Handchir Mikrochir Plast Chir 2013; 45(06): 318-322
DOI: 10.1055/s-0033-1357197
Übersichtsarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Über Versorgungsstrukturen und Möglichkeiten der Optimierung durch Vernetzung bei schweren Handverletzungen und Replantationen

Optimising Care Structures for Severe Hand Trauma and Replantation and Chances of Launching a National Network
E. M. Haas
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
,
E. Volkmer
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
,
T. Holzbach
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
,
J. Wallmichrath
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
,
T. O. Engelhardt
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
,
R. E. Giunta
1   Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Äshetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians Universität München, München
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Riccardo E. Giunta
Handchirurgie, Plastische Chi­rurgie und Ästhetische Chirurgie
Klinikum der LMU München
Pettenkoferstraße 8a
80336 München

Publication History

eingereicht 30 July 2013

akzeptiert 18 September 2013

Publication Date:
19 December 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Schwere Handverletzungen machen in Deutschland etwa 33% der Arbeitsunfälle und 9% aller Neuberentungen aus und sind daher von großer Relevanz für das Gesundheitssystem und die Versicherungsträger. Die Gründe für die hohe Zahl der Neuberentungen liegt nicht nur in der Schwere des akuten Traumas, sondern auch im System der Versorgungsstruktur. Oftmals ist der Weg zum kompetenten Handchirurgen langwierig und führt über die großen chirurgischen Fachgebiete, dann erst sekundär zum mikrochirurgisch erfahrenen Handchirurgen. Zum einen ist das Bewusstsein in der Bevölkerung wenig geschärft, dass der Handchirurg auch die höchste Kompetenz als Erstversorger von schweren Handverletzungen trägt. Zum anderen sind auch die Versorgungsstrukturen in Bezug auf die Rettungswege, Verfügbarkeit eines 24-Stunden-Services und tatsächlicher Operations-Bereitschaft oftmals stark eingeschränkt. Chancen zur Optimierung der Situation ergeben sich aus Vernetzung der handchirurgischen Zentren und die gemeinschaftliche Nutzung von Synergieeffekten. Beispielhaft ist das Versorgungsnetzwerk in Frankreich. Mittlerweile gibt es rund 60 Kliniken, die dem Verbund der Fédération Européenne des Services d´Urgences de la Main (FESUM) angehören und auch Belgien und die Schweiz haben sich dem System angeschlossen. Eine vergleichbare Allianz für schwere Handverletzungen bietet auch in Deutschland erhebliche Chancen. Im Rahmen eines regionalen Pilotprojekts für die Stadt München und Oberbayern startete Anfang April 2013 die „Hand Trauma Allianz“ (www.handverletzung.com). Dieser Zusammenschluss bündelt die Ressourcen zweier Kliniken mit ausgewiesener handchirurgischer Expertise für die Versorgung von schweren Handverletzungen. Vorteile der Hand Trauma Allianz sollen die Verkürzung der Kommunikationszeiten zum Handchirurgen, eine Verbesserung und Vereinheitlichung der Qualität durch die Versorgung im jeweiligen Zentrum, eine Netzwerkbildung und Benchmarking und somit der Aufbau einer Versorgungsstruktur zur Qualitätssicherung und Optimierung der Patientenversorgung sein. Für die Zukunft wäre unseres Erachtens der Ausbau auf Landes- bzw. Bundesebene unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH) eine wichtige Perspektive. In dieser Übersichtsarbeit werden die derzeitigen Versorgungsstrukturen zusammengefasst, die Ziele des Pilotprojekts der Hand Trauma Allianz in München aufgezeigt und Chancen des Aufbaus einer neuen Versorgungsstruktur aber auch die anstehenden Herausforderungen skizziert und zur Diskussion gestellt.


