Pneumologie 2014; 68(01): 76-77
DOI: 10.1055/s-0033-1359093
Fallbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zerebrale Mikroblutungen als bildmorphologisches Korrelat eines High-Altitude Cerebral Edema (HACE) bei einem langzeitbeatmeten Patienten

Cerebral Microhaemorrhage as Imaging Correlate of High-Altitude Cerebral Edema in a Patient under Long-Term Ventilation
H.-W. Esser
Klinik für Pneumologie, Kardiologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, Krankenhaus der Augustinerinnen Köln
,
F. Schellhammer
Klinik für Pneumologie, Kardiologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, Krankenhaus der Augustinerinnen Köln
,
W. Galetke
Klinik für Pneumologie, Kardiologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin, Krankenhaus der Augustinerinnen Köln
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser
Scherfginstraße 24
50937 Köln

Publication History

eingereicht24 October 2013

akzeptiert nach Revision13 November 2013

Publication Date:
16 December 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Im Rahmen einer MRT-Untersuchung des Halses zur Diagnostik einer bestehenden Dysphagie bei einem langzeitbeatmeten Patienten sahen wir die bildmorphologischen Kriterien eines HACE (high-altitude cerebral edema) erfüllt. Wir fanden mikroangiopathische Marklagerläsionen sowie punktförmige Suszeptibilitätsartefakte des Spleniums. HACE ist eine schwere Verlaufsform der Höhenkrankheit mit Rumpfataxie, Bewusstseinsveränderung, Bewusstseinsverlust bis hin zum Koma. Die genaue Pathophysiologie ist bisher nicht geklärt. Gesichert ist lediglich, dass Hypoxie der auslösende Stimulus ist. Damit stellt sich die Frage, ob bei Patienten mit ausgeprägter Gasaustauschstörung Konstellationen auftreten, die denen, die ein HACE verursachen, entsprechen.


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Abstract

Within the scope of a cerebral magnetic resonance imaging to diagnose a dysphagia in a patient on long-term artificial respiration, the morphological criteria for a HACE (high-altitude cerebral edema) have been met. We found microangiopathic white matter lesions in the area of the corpus callosum and splenium, characteristic features of a HACE. HACE is a severe form of altitude sickness with truncal ataxia, disturbance of consciousness through to unconsciousness and coma. The exact pathophysiology is still not known but hypoxia seems to be the triggering stimulus. Thus the question arises: long-term ventilated patients suffering from severe gas exchange disorders develop constellations which are equivalent to HACE?


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Anamnese

Ein 68-jähriger Mann wurde zum weiteren Weaning bei Zustand nach infektexazerbierter COPD Gruppe D nach GOLD in das Beatmungszentrum unseres Hauses verlegt. In der verlegenden Klinik hatte der Patient im Rahmen der Infektexazerbation ein hyperkapnisches Lungenversagen geboten und war in diesem Rahmen intubiert worden.

Nach mehreren frustranen Extubationsversuchen – bedingt durch wiederholte CO2-Retention – erfolgte eine Tracheostomaanlage.

Bei Aufnahme in unser Weaningzentrum zeigte sich der Schluckakt des Patienten noch nicht suffizient, konnte aber im Rahmen der Logopädie durch den Patienten schnell erlernt werden.

Innerhalb kurzer Zeit war der Patient stundenweise an der „Feuchten Nase“ spontanatmend. Wir dehnten die Zeiten an der Spontanatmung aus und konnten den Patienten nach wenigen Tagen dekanülieren und mit einem Platzhalter versorgen.

Kurz nach der Entwöhnung vom Respirator kam es zu einer akuten Atemnotepisode mit am ehesten entzündlicher Schwellung der oberen Atemwege. Trotz sofort eingeleiteter nichtinvasiver Beatmung verschlechterte sich der Patient respiratorisch und musste rekanüliert werden. Weiterhin zeigte sich eine neu aufgetretene Dysphagie. Der hinzugezogene Neurologe diagnostizierte eine Schluckstörung unklarer Genese. Eine neuromuskuläre Störung als Ursache für die Schluckstörung war aus der Vergangenheit nicht bekannt und konnte auch nicht neu diagnostiziert werden. Zur weiteren Differenzialdiagnostik der Dysphagie wurde ein MRT des Halses angefertigt, welches aber hinsichtlich der Schluckstörung ohne wegweisenden Befund blieb. Nebenbefundlich sahen wir allerdings die mikroangiopathischen Marklagerläsionen.

Wir begannen eine Therapie mit Prednisolon und versorgten den Patienten bei bestehender Aspirationsgefahr mit einer PEG.

Nach respiratorischer Stabilisierung des Patienten und mehrwöchiger Prednisolontherapie konnte der Patient erfolgreich dekanüliert werden. Unter einem intensivierten Schlucktraining war auch eine orale Nahrungsaufnahme wieder problemlos möglich, sodass die PEG-Sonde entfernt werden konnte. Die nichtinvasive Beatmung wurde von dem Patienten gut toleriert und regelmäßig genutzt. Nach erfolgreichem Weaning wurde der Patient in eine pneumologische Rehabilitationsklinik verlegt.


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Diagnostik

MRT-morphologisch konnte eine Stammhirnaffektion als bildmorphologisches Äquivalent der Schluckstörung ausgeschlossen werden.

