Aktuelle Urol 2012; 43(06): 369-370
DOI: 10.1055/s-0032-1332776
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Seminom – Hoher AFP-Serumspiegel – retroperitoneale Tumoranteile wahrscheinlich

Contributor(s):
Johannes Weiß

Urology 2011;
78: 844-847
Further Information

Publication History

Publication Date:
19 December 2012 (online)

 
 

Finden sich bei histologisch gesicherten, reinen Seminomen nach der Orchiektomie erhöhte -Fetoprotein-Spiegel (AFP) im Serum, deutet dies auf unerkannte Anteile eines nicht-seminomatösen Keimzelltumors hin. Eine aktuelle US-amerikanische Studie hat nun gezeigt, dass bei erhöhten AFP-Spiegeln die Wahrscheinlichkeit von Tumoranteilen im Retroperitoneum deutlich erhöht ist.
Urology 2011; 78: 844–847

mit Kommentar

Shilajit Kundu, Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, New York, und Kollegen identifizierten im Krebsregister ihrer Klinik zwischen 1989–2009 insgesamt 22 Patienten, bei denen das Orchiektomiepräparat histologisch ein reines Seminom zeigte, die aber vor oder nach dem Eingriff erhöhte Spiegel von -Fetoprotein aufwiesen. Sämtliche Patienten waren aufgrund der erhöhten AFP-Spiegel nach den Therapierichtlinien für nicht-seminomatöse Keimzelltumoren behandelt worden, anschließend war eine retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) erfolgt. Die Autoren begutachteten die verfügbaren Histologie-Präparate erneut, um die Diagnose zu bestätigen und stellten die klinischen Daten und histologischen Befunde der RLA-Präparate zusammen.

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Typisches Seminom im hochauflösenden Ultraschall, erkennbar als hypoechogene Raumforderung im oberen Pol des rechten Hodens. Eine starke Erhöhung des α-Fetoprotein-Levels bei Erstdiagnose eines histologisch reinen Seminoms deutet auf nicht-seminomatöse Anteile eines Keimzelltumors hin. (Bild: Ruf C/Schmelz HU, aus Andrologie, Hrsg.: Krause W / Weidner W / Sperling H / Diemer T, Thieme 2011)

Das mediane Alter der Patienten lag bei 32 Jahren, der mediane AFP-Spiegel vor der Orchiektomie betrug 248ng/ml und vor der Chemotherapie 279ng/ml. Im klinischen Stadium I waren 5% der Patienten, im klinischen Stadium II 50% und im klinischen Stadium III 45%. Der Risikostatus gemäß den Kriterien der International Germ Cell Cancer Collaborative Group war bei 32% gut, 32% moderat und bei 36% der Patienten schlecht.

Teratome sehr häufig

Es erhielten 21 der 22 Patienten eine Induktionschemotherapie, an die eine RLA anschloss. Insgesamt fanden die Autoren bei 67% der Patienten (n=15) im Retroperitoneum Anteile eines nicht-seminomatösen Keimzelltumors. Die histologischen Befunde waren:

  • ein reines Teratom in 38% der Fälle,

  • eine maligne Transformation in 14% und

  • ein wachstumsfähiger, nicht-seminomatöser Keimzelltumor in weiteren 14%.

  • Bei 59% der Patienten fanden sich Komponenten von einem Teratom im Retroperitoneum.

  • Nur ein Patient (5%) hatte Anteile eines Seminoms im Retroperitoneum, dieser Patient wies auch ein retroperitoneales Teratom auf.

Von allen 22 Patienten hatten 7 ein Rezidiv und erhielten eine Salvage-Chemotherapie. Die rezidivfreien Überlebensraten nach 5 und 10 Jahren betrugen 76 und 61%.

Fazit

Histologisch reine Seminome im Orchiektomie-Präparat mit erhöhten Serum-AFP-Spiegeln weisen auf eine hohe Wahrscheinlichkeit von Anteilen eines nicht-seminomatösen Keimzelltumors im Retroperitoneum hin. Die relativ niedrige rezidivfreie Überlebensrate spiegle die hohe Anzahl von Patienten mit einem klinischen Stadium II und III wider, so die Autoren.

