fortzuführen ist, bleibt unbekannt. Eine besondere Komplikation der CMV-Infektion stellt die CMV-Retinitis dar, die bei schwerem Immundefekt auftreten kann und unbehandelt zur Erblindung führt.


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Candida-Ösophagitis

Eine orale Kandidiasis ist bei HIV-infizierten Kindern häufig. Je schwerer die CD4-Zell-Depletion, desto wahrscheinlicher ist eine mukosale Candida-Infektion mit Ausweitung von der Mundhöhle in den Ösophagus. Die Behandlung besteht aus oraler Nystatin-Suspension oder Fluconazol (5 mg/kg KG/Tag). Meist reicht eine orale Fluconazol-Therapie für 7 – 14 Tage aus.


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HIV-Enzephalopathie

Die Enzephalopathie ist bei Säuglingen besonders gefürchtet. Sie manifestiert sich mit Opisthotonus, kognitiver Defizienz, Verlust von Meilensteinen und Hyperreflexie. Das HI-Virus kann als neurotropes Virus selbst das Zentralnervensystem (ZNS) schädigen. Die ZNS-Schädigung wird aber auch immunologischen Mechanismen zugeordnet: Überaktivierte Monozyten-Makrophagen führen zu einer Überproduktion von Entzündungsmediatoren, die wie Neurotoxine zu neuronaler Dysfunktion und Schädigung des ZNS mit entzündlichen Läsionen, reaktiver Gliose und Degeneration der weißen Substanz führen.

Definition der HIV-Enzephalopathie
  • Verzögerung oder Verlust der Meilensteine der Entwicklung und kognitive Defizite

  • eingeschränktes Wachstum des Gehirns und erworbene Mikrozephalie (Kopfumfang) und Hirnatrophie in CT oder MRT

  • erworbene, symmetrische motorische Defekte von 2 oder mehr der folgenden Parameter: Parese, pathologische Reflexe, Ataxie und Gangstörung

Ein besonderes Risiko für die Entwicklung einer HIV-Enzephalopathie besteht in den ersten 12 Lebensmonaten, insbesondere wenn die Kinder nicht rechtzeitig behandelt werden (Abb. [5]). Die Behandlung mit HAART kann die kognitive Funktion der Kinder signifikant verbessern. Bei Kindern mit HI-Virus-Suppression im Liquor konnte eine Verbesserung der neurologischen Funktionen dokumentiert werden.

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Abb. 5 Drei Monate alter, perinatal infizierter Säugling mit Opisthotonus bei schwerer HIV-Enzephalopathie.

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Lymphoide interstitielle Pneumonie (LIP) oder pulmonale lymphoide Hyperplasie (PLH)

Eine LIP oder PLH betrifft eher Kinder ab dem Kleinkindalter. Sie manifestieren sich mit chronischem Husten und Tachypnoe und zeigen generalisierte Lymphadenopathie und Hepatosplenomegalie sowie eine schmerzlose, beidseitige Parotisvergrößerung. Im Röntgen-Thorax finden sich symmetrisch bilateral noduläre Infiltrate, typischerweise in Assoziation mit einer Hilus-Lymphknotenvergrößerung. Das CT zeigt kleine Knötchen (Durchmesser 1 – 3 mm) in der Lunge, sowie subpleurale Knötchen. Histologisch finden sich Immunoblasten, Plasmazellen und CD8-T-Zellen. Die Ursache der LIP/PLH ist unbekannt. Hypoxie und Ateminsuffizienz können auftreten. Bakterielle Sekundärinfektionen müssen mit Antibiotika behandelt werden. Bronchodilatatoren können etwas zur Linderung beitragen. Bei schweren Fällen wird der Einsatz von Steroiden empfohlen.


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Wasting-Syndrom, Kachexie

Der extrem hohe Energiebedarf bei Kindern mit HIV-Infektion und gegebenfalls zusätzlichen opportunistischen Infektionen führt zu einem schnellen Gewichtsverlust. Früher wurde die HIV-/AIDS-Erkrankung in Afrika als Slim Disease bezeichnet. Diese Manifestation der HIV-Infektion findet sich in westlichen Ländern nur noch, wenn langfristig keine HAART eingesetzt wurde.


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Andere, seltenere Manifestationen

Die HIV-Infektion bei Kindern kann zu einer Nierenerkrankung mit Proteinurie, nephrotischem Syndrom und Niereninsuffizienz führen. Ein kardialer Befall manifestiert sich mit Perikarderguss, Myokarditis, Kardiomyopathie und/oder Arrhythmien. Der kardiale Befall bei AIDS-kranken Kindern zeigt eine hohe Letalität. Seltene Manifestationen sind das Kaposi-Sarkom (bedingt durch Koinfektion mit dem humanen Herpesvirus 8 [HHV-8]), Mycobacterium-avium-Komplex-Infektionen und Knochenmarkbefall mit Anämie, Leukopenie und/oder Thrombozytopenie.


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Therapie

Indikation

Die Indikation zur ART hängt vom Alter des Kindes, von der Viruslast, der CD4-Helferzellzahl im Blut (immunologischen Stadium) und vom klinischen Stadium ab. Vor einigen Jahren wurde gezeigt, dass insbesondere Säuglinge bei nicht rechtzeitiger Behandlung eine sehr hohe Letalität aufweisen. Deshalb wurde festgelegt, dass alle Kinder im 1. Lebensjahr unabhängig von Klinik, virologischen und immunologischen Befunden antiretroviral behandelt werden.

Merke: Alle Kinder im 1. Lebensjahr mit gesicherter HIV-Infektion werden unabhängig von Klinik, virologischen und immunologischen Befunden antiretroviral behandelt.

