Aktuelle Urol 2012; 43(05): 293-294
DOI: 10.1055/s-0032-1329379
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Harnblasenkarzinom – Prognoseabschätzung mit neuen Substadien besser

Rezensent(en):
Johannes Weiß
Rhijn BW van, Kwast TH van der, Alkhateeb SS et al.
Eur Urol 2012;
61: 378-384
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Oktober 2012 (online)

 
 

Bei Harnblasenkarzinomen im Stadium T1 gilt die intravesikale Behandlung mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) als Standardtherapie. Eine kanadisch-holländische Arbeitsgruppe zeigte nun, dass nach BCG-Therapie die neue Subklassifizierung in mikro- und extensivinvasive Urothelkarzinome die Tumorprogression und das krankheitsspezifische Überleben besser abschätzen lassen als das alte System T1a–c.
Eur Urol 2012; 61: 378–384

mit Kommentar

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Histologie eines Urothelkarzinoms: nicht invasive low-grade Urothel-Neoplasie. Laut der aktuellen Studie eigenen sich die neuen Substadien T1m und T1e zur Vorhersage der Progression bei T1-Harnblasenkarzinomen.(Bild: Sökeland J, Rübben H, aus: Taschenlehrbuch Urologie; Thieme 2007).)

Van Rhijn, Netherlands Cancer Institute/ Amsterdam, und Kollegen schlossen in die Analyse 134 Patienten mit primären, nicht muskelinvasiven Harnblasenkarzinomen im Stadium T1 ein, deren Tumoren die für die Studie nochmals histologisch bestätigt wurden. Das durchschnittliche Alter der Patienten bei Diagnose lag bei 68,5 Jahren. Alle Patienten unterzogen sich einer kompletten transurethralen Resektion des Tumors mit anschließender Installation von BCG. Die Nachsorge bestand aus Zystoskopien mit Zytologie alle 3–4 Monate in den ersten 2 Jahren und anschließend alle 6–12 Monate. Der mediane Follow-Up-Zeitraum war 6,4 Jahre (Range: 3,3–9,2 Jahre). Als Progression galten ein Rezidiv in der Muscularis propria und/oder Metastasen.

Für die Substadien der T1-Tumoren verwendeten die Autoren ein neues System, das T1-mikroinvasive (T1m) und T1-extensivinvasive (T1e) Tumoren unterscheidet. Zum Vergleich bestimmten die Autoren die Invasion des Gefäßplexus der Muscularis mucosae mit

  • T1a (Invasion oberhalb des Plexus),

  • T1b (Invasion innerhalb des Plexus) und

  • T1c (Invasion jenseits des Plexus).

War der Plexus an der Invasionsfront nicht vorhanden, wurde der Tumor als T1a oder T1c klassifiziert.

Zu einer Progression in ein Stadium T2 und höher kam es bei 30% der Patienten (n=40), 14% (n=19) verstarben am Harnblasenkarzinom. Das progressionsfreie 5- und 10-Jahresüberleben betrug 66 und 36%, das krankheitsspezifische 5- und 10-Jahresüberleben 87 und 56%. Bei 37% der Patienten (n=50) fand sich der Gefäßplexus der Muscularis mucosae nicht an der Invasionsfront, diese wurden in 28 Fällen als T1a und in 22 Fällen als T1c klassifiziert.

T1m und T1e geeignete Prädiktoren für Progression

Die T1-Substadien verteilten sich auf 40 Fälle mit T1m und 94 Fälle mit T1e. Die Klassifizierung nach T1a–c ergab die Anzahl von Tumoren in den Stadien T1a, T1b und T1c von jeweils 81, 18 und 35. In der multivariaten Analyse erwiesen sich die Substadien T1m und T1e als signifikante Prädiktoren für Progression (p=0,001) und krankheitsspezifisches Überleben (p=0,032), was für die Substadien T1a, T1b und T1c nicht galt. Ebenfalls signifikante Prädiktoren einer Progression waren weibliches Geschlecht (p=0,006) und Carcinomata in situ (p=0,034).