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Abstract

Severe hand traumata have a significant impact on our health system and on insurance companies, respectively. It is estimated that 33% of all occupational injuries and 9% of all invalidity pensions are due to severe hand trauma. Unfortunately, these high numbers are not only due to the severity of the trauma but to organisational deficiencies. Usually, the patient is treated at the general surgical emergency in the first place and only then forwarded to a microsurgeon. This redirection increases the time that is required for the patient to finally arrive at an expert for hand surgery. On the one hand, this problem can be explained by the population's lack of awareness for distinguished experts for hand and microsurgery, on the other hand, the emergency network, or emergency doctors in particular are not well informed about where to take a patient with a severe hand trauma – clearly a problem of communication between the hospitals and the ambulance. It is possible to tackle this problem, but put participating hand trauma centres have to work hand in hand as a network and thus exploit synergy effects. The French system “FESUM” is a good example for such a network and even comprises centres in Belgium and Switzerland. To improve the treatment of severe hand trauma, a similar alliance was initiated in Germany just recently. The pilot project “Hand Trauma Alliance” (www.handverletzung.com) was started in April 2013 and currently comprises two hospitals within the region of upper Bavaria. The network provides hand trauma replantation service on a 24/7 basis and aims at shortening the way from the accident site to the fully qualified hand surgeon, to improve the therapy of severe hand injuries and to optimise acute patient care in general. In order to further increase the alliance's impact it is intended to extend the project's scope from regional to national coverage – nevertheless, such an endeavour can only be done in collaboration with the German Society for Hand Surgery (DGH). This article comprises 2 parts. First, the state-of-the-art of acute severe hand trauma care is summarised and explained. Subsequently, the above-mentioned pilot project is described in every detail, including positive effects but also barriers that still have to be overcome.


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Einleitung

Im Jahr 2010 ereigneten sich europaweit etwa 14 Millionen Handverletzungen, etwa 6 Millionen davon fielen in die Kategorie „schwere Handverletzung“. Rund eine Millionen dieser Handverletzungen sind durch Arbeitsunfälle verursacht [1]. Je nach Krankenhaus variieren die durch Handverletzungen erforderlichen Notaufnahmenbesuche zwischen 4 und 20%. Eine Auswertung der Handtraumata in Frankreich für das Jahr 2008 zeigte, dass die Verletzungen in 35% zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Die Gesamtzahl aller Fehltage basierend auf Handverletzungen lag bei 5 500 000. In Deutschland betreffen 33,5% aller Arbeitsunfälle die Hand [1]. Somit bedingen etwa 300 000 Handverletzungen rund 9% aller neuen Unfallrenten. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung schwerer Handverletzung für das Gesundheitssystem. Nicht selten mündet eine schwere Handverletzung in die Berufsunfähigkeit oder Frührente. Für den Patienten folgen daraus oft langwierige Behandlungen. Daneben entstehen aber auch hohe Kosten für die Behandlung, die Rehabilitation und schließlich möglicherweise ein Funktionsverlust mit den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen.

Die Versorgung schwerer Handverletzungen ist, im Gegensatz zu einigen anderen EU-Ländern, in Deutschland noch sehr wenig vernetzt [2] [3]. Die Ursachen für diese Unterschiede sind zum einen geographische und infrastrukturelle Gegebenheiten und zum anderen unterschiedliche Konzepte und Ausstattungen der an der Versorgung schwerer Handverletzung beteiligten Krankenhäuser. Die europäische Gesellschaft für Handchirurgie, die Federation of European Societies for Surgery of the H and (FESSH) [4] hat bereits 2007 Richtlinien für ein „Hand Trauma Zentrum“ formuliert [5]. Ein solches besteht demnach aus wenigstens 3 Handchirurgen mit einer 24-Stunden/Tag und 7 Tage/Woche Rufbereitschaft. Der Handchirurg muss eine mikrochirurgische Ausbildung sowie eine gewisse Anzahl von behandelten schweren Handverletzungen nachweisen und zudem Mitglied der nationalen Gesellschaft sein. In Deutschland gibt es bereits 26 nach diesen Kriterien akkreditierte Hand Trauma Zentren [6].