Bei älteren Kindern kann nach Tab. [3] vorgegangen werden. Leitlinien zur Behandlung HIV-infizierter Kinder und Jugendlicher mit antiretroviraler Therapie werden von der Pädiatrischen Arbeitsgemeinschaft AIDS in Deutschland und von der PENTA-Gruppe formuliert [8] [9] [10].

Tabelle 3

Altersspezifische Empfehlungen: immunologische, klinische und virologische Kriterien für einen Beginn der ART.

Alter

Empfehlung zur Behandlung

 < 1 Jahr

alle

 ≥ 1 – 3 Jahre

CDC-Stadium B oder C bzw. WHO-Stadium 3 oder 4
CD4-Zellen < 20 % oder < 1000 /μl
erwägen bei Viruslast > 100 000 Kopien/ml

 ≥ 3 – 5 Jahre

CDC-Stadium B oder C bzw. WHO-Stadium 3 oder 4
CD4-Zellen < 20 % oder < 500 /μl
erwägen bei Viruslast > 100 000 Kopien/ml

 ≥ 5 Jahre

CDC-Stadium B oder C bzw. WHO-Stadium 3 oder 4
CD4-Zellen: < 350 /μl
erwägen bei Viruslast > 100 000 Kopien/ml


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Voraussetzungen

Aufklärung

Zu Beginn der ART sind die Eltern oder Pflegeeltern und, wenn alt genug, auch das Kind detailliert darüber aufzuklären. Manche Medikamente sind in gewissem zeitlichem Bezug zur Nahrung aufzunehmen. Unerwünschte Wirkungen der Medikamente wie Hautausschlag oder Hypersensitivitätsreaktionen können sich für die Eltern dramatisch darstellen und sind deshalb zu erklären. Vor Einsatz von Abacavir ist eine Testung auf HLAB*5701 durchzuführen, da Träger dieses Allels ein hohes Risiko einer Hypersensitivitätsreaktion aufweisen.


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Adhärenz

Nur ca. 70 % der Kinder und Jugendlichen, die ART verschrieben bekommen, nehmen diese auch regelmäßig und wie verordnet ein. In der Adoleszenz nimmt die Adhärenz häufig ab. In einem oft sehr schwierig strukturierten sozialen Umfeld (Kinder sind verwaist, leben im Heim oder Eltern sind selbst HIV-infiziert und stigmatisiert) kann eine gute Betreuung nur im Team von Pflegern, Psychologen und Sozialarbeitern gelingen.


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Pharmakokinetik und Wechselwirkungen

Häufig wird die HIV-Infektion im frühen Säuglingsalter diagnostiziert. Dann muss eine ganze Reihe von Medikamenten gegeben werden, da sowohl die HIV-Infektion behandelt werden muss, als auch meist opportunistische Infektionen wie PCP und CMV. Die medikamentöse Therapie wird komplex, und Wechselwirkungen der Medikamente sowie pharmakokinetische und pharmakodynamische Besonderheiten sind zu bedenken, damit ausreichende Spiegel der antiretroviralen Medikamente beim Kind erreicht werden. Gerade zu Beginn der ART ist es sinnvoll, Plasmaspiegel (Talspiegel) von z. B. Proteaseinhibitoren oder NNRTI (nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) zu bestimmen, um zu beurteilen, ob ausreichende Dosierungen gegeben werden. Abb. [6] zeigt die Variabilität von Plasmaspiegeln bei der Gabe von Lopinavir, einem Proteaseinhibitor.

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Abb. 6 Variabilität von Plasmaspiegeln bei der Gabe von Lopinavir [11].

Merke: Es ist zu beachten, dass Kinder ihr Gewicht schnell ändern und die verordnete Dosierung regelmäßig nachgerechnet und überprüft werden muss.


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Strategie

Merke: Die Medikation besteht aus drei Wirkstoffen: zwei Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) und einem Proteaseinhibitor (PI) oder Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI).

Ähnlich wie in der pädiatrischen Onkologie sind Kinder mit HIV-Infektion in multizentrischen Therapiestudien zu behandeln. In Europa gibt es die PENTA-Gruppe (Pediatric European Network for Treatment of AIDS [10]), die seit Jahrzehnten erfolgreich Therapiestudien bei HIV-infizierten Kindern, nicht nur in Europa, sondern inzwischen auch in Südamerika und Asien durchführt. Die Empfehlungen zu Medikamentenkombinationen sind in Tab. [4] aufgeführt.

Tabelle 4

Empfehlungen zur Medikamentenkombination in der Initialtherapie in Abhängigkeit vom Alter.

Alter

Kombinationstherapie

Bemerkung

 < 6 Jahre

LPV/r + 2 NRTI

Zulassung erst ab 2 Jahren, Dosisangaben nach FDA, Bestimmung von LPV-Talspiegel sinnvoll, nicht bei Frühgeborenen

NFV + 2 NRTI

mögliche Alternative, Zulassung erst ab 3 Jahren, Bestimmung von NFV-Talspiegel sinnvoll, geschmacklich besser

 > 6 Jahre

LPV/r + 2 NRTI

ATV/r + 2 NRTI

FPV/r + 2 NRTI

 < 3 Jahre

NVP + 2 NRTI

nicht bei NVP-exponierten Kindern

 > 3 Jahre

NVP + 2 NRTI

nicht bei NVP-exponierten Kindern

EFV + 2 NRTI

Zulassung ab Alter 3 Jahre

 < 1 Jahr

NVP + ATZ + 3TC + ABC

in Ausnahmefällen möglich

ABC: Abacavir; ATV: Atazanavir; EFV: Efavirenz; FDA: Food and Drug Administration; FPV: Fosamprenavir; LPV: Lopinavir; NFV: Nelfinavir; NRTI: Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitor; NVP: Nevirapin; /r: geboostert mit Ritonavir; 3TC: Lamivudin

Für Kinder, die während der Transmissionsprophylaxe in utero oder perinatal Nevirapin (NNRTI) erhalten haben, empfiehlt sich die Therapie mit einem PI, da gegen das Nevirapin schon Resistenzen aufgetreten sein können. Ohnehin erscheint die PI-haltige ART hinsichtlich Viruslastreduktion und CD4-Zell-Rekonstitution etwas effektiver zu sein, wenn auch in größeren Studien diesbezüglich kein signifikanter Unterschied zwischen einem PI- oder NNRTI-haltigen Regime festgestellt werden konnte.

