Zentralbl Chir 2013; 138(01): 1-3
DOI: 10.1055/s-0033-1337675
Aktuelle Chirurgie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Translationelle Krebsforschung – Biobanken in der Chirurgie

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Prof. Dr. med. Prof. h. c. (KGZ) Marc A. Reymond
Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
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44625 Herne
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Publication Date:
06 March 2013 (online)

 
 

Tumorgewebebanken haben sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil der translationellen Krebsforschung entwickelt. Chirurgen spielen eine Schlüsselrolle und tragen eine besondere Verantwortung in dieser Entwicklung.

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Biobanking ist mehr als Probensammeln: Patientenaufklärung, Datenerhebung oder Nachsorge gehören ebenfalls dazu. (Bild: PhotoDisc)

Biobanken sind ein unverzichtbarer Bestandteil der translationellen Krebsforschung geworden. Auch wenn Pathologen seit Jahrzehnten Gewebe asservieren, ist ein interdisziplinärer Ansatz im modernen Biobanking notwendig geworden: Es geht nicht mehr lediglich um Probensammlung, sondern um Patientenaufklärung, um einen klinischen Prozess, um die Gestaltung und Einhaltung der Kältekette, um die Erhebung von klinischen Daten und nicht zuletzt um das Patienten-Follow-Up.

Die Chirurgen spielen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle, weil sie das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten führen, die Probe resezieren, die klinischen Daten erheben und sich um die Nachversorgung der Patienten kümmern. Aufgrund ihres Zugangs zu Gewebe und Daten haben deutsche Chirurgen mehrere Tumorbanken gegründet. So gründete zum Beispiel Professor Hans-Peter Bruch die Norddeutsche Tumorbank Darmkrebs; Professor Hartmut Juhl eröffnete die gewinnorientierte Individumed GmbH in Hamburg; der Autor des vorliegenden Beitrags gründete das gemeinnützige European Tumor Samples Institute gGmbH in Westfalen (‣ Tab. [ 1 ]). Es gibt inzwischen zahlreiche weitere Beispiele.

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Tab. 1 Links zu Biobanken

Die Ansprüche an die Probenqualität sowie an die Vollständigkeit der klinischen Daten und Nachsorgedaten, insbesondere was die Therapieantwort betrifft, sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies hat zu einer Vermehrung der Qualitätssicherungsaufgaben etwa im Rahmen von Zertifizierungen geführt. Einige europäische Länder wie beispielsweise Frankreich haben umfangreiche Programme aufgestellt, um die aufwendigen Prozesse zu initiieren, finanziell zu unterstützen, zu strukturieren und zu überwachen (www.crbfrance.fr). Deutschland hat erst mit mehreren Jahren Verspätung angefangen, die Entwicklung von Biobanken-Infrastrukturen zu unterstützen. Inzwischen wird die Entwicklung nationaler Infrastrukturen, insbesondere eines Biobanken-Registers, durch die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. koordiniert. Die Etablierung von Biobanken innerhalb der Comprehensive Cancer Centers (CCC) wird aktuell durch das BMBF in Höhe von rund 18 Millionen Euro gefördert, um eine Standardisierung und eine Verknüpfung zu erreichen. Ausgewählte Biobanken werden außerdem auf nationaler Ebene gefördert. Integriert wurden unter anderem die Biobanken des Kompetenznetzes Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (KPOH). Auch auf europäischer Ebene wurde die Gründung der Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure (BBMRI) durch Forschungsgelder unterstützt. Die Gründung der European Society for Biobanking and Biopreservation als Kapitel der International Society for Biological and Environmental Repositories ist ein aktuelles Beispiel dieser Strukturentwicklung. Die ESBB, die im November 2012 ihren zweiten Kongress in Granada veranstaltet hat, versteht sich als Austauschplattform, wo Probenspender, Biobanker, Industrie und Forschung kommunizieren können.

Die zentrale Bedeutung der Biobanken für die Entwicklung einer personalisierten Krebstherapie sollte sich jeder Chirurg bewusst machen. Folgende Ausführungen können die Wichtigkeit der Biobanken untermauern. Das TNM-System wurde entwickelt, um eine Standardisierung der Befunde und einen Vergleich zwischen Patientengruppen zu ermöglichen. Für die Bestimmung einer individuellen Prognose – und für eine Therapieentscheidung – ist es jedoch weniger geeignet. Ein Beispiel: Alle Darmkrebspatienten im UICC-Stadium 3 bekommen nach kurativer Resektion eine adjuvante Therapie, obwohl lediglich 40 % metachrone Fernmetastasen bilden[ 1 ]. Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte der Patienten in Stadium 3 wird überbehandelt, was die Ärzte als unbedenklich betrachten. Umgekehrt erhalten die meisten Patienten in Stadium 2 keine adjuvante Therapie, obwohl 14 % Fernmetastasen entwickeln. In diesem Fall allerdings gibt es – aus welchen Gründen auch immer – Bemühungen, Risikogruppen zu identifizieren, die von einer adjuvanten Therapie profitieren könnten.

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Die Chirurgen spielen eine Schlüsselrolle in der Probenverarbeitung und deren Qualität. Hier zum Beispiel die Extraktion von Epithelzellen aus einem frischen Operationspräparat.

