Aktuelle Dermatologie 2014; 40(05): 187-189
DOI: 10.1055/s-0034-1365471
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rezidivierender perianaler Herpes simplex als Indikator für eine chronisch idiopathische CD4+-Zell-Lymphozytopenie

Recurrent Perianal Herpes simplex as an Indicator for Chronic Idiopathic CD4+-cell-lymphocytopenia
G. Mitrakos
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, HELIOS St. Elisabeth Klinik, Oberhausen
,
U. Wieland
2   Institut für Virologie, Uniklinik Köln
,
A. Kreuter
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, HELIOS St. Elisabeth Klinik, Oberhausen
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Alexander Kreuter
Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
HELIOS St. Elisabeth Klinik
Josefstr. 3
46045 Oberhausen

Publication History

Publication Date:
07 April 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Rezidivierende Virusinfektionen der Haut wie Herpes simplex recidivans oder Herpes zoster recidivans können einen klinischen Marker für eine zugrunde liegende Immunsuppression oder Neoplasie darstellen. Wir berichten über einen 72-jährigen Patienten mit seit etwa 6 Monaten bestehenden, rezidivierend auftretenden, gruppiert stehenden Bläschen im Bereich der Glutealregion. Trotz einer Systemtherapie mit Aciclovir zeigte sich eine Persistenz der Symptomatik mit immer wieder neu auftretenden Bläschen im Bereich der Glutealregion. Die PCR-Diagnostik eines Blasenabstrichs ergab eine Infektion mit Herpes-simplex-Virus Typ 2. Vor dem Hintergrund des atypischen, ausgedehnten, rezidivierenden Befundes erfolgte eine umfassende serologische und apparative Diagnostik zum Ausschluss einer Neoplasie bzw. einer lymphoproliferativen Erkrankung. Dabei konnte eine deutliche CD4-Zell-Depletion und eine Erniedrigung der CD4-/CD8-Ratio nachgewiesen werden. Bei Fehlen einer immunsuppressiven Therapie, erworbener Immunsuppression bzw. bei fehlendem Nachweis eines zugrunde liegenden Malignoms stellten wir die Diagnose eines Herpes simplex recidivans bei chronisch idiopathischer CD4+-Zell-Lymphozytopenie.


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Abstract

Recurrent viral infections of the skin such as herpes simplex recidivans or herpes zoster recidivans might present a clinical sign for an underlying immunodeficiency or neoplasm. We herein report a 72 year old patient with a 6 months history of recurrent blisters located at the gluteal area. Skin lesions frequently re-occurred in the gluteal area despite systemic therapy with aciclovir. PCR analyses of a lesional skin swab revealed an infection with herpes simplex virus type 2. Facing the atypical widespread course of disease, we initiated a comprehensive diagnostic work-up to screen for immunosuppression, neoplasms or lymphoproliferative diseases. A marked CD4-cell depletion as well as a significant decrease of CD4-/CD8-Ratio was detected. Given the absence of immunosuppressive therapy, acquired immunosuppression or malignoma we finally made the diagnosis of herpes simplex recidivans associated with chronic idiopathic CD4+-cell-lymphocytopenia.


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Fallbericht

Anamnese und Hautbefund

Wir berichten über einen 72-jährigen Patienten mit anamnestisch seit etwa 6 Monaten bestehenden, rezidivierend auftretenden Bläschen im Bereich der Glutealregion. Ende April 2013 erfolgte unter der Einweisungsdiagnose eines Herpes zoster die stationäre Aufnahme zur weiterführenden diagnostischen Abklärung und Einleitung einer Lokal- und Systemtherapie. Im Rahmen der körperlichen Inspektion zeigten sich ausgedehnte, gruppiert stehende, teilweise konfluierende, pralle Bläschen mit trübem Inhalt auf erythematösem Grund ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Klinische Charakteristika bei Erstvorstellung. Gluteal beidseits und im Bereich der Rima ani imponieren ausgedehnte, gruppiert stehende, zum Teil konfluierende Bläschen auf gerötetem Grund.

