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DOI: 10.1055/s-0033-1333791
„Im Gesundheitssystem wird zurzeit zu viel gespart“ – Interview mit Dr. Josef Düllings, amtierender Präsident des 35. Deutschen Krankenhaustages
Zum dreizehnten Mal fand in diesem Jahr der Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf im Rahmen der MEDICA statt. Tagungspräsident war Dr. Josef Düllings, Hauptgeschäftsführer der St. Vincenz-Krankenhaus GmbH in Paderborn und der St.-Josefs-Krankenhaus GmbH in Salzkotten. Berufspolitisch ist der 53-jährige promovierte Soziologe als Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands e. V. engagiert. Zu Gast war Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der 2 Stunden lang auf der Eröffnungsveranstaltung Rede und Antwort stand. Wir sprachen nach der Veranstaltung mit Dr. Düllings über die unterschiedlichen Interpretationen der Zahlen und Fakten, Zukunftsperspektiven und Befürchtungen der Krankenhäuser.
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Herr Dr. Düllings, Gesundheitsminister Daniel Bahr hat auf der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Krankenhaustages behauptet, den Krankenhäusern ginge es heute besser als vor 10 Jahren. Sehen Sie das auch so?
Dr. Josef Düllings: Nein! Minister Bahr hat sich bei dieser Aussage auf Zahlen aus dem Jahre 2010 bezogen; die sind für das Jahr 2010 richtig, aber für heute nicht! Die Situation der Krankenhäuser ist heute komplett anders, weil ab 2011 die einzelnen Spargesetze gegriffen haben.
Als da wären?
Dr. Düllings: Zum einen das GKV-Finanzierungsgesetz, mit dem 2011 und 2012 zusammen 1,3 Milliarden Euro aus dem System gezogen wurden. Im nächsten Jahr werden es nach Berechnung der Deutschen Krankenhausgesellschaft noch einmal 750 Millionen Euro sein. Also insgesamt summieren sich die Kürzungen bis zum Ende der Legislaturperiode auf circa 2,1 Milliarden Euro. Und das wird sich auch nach der Bundestagswahl nicht ändern.
Daniel Bahr hat den Krankenhäusern auch vorgeworfen, dass sie in den letzten 5 Jahren die Kosten jährlich um 2 Milliarden gesteigert hätten. Wofür haben die Krankenhäuser dieses Geld ausgegeben?
Dr. Düllings: So hört sich das erst einmal viel an und aus seiner Sicht hat der Minister auch Recht! Aber aus Sicht der Krankenhäuser sieht das anders aus. Eines unserer Probleme ist die Investitionsfinanzierung, die wir auch bedienen müssen. Da haben wir eine Unterfinanzierung – wenn wir das mit Anfang der 90er Jahre vergleichen – von auch 2 Milliarden pro Jahr. Das heißt, es bleiben null Euro übrig! Auch die anderen Kosten, wie Tariferhöhungen oder Energiekostensteigerungen, muss man aus der Substanz finanzieren.
Die Unterfinanzierung der Krankenhäuser hat Minister Bahr auf dem diesjährigen Krankenhaustag quasi zugegeben. Den schwarzen Peter dafür aber gleich an die Länder weitergegeben. Macht er es sich damit zu einfach?
Dr. Düllings: Ja. Er kann natürlich sagen, das ist Sache der Länder. Aber aus diesem Problem kann sich der Bundesgesundheitsminister nicht raushalten. Die Betriebserlöse und damit auch die GKV-Ausgaben für Krankenhausbehandlung sind mittlerweile massiv betroffen, da die Krankenhäuser versuchen, für den Betriebserhalt zwingend notwendige Investitionen hieraus zu finanzieren. Notwendig ist daher eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung, und dies so schnell wie möglich. Darum haben wir den Gesundheitsminister auch aufgefordert, auf die Bundesländer zuzugehen und mit ihnen gemeinsam ein Bund/Länder-Programm zur Verbesserung der Investitionslage und damit auch zur Entlastung der Betriebserlöse aufzulegen.
