Diabetes aktuell 2011; 9(8): 354-358
DOI: 10.1055/s-0032-1301746
Schwerpunkt
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sitzen, immer nur Sitzen – bis der Stoffwechsel ”danieder liegt“ – Auch kleine Einheiten körperlicher Aktivität sind sinnvoll

Sitting, always sitting - until the metabolism comes to a standstill – Even small doses of physical activity are sensible
Wolfgang Schlicht
1   Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft, Lehrstuhl Sport- und Gesundheitswissenschaften I, Universität Stuttgart
,
Annelie Reicherz
1   Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft, Lehrstuhl Sport- und Gesundheitswissenschaften I, Universität Stuttgart
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenz

Prof. Dr. Wolfgang Schlicht
Universität Stuttgart Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft Lehrstuhl Sport- und Gesundheitswissenschaften I
Allmandring 28
70569 Stuttgart

Publication History

Publication Date:
12 January 2012 (online)

 

Die Zahl der Diabeteserkrankungen vom Typ 2 (T2DM) nimmt weltweit zu. Die wachsende Inaktivität in der Bevölkerung und ein zunehmender sitzender Lebensstil (sedentariness) steigern das Risiko, an T2DM zu erkranken. Körperlich-sportliche Aktivität trägt, neben der Ernährung, nachweislich dazu bei, das mit T2DM assoziierte Übergewicht zu reduzieren. Darüber hinaus zeigen Studien, dass körperlich-sportliche Aktivität zur relativen Senkung der Diabetes-Inzidenz beiträgt. Unabhängig von den positiven Wirkungen körperlicher Aktivität erhöht sedentariness das Risiko an T2DM zu erkranken. So hängt langes Sitzen u. a. mit einer Erhöhung des 2-Stunden-Plasma-Glukosespiegels zusammen. Ziel sollte es daher sein, neben der Erfüllung der Aktivitätsempfehlungen von 150 Minuten pro Woche körperlicher Aktivität möglichst häufig sitzende Tätigkeiten zu unterbrechen.


#

Cases of diabetes mellitus type 2 (T2DM) are rising worldwide. Growing inactivity and an increasing sedentary lifestyle raise the risk of developing T2DM. Physical activity and exercise contribute to a reduction of overweight (which is associated with T2DM). Moreover, studies show that physical activity and exercise decrease the incidence of diabetes. Independantly, sedentariness increases the risk to develop T2DM. Sitting for longer periods of time is associated i. a. with an elevated 2-h-plasma glucose level. Therefore, the objective should be not only to meet the recommended amount of 150 minutes physical activity per week but also to interrupt prolonged sitting times as often as possible.


#

Der Alltag wird heute von einem scheinbaren Widerspruch dominiert. Die weit überwiegende Zeit des Tages verbringen Kinder und Erwachsene sitzend. Sie sitzen in der Schule oder bei der Arbeit und sie sitzen auch in der Freizeit, vermutlich seltener dabei lesend und häufiger vor dem Fernseher. Zugleich sind sie offenbar einer erheblichen terminlichen und psychischen Belastung ausgesetzt. Ihr Alltag ist hektisch, gekennzeichnet von der stetigen Bereitschaft, ”auf Empfang“ zu sein, im Internet oder per Mobiltelefon und in immer kürzeren Fristen qualitativ hochwertige Arbeitsergebnisse liefern zu müssen. Die Folgen sind dramatisch. Die jüngst veröffentlichten Zahlen der Deutschen Rentenversicherung berichten über einen stetigen Anstieg von psychosomatischen Erkrankungen, die zur Frühberentung führen, und weltweit nimmt die Zahl der Diabeteserkrankten vom Typ 2 zu [1] [2].