In der suszeptibilitätsgewichteten Bildgebung (SWI; 1,5 T, Aera, Siemens, D) demarkierten sich punktförmige Suszeptibilitätsartefakte des Splenius unter Betonung der linken Seite ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Suszeptibilitätsgewichtete MRT (SWI) in axialer Orientierung zeigt links betont punktförmige Signalabsenkungen des Spleniums, die Hämosiderinabbauprodukten entsprechen. Dieses typische Verteilungsmuster ist mit einem HACE (High-altitude cerebral edema) assoziiert.

Darüber hinaus fanden sich fleckförmige Signalanhebungen des periventrikulären Marklagers in der T2-gewichteten Bildgebung, die als charakteristische, mikroangiopathische Marklagerläsionen interpretiert wurden. Somit erfüllte der Patient formal die bildmorphologischen Kriterien eines HACE.


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Epidemiologie und Pathogenese

Ein Höhenhirnödem (abgekürzt HACE, von engl. high-altitude cerebral edema) entwickelt sich über Stunden oder Tage bei Personen mit akuter Höhenkrankheit.

Das Leitsymptom ist eine Rumpfataxie mit Gehunfähigkeit. Weitere Symptome sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Schwindelzustände, Halluzinationen und neurologische Veränderungen bis hin zu Bewusstseinsstörungen und Koma.

Begleitet wird das Hirnödem oft von einem Lungenödem (abgekürzt HAPE, von engl. high-altitude pulmonary edema).

Die genaue Pathophysiologie ist bisher noch nicht geklärt. Als Trigger wird jedoch eine Hypoxie angenommen. Ob sich das Höhenhirnödem aufgrund einer nachfolgenden zytotoxischen Reaktion durch Zellschwellung oder durch eine vasogene Reaktion mit konsekutiver Schädigung der Blut-Hirn-Schranke entwickelt, ist nicht endgültig geklärt.

Für ein vasogenes Ödem spricht die alleinige Mitbeteiligung der weißen Substanz, wohingegen die graue Substanz unbeteiligt bleibt. Eine Hypothese dazu ist, dass die graue Substanz aus eng gepackten zellulären Strukturen besteht, während die weiße Substanz weniger dicht ist und einem beginnenden Ödem weniger Widerstand bietet.


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Diskussion

Suszeptibilitätsartefakte sind lokale Störungen des Magnetfeldes zum Beispiel durch paramagnetische Blutabbauprodukte. Die suszeptibilitätsgewichtete Bildgebung ist daher hochsensitiv auf intrakranielle Blutungen. Die Differenzialdiagnose punktförmiger Parenchymblutungen des Gehirns umfasst chronische Hypertonie, Amyloidangiopathie, kavernöse Malformationen, Vaskulitis und posttraumatische Scheerblutungen.

Suszeptibilitätsartefakte sind lokale Störungen des Magnetfeldes, zum Beispiel durch paramagnetische Blutabbauprodukte. Die suszeptibilitätsgewichtete Bildgebung ist daher hochsensitiv auf intrakranielle Blutungen.

Die Differenzialdiagnose punktförmiger Parenchymblutungen des Gehirns umfasst chronische Hypertonie, Amyloidangiopathie, kavernöse Malformationen, Vaskulitis und posttraumatische Scheerblutungen. Bei dem betroffenen Patienten war ein Schädel-Hirn-Trauma aus der Vorgeschichte nicht bekannt. Auch für Vaskulopathien oder für eine kongophile Angiopathie ergab sich kein Hinweis. Das vaskuläre Risikoprofil setzte sich aus einem gut eingestellten Bluthochdruck und einem jahrzehntelangen Nikotinabusus zusammen.

Mikroblutungen im Knie des Corpus callosums bzw. des Spleniums sind allerdings extrem selten und wurden bisher nur im Kontext eines HACE berichtet.

Kallenberg et. al konnten zeigen, dass Mikroblutungen des Spleniums ein charakteristisches Kriterium in der kernspintomografischen Bildgebung des HACE darstellen [1].

Bei dem vorgestellten Patienten bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung kein zerebrales Ödem, sodass die Vermutung naheliegt, dass in der Vorgeschichte des Patienten eine Gasaustauschstörung vorlag, die der Situation im Hochgebirge entspricht. Die typischen Symptome einer HACE wie Rumpfataxie und Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit waren im Kontext der intensivmedizinischen Betreuung nicht nachweisbar.

Fazit

Anhand dieses Falles stellt sich die Frage, ob die detektierten charakteristischen Mikroblutungen vermehrt bei langzeitbeatmeten Patienten zu finden sind und man davon ausgehen muss, dass bei Patienten mit ausgeprägter Gasaustauschstörung Konstellationen auftreten, die denen, die ein HACE verursachen, entsprechen. Es ist zu unterstellen, dass dieses Phänomen stark unterdiagnostiziert wird.

Weiterhin ist zu klären, ob das Vorliegen einer HACE-typischen Läsion prognostische Wertigkeit für den Patienten hat.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Kallenberg K, Dehnert C, Dörfler A et al. Microhemorrhages in nonfatal high-altitude cerebral edema. J Cereb Blood Flow Metab 2008; 28: 1635

Korrespondenzadresse

Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser
Scherfginstraße 24
50937 Köln

  • Literatur

  • 1 Kallenberg K, Dehnert C, Dörfler A et al. Microhemorrhages in nonfatal high-altitude cerebral edema. J Cereb Blood Flow Metab 2008; 28: 1635

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Abb. 1 Suszeptibilitätsgewichtete MRT (SWI) in axialer Orientierung zeigt links betont punktförmige Signalabsenkungen des Spleniums, die Hämosiderinabbauprodukten entsprechen. Dieses typische Verteilungsmuster ist mit einem HACE (High-altitude cerebral edema) assoziiert.