Was aus Ihrer Sicht eine Kostenfalle zwischen Bund und Ländern ist, hält der Gesundheitsminister für ein selbstgemachtes Strukturproblem der Krankenhäuser. Können Krankenhäuser überhaupt aus eigener Kraft rentabel sein? Oder verhindern die rechtlichen Rahmenbedingungen eine gesunde ökonomische Entwicklung des Krankenhauses?
Dr. Düllings: Die Probleme der Krankenhäuser sind nicht selbst gemacht, sondern politisch verursacht. Krankenhäuser sind eingeschnürt in einem Korsett aus rechtlichen Regelungen mit der Folge, dass wir bei Tarif- und Personalkostensteigerungen für zusätzlich zu versorgende Patienten – sowie bei Sachkostensteigerungen und Investitionskosten die Kosten weder über den Preis noch über die Menge refinanzieren können.Typisch ist dafür das Beispiel der Entwicklung der Erlöse. An 2 Stellen wird uns da Geld durch eine doppelte Degression vorenthalten: Vor Ort die Abschläge auf zusätzliche Leistungen und auf Landesebene der Hamsterradeffekt, dass zusätzlich zu versorgende Patienten sich hier auch noch einmal mindernd auf den Landesbasisfallwert auswirken.
Sie prophezeien den Kliniken für 2013, dass sie wegen der gesetzlichen Einschränkungen das schwerste Jahr seit einem Jahrzehnt vor sich haben. Spricht da der Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren aus Ihnen?
Dr. Düllings: Wir haben in einer Umfrage bei 1800 Klinikmanagern festgestellt, dass von den Allgemeinkrankenhäusern etwa 46 % mit einem Defizit bis Ende 2012 rechnen. Für 2013 wird sich die Situation nochmals verschärfen, weil hier deutliche Tarifsteigerungen sowie Steigerungen bei Sachkosten im Energiebereich und bei Haftpflichtprämien hinzukommen. Wir brauchen kurzfristig gesetzgeberische Unterstützung, denn für die Jahre 2012 und 2013 liegt die Tarifsteigerung, die wir nicht über den Preis oder die Menge refinanzieren können, bei über 6 %. Eine solche kurzfristige – leider notwendige – „Feuerwehrmaßnahme“ kann nur eine Tarifausgleichsrate für 2013 sein.
Ist mit einer solchen Feuerwehrmaßnahme das Problem der Krankenhäuser auf Dauer zu lösen?
Dr. Düllings: Nein, für eine verlässliche Krankenhausfinanzierung muss langfristig die „doppelte Degression“ abgeschafft werden. Selbst der Minister sieht ein, dass dieser Dumpingpreis-Mechanismus ein Systemfehler ist.Auch der Kostenorientierungswert muss überarbeitet werden. Er soll „orientieren“ für 2013, das war die Intention des Gesetzgebers. Im Ansatz ist er gut und von uns auch gewollt, aber leider mit einem Konstruktionsfehler behaftet. Die massiven Kostensteigerungen ab dem zweiten Halbjahr 2012 bleiben komplett außen vor. Das kann ja nicht richtig sein.
Selbst Minister Bahr hält bürokratische Regelungen wie den Orientierungswert für nicht optimal und fordert bessere Instrumente zur Steuerung. Er könnte die Rahmenbedingungen doch ändern, bevor die Krankenhäuser wieder vor dem Brandenburger Tor protestieren?
Dr. Düllings: Wirkliche Änderungen im System würden auch Änderungen in der Strukturpolitik bedeuten und das sind Entscheidungen, die die Politik scheut. Ein Krankenhaus, das geschlossen wird, aktiviert sofort den Landtags- und Bundestagsabgeordneten vor Ort, der sich dann empört: ,In meinem Wahlkreis bitte keine Schließung eines Krankenhauses!' Deshalb verfolgt die Politik lieber den kalten Entzug der Finanzmittel in der Hoffnung, dass die Krankenhäuser aufgeben. Aber darin liegt ein hohes Risiko, nicht zuletzt für Mitarbeiter und Patienten, die am Ende die Leidtragenden dieser Verweigerungshaltung sind.