Um diese Zentren effektiver nutzen zu können, wäre die Einrichtung eines Netzwerkes zur Optimierung der bereits vorhandenen Ressourcen sowie der Etablierung neuer Zentren äußerst hilfreich. Ein Vorbild eines nationalen Hand-Trauma-Netzwerks ist Frankreich. Hier wurde bereits 1979 die Fédération Européenne des Services d´Urgences de la Main (FESUM) gegründet [3] [7] (www.fesum.fr). 10 Jahre später erfolgte der Zusammenschluss mit Belgien und der Schweiz. Alle 3 Länder nutzen bereits ein gemeinsames Netzwerk zur Versorgung schwerer Handverletzungen und konnten damit die Versorgung von Handverletzungen vereinheitlichen und deutlich verbessern [3] [8] [9]. Auch in Italien gibt es bereits ein Pendant einer solchen Versorgungsstruktur. Der Coordinamento Urgenze Mano Italia (CUMI) [2] [8] wurde 2005 ins Leben gerufen, zunächst nur in der Lombardei. Auch hier ist das Kernelement eine 24-stündige Bereitschaft zur Versorgung akuter Handverletzungen.


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Handverletzungen und Arbeitsunfälle in Deutschland

Die besten Daten bezüglich Handverletzungen in Deutschland liegen für berufsgenossenschaftliche Fälle vor. Diese werden von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gelistet. Obwohl die Hand im Vergleich zu anderen Körperregionen prozentual einen geringeren Teil des Gesamtkörpers einnimmt, betrifft ein Drittel aller meldepflichtigen Arbeitsunfälle die Hand [1]. In der Mehrheit der Fälle sind Männer im mittleren Alter betroffen. Sofern die Verletzung nicht per se schon eine schlechte Prognose im Hinblick auf eine vollständige Reversibilität/Rehabilität bietet, kann sowohl die Primär- als auch im weiteren Verlauf die Sekundärversorgung Handverletzung richtungweisend für die Zukunft jedes einzelnen Patienten sein. Einerseits betrifft dies vor allem die Versorgung isolierter Handverletzungen. Andererseits sollte gleichzeitig auch die Diagnostik und Therapie von Handverletzungen, die im Rahmen einer Polytraumatisierung entstehen verbessert werden, da zuletzt nicht selten die Handverletzung für eine bleibende Beeinträchtigung des Patienten verantwortlich ist. Eine schlechte initiale Versorgung von Handverletzungen mindert letztlich nicht nur die Lebensqualität des Einzelnen, sondern bedeutet auch für den Versicherungsträger und damit auch die Gesamtbevölkerung eine finanzielle Mehrbelastung aufgrund der Zunahme der Neuberentun­gen [11]. Aus diesen Gründen ist es nicht nur für den betroffenen Patienten sondern auch für das Gesundheitssystem generell wichtig, die Primärversorgung zu optimieren.

Für schwere Handverletzungen im Rahmen von Arbeitsunfällen wurden kürzlich von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) die Regularien neu festgelegt: Demnach müssen die betroffenen Patienten in spezielle Krankenhäusern der Akutversorgung vorgestellt werden. Die Zuweisung richtet sich dabei nach dem Verletzungsartenverzeichnis der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Die Anforderungen an die gesetzlichen Unfallversicherungsträger sind nach § 34 SGB VII an Krankenhäuser zur Beteiligung am Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) in der Fassung vom 1. Januar 2013 festgelegt worden:

In den überwiegenden Fällen geschieht bei einem schweren Unfall eine Zuweisung an einen Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (KUV). In Deutschland gibt es bis dato 13 Häuser, die diesem Klinikverbund angehören. Die großen Universitätskliniken sind ein Verletzungsarten- (VAV) Haus und haben somit eine D-Arzt Zulassung, die es ebenso ermöglicht Arbeitsunfälle zu behandeln. Jedoch gelten nach dem SAV besondere Anforderungen an die Krankenhäuser. Der gesetzliche Unfallversicherungsträger definiert in der Fassung des Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) vom 1. Januar 2013 auch die Akutversorgung von Handverletzungen. Sobald der gesetzliche Unfallversicherungsträger die Kosten einer Behandlung trägt, muss die Versorgung der akuten Verletzung in einem Krankenhaus durchgeführt werden, das den Bestimmungen des SAV unterliegt. Unter dem Absatz 2.2.3 wird festgelegt, dass neben den Ärzten nach 2.1 und 2.2.1 […] die folgenden Fachdisziplinen durch weitere Fachärzte vertreten sein müssen, die am Standort des Krankenhauses vollschichtig tätig sind: Hier wird ausdrücklich ein Facharzt mit Zusatzweiterbildung für Handchirurgie […]“ gefordert. Neben der genauen Anforderung an das Personal, definiert das SAV auch noch die Anforderungen über die Verfügbarkeit bestimmter Geräte und Räumlichkeiten in der Klinik. Nach diesem Regelwerk ist die fachärztliche Versorgung eines akuten Handtraumas im Rahmen eines Polytraumas zumindest im Fall eines Arbeitsunfalls gesichert. Aber auch eine isolierte Handverletzung muss diese in gleicher Weise fachärztlich handchirurgisch versorgt werden.

Die DGUV setzt in dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger unter § 37 Verletzungsartenverfahren fest, dass bei Auftreten eines in [Tab. 1] angeführten Verletzungsmusters die Notwendigkeit besteht den Patienten an ein Krankenhaus zu überweisen, welches dem Landesverband der DGUV angehört. Das gilt natürlich nicht, wenn der behandelnde Arzt ein dem DGUV-Landesverband zugehöriger Handchirurg ist (siehe auch Abschnitt 3).

Tab. 1 Definition schwerer Handverletzungen nach der DGUV Vertrag gem. § 34 Abs. 3 SGB VII, Ziffer 8, Anhang 1.

8.1(S) Amputationsverletzungen (ausgenommen Fingerendglied) einschließlich Endgliedverletzungen des Daumens.

8.2(V) Stark verschobene oder gelenkbeteiligende oder mehrfache Brüche der Mittelhandknochen oder der Langfinger, am ersten Mittelhandknochen in jeder Form.

8.3(V) Unverschobene Brüche der Handwurzelknochen oder isolierte Bandverletzungen bei gegebener oder abzuklärender Operationsbedürftigkeit

8.3(S) Verschobene Brüche der Handwurzel mit oder ohne Bandverletzungen mit offensichtlicher oder fraglicher Instabilität.

8.4(S) Verletzungen der Stammnerven (Nervus medianus, Nervus ulnaris, Ramus profundus, Nervus radialis) und von funktionell bedeutsamen Fingernerven (z. B. in der Greifzone des Daumens oder des Zeigefingers sowie der Außenseite des Kleinfingers) – auch am Unterarm.

8.5(S) Gefäßverletzungen im Bereich der Hand mit akuten oder drohenden Ernährungsstörungen, auch bei fraglicher Operationsbedürftigkeit – auch am Unterarm.

8.6(V) Beugesehnenverletzungen und Verletzungen mehrerer Strecksehnen – auch am Unterarm.

8.7 (S) Alle unter 8. vorgenannten Verletzungen bei tiefgehenden, ausgedehnten und fortschreitenden Entzündungen nach operativer Versorgung oder bei Weichteiluntergang mit Nekrosen von Haut, Faszien und Muskeln einschließlich des Kompartmentsyndroms im Verlauf.

§ 37 (3) Handchirurgie:

(1) In Fällen, in denen eine Verletzung nach dem Verletzungsartenverzeichnis (s. Anhang 1) vorliegt, hat der behandelnde Arzt dafür zu sorgen, dass der Unfallverletzte unverzüglich in ein von den Landesverbänden der DGUV am Verletzungsartenverfahren beteiligtes Krankenhaus überwiesen wird.