Neue Strategien werden erprobt zur Induktions- und Erhaltungstherapie (z. B. Erhaltungstherapie mit einer Kombination aus PI und Integraseinhibitor oder nur PI-Monotherapie). Darüber hinaus finden neue Medikamente Einzug in die Behandlung HIV-infizierter Kinder, z. B. in Form von zwei NRTI und einem Integraseinhibitor.


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Therapiekombinationen

2 NRTI + 1 PI

Heute werden gerne geboosterte PI benutzt. Boosterung meint, dass dem PI eine geringe Dosis Ritonavir (= klein r) hinzugefügt wird, damit der PI besser verstoffwechselt wird und eine effizientere antiretrovirale Wirkung entfaltet. Im Kindesalter häufig benutzte geboosterte PI sind Lopinavir/r, Fosamprenavir/r und Atazanavir/r sowie Darunavir/r. Vor allem bei jungen Kindern stellt der schlechte Geschmack des Ritonavir, das in den meisten Medikamenten vorhanden ist, einen limitierenden Faktor dar. Ein nicht geboosterter PI ist Nelfinavir, der im Kindesalter über viele Jahre erfolgreich eingesetzt wurde und heute immer noch verwendet werden kann.


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2 NRTI + 1 NNRTI

Wegen der Verfügbarkeit einer geschmacksneutralen Suspension ist diese Kombination insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern gut anwendbar. Ab dem 3. Lebensjahr kann statt Nevirapin Efavirenz eingesetzt werden.


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Substanzklassen, unerwünschte Wirkungen

Die einzelnen Medikamente sind in Tab. [5] aufgeführt. Die Substanzklassen zeigen charakteristische unerwünschte Wirkungen:

Tabelle 5

Antiretrovirale Medikamente zur Therapie der HIV-Infektion im Kindesalter (nach DGPI-Handbuch, 6. Aufl. 2013).

Medikamente

Dosierung pro Tag (Plasmaspiegel)

Einnahme und Kommentar

Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)

Azidothymidin (AZT) oder Zidovudin (ZDV): Suspension: 10 mg/ml; Kapseln: 100 mg, 250 mg; Tabletten: 300 mg, i. v. Ampullen: 10 mg/ml

Kinder: 4 – 9 kg KG: 2 × 12 mg/kg;  > 9 – 30 kg KG: 2 × 9 mg/kg; Kapseln: 8 – 14 kg KG: 2 × 100 mg;  > 14 – 21 kg KG: 2 × 100 – 200 mg;  > 21 – 30 kg KG: 2 × 200 mg;  > 30 kg KG: 2 × 250 – 300 mg; maximal: 2 × 300 mg

unabhängig vom Essen, große Erfahrung in der Pädiatrie inkl. Früh- und Neugeborene, liquorgängig, i. v.-Präparation vorhanden; Dosis für Frühgeborene und zur Prophylaxe der Mutter-Kind-Transmission; Lösung ist 1 Monat im Kühlschrank stabil.

[Stavudin (D4 T)]: Suspension: 1 mg/ml; Kapseln: 15 mg, 20 mg, 30 mg, 40 mg

Alter 1 – 13 Tage: 2 × 0,5 mg/kg; 14 Tage bis 30 kg KG: 2 × 1 mg/kg KG; 30 – 60 kg KG: 2 × 30 mg;  > 60 kg KG: 2 × 40 mg

unabhängig vom Essen, Suspension max. 30 Tage im Kühlschrank haltbar, liquorgängig, nur noch als Reservemedikament!

Didanosin (DDI): Suspension: 10 mg/ml; magensaftresistente Hartkapseln: 125 mg, 200 mg, 250 mg, 400 mg

Alter 2 Wochen – 8 Monate: 2 × 50 mg/m2 KO; 8 Monate – 60 kg KG: 2 × 100 – 120 mg/m2 KO; maximal: 2 × 125 mg oder 1 × 250 mg;  > 60 kg KG: 1 × 400 mg oder 2 × 200 mg

nüchtern: 30 min vor, oder 2 h nach Essen, Suspension maximal 30 Tage im Kühlschrank haltbar, bei größeren Kindern einmal tägliche Dosierung möglich; TDF führt zu erhöhtem DDI-Spiegel, schlechte Wirksamkeit von DDI + 3TC + TDF.

Lamivudin (3TC): Suspension: 10 mg/ml; Tabletten: 150 mg, 300 mg; Tablette mit Bruchrille: 150 mg

Alter < 30 Tage: 2 × 2 mg/kg KG; ältere Kinder: 2 × 4 mg/kg KG, (in Studien: 1 × 8 mg/kg); maximal: 2 × 150 mg; Kinder: 14 – 20 kg KG: 2 × ½ Tbl.; 21 – 30 kg KG: ½ – 0 – 1 Tbl.; ab 30 kg KG: 2 × 150 mg oder 1 × 300 mg

unabhängig von Essen, Suspension bei Raumtemperatur aufbewahren, schlechte Wirksamkeit von DDI + 3TC + TDF, nur 1 Mutation bis zur kompletten Resistenz, Wirksamkeit gegen Hepatitis-B-Virus, nicht mit FTC kombinieren.