Fazit

Eine Subklassifizierung gemäß dem neuen System mit T1m und T1e erwies sich in der aktuellen Studie bei Patienten mit Harnblasenkarzinomen im Stadium T1 als nutzerfreundlich, in allen untersuchten Fällen anwendbar und prädiktiv für die Prognose, so die Autoren. Dagegen war die Klassifikation nach dem System T1a/T1b/T1c begrenzt.


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Kommentar

Substaging: eine verlässliche Hilfe bei Patientenberatung?

Das Urothelkarzinom im Stadium pT1 stellt eine klinische Herausforderung an den behandelnden Urologen dar. Wählt man die Option einer frühen Zystektomie, um die größtmögliche onkologische Sicherheit zu gewährleisten, nimmt man operationsbedingte Risiken mit Komplikationen bei 28% der Patienten sowie eine Mortalität von 1–3% in Kauf. Auf der anderen Seite kennen wir genügend Daten für das früher verwendete Tumorstadium pT1G3, für welches bei fast der Hälfte der Patienten im endgültigen Zystektomiepräparat ein muskelinvasiver Tumor nachgewiesen werden konnte, welcher mit einer BCG-Therapie inadäquat behandelt ist.

Eine individuelle Risikostratifizierung wird derzeit anhand des Nachweises eines begleitenden Carcinoma in situ, einer Multifokalität des Tumors, dem Grading und der Existenz von vitalem Tumorgewebe in der Nachresektion vorgenommen. Alle bisher erprobten anderen Markersysteme, die zur Hilfe bei der Entscheidungsfindung beitragen sollten, konnten einer kritischen Evaluation nicht standhalten.

In mehreren Studien wurde versucht, ein histologisches Substaging-System zu etablieren, das den Gefäßplexus der Muscularis mucosae als Grenze zwischen einer T1a- und T1b-Kategorie benutzt. Von 15 Studien mit diesem System konnte nur eine in einer multivariaten Analyse einen statistisch signifikanten Zusammenhang mit dem krankheitsspezifischen Überleben zeigen [ 1 ]. Das Hauptproblem dieser Einteilung liegt in der fehlenden Auffindbarkeit des Gefäßplexus in einem nicht unerheblichen Anteil der Fälle (bis zu 42%). Auch in der hier diskutierten Studie von van Rhijn et al. konnten nur 63% aller Patienten nach diesem System eingeteilt werden, obwohl ausschließlich Primärbefunde ohne bereits vorangegangene Resektionen mit potenziellen Narben berücksichtigt wurden.


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Neues System ist prognostisch überlegen

Die Neuerung des in der genannten Studie von van Rhijn et al. vorgestellten Substaging-Systems ist das Betrachten der Breite der Invasionsfront: Befunde mit einer Invasion unter 0,5mm Länge werden als T1m (m: mikroinvasiv), multifokale oder ausgedehntere Befunde als T1e (e: extensiv) eingestuft [ 1 ]. Wie oben beschrieben konnte sowohl in der uni- als auch in der multivariaten Analyse ein statistisch signifikanter Zusammenhang dieser Einteilung mit dem Überleben der Patienten gezeigt werden. Dies gilt jedoch für eine Studienpopulation, welche über einen Zeitraum von über 20 Jahren retrospektiv generiert wurde und nicht einheitlich eine transurethrale Nachresektion erhielt. Besonders der letzte Punkt stimmt nachdenklich, da durch die Nachresektion ein Under-Staging in mindestens 30% der Patienten nachgewiesen werden kann. Eine Stärke der Studie ist, dass alle Patienten gleichermaßen zumindest mit einer BCG-Induktionstherapie behandelt wurden. Als Vorteil des neuen Substaging-Systems benennen die Autoren weiterhin, dass es bei allen Fällen anwendbar war.