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Diagnostik und Therapie

Aufgrund des Verdachtes auf eine Virusinfektion entschlossen wir uns zur Durchführung gezielter virologischer Diagnostik mittels PCRs für Varizella-zoster-Virus und Herpes-simplex-Virus Typ 1 und 2. In einem läsionalen Abstrich war Herpes-simplex-Virus Typ 2 nachweisbar. Trotz eines initialen Ansprechens auf die initiierte Therapie mit Aciclovir in einer Dosierung von 5 mg pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag intravenös über 5 Tage zeigte sich eine relative Persistenz der Symptomatik mit immer wieder neu auftretenden Bläschen. Vor dem Hintergrund des atypischen, ausgedehnten, rezidivierenden Befundes führten wir zur weiteren Abklärung eine umfangreiche serologische und apparative Diagnostik durch. In der Computertomografie des Thorax und Abdomens zeigten sich keine Hinweise auf eine zugrunde liegende Neoplasie. Auch in der Gastro- und Koloskopie fanden sich, abgesehen von zwei Polypen, keine Pathologika. Labordiagnostisch erwies sich die Hepatitis- und HIV-Serologie als unauffällig. Alle weiteren erhobenen Laborparameter einschließlich Tumormarker und Blutbild zeigten ebenso Normalbefunde. In der Lymphozyten-Subpopulationsanalyse zeigte sich jedoch eine deutliche CD4+-Zell-Depletion (89/µL) und eine signifikante Erniedrigung der CD4-/CD8-Ratio (0,59). Bei Fehlen einer immunsuppressiven Therapie und einer erworbenen Immunsuppression bzw. bei fehlendem Nachweis eines zugrunden liegenden Malignoms stellten wir letztendlich die wahrscheinliche Diagnose einer idiopathischen CD4+-Zell-Lymphozytopenie.


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Diskussion

Die chronisch idiopathische CD4+-Zell-Lymphozytopenie ist ein seltenes, im Jahr 1992 erstbeschriebenes Syndrom, das durch eine ausgeprägte CD4-T-Zell-Depletion in Abwesenheit einer HIV-Infektion, anderer Immundefizienzen oder einer immunsuppressiven Therapie charakterisiert ist [1] [2]. Hierbei zeigt sich eine verringerte Anzahl von zirkulierenden CD4-T-Lymphozyten (weniger als 300/µl oder weniger als 20 % der peripheren T-Lymphozyten) an zwei mindestens sechs Wochen auseinanderliegenden Zeitpunkten und/oder eine verringerte CD4-/CD8-Ratio [1]. Im Gegensatz zur HIV-Infektion ist die Reduktion der CD4+-T-Lymphozyten bei Patienten mit chronisch idiopathischer CD4+-Zell-Lymphozytopenie häufig nur sehr langsam voranschreitend und die Anzahl der CD8+-T-Lymphozyten meist normal oder nur leicht reduziert. Der Immunglobulin-Spiegel ist in der Regel normal oder leicht reduziert, was ein wichtiges differenzialdiagnostisches Kriterium zur „Common Variable Immunodeficiency“ darstellt. Pathogenetisch werden bei der chronisch idiopathischen CD4+-Zell-Lymphozytopenie eine gesteigerte T-Zell-Apoptose, Entwicklung von CD4+-Zell-Antikörpern, fehlerhafte Produktion von TNF-alpha und IFN-gamma sowie fehlerhafte biochemische Ereignisse in der CD3+-T-Zell-Rezeptor-Kaskade diskutiert [3] [4] [5] [6]. Das klinische Spektrum des Syndroms kann von leichten, klinisch nicht relevanten Abweichungen der Laborparameter bis zu schweren, lebensbedrohlichen Komplikationen reichen. Oft wird die chronisch idiopathische CD4+-Zell-Lymphozytopenie erstmalig erst im mittleren Lebensalter nach Auftreten einer opportunistischen Infektion diagnostiziert [2]. Männer sind mit einer Ratio von 1,8 zu 1 etwas häufiger betroffen als Frauen. Dabei treten bei Menschen mit chronisch idiopathischer CD4+-Zell-Lymphozytopenie am häufigsten Kryptokokkosen, nicht-tuberkulöse Mykobakteriosen, Candida-Infektionen und Varizella-zoster-Virus-Reaktivierungen auf [7] [8]. In einer kürzlich veröffentlichen Studie zu 259 Patienten mit chronisch idiopathischer CD4+-Zell-Lymphozytopenie zeigten sich als fünft- und sechsthäufigste Infektionen solche mit humanen Papillomviren bzw. mit Herpes-simplex-Virus 1 und 2 [8]. Zusätzlich zeigten sich in diesem Kollektiv bei 18,1 % der Patienten Malignome (am häufigsten Plattenepithelkarzinome der Haut, Kaposi-Sarkom, Basalzellkarzinome und Morbus Bowen) und in 14,2 % der Fälle Autoimmunerkrankungen (am häufigsten Sjögren-Syndrom, Sarkoidose und Psoriasis) [8]. Aufgrund dieses breiten Spektrums an potenziellen dermatologischen Erkrankungen sollten Hautärzte mit der chronisch idiopathischen CD4+-Zell-Lymphozytopenie vertraut sein und bei Verdacht auf diese Erkrankung weiterführende diagnostische Schritte einleiten.