Emtricitabin (FTC): Suspension: 10 mg/ml; Kapseln: 200 mg

3 Monate – < 18 Jahre: 1 × 6 mg/kg KG (Saft); Maximal: 1 × 240 mg; Patienten ab 33 kg KG: 1 × 200 mg (Kps.)

unabhängig vom Essen, wenig Erfahrung in der Pädiatrie, nur 1 Mutation bis zur kompletten Resistenz, Wirksamkeit gegen Hepatitis-B-Virus, nicht mit 3TC kombinieren.

Abacavir (ABC): Suspension: 20 mg/ml; Tabletten: 300 mg (mit Bruchrille)

Kinder 1 – 3 Monate: Studie mit 2 × 8 mg/kg KG; Kinder > 3 Monate: 2 × 8 mg/kg KG (in Studien: 1 × 16 mg/kg KG); maximal: 2 × 300 mg oder 1 × 600 mg

unabhängig vom Essen, schlechte Wirksamkeit von ABC + 3TC + TDF, Bestimmung von HLA-B*5701 vor Therapiebeginn erforderlich, da bei Vorliegen des Merkmals hohes Risiko der Hypersensitivitätsreaktion.

Tenofovir (TDF) Tabletten: 300 mg (als Fumarat)

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Dosisfindungsstudien: 1 × 175 mg/m2 KO/d oder Kinder 2 – 8 Jahre: 1 × 8 mg/kg;  > 8 Jahre: 1 × 210 mg/m2 KOF/d; Erwachsene ≥ 18 Jahre: 1 × 300 mg

zum Essen, Einnahme 1 × täglich; cave: Bei Kombination von TDF und DDI können DDI-Serumspiegel ansteigen und CD4-Zellen abfallen! Vermindert ATV-Spiegel, nicht in Kombination mit D4 T + ABC + 3TC, Studie abgebrochen; Wirksamkeit gegen Hepatitis-B-Virus.

Combivir® (AZT + 3TC) Tabletten mit Bruchrille: 300 mg AZT + 150 mg 3TC

Kinder: 14 – 21 kg KG: 2 × ½ Tbl.; 21 – 30 kg KG: ½ – 1 Tbl.; ab 30 kg KG: 2 × 1 Tbl.

Kivexa® (3TC + ABC): 300 mg 3TC + 600 mg ABC

Zulassung ab 12 Jahren (bzw. ca. 40 kg KG): 1 × 1 Tbl.

Trizivir®: 300 mg ZDV + 150 mg 3TC + 300 mg ABC

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Erwachsenendosis: 2 × 1 Tbl.

Truvada® (FTC + TDF): 200 mg FTC + 245 mg TDF

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Erwachsenendosis: 1 × 1 Tbl.

Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)

Efavirenz (EFV): Lösung: 30 mg/ml; Kapseln: 50, 100, 200 mg; Tabletten: 600 mg

für Kinder < 3 Jahren keine Zulassung; Kapseln/Tablette: 1 × täglich nach KG: 10 – < 15 kg: 1 × 200 mg; 15 – < 20 kg: 1 × 250 mg; 20 – < 25 kg:1 × 300 mg; 25 – < 32,5 kg:1 × 350 mg; 32,5 – < 40 kg: 1 × 400 mg; ≥ 40 kg: 1 × 600 mg; maximal: 1 × 600 – 800 mg; Suspension: Dosierungstabelle nach Alter + KG

Einnahme auf leeren Magen, 1 × täglich, am besten vor dem Einschlafen! 50-mg-Kapseln können geöffnet und mit Nahrung eingenommen werden. Sehr lange HWZ, erniedrigt Spiegel von PI, geringe genetische Barriere. Nicht empfohlen bei Frauen im gebärfähigem Alter.

Nevirapin (NVP): Suspension: 10 mg/ml; Tabletten: 200 mg; Nevirapin Retard (NVPXR) Tabletten: 50 mg, 100 mg, 400 mg

Alter > 14 Tage – 8 Jahre: 2 Wochen 1 × 4 mg/kg NVP, danach: NVP 2 × 7 mg/kg oder NVP XR: 12,5 – 17,8 kg: 1 × 200 mg; 17,9 – 24,9 kg: 1 × 300 mg;  ≥ 25 kg: 1 × 400 mg; Alter > 8 Jahre: 2 Wochen 1 × 4 mg/kg NVP, dann: NVP 2 × 4 mg/kg (max. 2 × 200 mg) oder NVP XR 17,9 – 31,2 kg: 1 × 200 mg; 31,3 – 43,7 kg: 1 × 300 mg

unabhängig vom Essen; erniedrigt Spiegel von PI, geringe genetische Barriere

Etravirin (ETR) Tabletten: 100 mg

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Phase-II-Studie mit 2 × 5,2 mg/kg

Tabletten auch in Wasser aufgelöst trinkbar

Rilpivirin (TMC278) Tabletten: 25 mg

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Erwachsenendosis: 1 × 1 Tbl.

muss mit einer Mahlzeit eingenommen werden

Atripla® (FTC + TDF + EFV): 200 mg FTC + 245 mg TDF + 600 mg EFV

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Erwachsenendosis: 1 × 1 Tbl.

mit dem Essen einzunehmen

Eviplera®: 200 mg FTC, 300 mg TDF, 25 mg TMC278

für Kinder < 18 Jahren nicht zugelassen; Erwachsenendosis: 1 × 1 Tbl.

mit dem Essen einzunehmen

Proteaseinhibitoren (PI)

Ritonavir (RTV): Suspension: 80 mg/ml; Tabletten: 100 mg

Einsatz nur noch als Booster-Medikament (erhöht Spiegel anderer PI); Dosis je nach PI

mit dem Essen: erhöht Absorption, vermindert GI-Nebenwirkungen; wegen fürchterlichem Geschmack Erdnussbutter oder Schokoladenmilch vor Einnahme!