(3) Eine Überweisung nach Absatz 1 ist in den Fällen der Ziffer 8 des Verletzungsartenverzeichnisses dann nicht erforderlich, wenn es sich bei dem behandelnden Arzt um einen Handchirurgen handelt, der an der Behandlung Unfallverletzter von einem Landesverband der DGUV beteiligt ist.

Laut Verletzungsartenverzeichnis [12] der Berufsgenossenschaft unter Ziffer 8 sind folgende modifizierte Verletzungskonstella­tionen als schwere Handverletzung einzustufen ([Tab. 1]).

Bei diesen Verletzungstypen ist die Zeit vom Unfall bis zur Primärversorgung von großer Relevanz. Die Ischämiezeit ist ein Indikator für den Erfolg einer Replantation, Nerven- oder Gefäßrekonstruktion [13] [14] [15]. Nicht nur die Zeit spielt bei komplexen Verletzungen eine Rolle, sondern auch die richtige Erstversorgung am Unfallort.


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Das Hand Trauma Zentrum

Die Akkreditierung als Hand Trauma Zentrum stellt derzeit die anspruchsvollste Art zum Nachweis der Eignung einer Handchirurgie zur umfassenden Akutversorgung von komplexen Handverletzungen dar. Diese Akkreditierung haben bisher 26 Kliniken in Deutschland erreichen können ([Abb. 1]). Weitere befinden sich derzeit im Stande der Prüfung. Voraussetzungen um eine optimale Versorgung zu gewährleisten, sind gemäß den FESSH-Statuten ein 24-stündlicher Bereitschaftsdienst bestehend aus mindestens 3 Handchirurgen von denen einer das Diplom Handchirurgie der FESSH haben sollte, sowie eine regelmäßig durchgeführte Anzahl an handchirurgischen Operationen pro Quartal, als Gewährleistung der Expertise [6] ([Tab. 2]). Das Qualitätssiegel „Hand Trauma Zentrum“ gilt nach Bestehen der Qualitätsprüfung für 3 Jahre und wird danach erneut geprüft.

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Abb. 1 Geografische Lage der akkreditierten Hand Trauma Zentren in der Bundesrepublik Deutschland.

Tab. 2 Qualitätsmerkmale eines Hand Trauma Zentrums gemäß der FESSH:

– mindestens 3 Handchirurgen

– 24-stündige Erreichbarkeit

– Diplom der FESSH, ggf. äquivalentes Zertifikat

In Europa sind bereits 93 Einheiten für Handchirurgie aus 16 verschiedenen Ländern als Hand Trauma Zentrum akkreditiert. Alleine im vergangenen Jahr sind 12 neue Zentren hinzugekommen. Diese Zahlen verdeutlichen die wachsende Anerkennung und den Stellenwert der Handchirurgie. Zur weiteren Unterstützung und Popularisierung des Hand Trauma Zentrums wurde 2010 ein Hand Trauma Committee (HTC) gegründet. Gebildet wird diese Kommission aus jeweils 2 Delegierten jeder nationalen Gesellschaft für Handchirurgie Europas. Darüber hinaus wurde ein Akkreditierungskomitee eingerichtet und eine weitere separate Gruppe gebildet, die sich der Aufgabe der Prävention von schweren Handverletzungen widmet. Das HTC wertet die Daten der Hand Trauma Zentren aus und erstellt und verbreitet auf Basis dieser Ergebnisse und Erfahrungen ganzheitliche Richtlinien bezüglich der Versorgung schwerer Handverletzung für ganz Europa. Der Kreis des Akkreditierungskomitees besteht aus 6 Handchirurgen von denen 2 für die Aufgabe der Prävention zuständig sind [16] ([Tab. 3]).

Tab. 3 Besetzung der aktuellen Kommissionen im Hand Trauma Committee. (HTC) der FESSH (Stand Juni 2013).