Kommentar

Relevant ist nur der starke AFP-Anstieg

Seminomatöse Keimzelltumoren des Hodens mit einer relevanten Erhöhung des Serum-Tumormarkers-Fetoprotein (AFP) sind selten. In 20 Jahren wurden im Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York 22 Patienten gesehen, die mit einer AFP-Erhöhung bei Erstdiagnose eines histologisch reinen Seminoms von im Mittel 248ng/ml vor Ablatio testis bzw. 279ng/ml nach Ablatio testis auffielen. AFP-Werte in dieser Höhe deuten tatsächlich auf nicht-seminomatöse Anteile (meist Dottersack oder Teratom) eines Keimzelltumors hin, die eine Therapie entsprechend der Behandlung nicht-seminomatöser Hodentumoren anraten lassen (d.h. bei metastasierten Patienten zunächst Chemotherapie gefolgt von einer Residualtumorresektion bei Residuen>1cm). Bei reinen Seminomen würde man auf die Residualtumorresektion nach Chemotherapie und Markerkonversion in den meisten Fällen verzichten. In der Tat befanden sich auch 95% der beschriebenen Patienten im metastasierten Stadium II oder III mit einer durchschnittlichen Erhöhung des Serummarkers "humanes Choriongonadotropin" (hCG) für syncy­tiotrophoblastäre Riesenzellen und damit Seminomanteilen von über 800mIU/ml.

Eine Untersuchung des MD Anderson Cancer Centers bei 10 Patienten mit AFP-Erhöhung eines Seminoms ergab, dass bei nur geringer AFP-Erhöhung (bis 20ng/ml) nicht zwangsläufig ein nicht-seminomatöser Anteil die Prognose dominiert [ 1 ]. D.h. nur wirklich relevante AFP-Erhöhungen wie in der MSKCC Serie von >200ng/ml sollten zum Abweichen vom üblichen Behandlungsweg eines Seminoms führen. Einschränkend muss angemerkt werden, dass in der Pathologie-Review im MSKCC natürlich nur repräsentative Schnitte der oftmals außerhalb abladierten Patienten vorlagen. D.h. bei einer primär kompletten Einbettung des Primärtumors steht zu vermuten, dass die NSGCT-Anteile bereits im Primärtumor gefunden worden wären.

Fazit

Zusammenfassend sollten nur relevante AFP-Erhöhungen bei Primärdiagnose eines Seminoms zu einer Therapieanpassung führen. Es handelt sich hierbei fast ausschließlich um metastasierte Stadien, sodass die initiale primäre Therapie (Chemotherapie) die gleiche bleibt. Die Indikation zur Residualtumorresektion wäre im Unterschied zu metastasierten reinen Seminomen allerdings großzügiger zu stellen. Aber in allen Fällen empfiehlt sich grundsätzlich vor Therapiebeginn zunächst eine akkurate 3mm Aufarbeitung des gesamten Primärpräparats, denn es bleibt zu vermuten, dass die genaue Aufarbeitung NSGCT-Anteile aufdeckt. Bei geringen AFP-Erhöhungen bis etwa 20ng/ml sollten nicht in jedem Fall Konsequenzen gezogen werden, denn hier ist die Seminomhistologie sicher dominant für die Prognose und damit auch die Therapie. Bei frühen Stadien des Keimzelltumors und geringer AFP-Erhöhung spielt somit dieser Befund kaum eine Rolle.

Prof. Dr. Peter Albers, Düsseldorf


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Univ.-Prof. Dr. Peter Albers


ist Direktor der Klinik für Urologie an der Universitätsklinik Düsseldorf

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  • Literatur

  • 1 Nazeer T et al. Oncol Rep 1998; 5: 1425-1429

  • Literatur

  • 1 Nazeer T et al. Oncol Rep 1998; 5: 1425-1429

 
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Typisches Seminom im hochauflösenden Ultraschall, erkennbar als hypoechogene Raumforderung im oberen Pol des rechten Hodens. Eine starke Erhöhung des α-Fetoprotein-Levels bei Erstdiagnose eines histologisch reinen Seminoms deutet auf nicht-seminomatöse Anteile eines Keimzelltumors hin. (Bild: Ruf C/Schmelz HU, aus Andrologie, Hrsg.: Krause W / Weidner W / Sperling H / Diemer T, Thieme 2011)