Pneumologie 2012; 66(07): 393
DOI: 10.1055/s-0032-1322449
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Atemwegsinfektionen – Grippeviren bei Kleinkindern: Eine globale Herausforderung

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Publication Date:
10 July 2012 (online)

 
 

Weltweit führen saisonale Influenzaviren bei Kleinkindern zu erheblichen Gesundheitsproblemen. Die internationale Studiengruppe um H. Nair und H. Campbell hat nun erstmals Daten zu Infektionen der unteren Atemwege mit Nachweis von Influenzaviren und die dadurch verursachte Morbidität und Mortalität bei Kindern unter 5 Jahren ausgewertet.
Lancet 2012; 378: 1917–1930

Jedes Jahr erkranken weltweit rund 156 Mio Kinder in den ersten Lebensjahren an akuten Infektionen der unteren Atemwege (ALRI) wie Pneumonie oder Bronchiolitis. Die Zahl der dadurch bedingten Todesfälle wird auf 1,56 Mio geschätzt. In 22 % der Fälle wird das Respiratory Syncytial Virus (RSV) nachgewiesen. Die Bedeutung von Influenza-Viren ist in diesem Zusammenhang aber unklar. Daher versuchte eine internationale Forschergruppe anhand von Studien und populationsbasierten Untersuchungen den Einfluss des Influenzavirus auf ALRI bei Kindern unter 5 Jahren weltweit abzuschätzen. Sie fand für den Publikationszeitraum zwischen Januar 1995 und Oktober 2010 43 geeignete Studien, in denen ein Virusnachweis erfolgte und Morbidität, insbesondere ALRI, und Mortalität für diese Altersgruppe, ausgewiesen war. 16 weitere Datensätze waren unpubliziert. Die vorliegende Studie wertete insgesamt Daten von rund 8 Mio Kindern aus.

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Über die Atemwege gelangen Influenza-Viren, wie der hier abgebildete Influenza-A-Virus H1N1, in den menschlichen Körper.(Bild: 2ndpic/Fotolia)

Pro Jahr 1 Mio Kinder betroffen

Für das Jahr 2008 ergaben die Schätzungen weltweit 90 Mio neue Influenzafälle bei Kindern unter 5 Jahren mit einem 95 % Konfidenzintervall (KI) von 49–162 Mio. Die Zahl der grippeassoziierten ALRI lag bei 20 Mio Fällen (95 % KI: 13–32 Mio) und entsprach 13 % aller ALRI in der Altersgruppe der 0–4-Jährigen.Eine schwere ALRI im Zusammenhang mit der saisonalen Influenza entwickelten schätzungsweise 1 Mio Kleinkinder (95 % KI: 1–2 Mio). Damit dürfte die Influenza an 7 % der Fälle schwerer ALRIs weltweit beteiligt sein.

Zwischen 28 000 und 111 500 Kleinkinder starben nach Schätzungen im Jahr 2008 aufgrund schwerer ALRI, wobei fast ausschließlich Kinder aus Entwicklungsländern (99 %) betroffen waren. Die Sterblichkeit war in diesen Ländern 15-mal so hoch wie in den Industrienationen. Dies könnte sowohl an epidemiologischen Faktoren (Immunität der Populationen, Streptococcus pneumoniae-Durchseuchung oder der jeweils zirkulierende Subtyp des Influenzavirus) liegen, aber sicher auch an den Behandlungsmöglichkeiten wie Verfügbarkeit von Sauerstoff, mechanischer Beatmung, Zugang zu Virostatika oder der grundsätzlichen Möglichkeit einer medizinischen Versorgung. Global gesehen variieren Inzidenz und Mortalität der ALRI bei den Kindern allerdings regional und saisonal stark.

Fazit

Der Influenzavirus ist ein häufiges Pathogen bei Kindern mit ALRI im Alter von 0–4 Jahren und führt zu einer beträchtlichen Morbidität und Mortalität. Die vorgestellten Daten haben allerdings ihre Schwächen. So wurden die Viren mit unterschiedlich zuverlässigen Tests nachgewiesen. In den Entwicklungsländern könnten die Zahlen nach Meinung der Autoren noch weit höher liegen, weil Kinder aus ländlichen Regionen keine medizinische Hilfe erhalten oder überhaupt nicht erfasst werden. In jedem Fall zeigen die Daten aber, dass die Infektion eine globale Herausforderung für die Gesundheitssysteme ist und Impf- und Behandlungsstrategien in vielen Regionen der Welt weiterentwickelt werden müssen.

Friederike Klein, München


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Über die Atemwege gelangen Influenza-Viren, wie der hier abgebildete Influenza-A-Virus H1N1, in den menschlichen Körper.(Bild: 2ndpic/Fotolia)