In diesem Beitrag nehmen wir das lange Sitzen und die körperliche Inaktivität in den Blick, durch die das Risiko substanziell steigt, an einem Diabetes mellitus vom Typ 2 (T2DM) zu erkranken. Boyle hat in einer jüngst veröffentlichten ökonometrischen Analyse für die USA berechnet, dass sich die jährliche T2DM-Inzidenz in der erwachsenen Bevölkerung von 8 Fällen pro 1000 Erwachsenen im Jahr 2008 mit 15 Fällen pro 1000 im Jahre 2050 nahezu verdoppeln wird [2]. Die Prävalenz der diagnostizierten und der erkrankten, aber noch nicht diagnostizierten Diabetiker, steigt in den USA im gleichen Zeitraum von 14 auf 21 %. Noch sind die Zahlen in Deutschland günstiger. Sie geben aber mit einer Prävalenz von etwa 10 % und einer unklaren Dunkelziffer an Prädiabetikern keinen Anlass dazu, sich entspannt zurück zu lehnen [3]. Diabetes ist nicht heilbar, führt zu erheblichen Komplikationen (z. B. diabetischer Fuß), vorzeitigem Sterben und verursacht in Deutschland jährliche Krankheitskosten in Milliardenhöhe. Allein die direkten Krankheitskosten stiegen von 27,8 Mrd € im Jahr 2000 um rund 50 % auf 42 Mrd € im Jahr 2007 an [4].

Prävention des Typ-2-Diabetes

Eine präventive Strategie, die das Eintreten (primordiale und primäre Prävention) in die Erkrankung verhindert, oder ist sie einmal doch eingetreten, die Prognose verbessert (sekundäre Prävention) und die Folgen lindert (tertiäre Prävention), zielt darauf ab, die Ernährung umzustellen und das Volumen an körperlich-sportlicher Aktivität zu steigern. Beide Maßnahmen reduzieren oder verhindern Übergewicht. Körperlich-sportliche Aktivität erhöht zusätzlich die Sensitivität der Muskelzellen gegenüber dem körpereigenen Insulin und greift damit in die patho-physiologischen Mechanismen der Erkrankung ein. Die Gewichtsregulation ist offenbar eine prioritäre Zielsetzung, denn das relative Risiko an einem T2DM zu erkranken steigt exponenziell mit der Zunahme an Körpergewicht. Bereits mit einem BMI, der größer als 23 kg/m2 ist, verdoppelt sich das Erkrankungsrisiko [5]. Dass die Steigerung des Volumens (Umfang × Intensität × Zeiteinheit) an körperlich-sportlicher Aktivität bei der Übergewichts- und Diabetesprävention einen zentralen Platz einnimmt, ist nicht neu. Sowohl die finnische als auch die US-amerikanische Diabetes-Präventionsstudie, in denen gezielt der Lebensstil von Prä-Diabetikern (Personen mit IGT) beeinflusst wurde, belegen übereinstimmend eine relative Senkung der Diabetes-Inzidenz um 58 % nach 3,2 bzw. 2,8 und auch im Follow up von 10 Jahren und auch eine chinesische Studie kommt zu ähnlichen Resultaten [6] [7]. Die Übergewichtsprävention durch Aktivitätssteigerung empfiehlt denn auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft in ihren Leitlinien [8]. Die Empfehlung basiert dort auf randomisiert kontrollierten Studien, und sie hat damit eine gute empirische Evidenz. Präventiv sollten Erwachsene mindestens 150 Minuten pro Woche in moderater Intensität aktiv sein. Das entspricht dem Volumen, das derzeit allen Erwachsenen unabhängig von ihrem Erkrankungsrisiko nahe gelegt wird. Patienten mit manifestem T2DM wird von der Deutschen Diabetes Gesellschaft ein Umfang von mindestens 300 Minuten pro Woche an moderat intensiver Belastung empfohlen, damit sie wirkungsvoll ihren Stoffwechsel beeinflussen [8]. Dem Volumen entspricht ein täglicher flotter Spaziergang von 45 Minuten Dauer, die auch im Tagesverlauf kumuliert werden können.

