Intensivmedizin up2date 2012; 8(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-0032-1301944
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Ende von Xigris® – mehr als nur eine weitere Enttäuschung?

Hans Georg  Bone
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Prof. Dr. Hans-Georg Bone

Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin
Klinikum Vest GmbH
Behandlungszentrum
Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen


Dorstener Str. 151
45657 Recklinghausen

Email: bone.hans-georg@kk-recklinghausen.de

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Publication Date:
14 February 2012 (online)

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Hans Georg Bone

Am 25. 10. 2011 wurde überraschend mitgeteilt, dass die Firma Eli Lilly das Medikament Xigris® (Drotrecogin alfa (activated), rekombinantes humanes aktiviertes Protein C) international vom Markt nimmt [1]. Am 26. 10. 2011 folgte dann in Deutschland ein entsprechender „Rote Hand“-Brief, in dem die Lilly Deutschland GmbH mitteilte, dass auf Grund neuer klinischer Daten, die eine mangelnde Wirksamkeit von Xigris zeigten und das Nutzen-Risiko-Profil des Medikamentes in Frage stellen würden, Xigris mit sofortiger Wirkung zurückgezogen würde. Schon begonnene Therapien mit Xigris sollten abgebrochen werden und neue Therapien mit der Substanz nicht mehr begonnen werden. Die neuen Daten, die dieses unerwartete Ende von Xigris verursachten, waren die Ergebnisse der PROWESS-SHOCK-Studie, bei der die 28-Tage Mortalität von mit Xigris behandelten Patienten (n = 846) 26,4 % betrug, die der Placebo-Kontrollgruppe (n = 834) dagegen 24,2 % (p = 0,31, RR = 1,09 [0,92 – 1,28]) [2]. Auch beim sekundären Endpunkt der Studie, der 28-Tage Mortalität von Patienten mit septischem Schock und schwerem Protein C-Mangel, fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Behandlungs- und Kontrollgruppe [1]. Allerdings gab es in der PROWESS-SHOCK-Studie auch keine Hinweise auf eine erhöhte Nebenwirkungsrate durch die Gabe von Xigris. Die für die meisten intensivmedizinisch Interessierten überraschende Marktrücknahme von Xigris stand am Ende einer seit 10 Jahren lebhaft und emotional geführten Diskussion um den Sinn, die Effektivität und das Marketing dieser Substanz – oder wie Peter Suter in einem aktuellen Editorial schrieb, am Ende einer 10-jährigen Odyssee [3]. Schon der klinische Start des aktivierten Protein C, das antiinflammatorische, antithrombotische und profibrinolytische Eigenschaften aufweist, war außergewöhnlich. Für die klinische Zulassung lag nur eine große multizentrische Studie (PROWESS-Studie) vor, die allerdings eine deutliche Reduktion der 28-Tage-Mortalität (6,1 % absolute und 19,4 % relative Mortalitätsreduktion) bei Patienten mit schwerer Sepsis zeigte [4]. Auf Grund dieser signifikanten Mortalitätsreduktion wurde die Studie schon nach der 2. Interimsanalyse gestoppt, nachdem 1690 und nicht wie initial geplant 2280 Patienten eingeschlossen wurden. In den USA wurde die Substanz 2001 durch die FDA zugelassen, obwohl im externen Expertengremium 10 Stimmen für und 10 Stimmen gegen eine Zulassung gestimmt hatten [5]. Im Jahr 2002 erfolgte auch die europaweite Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA). Allerdings war diese europäische Zulassung auf Grund der anfänglich nur dünnen Datenlage mit der Auflage einer erneuten jährlichen Prüfung durch ein entsprechendes europäisches Expertenkomitee verbunden [1]. Anders als in der PROWESS-Studie konnten die mortalitätssenkenden Effekte von Xigris in 2 weiteren randomisierten Studien nicht gezeigt werden [6] [7]. Die Sinnhaftigkeit der Gabe von aktiviertem Protein C bei Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock blieb deswegen immer in der Diskussion [8] [9]. Wegen dieser Unklarheiten in Bezug auf Effektivität und Nebenwirkungsspektrum forderte die EMA 2007 im Rahmen der jährlichen Zulassungsprüfung eine Wiederholung der PROWESS-Studie bei Patienten mit septischem Schock. Diese PROWESS-SHOCK-Study wurde 2008 gestartet und ihre ersten Ergebnisse (s. o.) führten dann zum klinischen Ende von Xigris. Auch wenn die Publikation aller Daten der PROWESS-SHOCK-Study erst in den nächsten Monaten zu erwarten ist, so hat die Überraschung über die Marktrücknahme dieses Medikaments schon zu einigen nachdenklichen Editorials Anlass gegeben [2] [3] [10]. Auch von mir 3 Gedanken zum „Ende“ von Xigris:

  1. Neben berechtigtem Enthusiasmus, weil erstmals ein spezifisches Sepsismedikament auf den Markt gekommen war, haben sich viele Intensivmediziner rund um die Welt (u. a. auch ich) von einem aggressiven Marketing einfangen lassen. Sepsisleitlinien und die zugehörigen Experten wurden z. T. im erheblichen Maße von Lilly gesponsert [11]. Die Marketingstrategie bei Xigris hatte schon in den letzten 10 Jahren für erhebliche Diskussionen gesorgt [11] und die Kritik daran hat hoffentlich besonders jetzt nach dem Scheitern des Medikamentes auch weitere Auswirkungen auf das Verhalten der pharmazeutischen Industrie und auch auf unseren Umgang mit aggressivem pharmazeutischem Marketing.

  2. Sepsis ist kein homogenes Krankheitsbild mit immer gleichen einfachen pathophysiologischen Vorgängen. Phasen der Hyperinflammation wechseln sich mit Phasen einer ausgeprägten Immunsuppression ebenso ab, wie Phasen einer extremen Vasodilatation und Phasen mit einer Vasokonstriktion [12]. Diese z. T. widersprüchlichen pathophysiologischen Vorgänge kommen nicht nur im zeitlichen Verlauf einer Sepsis nacheinander vor, sondern auch zeitgleich an verschiedenen Stellen des Körpers. Dies ist eine mögliche Erklärung dafür, warum in den letzten 2 Jahrzehnten mehr als 20 unterschiedliche Substanzen in klinischen Sepsisstudien gescheitert sind. Es bleibt zu hoffen, dass trotz dieser vielen gescheiterten Hoffnungen noch weiter klinische pharmazeutische Forschung auf dem Gebiet der Sepsis erfolgt.

  3. Weltweit nimmt die Inzidenz der schweren Sepsis zu [13] [14]. Gleichzeitig sinkt in fast allen Studien zu diesem Thema die Mortalität der schweren Sepsis [13] [15]. In der initialen PROWESS-Studie lag die Mortalität in der Kontrollgruppe bei 30,8 und in der Behandlungsgruppe bei 24,7 % [4]. Zehn Jahre später lag schon in der Kontrollgruppe der PROWESS-SHOCK-Studie die Mortalität nur noch bei 24,2 % [1]. Die z. Zt. vorhandene wissenschaftliche Evidenz spricht dafür, dass diese phantastische Mortalitätsreduktion bei der schweren Sepsis ausschließlich durch das schnelle und richtige Anwenden einfacher klinischer Behandlungsstrategien (frühe Antibiotikatherapie, frühe hämodynamische Stabilisierung, Lungen-protektive-Beatmung u. a.) erreicht werden konnte [15]. So hat die u. a. durch Xigris ausgelöste Sensibilisierung für die klinischen Probleme der Sepsis, das entsprechende aggressive Marketing und die nachfolgenden Kampagnen und Leitlinien doch zu einer deutlichen Reduktion der Sepsissterblichkeit geführt. Zumindest indirekt rettet Xigris also weiter Leben.