Wegen der Seltenheit der chronisch idiopathischen CD4+-Zell-Lymphozytopenie existieren bisher keine Empfehlungen oder Leitlinien zur Prophylaxe, Monitoring und Behandlung. Aus diesem Grund entspricht die Prophylaxe opportunistischer Infektionen im Wesentlichen denen der HIV-Infektion. Kontrollen des immunologischen Status mittels Lymphozytensubpopulationsanalyse werden bei klinisch stabilen Patienten alle 4 Monate empfohlen. Eine kausale Therapie der Erkrankung existiert bisher nicht, in kleineren Studien wurde jedoch der erfolgreiche Einsatz von IL-2 analog zur (mittlerweile historischen) Behandlung von HIV beschrieben [9]. Eine vielversprechende Therapieoption bei Verläufen mit schweren Komplikationen stellt die allogene Stammzelltransplantation dar [10].


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Fazit

Die dargestellte Kasuistik verdeutlicht, dass Patienten mit besonders schwer verlaufenden oder rezidivierenden und therapieresistenten Infektionen an einer zugrundeliegenden Immundefizienz leiden können. Aus diesem Grund sollte bei fraglicher oder unklarer Anamnese immer eine gezielte weiterführende Abklärung erfolgen und nach Ausschluss anderer Ursachen auch eine chronisch idiopathische CD4+-T-Zell-Lymphozytopenie in Erwägung gezogen werden.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Walker UA, Warnatz K. Idiopathic CD4 lymphocytopenia. Curr Opin Rheumatol 2006; 18: 389-395
  • 2 Smith D, Neal JJ, Holmberg SD et al. Unexplained opportunistic infections und CD4 T-lymphocytopenia without HIV infection. N Engl J Med 1993; 328: 373-379
  • 3 Zonios DI, Fallon J, Bennett JE et al. Idiopathic CD4 lymphocytopenia: natural history and prognostic factors. Blood 2008; 112: 287-294
  • 4 Girotto M, Verani DA, Pagliaro PP. Idiopathic CD4 T-lymphocytopenia in blood donors: cohort study. Tranfusion 1994; 34: 935-936
  • 5 International Union of Immunological Societies. Primary Immunodeficiency diseases: Report of an IUIS scientific committee. Clin Exp Immunol 1999; 118: 1-28
  • 6 Spickett GP, Farrant J, North ME et al. Common variable immunodeficiency: how many diseases?. Immunol Today 1997; 18: 325-328
  • 7 Centers for Disease Control (CDC). Unexplained CD4 T-lymphocyte depletion in persons without evident HIV infection. Morb Mortal Wkly Rep 1992; 41: 541-545
  • 8 Ahmad DS, Esmadi M, Steinmann WC. Idiopathic CD4 Lymphocytopenia: Spectrum of opportunistic infections, malignancies, and autoimmune diseases. Avicenna J Med 2013; 3: 37-47
  • 9 Cunningham-Rundles C, Murray HW, Smith JP. Treatment of idiopathic CD4 T lymphocytopenia with IL-2. Clin Exp Immunol 1999; 116: 322-325
  • 10 Cervera C, Fernández-Avilés F, de la Calle-Martin O et al. Non-myeloablative hematopoietic stem cell transplantation in the treatment of severe idiopathic CD4+ lymphocytopenia. Eur J Haematol 2011; 87: 87-91

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Alexander Kreuter
Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
HELIOS St. Elisabeth Klinik
Josefstr. 3
46045 Oberhausen

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Abb. 1 Klinische Charakteristika bei Erstvorstellung. Gluteal beidseits und im Bereich der Rima ani imponieren ausgedehnte, gruppiert stehende, zum Teil konfluierende Bläschen auf gerötetem Grund.