Was in den Empfehlungen seinerzeit noch außer Acht blieb, war der Bezug auf eine in der wissenschaftlichen Literatur erst in jüngster Zeit geführte Debatte. Diese wird mit Blick auf das Risiko des weit verbreiteten Alltagsverhaltens, das lange Sitzen, geführt, das inzwischen auch einen Großteil des Freizeitverhaltens von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen dominiert. Sitzen erhöht nach den vorliegenden Arbeiten das Risiko kardiovaskulär und metabolisch zu erkranken. Keine Assoziation gibt es bislang zu Krebserkrankungen. Langes Sitzen erhöht unabhängig vom Volumen der körperlich-sportlichen Aktivität das Risiko an T2DM zu erkranken. Mit anderen Worten und vereinfacht gesagt: Wer täglich stundenlang ununterbrochen sitzt, der macht den positiven Effekt körperlich-sportlicher Aktivität zu Nichte. Jede Unterbrechung des Sitzens führt dementsprechend zu einer Risikominderung, und sie trägt zusätzlich zur körperlich-sportlichen Aktivität substanziell zur Vorbeugung des T2DM bei.


#

Körperliche, sportliche Aktivität, Sport, Inaktivität, Sedentariness

Liest man einschlägige Literatur zur aktivitätsbezogenen Prävention nicht-ansteckender Erkrankungen, dann fällt eine Begriffsvielfalt für den scheinbar gleichen Sachverhalt und das identische Ziel auf: Das Leben durch mehr Bewegung aktiver zu gestalten. Gemeinhin unterscheidet die aktivitätsbezogene Gesundheitsforschung verschiedene Aktivitätstypen und -intensitäten. Kleinräumige Körperbewegungen, wie das unruhige Umherlaufen im Zimmer, bedingen bereits eine Erhöhung der Körperkerntemperatur und werden ebenso als ”Non Exercise Activity Thermogenesis“ (NEAT) bezeichnet, wie alle anderen Aktivitäten, die nicht-sportliche Aktivitäten (im Englischen: exercise) oder Sport beinhalten. Sie sind substanziell an der Gewichtsregulation beteiligt [9]. Vor allem im gerontologischen Kontext sind die ”Activities of Daily Living“ (ADL) eine weitere relevante Kategorie körperlicher Aktivität. Die niedrigste Intensität haben dabei solche Aktivitäten, die der eigenen Hygiene dienen (basic ADL). Höhere Intensitäten haben solche Aktivitäten, mit denen sich eine Person selbstständig versorgt, wie Essen zubereiten (instrumental ADL). Schließlich sind Aktivitäten, die eine höhere Mobilität auch außer Haus, wie den Besuch einer Konzert- oder Theateraufführung, ermöglichen, von noch höherer Intensität und werden als advanced ADL bezeichnet. ”Körperliche Aktivität“ gilt einmal als Oberkategorie, der sich alle bereits genannten und auch die folgenden Aktivitäten unterordnen. Dann aber wieder ist körperliche Aktivität eine Intensitätskategorie, die zu einem substanziellen energetischen Mehraufwand führt (meist ausgedrückt als Volumen und gemessen in Metabolischen Einheiten (MET) pro Zeiteinheit, beispielsweise als