Saquinavir (SQV) Tabletten: 500 mg, 200 mg (nur in Kombination mit Ritonavir/RTV)

für Kinder < 16 Jahren nicht zugelassen; Kinder < 1 Jahr: Dosis unbekannt; Kinder > 1 Jahr (off-label !): 2 × 50 mg/kg KG SQV + 2 × 75 mg/m2 KOF RTV; Erwachsenendosis: 2 × 1000 mg SQV + 2 × 100 mg RTV

mit oder bis zu 2 h nach Mahlzeit; verbesserte Resorption mit Mahlzeit oder Grapefruitsaft

Lopinavir/Ritonavir (LPV/r): Suspension: 80 mg/ml LPV + 20 mg/ml RTV; Tabletten: a) 200 mg LPV + 50 mg RTV; b) 100 mg LPV + 25 mg RTV

offizielle Dosisempfehlung ab 2 Jahre; Säuglinge < 6 Monate: 2 × 300 mg/m2 LPV (Spiegelkontrollen!); Kinder > 6 Monate: 2 × 230 mg/m2 LPV (siehe auch Dosierungstabellen!); Tabletten: ≥ 0,5 –  < 0,9 m2 KOF: 2 × 200 mg;  ≥ 0,9 – < 1,4 m2 KOF: 2 × 300 mg;  ≥ 1,4 m2 KOF: 2 × 400 mg; in Kombination mit EFV/NVP höhere Dosierung (ca. 30 %) notwendig (s. Packungsbeilage)

Saft: mit dem Essen, Fett erhöht Absorption, mit 42 % Alkohol, übler Geschmack; Tabletten: unabhängig vom Essen; einmal tägliche Gabe in Studie

Atazanavir (ATV) Kapseln: 100 mg, 150 mg, 200 mg; Lösung in Vorbereitung

Zulassung ab 6 Jahren: 15 – < 25 kg KG: 1 × 150 mg + 80 mg RTV; 25 – < 32 kg KG: 1 × 200 mg + 100 mg RTV; 32 – 39 kg KG: 1 × 250 mg + 100 mg RTV  ≥ 39 kg KG = Erwachsenendosis: 1 × 300 mg + 100 mg RTV

bessere Absorption mit Essen

Fosamprenavir (fAPV): Tabletten: 700 mg ; Suspension: 50 mg/ml

Zulassung ab 6 Jahren: 2 – 5 Jahre/naiv: 2 × 30 mg/kg fAPV;  > 6 Jahre/naiv: 18 mg/kg + 3 mg/kg RTV; Erwachsenendosis: A) ART-Naive: 2 × 700 mg fAPV + 2 × 100 mg RTV

unabhängig vom Essen

Tipranavir (TPV): Saft: 100 mg/ml; Kapseln: 250 mg

Kinder ab 2 Jahren: 2 × 375 mg/m² KO + 2 × 150 mg/m² KO RTV oder 2 × 14 mg/kg TPV + 2 × 6 mg/kg RTV; Erwachsenendosis: 2 × 500 mg TPV + 2 × 200 mg RTV

unabhängig vom Essen; enthält 116 U/ml Vitamin E

Darunavir (DRV) Tabletten: 75 mg, 150 mg, 300 mg, 400 mg, 600 mg; Zulassung nur für vorbehandelte Kinder

Zulassung ab 6 Jahren: Kinder ≥ 20 – 30 kg KG: 2 × 375 mg + 2 × 50 mg RTV; Kinder ≥ 30 – 40 kg KG: 2 × 450 mg + 2 × 60 mg RTV; Kinder ≥ 40 kg KG: 2 × 600 mg + 2 × 100 mg RTV

Einnahme mit Essen

Entry- und Fusionsinhibitoren

Enfuvirtide (T-20): 108 mg lyophilisiertes Pulver + 1,1 ml steriles Wasser = 90 mg/ml

Zulassung ab 6 Jahren: Kinder > 6 Jahre: 2 × 2 mg/kg KG s. c.; Maximal: 2 × 90 mg s. c.; Erwachsenendosis: 2 × 90 mg s. c.

Schulung für korrektes steriles Auflösen und korrekte s. c.-Injektion nötig, gelöstes Lyophilisat 24 h im Kühlschrank haltbar

Maraviroc (MVC) Tabletten: 150 mg, 300 mg

keine Zulassung für Kinder < 16 Jahren; ab 16 Jahre: mit CYP3A4-Inhibitor: 2 × 150 mg; ohne CYP3A4-Inhibitor: 2 × 300 mg; mit CYP3A4-Inducer: 2 × 600 mg

nur bei CCR5-Tropismus, nicht bei CXCR4-Tropismus; unabhängig vom Essen; zurzeit pädiatrische Studien

Integraseinhibitoren

Raltegravir (RAL/RGV) Tabletten: 400 mg

keine Zulassung für Kinder < 16 Jahren; ab 16 Jahre: 2 × 400 mg/d

Nicht alle Medikamente sind in Deutschland oder zur Therapie im Kindesalter zugelassen; Neuzulassungen sind zu beachten; eventuelle Heilversuche mit nicht zugelassenen Präparaten sind entsprechend dem Arzneimittelrecht anzuzeigen.

Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)

Die Kombinationen aus 2 NRTI sind meist gut verträglich. Bei der Gabe von NRTI ist zu beachten, dass gewisse antagonistische NRTI-Kombinationen wie AZT + D4 T oder FTC + 3TC zu vermeiden sind. Die seltenen unerwünschten Wirkungen der NRTI sind durch mitochondriale Toxizität zu erklären und können zu neuromuskulären Funktionsstörungen, Kardiomyopathie, Neuropathie, Panzytopenie, Pankreatitis, Laktatazidose und Hepatomegalie führen.


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Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)

Nevirapin zeigt als häufigste Nebenwirkung bei 16 % aller Patienten ein in den ersten Wochen auftretendes, sehr ausgeprägtes Exanthem. Es kann so ausgeprägt sein, dass die Therapie abgebrochen werden muss. Durch Einschleichen der Dosis wird die Häufigkeit der Exantheme reduziert. Bei Efavirenz-Gabe sind ZNS-Symptome wie Schwindel, Alpträume und depressive Stimmungslage häufig. Wie bei Nevirapin kann ein juckendes, makulöses Exanthem auftreten, das sich auch bei Fortführung der Therapie innerhalb von Tagen bessert (Abb. [7]).

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Abb. 7 Exanthem als unerwünschte Wirkung nach Gabe von nicht nukleosidalen reverse Transkriptase-Inhibitoren NNRTI.

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Proteaseinhibitoren (PI)

PI begünstigen Dyslipidämien und Fettverteilungsstörungen, wie es auch zu einem gewissen Teil NRTI tun. Bei einem Wechsel von PI auf ein NNRTI-haltiges Regime verbessern sich die Fettwerte im Blut. Eine verminderte Knochendichte ist beschrieben. Insulinresistenz ist eine seltene unerwünschte Wirkung.


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Entry-Inhibitoren

Diese Medikamente werden bei Kindern extrem selten eingesetzt.


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Integrase-Inhibitoren

Die neuen Integraseinhibitoren werden zukünftig wahrscheinlich in der Therapie von Kindern häufig eingesetzt werden, Langzeitdaten zur Sicherheit fehlen aber noch.


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Ansprechen auf die Therapie

Das Ansprechen von Kindern und Jugendlichen auf die HAART kann an ihrem Wachstum und ihrer psychomotorischen Entwicklung und Funktion gemessen werden. Bereits 2 Jahre nach Beginn der HAART normalisiert sich die Wachstumsgeschwindigkeit. In Bezug auf den neuropsychologischen Status sind die Daten unklar. Eine eindeutige Besserung durch die HAART konnte bisher nicht belegt werden.


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Therapieversagen

Steigt die Viruslast nach 6 Monaten wieder an oder ist um weniger als 1,5 Logstufen reduziert, oder steigt nach initialem Ansprechen die Viruslast auf 1 Logstufe über dem Nadir an, so spricht man von einem Therapieversagen. Immunologische Kriterien für das Therapieversagen sind abnehmende CD4-Zellzahlen. Als Richtwert gilt eine Abnahme um mindestens 30 % des Absolutwertes in weniger als 6 Monaten. Klinisch kann die Toxizität der Medikamente, eine Progression oder eine auffällige Häufung von Infektionen, Enzephalopathie oder Gedeihstörung ein Therapieversagen definieren. Am häufigsten liegt dem Versagen eine mangelhafte Therapieadhärenz zugrunde. Plasmatalspiegel der Medikamente sind zu bestimmen (pi, NNRTI).

Ist eine ausreichende Adhärenz sichergestellt, wird empfohlen, die beiden NRTI auszutauschen und eine weitere neue Substanzklasse in das Regime einzuführen. Vor Umstellung ist es sinnvoll, eine Resistenztestung durchzuführen und die Umstellung resistenzgesteuert vorzunehmen.

Merke: Bei Therapieversagen sind die beiden NRTI auszutauschen und eine weitere neue Substanzklasse in das Regime einzuführen. Es ist sinnvoll, die Umstellung resistenzgesteuert vorzunehmen.


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Prävention

Infektionsvorbeugung durch aktive Schutzimpfungen

Es liegen aktuelle Empfehlungen der PENTA vor. Grundsätzlich sind alle Totimpfstoffe problemlos einsetzbar. Bei ausreichender Immunfunktion (CD4 + -Zellen/µl: Säuglinge > 750; 1 – 5 Jahre: > 500; über 5 Jahre: > 200; jeweils > 15 %) können Lebendimpfungen durchgeführt werden.


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HIV-Prävention: Verhinderung der vertikalen Transmission

Eine regelmäßige Testung von Schwangeren auf HIV wird in den Mutterschaftsrichtlinien empfohlen, ist aber nicht Pflicht. In Deutschland besteht immer noch eine Opt-In-Regelung. Dies führt bei Müttern, die sich nicht testen lassen, dazu, dass keine Transmissionsprophylaxe durchgeführt wird. Die HIV-Infektion der Mutter bleibt unerkannt, bis sich ihr Kind mit der Infektion vorstellt, nicht selten zu spät. Bei einer Opt-Out-Regelung müsste sich die Mutter aktiv gegen die Durchführung eines HIV-Tests aussprechen; in verschiedenen Arbeiten (z. B. aus Kanada) ist gezeigt worden, dass eine Opt-Out-Regelung zu einer besseren Rate an Testungen in der Schwangerschaft führt. In Risikogruppen ist es sinnvoll, die werdende Mutter während der Schwangerschaft mehrfach zu testen. Die Transmissionsprophylaxe besteht aus 5 Komponenten:

HIV-Prävention: Verhinderung der vertikalen Transmission
  • präpartale ART

  • intrapartale antiretrovirale Therapie

  • geplanter Kaiserschnitt, Spontangeburt bei Viruslast unter Nachweisgrenze

  • postpartale antiretrovirale Therapie für das Neugeborene

  • Stillverzicht

Das Gebot zum geplanten Kaiserschnitt ist in der Diskussion, weil bei effizienter HAART der Schwangeren und Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze auch bei Spontangeburt HIV nicht vertikal übertragen wird. Inwieweit dies generell empfohlen werden sollte, wird kontrovers diskutiert. Der Verzicht auf das Stillen gilt für die westlichen Länder; in Afrika z. B. hätte ein generelles Stillverbot andere deletäre Folgen.