Accreditation Committee

Bruno Battiston, Vorsitzender und Council Member (Italien)

Esther Vögelin (Schweiz)

Nicole Schmelzer-Schmied (Deutschland)

Hans Erik Rosberg (Schweden)

Igor Golubev (Russland)

Zoe Dailiana (Griechenland)

Prevention Commission

Phillippe Bellemere, Vorsitzender (Frankreich)

Tofan Kaleli (Türkei)


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Chancen der Vernetzung: Pilotprojekt Hand Trauma Allianz München

In Anlehnung an die Vorbilder der anderen Länder mit dem mittelfristigen Ziel einer europäischen Harmonisierung und der Option einer europäischen Vernetzung wäre aus unserer Sicht auch in Deutschland eine solche Versorgungsstruktur überaus sinnvoll. Wir haben daher in München im Sinne eines Pilotprojekts eine Hand Trauma Allianz zur Optimierung der Akutversorgung schwerer Handverletzungen initiiert. Ziel ist es, durch eine verbesserte Vernetzung die Chancen und Risiken für eine weiter reichende Vernetzung zu evaluieren ([Tab. 4]). Das Pilotprojekt wurde Vertretern der DGUV und der Rettungsleitstelle München vorgestellt. In möglichst enger Kooperation soll die Praktikabilität durch Rettungsdienst und Disponenten der Rettungsleitstelle evaluiert und weiter entwickelt werden.

Tab. 4 Chancen einer Vernetzung von Hand Trauma Zentren.

– Optimierung der Kommunikationswege zwischen Rettungsdienst und Handchirurg

– dadurch Verkürzung der Zeit bis zur kompetenten handchirurgischen Versorgung

– Verbesserung der Qualität Evaluationsmöglichkeiten einer Register­studie

– Patientenaufklärung in Bezug auf Prävention und Erstbehandlung von Handverletzungen u.a. durch Internetauftritt (www.handverletzung.com)

– Online Postleitzahlensuche für betroffene Patienten zum raschen Auffinden des nächstgelegenen Hand Trauma Zentrums

– Beförderung des Bewusstseins in der Bevölkerung für die Kompetenz des Handchirurgen als Erstversorger von schweren Handverletzungen

Als wichtigen ersten Punkt werden die Rettungsleitstellen mit einbezogen, die unter einer einheitlichen Rufnummer direkt den diensthabenden Handchirurgen des jeweiligen Zentrums erreichen können. Telefonate mit allgemeinchirurgischen Polikliniken in den beteiligten Kliniken entfallen daher und der kompetente Handchirurg kann als Erstversorger direkt erreicht werden. In München beteiligen sich während dieser Einführungsphase zunächst zwei Kliniken, die sich in Form eines Rufdienstes täglich abwechseln. Durch den Zusammenschluss der Handchi­rurgie, Plastischen Chirurgie und Ästhetischen des Klinikums der LMU München und der Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plastische Chirurgie der Schön Klinik München Harlaching (Chefarzt: Dr. B. Lukas) entsteht mit je 4 Handchirurgen ein quantitativ und qualitativ höchst kompetentes Team für die Behandlung schwerer Handverletzungen. Hinzu kommt die Logistik der kompetenten stationären und ambulanten Nachbehandlung inklusive der Handtherapie beider Teams. Gleichzeitig soll das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Kompetenz des Handchirurgen in der Akutversorgung schwerer Handverletzungen durch eine neue Webseite geschärft werden (www.handverletzung.com). Diese stellt nicht nur das Konzept der Hand Trauma Allianz dar, sondern zeigt auch ausführlich die Bedeutung der Präven­tion von schweren Handverletzungen auf. Außerdem werden Hinweise für Versorgung durch den Ersthelfer in der Akutversorgung am Unfallort gegeben.

Zur detaillierten Auswertung wurde darüber hinaus eine Registerstudie zum Verlauf jeder schweren Handverletzung initiiert. Jede schwere Handverletzung wird in einem Dokumentationsbogen (Download unter: http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1357197) registriert. Hierfür wurde ein positives Votum der Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität eingeholt. Dies ermöglicht die Erhebung und Auswertung detaillierter Daten zu schweren Handverletzungen.