MET/h/w). Als Beispiel dient hier ein flotter Spaziergang in einer Geschwindigkeit von 4 km/h, dem in etwa 3 Metabolische Einheiten entsprechen. Wird dieser Spaziergang den Empfehlungen der DDG folgend, an 3 Tagen einer Woche und im Umfang von 150 Minuten praktiziert, dann ergibt dieses ein Volumen von 7,5 MET/h/w. Metabolische Einheiten wurden von einer Arbeitsgruppe der Amerikanischen Sportmedizinischen Gesellschaft um Barbara Ainsworth in die Literatur eingeführt. Ein (Standard-) MET – entspricht in einer groben Annäherung – bei Männern dem Aufwand von 3,5 ml Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht pro Minute respektive 3,15 ml × kg-1 × min-1 bei Frauen. So viel Sauerstoff wird in etwa benötigt, um aufrecht zu sitzen. Ein MET entspricht in etwa einem energetischen Aufwand von 4,2 kJ je Kilogramm Körpergewicht pro Stunde und damit in etwa dem Ruheumsatz des Körpers einer fiktiven, 75 kg schweren Durchschnittsperson. Der Ruheumsatz variiert abhängig vom Alter, dem Körpergewicht, der Körpergröße, dem Geschlecht der Person und der fettfreien Körpermasse. Standard-MET sind damit nicht geeignet, den individuellen Energieaufwand präzise zu kalkulieren. Für die Praxis der Prävention sind sie aber eine geeignete Größenordnung zur Belastungsvorgabe. Dazu haben Ainsworth und Kollegen ein Kompendium veröffentlicht, dem das metabolische Äquivalent verschiedenartiger Tätigkeiten entnommen werden, und das als Handreichung für die Empfehlungen an Patienten dienen kann [10]. Moderate körperliche Aktivitäten werden mit einem metabolischen Äquivalent von 3–6 MET kalkuliert, intensive Anstrengungen hingegen mit 6 MET und mehr. Auch für ”sportliche Aktivitäten“, einem weiteren Terminus der aktivitätsbezogenen Präventionsforschung sind die MET eine geeignete Größenordnung zur Intensitätsbestimmung. Sportliche Aktivitäten übernehmen die Bewegungsinszenierungen des Sports, ohne sich zugleich an dessen klassischen Charakteristika (Wettkampf, Rekord, formale Chancengleichheit) eng zu orientieren. Das gilt etwa, wenn 2 oder 4 Tennisspieler mit- statt gegeneinander spielen und auf das Zählen von Punkten, Spielen und Sätzen verzichten. Aufgrund seiner in aller Regel höheren Intensität zielt sportliche Aktivität häufig auch auf die Steigerung der körperlichen Fitness ab. ”Sport“ schließlich ist eine Aktivität, die unter Beachtung von Regeln in standardisierten Räumen/Settings und meist in Konkurrenz zum eigenen Rekord oder zu anderen Wettkämpfern stattfindet. Als ”körperlich inaktiv“ gilt eine Person, wenn sie ein Mindestmaß (wie etwa das oben genannte von der Deutschen Diabetes Gesellschaft empfohlene Maß von 150 Minuten moderater Intensität) an körperlich-sportlicher Aktivität vermissen lässt. In Deutschland betrifft das über 50 % der erwachsenen Bevölkerung.

In Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch hat sich für das ununterbrochene Sitzen inzwischen der terminus technicus ”sedentariness“ auch in der deutschsprachigen Literatur etabliert. Wie ”sedentariness“ allerdings real zu definieren ist und operationalisiert werden sollte, ist derzeit noch nicht abschließend entschieden und eine standardisierte Vorgabe fehlt ebenso. Werden mehraxiale Beschleunigungsmesser (Akzelerometer) zur Operationalisierung eingesetzt, dann gelten zurzeit noch verschiedene Schwellenwerte als Indiz für einen ”sedentary life style“. Häufig wird alternativ zur Echtzeitregistrierung die Zeit erfasst, die vor dem Fernseher verbracht wird. Bei diesem Indikator der sedentariness zeigt sich in einer wachsenden Zahl von Studien die unabhängige Assoziation mit kardiovaskulären und metabolischen Risiken.


#

Sedentariness: Das vernachlässigte Risiko

Healy et al. haben bei einem Kollektiv von Erwachsenen der ”Australian Diabetes Study“ die Dauer gering intensiver, moderat bis hoch intensiver Aktivitäten und die Zeit, die sitzend verbracht wird, summiert [11]. Im Durchschnitt saßen die Studienteilnehmer 9,3 Stunden pro Tag und damit 60 % des Tages. Das wäre an sich noch nicht aufregend, wenn das lange Sitzen nicht zu substanziellen Risikoerhöhungen führte. So zeigt die Arbeitsgruppe um Healy, dass die sitzend verbrachte Zeit positiv mit dem 2-Stunden-Plasma-Glukosespiegel assoziiert ist. Gering intensive körperliche Belastungen und moderate bis hoch intensive Belastungen sind dagegen negativ mit dem Resultat des OGT assoziiert. Eine Studie aus der englischen Grafschaft Norfolk an 13 197 Männern und Frauen im Durchschnittalter von 61,5 (SD = 9,0) Jahren fördert zu Tage, dass jede Stunde, die länger vor dem Fernseher verbracht wird, das Risiko des vorzeitigen Sterbens statistisch bedeutsam erhöht (für die Gesamtsterblichkeit: HR = 1,04, 95 % CI = 1,01–1,09; 1270 Tode und für die kardiovaskuläre Sterblichkeit HR = 1,07, 95 % CI = 1,01–1,15; 373 Tode) [12]. Die Daten wurden multivariat adjustiert. Verglich man die Personen, die am kürzesten vor dem Fernseher saßen, mit jenen, die am längsten davor saßen, dann errechnete sich in dieser Studie ein populations-attributables Risiko der sedentariness von 5,4 % für die Gesamtsterblichkeit.

Weitere Arbeiten zeigen, dass mit jeder relativen Abnahme des Fernsehkonsums eine Verbesserung gesundheitlich bedeutsamer Surrogatparameter einhergeht (niedrigerer 2-Stunden-Plasma-Glukosespiegel, niedrigerer BMI, niedrigerer Bauchumfang, günstigere Triglyzerid-Werte). In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit von Swartz et al. an 20 Männern und Frauen im Alter von 18 bis 39 Jahren demonstrieren die Autoren in einem interessanten experimentellen Zugang, dass selbst kurze Unterbrechungen, anschließend an eine 30-minütige Sitzepisode, den Energiebedarf substanziell erhöhen [13]. In diesem Experiment unterbrachen die Probanden das Sitzen alle 30 Minuten für 1 oder 3 oder 5 Minuten. Während der Unterbrechung gingen sie in einem selbst gewählten Tempo umher. Nach jeweils 30 Minuten Sitzen aufstehen und 1 Minute, besser noch 5 Minuten umhergehen, reduziert die jährliche Zunahme an Körpergewicht. Einmal unterstellt – so die Autoren – die Ernährung und der sonstige Lebensstil blieben konstant, würde eine 1-, 3-, 5-minütige Unterbrechung alle 30 Minuten 24 kcal, 59 kcal oder 132 kcal pro Achtstundentag an zusätzlichem Netto-Energieaufwand bedeuten und damit circa 4 kg im Jahr an Körpergewicht einsparen.