Wir haben eine gut ausgestattete Krankenhauslandschaft, die allen Versicherten eine Maximalversorgung bietet. Können wir uns das noch leisten, wenn die Frage nach der Finanzierung offensichtlich nicht gelöst werden kann?
Dr. Düllings: Auch wenn wir diese jetzige positive Konstellation nicht mehr wollen, sondern Strukturkonzentrationen das neue Konzept sind, braucht man dafür Mittel. Unsere Krankenhausgesellschaft hat beispielsweise in Paderborn 3 Standorte. Um Kosten bei den Betriebserlösen zu sparen, werden wir bis Mitte 2013 eine Betriebsstätte schließen. Wir mussten, um so jährlich 700 000 Euro zu sparen, erst einmal 10 Millionen Euro investieren.Ähnliches müsste man in der Krankenhausförderung leisten. Wenn man sieht, was im Gesundheitsfonds an Mitteln und Reserven liegt, dann wird zurzeit zu viel gespart. Die sind jetzt zwar durch den Wegfall der Praxisgebühr und die Reduzierung des Zuschusses aus dem Bundeshaushalt für den Gesundheitsfonds etwas geschmolzen; aber es reicht immer noch aus, um eine vernünftige Strukturpolitik für die Krankenhausbranche zu entwickeln, bei der Bund und Länder gefordert sind.
Dass ein gut gefüllter Gesundheitsfonds Begehrlichkeiten weckt, ist verständlich. Aber der Geldsack ist auch ganz schnell wieder leer, wenn den Wünschen aller Beteiligten großzügig nachgegeben werden würde. Warum sollte es den Krankenhäusern da anders ergehen, als den anderen Beteiligten?
Dr. Düllings: Alfred Dänzer, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, hat das heute eigentlich sehr deutlich gesagt. Die Krankenhäuser haben mit ihrem Sparbeitrag von 1,3 Milliarden in 2011 und 2012 sowie mit den 750 Millionen für 2013 massiv zu der völlig unnötigen Kapitalakkumulation im Gesundheitsfonds und auf Kassenseite beigetragen. Keiner versteht, warum die Mittel für die dringend nötige Verbesserung der Patientenversorgung nicht zurückfließen. Aus meiner Sicht ist das blanker Kapitalismus, der im Interesse der Patienten zu beenden ist. Was dort passiert, hat mit Sozialstaat nichts zu tun.
Wenn Minister Bahr in seiner Rede auf dem Krankenhaustag den Krankenhaussektor als einen wichtigen Wirtschaftsfaktor bezeichnet, kann er aus Ihrer Sicht doch eigentlich kein so ganz schlechter Minister sein?
Dr. Düllings: Die grundsätzliche Richtung der Gesundheitspolitik, die die FDP-Minister Bahr – und auch vorher Rösler – vertreten haben, ist richtig. Zu sagen: ,Das ist eine Zukunftsbranche, das ist ein Wirtschaftsfaktor. Jeder Euro den wir investieren hat eine Wertschöpfung', das ist richtig.In diese Richtung sollte auch weiter gearbeitet werden, unabhängig davon, welche Parteien die nächste Bundesregierung stellen.
Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum
Seit 13 Jahren findet der Deutsche Krankenhaustag im Rahmen der MEDICA in Düsseldorf statt. Der diesjährige 35. Deutsche Krankenhaustag stand unter dem Generalthema „Zukunftsbranche Gesundheit – Priorität Personal“. Die viertägige Informations- und Diskussionsveranstaltung gilt als ein wichtiges interdisziplinäres Forum der Krankenhäuser. Veranstalter ist die Gesellschaft Deutscher Krankenhaustag (GDK), die aus den Gesellschaftern Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK) und Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) besteht. Der Pflegebereich ist durch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen (ADS) und den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK) vertreten. Auch kleinere Berufsgruppen und Teildisziplinen wie Diätassistenten, Technische Assistenten in der Medizin oder der Verein für Krankenhaus Controlling sind mit einbezogen.
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