Präpartal

Bei der Mutter gibt es verschiedene Risikostufen: Bei einem niedrigen Risiko hat die Schwangere eine sehr niedrige Viruslast. Bei niedrigem Risiko für Frühgeburtlichkeit kann auch erst nach der 32. SSW mit der Therapie begonnen werden. Die Therapie erfolgt gemäß der Leitlinie der HIV-Therapie in der Schwangerschaft [12].

Bei Schwangeren mit einer Viruslast > 100 000 HIV-RNA-Kopien/ml wird empfohlen, bereits ab der 24. SSW mit der ART zu beginnen. Das Vorgehen in Abhängigkeit von CD4-Zellzahl und Viruslast in Bezug auf den Beginn der Prophylaxe bzw. ART und die Wahl des Geburtsmodus ist in Tab. [6] dargestellt.

Tabelle 6

Postexpositionelle Prophylaxe (PEP) des Neugeborenen je nach Risiko.

Schwangerschaftsverlauf

Viruslast präpartal

HIV-Transmissionsrisiko

PEP des Neugeborenen

komplikationslose (auch Mehrlings-) Schwangerschaft

 < 1000 Kopien/ml

normal

Zidovudin 4 × 2 mg/kg KG/d p. o. für 2 – 4 Wochen

Frühgeburt ≥ 33 SSW plus

 < 50 HIV-RNA-Kopien/ml

Frühgeburt ≥ 33 SSW

 > 50 HIV-RNA-Kopien/ml

erhöht

Zidovudin 2 × 2 mg/kg KG/d p. o. oder Zidovudin 2 × 1,5 mg/kg KG/d i. v.; FG > 30 + 0 SSW: ab 3. LW 3 × 2 mg/kg KG/d; FG ≤ 30 + 0 SSW: ab 4. LW 3 × 2 mg/kg KG/d p. o.

Frühgeburt < 33 SSW

 < 50 Kopien/ml ≥ 12 Wochen präpartal

komplikationslose (auchMehrlings-) Schwangerschaft

1000 – 10 000 Kopien/ml

Zidovudin 4 × 2 mg/kg KG/d p. o. für 6 Wochen

Frühgeburt < 33 SSW

 > 50 HIV-RNA-Kopien/ml bzw. < 50 HIV-RNA-Kopien/ml für < 12 Wochen präpartal

sehr hoch

Zidovudin 4 × 2 mg/kg KG/d (Dosis bei FG beachten) plus Lamivudin 2 × 2 mg/kg KG/d für 6 Wochen. Bei Nevirapin-Prophylaxe der Mutter 1 × 2 mg/kg für das Neugeborene im Alter von 48 – 72 h. Falls präpartal kein Nevirapin, 2 Nevirapin-Dosen 1 × 2 mg/kg KG/d unmittelbar postpartal und nach 72 h.

komplikationslose (auch Mehrlings-) Schwangerschaft

 > 10 000 HIV-RNA-Kopien/ml

SSW: Schwangerschaftswoche


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Intrapartal

Maßnahmen unter Geburt: Bei Viruslastwerten > 50 HIV RNA Kopien/ml wird 3 Stunden vor einer geplanten Sectio oder bei Wehenbeginn einer vaginalen Geburt intrapartal Zidovudin intravenös verabreicht.

Merke: Bei sehr niedriger Viruslast kann vaginal entbunden werden, sonst wird die Sectio empfohlen.


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Postpartal

Nach der Geburt wird das Neugeborene im Kreißsaal von potenziell mit HIV kontaminiertem Fruchtwasser befreit, indem mütterliches Blut aus den Körperöffnungen des Kindes vorsichtig ausgestrichen wird; dazu werden in 0,9 %ige NaCl Lösung getauchte Tupfer benutzt.

Situationen mit erhöhtem Risiko für die vertikale Transmission von HIV von der Mutter auf das Kind
  • erhöhtes Risiko von Mehrlingsschwangerschaften

  • vorzeitige Wehen

  • Frühgeburt > 33. SSW

  • Viruslast vor der Geburt > 1000 – 10 000 HIV-RNA-Kopien/ml

  • sehr hohes Risiko einer Frühgeburt vor der 33. SSW

  • früher vorzeitiger Blasensprung (> 4 Stunden vor Geburt)

  • Viruslastanstieg vor Geburt auf Werte über 10 000 HIV-RNA-Kopien/ml

  • Schnittverletzungen des Kindes

  • Absaugen von blutigem Fruchtwasser aus dem Magen oder der Lunge des Neugeborenen

Abhängig vom Transmissionsrisiko wird die Therapie beim Neugeborenen eskaliert oder deeskaliert.

Als Postexpositionsprophylaxe beim Neugeborenen werden orale bzw. i. v. Gaben von Zidovudin 2 – 4 Wochen lang verabreicht. In Risikosituationen wird eine Zweifachprophylaxe mit Zidovudin und Lamivudin für 6 Wochen oder sogar eine Dreifachprophylaxe mit Zidovudin, Lamivudin und Nevirapin gegeben.