Die statistische Assoziation des TV-Konsums mit dem Körpergewicht ist bereits früher, in einer Arbeit von Shields und Tremblay an Daten von 42 612 Teilnehmern des kanadischen Community Health Survey aufgefallen [14]. In der Gruppe der Personen, die 21 Stunden und mehr pro Woche vor dem Fernseher zubrachten, war ein Viertel der Frauen und Männer adipös. In der Gruppe, die 5 und weniger Stunden fernsah, waren es lediglich 14 % der Männer und 11 % der Frauen. Wenn die Autoren die Ernährungsgewohnheiten und das Volumen der körperlichen Aktivität in der Freizeit statistisch kontrollierten (multivariate Adjustierung), blieb auch hier der risikosteigernde Effekt des Sitzens bestehen. Und eine weitere Arbeit, die auf das Risiko des Sitzens verweist, sei noch angeführt. Helmink et al. machen auf einen Sachverhalt aufmerksam, der die Bereitschaft von Prä-Diabetikern und Diabetikern entscheidend beeinflusst, einen riskanten Lebensstil zu ändern [15]. Erneut waren in dieser Arbeit jene, die ein höheres Körpergewicht hatten, auch jene, die längere Zeit am Tag saßen. Aber sie waren auch jene, die stärker motiviert waren, ihre Gewohnheiten zu ändern. Ursache könnte hier ein größerer ”Leidensdruck“ sein. Das aber ist spekulativ. Die betroffenen Probanden waren allerdings in einem geringerem Maß davon überzeugt, Barrieren überwinden und aktiv werden zu können (Selbstwirksamkeit). Sie trauten sich die geforderte oder erforderliche Aktivität also nicht zu. Die gesundheitspsychologische Forschung hat eine Fülle von Befunden gesammelt, die allesamt und mit hoher Übereinstimmung zeigen, dass eine Verhaltensänderung maßgeblich von der Selbstwirksamkeitsüberzeugung beeinflusst wird. Personen müssen nicht nur wünschen, ein Verhalten zu ändern, sie müssen auch überzeugt sein, dass das präventive Verhalten ihnen nützt und den Aufwand lohnt. Sie müssen es aber auch unbedingt wollen und sie müssen es sich vor allem auch zutrauen. Geringe Selbstwirksamkeit hindert Personen quasi ”innerpsychisch“ an der Verhaltensänderung.


#

Empfehlungen für die primäre und sekundäre Prävention

Der wachsende Umfang an wissenschaftlichen Arbeiten zu ”sedentariness“ und deren Folgen lässt bereits heute die dringende Empfehlung zu (neben der Umstellung der Ernährung und dem von der Deutschen Diabetes Gesellschaft vorgegebene Volumen an körperlich-sportlicher Aktivität zu erzielen), die Dauer des täglichen Sitzens deutlich zu reduzieren. In der [Abbildung 1] sind die Empfehlungen für die Aktivität und sedentariness illustriert.

Mit dem (absoluten) Maß für die Intensität einer körperlichen Aktivität und dem Kompendium von Ainsworth und Kollegen haben niedergelassene Diabetologen und Allgemeinärzte eine brauchbare Orientierung, um ihren Patienten zielgerichtet Empfehlungen für eine Änderung ihres Lebensstils zu geben [10]. Moderat aktiv sein und das lange Sitzen meiden, das heißt im Alltag vor allem auch, jede nur denkbare Gelegenheit zu nutzen um Aufzustehen (etwa beim Telefonieren), Umherzugehen (etwa um etwas aus dem Drucker zu holen) und in selbstbestimmtem Tempo (etwa zur Mittagspause) eine – wenn auch nur kurze – Strecke zu gehen. Man muss also gar nicht unbedingt in einem hohen Volumen Sport treiben. Jede noch so kleine Einheit an körperlicher Aktivität und jede noch so kleine Unterbrechung des Sitzens lohnen den minimalen Aufwand.

Autorenerklärung

Die Autoren erklären, dass für diesen Artikel keine Interessenkonflikte bestehen.

Zoom Image
Abb. 1 Aktivitätsempfehlungen.