Durch die Zusammenarbeit und Aufnahme weiterer Kliniken besteht so außerdem die Möglichkeit, ein Netzwerk mit der Möglichkeit zur Analyse von Prozessen und Ergebnissen im Sinne eines Benchmarking aufzubauen. Diese Versorgungsstruktur könnte somit zur Qualitätssicherung und Optimierung der Pa­tientenversorgung beitragen. Für die Zukunft wäre aus unserer Sicht auch der Ausbau auf Landes- bzw. Bundesebene sinnvoll.


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Ziele und Ausblick

Zunächst sollen Erfahrungen mit zwei Kliniken im Rahmen des Pilotprojekts der Hand Trauma Allianz gemacht werden, um Chancen und Risiken näher auszuloten. Insbesondere die Erhebung der Registerdaten wird zusätzliche Argumente zur Optimierung der Versorgung erbringen. Ferner werden Fachdiskussionen innerhalb der Handchirurgie weitere Möglichkeiten ­aufzeigen. Angestrebt werden soll die eine gemeinschaftliche Anstrengung unter dem Patronat der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie.

Perspektivisch könnte so ein gemeinschaftliches Konzept entwickelt werden, welches eine flächendeckende Versorgung durch Handchirurgen gewährleistet. Mit dem Aufbau einer solchen nationalen Struktur würde die Bedeutung der Handchirurgie als Fachrichtung für die Erstversorgung schwerer Handverletzung ihre angemessene Bedeutung gewinnen. Auch innerhalb der einzelnen Kliniken könnte durch die Bildung einer Allianz die Stärkung der Fachrichtung befördert werden. Eine überregionale Hand Trauma Allianz könnte somit eine einheitliche nationale Qualitätssicherung in der Versorgung akuter Handverletzungen durch die DGH generieren und damit zu einer Optimierung der Patientenversorgung im Sinne der Patienten und Versicherungsträger beitragen.


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Schlussfolgerungen

Schwere Handverletzungen treten meist isoliert auf und bedürfen einer schnellen und optimalen Versorgung. Die Kompetenz der Versorgung liegt beim Handchirurgen. Die direkte Zuweisung zum Handchirurgen ist in Deutschland nicht immer die Regel. Dadurch kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen ungünstige Organisation, unvollständige Informationen der Leitstellen und Notärzte zu einem verspäteten Behandlungsbeginn führen oder zur Einweisung in Häuser mit eingeschränkter handchirurgischer Qualifikation. Der Aufbau einer Netzwerkstruktur basierend auf den Erfahrungen anderer europäischer Staaten und den vorhanden Qualitätsstrukturen FESSH bietet erhebliche Chancen der Optimierung für den betroffenen Patienten und letztlich auch für das Gesundheitssystem und die Bevölkerung.


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Dr. med. univ. Elisabeth Maria Haas
geb. 1986 in Hannover;
2006–2011 Studium der Humanmedizin an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg;
Juli 2011 Promotion und Approbation als Arzt.
Reisestipendium der FESSH 2013 zum Thema Hand Trauma Netzwerk mit Studienaufenthalten in Mailand (Prof. G. Pajardi), Turin (Prof. B. Battiston) und Nantes (Dr. Phllippe Bellemere).
Seit Januar 2012 Assistenzärztin Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie (Chefarzt: Univ.-Prof. Dr. Riccardo Giunta)

Interessenkonflikt:

Nein

Ergänzendes Material


Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Riccardo E. Giunta
Handchirurgie, Plastische Chi­rurgie und Ästhetische Chirurgie
Klinikum der LMU München
Pettenkoferstraße 8a
80336 München


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Abb. 1 Geografische Lage der akkreditierten Hand Trauma Zentren in der Bundesrepublik Deutschland.