Kürzlich belegten 2 weitere publizierte Studien die Assoziation des neuen Systems mit dem Überleben der Pa­tienten [ 2 ], [ 3 ]. Eine Arbeit konnte ebenso wie die Studie von van Rhijn eine prognostische Überlegenheit des neuen Systems gegenüber dem Substaging anhand des Gefäßplexus zeigen [ 2 ].

Das von van Rhijn et al. eingeführte Substagingsystem anhand der Länge der Infiltration in die Lamina propria zeigt somit unbestritten eine Assoziation zum Überleben der Patienten. Einschränkend müssen 2 Dinge erwähnt werden: Zum einen ist die neue Klassifikation zwar bei allen Fällen anwendbar, jedoch betrug die Inter-Observer-Übereinstimmung nur 81% [ 4 ]. Eine gleich gute Übereinstimmung (80%) wird für das ältere System beschrieben, das sich am Gefäßplexus und der Infiltrationstiefe orientiert [ 5 ]. Zum anderen ist mit den 3 vorhandenen retrospektiven Studien bisher nur eine schlechtere Prognose von Patienten mit einem T1e-Stadium, also einer extendierten Infiltration, gezeigt. Es bleibt prospektiv zu evaluieren, welches Kriterium man in der Beratung der Patienten entscheidend berücksichtigen sollte: das Substaging, ein simultanes Carcinoma in situ oder das Ergebnis der Nachresektion, die heute stets durchgeführt wird? Wahrscheinlich erscheint eine Berücksichtigung des histologischen Substagings als ein Parameter für das T1-Urothelkarzinom unter mehreren. Wenn es auch nicht für sich alleine entscheiden kann, so wird der Urologe mit dem T1-Substaging höchstwahrscheinlich ein neues Instrument zur Beratung von Patienten in einer schwierigen Lage erhalten. In der Klinikalltag bleiben dennoch eine exakte histologische Begutachtung und eine qualitativ hochwertige, subtile transurethrale Resektion der Harnblase (TURB) Voraussetzungen für eine optimale Behandlung.

Dr. Thomas Horn,
Prof. Jürgen Gschwend,
PD Dr. Hubert Kübler, München


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Dr. Thomas Horn


ist Assistenzarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

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Prof. Dr. Jürgen Gschwend


ist Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

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PD Dr. Hubert Kübler


ist Oberarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

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  • Literatur

  • 1 Rhijn BW van, Kwast TH van der, Alkhateeb SS et al. Eur Urol 2012; 61: 378-384
  • 2 Bertz S, Denzinger S, Otto W et al. Histopathology 2011; 59: 722-732
  • 3 Chang WC, Chang YH, Pan CC. Am J Surg Pathol 2012; 36: 454-461
  • 4 Aa MN van der, Leenders GJ van, Steyerberg EW et al. Hum Pathol 2005; 36: 981-986
  • 5 Cottrell L, Nairn ER, Hair M. J Clin Pathol 2007; 60: 735-736

  • Literatur

  • 1 Rhijn BW van, Kwast TH van der, Alkhateeb SS et al. Eur Urol 2012; 61: 378-384
  • 2 Bertz S, Denzinger S, Otto W et al. Histopathology 2011; 59: 722-732
  • 3 Chang WC, Chang YH, Pan CC. Am J Surg Pathol 2012; 36: 454-461
  • 4 Aa MN van der, Leenders GJ van, Steyerberg EW et al. Hum Pathol 2005; 36: 981-986
  • 5 Cottrell L, Nairn ER, Hair M. J Clin Pathol 2007; 60: 735-736

 
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Histologie eines Urothelkarzinoms: nicht invasive low-grade Urothel-Neoplasie. Laut der aktuellen Studie eigenen sich die neuen Substadien T1m und T1e zur Vorhersage der Progression bei T1-Harnblasenkarzinomen.(Bild: Sökeland J, Rübben H, aus: Taschenlehrbuch Urologie; Thieme 2007).)