Diese Therapieempfehlungen stammen aus einer Konsensuskonferenz, die über 20 Jahre alt ist, und haben sich seitdem kaum verändert.[ 2 ] Aufgrund fehlender Evidenz wird der Einsatz zusätzlicher Parameter (zum Beispiel CEA-Spiegel, Differenzierungsgrad, 18q Verlust, isolierte Tumorzellen in Lymphknoten oder im Knochenmark, Mikrosatelliten-Status, DNA-Ploidie, TS / p53-Expression usw.) zur Therapiebestimmung in der aktuellen deutschen S3-Leitlinie nicht empfohlen.[ 3 ]

Hinter diesem ungelösten Problem verbirgt sich ein Oxymoron: Eine Ausnahmeregelung sollte geschaffen werden, was ein innerer Widerspruch ist. Aus theoretisch-medizinischer Sicht verbietet es sich prinzipiell, prognostische Kategorien zu generieren und gleichzeitig individuelle Muster daraus abzuleiten. Das TNM-System fasst vier Stadien beim kolorektalen Karzinom zusammen, obwohl aus den Parametern T,N,M,R,G,L und V über 2000 individuelle Muster unterschieden werden können. Das ist eine "Mission impossible".

Die Experten sind sich inzwischen einig, dass nur der Abgleich von patientenspezifischen Datenmustern mit Referenzdatenbanken eine bessere individuelle Prognose erlauben wird. Diese Datenmuster werden patienten-, tumor- und behandlungsgezogene Kriterien beinhalten,[ 4 ] die tumorbezogenen Kriterien wiederum werden klassische Parameter der TNM-Klassifikation und molekulare Parameter beinhalten.[ 5 ] Aus dieser Vorgabe wird klar: Ohne Tumorbiobanken mit assoziierten klinischen Daten und Nachsorgedaten ist die Herstellung valider Referenzdatenbanken nicht möglich, und ohne Referenzdatenbanken wird die personalisierte Medizin keine wesentlichen Fortschritte machen können.

Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, welche strategische Bedeutung die Entwicklung von Tumorbiobanken in der individualisierten Krebsmedizin – und auch bezüglich der Indikationen in der Chirurgie – bereits hat und weiterhin haben wird. Dass diese Entwicklung mit sensiblen wirtschaftlichen Veränderungen einhergeht, haben die Pharmaunternehmen längst verstanden und sich entsprechend vorbereitet: Sie haben eigene Biobanken zusammengestellt, die zu den besten gehören. Man könnte sich auch fragen, welche gesellschaftlichen Konflikte sich anbahnen, wenn die Lebensprognose des individuellen Patienten in zum Teil durch den Staat finanzierten, zentralen Datenbanken abrufbar werden. In diesem Zusammenhang hat der Deutsche Ethikrat (www.ethikrat.org) im Jahr 2010 zum Thema Biobanken Stellung genommen, ein Fünf-Säulen Konzept (Biobankgeheimnis, Festlegung der zulässigen Nutzung, Einbeziehung von Ethikkommissionen, Qualitätssicherung und Transparenz) vorgeschlagen und eine gesetzliche Regelung empfohlen. "Es muss untersagt sein, personenbezogene Proben oder Daten an Personen und Stellen außerhalb des Wissenschaftsbereich weiterzuleiten", so das Gremium. In den meisten europäischen Ländern gibt es eine solche Regelung bereits. Der Bundestags-Forschungsausschuss hat im März 2012 allerdings zwei Anträge von den Grünen und der SPD abgelehnt, wonach ein Biobankgesetz etabliert werden sollte.[ 6 ] So wird es keine Regelung zu Humanbiobanken in dieser Legislaturperiode mehr geben.

Fazit

Tumorbiobanken sind strategische Ressourcen der modernen Krebsforschungs-Infrastruktur in Deutschland. Die Biobanken-Infrastruktur entwickelt sich rasant. Die potenziellen Konsequenzen für den individuellen Patienten, aber auch für die Gesellschaft, sind gewaltig. Die Therapie solider Tumoren ist Kerngeschäft der Chirurgie. Die Chirurgen stehen im Zentrum der Proben- und der Datenasservierung und tragen deswegen eine besondere Verantwortung in der Entwicklung der deutschen Biobanken-Infrastruktur. Wir sollten diese Verantwortung wahrnehmen und zusammen mit Patientenvertretern, Forschern und Vertretern anderer medizinischer Fachdisziplinen diese Zukunft aktiv mitgestalten.

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Deutsche Chirurgen haben bereits mehrere Tumorbanken gegründet, so etwa die Norddeutsche Tumorbank Darmkrebs oder die European Tumor Samples Institute gGmbH (Bild).

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Prof. Dr. med. Prof. h. c. (KGZ) Marc A. Reymond


Abteilungsleiter, spezielle onkologische Chirurgie

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Biobanking ist mehr als Probensammeln: Patientenaufklärung, Datenerhebung oder Nachsorge gehören ebenfalls dazu. (Bild: PhotoDisc)
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Die Chirurgen spielen eine Schlüsselrolle in der Probenverarbeitung und deren Qualität. Hier zum Beispiel die Extraktion von Epithelzellen aus einem frischen Operationspräparat.
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Deutsche Chirurgen haben bereits mehrere Tumorbanken gegründet, so etwa die Norddeutsche Tumorbank Darmkrebs oder die European Tumor Samples Institute gGmbH (Bild).