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Literatur

  • 1 European Medicines Agency .Press release October 25th, 2011
  • 2 Gerlach H. Einige Gedanken nach dem „Aus“ für Xigris®.  Intensiv News. 2011;  15 6-8
  • 3 Suter P M. Xigris is withdrawn from the market. A 10 year odissey.  Minerva Anestesiol. 2011;  77 1128-1129
  • 4 Bernard G R, Vincent J L, Laterre P F. et al . Efficacy and safety of recombinant human activated protein C for severe sepsis.  N Engl J Med. 2001;  344 699-709
  • 5 Warren H S, Suffredini A F, Eichacker P Q, Munford R S. Risks and benefits of activated protein C treatment for severe sepsis.  N Engl J Med. 2002;  347 1027-1030
  • 6 Abraham E, Laterre P F, Garg R. et al . Drotrecogin alfa (activated) for adults with severe sepsis and a low risk of death.  N Engl J Med. 2005;  353 1332-1341
  • 7 Nadel S, Goldstein B, Williams M D. et al . Drotrecogin alfa (activated) in children with severe sepsis: a multicentre phase III randomised controlled trial.  Lancet. 2007;  369 836-843
  • 8 Marx G. Aktiviertes Protein C im septischen Schock – pro.  Dtsch Med Wochenschr. 2010;  135 2370
  • 9 Graf J. Aktiviertes Protein C im septischen Schock – contra.  Dtsch Med Wochenschr. 2010;  135 2371
  • 10 Mitka M. Drug for severe sepsis is withdrawn from market, fails to reduce mortality.  JAMA. 2011;  306 2439-2440
  • 11 Eichacker P Q, Natanson C, Danner R L. Surviving sepsis – practice guidelines, marketing campaigns, and Eli Lilly.  N Engl J Med. 2006;  355 1640-1642
  • 12 Boomer J S, To K, Chang K C. et al . Immunosuppression in patients who die of sepsis and multiple organ failure.  JAMA. 2011;  306 2594-2605
  • 13 Kumar G, Kumar N, Taneja A. et al . Nationwide trends of severe sepsis in the 21st century (2000 – 2007).  Chest. 2011;  140 1223-1231
  • 14 Harrison D A, Welch C A, Eddleston J M. The epidemiology of severe sepsis in England, Wales and Northern Ireland, 1996 to 2004: secondary analysis of a high quality clinical database, the ICNARC Case Mix Programme Database.  Crit Care. 2006;  10 R42
  • 15 Castellanos-Ortega A, Suberviola B, Garcia-Astudillo L A. et al . Impact of the Surviving Sepsis Campaign protocols on hospital length of stay and mortality in septic shock patients: results of a three-year follow-up quasi-experimental study.  Crit Care Med. 2010;  38 1036-1043

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45657 Recklinghausen

Email: bone.hans-georg@kk-recklinghausen.de

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Literatur

  • 1 European Medicines Agency .Press release October 25th, 2011
  • 2 Gerlach H. Einige Gedanken nach dem „Aus“ für Xigris®.  Intensiv News. 2011;  15 6-8
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  • 14 Harrison D A, Welch C A, Eddleston J M. The epidemiology of severe sepsis in England, Wales and Northern Ireland, 1996 to 2004: secondary analysis of a high quality clinical database, the ICNARC Case Mix Programme Database.  Crit Care. 2006;  10 R42
  • 15 Castellanos-Ortega A, Suberviola B, Garcia-Astudillo L A. et al . Impact of the Surviving Sepsis Campaign protocols on hospital length of stay and mortality in septic shock patients: results of a three-year follow-up quasi-experimental study.  Crit Care Med. 2010;  38 1036-1043

Prof. Dr. Hans-Georg Bone

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