Merke: In den westlichen Industrienationen wird vom Stillen abgeraten.


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Prognose

Die Lebensqualität der von HIV Betroffenen hat sich signifikant verbessert, und Todesfälle als Folge der HIV-Infektion sind bei Kindern extrem selten geworden. Die Morbidität und Mortalität hat seit Einführung der HAART auch bei Kindern signifikant abgenommen.

Fazit

Die mit der Diagnose HIV verbundene Stigmatisierung ist noch gegenwärtig. Dies erfordert ein höchst sensibles Umgehen mit den betroffenen Kindern, deren Familien und Bezugspersonen. HAART steht für Kinder seit mehr als einer Dekade zur Verfügung. Die Erfahrungen in der Applikation von HAART bei Kindern steigt mit jedem Jahr. Ein Großteil der Kinder verträgt HAART sehr gut. In zwei Gruppen besteht noch Gefahr: Säuglinge, die infiziert sind, weil bei der Mutter in der Schwangerschaft kein HIV-Test durchgeführt wurde, und Adoleszente, die keine Therapieadhärenz aufweisen. Aus der ehemals mehr oder weniger relativ rasch tödlich verlaufenden Infektion ist heute eine kontrollierbare, chronische Infektion geworden. Effizient behandelte Kinder können ein weitgehend normales Leben führen. Schließlich kann durch eine hocheffektive perinatale Transmissionsprophylaxe die Übertragung von HIV auf das Kind in den allermeisten Fällen verhindert werden, vorausgesetzt die HIV-Infektion bei der Mutter ist bekannt.


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Über die Autoren


David Nadal

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Jahrgang 1954, Prof. Dr. med.; Pädiatrischer Infektiologe, Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene des Universitäts-Kinderspitals Zürich. Medizinstudium in Zürich, Staatsexamen 1980, seit 1981 Tätigkeit am Ostschweizer Kinderspital St. Gallen, Institut für klinische Mikrobiologie und Immunologie St. Gallen, Universitäts-Kinderspital Zürich; Pediatric Infectious Diseases, Children’s Hospital at Buffalo, New York; Pediatric Immunology, Albert Einstein College, Bronx, New York; Cancer Pediatric Branch, NIH, Bethesda, Maryland. Oberarzt 1986. Facharzt Kinder- und Jugendmedizin 1989; Laborfacharzt Mikrobiologie 1992; Facharzt Infektiologie 1999. Seit 1991 Leitung der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene des Universitäts-Kinderspitals Zürich; 1996 Venia legendi, 2000 Extraordinariat Pädiatrische Infektiologie. 2009 Direktor Forschungszentrum für das Kind des Universitäts-Kinderspitals Zürich. Klinische und wissenschaftliche Schwerpunkte: Infektionen bei primären und sekundären Immundefekten einschließlich HIV-Infizierten, onkologischen Patienten und Transplantatempfängern. Biologie und angeborene Abwehr von Tumorviren, insbesondere des Epstein-Barr-Virus.


Tim Niehues

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Jahrgang 1964, Prof. Dr. med.; Pädiatrischer Rheumatologe, Pädiatrischer Onkologe. Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, HELIOS Klinikum Krefeld. Medizinstudium in Lübeck, Dublin, Freiburg i. Br., Staatsexamen 1991. Postdoctoral Fellow am Dept. of Molecular Medicine, North Shore University Hospital, Cornell Universität, New York 1991–1993. Universitätskinderklinik Düsseldorf 1993–2007; Mehrmonatige Forschungsstipendien 1998 „HIV und T-Zellen“ an der New York University (NYU) und 2006 „Juvenile Arthritis und regulatorische T Zellen“ an der University of California San Diego (UCSD). Facharzt Kinder- und Jugendmedizin 1999; Oberarzt 1999. Habilitation zum Thema Immunrekonstitution nach hochaktiver antiretroviraler Therapie HAART bei Kindern, 2002. Seit 2007 HELIOS Klinikum Krefeld. Klinische und wissenschaftliche Schwerpunkte: Primäre und sekundäre Immundefekte einschließlich HIV-Infektion und Onkologie. Entzündliche und rheumatologische Erkrankungen. Evidenzbasierte Medizin.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Tim Niehues
Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin
Helios Klinikum Krefeld
Akademisches Lehrkrankenhaus RWTH Aachen
Lutherplatz 40
47805 Krefeld


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Abb. 1 Zusammensetzung HI-Virus und Lokalisation der HIV-Proteine sowie deren jeweilige Funktionen.
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Abb. 2 Replikationszyklus von HIV und Ansatzpunkte der antiretroviralen Therapie.
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Abb. 3 Viruslast und HIV-spezifische T-Zellen bei Erwachsenen bzw. Säuglingen ohne Therapie.
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Abb. 4 Röntgenbild des Thorax eines drei Monate alten Säuglings, der sich mit Husten und Fieber seit einigen Wochen vorstellte. In Broncheoalveolärer Lavage nachgewiesene Pneumocystis jirovecii-Infektion. HIV-Test bei der Mutter in der Schwangerschaft nicht durchgeführt, daher keine Transmissionsprophylaxe.
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Abb. 5 Drei Monate alter, perinatal infizierter Säugling mit Opisthotonus bei schwerer HIV-Enzephalopathie.
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Abb. 6 Variabilität von Plasmaspiegeln bei der Gabe von Lopinavir [11].
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Abb. 7 Exanthem als unerwünschte Wirkung nach Gabe von nicht nukleosidalen reverse Transkriptase-Inhibitoren NNRTI.