#
#
  • Literatur

  • 1 Dannenberg A, Hofmann J, Kaldybajewa K, Kruse E. Rentenzugang 2009: Weiterer Anstieg der Zugänge in Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen. RV aktuell 2010; 9: 282-293
  • 2 Boyle JP, Thompson TJ, Gregg EW, Barker LE, Williamson DF. Projection of the year 2050 burden of diabetes in the US adult population: dynamic modeling of incidence, mortality, and prediabetes prevalence. Population Health Metrics 2010; 8: 29-41
  • 3 Hauner H. Diabetesepidemie und Dunkelziffer. In: diabetesDE, Hrsg. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2011. Mainz: Kirchheim + Co; 2011: 8-13
  • 4 Köster I, Huppertz E, Hauner H, Schubert I. Direct costs of diabetes mellitus in Germany - CoDiM 2000-2007. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2011; 119: 377-385
  • 5 Hu FB, Manson JE, Stampfer MJ et al. Diet, lifestyle, and risk of type 2 diabetes mellitus in women. N Engl J Med 2001; 345: 790-797
  • 6 Lindstrom J, Ilanne-Parikka P, Peltonen M et al. Sustained reduction in the incidence of type 2 diabetes by lifestyle intervention: follow-up of the Finnish Diabetes Prevention Study. Lancet 2006; 368: 1673-1679
  • 7 Diabetes Prevention Program Research Group. 10-year follow-up of diabetes incidence and weight loss in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Lancet 2006; 374: 1677-1686
  • 8 Scherbaum WA, Haak T Hrsg. Körperliche Aktivität und Diabetes mellitus: Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Deutsche Diabetes Gesellschaft 2008;
  • 9 Levine JA. Nonexercise activity thermogenesis-liberating the life-force. J Intern Med 2007; 262: 273-287
  • 10 Ainsworth BE, Haskell WL, Herrmann SD et al. Compendium of Physical Activities: a second update of codes and MET values. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1575-1581
  • 11 Healy GN, Wijndaele K, Dunstan DW et al. Objectively-measured sedentary time, physical activity and metabolic risk: the Aus Diabstudy. Diabetes Care 2008; 31: 369-371
  • 12 Wijndaele K, Brage S, Besson H et al. Television viewing time independently predicts all-cause and cardiovascular mortality: the EPIC Norfolk Study. Int J Epidemiol 2011; 40: 150-159
  • 13 Swartz A, Squires L, Strath SJ. Energy expenditure of interruptions to sedentary behavior. Int J Behav Nutr Phys Act 2011; 8: 69-69
  • 14 Shields M, Tremblay MS. Sedentary behaviour and obesity. Health Reports 2008; 19: 19-30
  • 15 Helmink J, Kremers SPJ, van Brussel-Visser FM, de Vries NK. Sitting time and body mass index in diabetics and pre-diabetics willing to participate in a lifestyle intervention. Int J Environ Res Public Health 2011; 8: 3747-3758

Korrespondenz

Prof. Dr. Wolfgang Schlicht
Universität Stuttgart Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft Lehrstuhl Sport- und Gesundheitswissenschaften I
Allmandring 28
70569 Stuttgart

  • Literatur

  • 1 Dannenberg A, Hofmann J, Kaldybajewa K, Kruse E. Rentenzugang 2009: Weiterer Anstieg der Zugänge in Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen. RV aktuell 2010; 9: 282-293
  • 2 Boyle JP, Thompson TJ, Gregg EW, Barker LE, Williamson DF. Projection of the year 2050 burden of diabetes in the US adult population: dynamic modeling of incidence, mortality, and prediabetes prevalence. Population Health Metrics 2010; 8: 29-41
  • 3 Hauner H. Diabetesepidemie und Dunkelziffer. In: diabetesDE, Hrsg. Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2011. Mainz: Kirchheim + Co; 2011: 8-13
  • 4 Köster I, Huppertz E, Hauner H, Schubert I. Direct costs of diabetes mellitus in Germany - CoDiM 2000-2007. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2011; 119: 377-385
  • 5 Hu FB, Manson JE, Stampfer MJ et al. Diet, lifestyle, and risk of type 2 diabetes mellitus in women. N Engl J Med 2001; 345: 790-797
  • 6 Lindstrom J, Ilanne-Parikka P, Peltonen M et al. Sustained reduction in the incidence of type 2 diabetes by lifestyle intervention: follow-up of the Finnish Diabetes Prevention Study. Lancet 2006; 368: 1673-1679
  • 7 Diabetes Prevention Program Research Group. 10-year follow-up of diabetes incidence and weight loss in the Diabetes Prevention Program Outcomes Study. Lancet 2006; 374: 1677-1686
  • 8 Scherbaum WA, Haak T Hrsg. Körperliche Aktivität und Diabetes mellitus: Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Deutsche Diabetes Gesellschaft 2008;
  • 9 Levine JA. Nonexercise activity thermogenesis-liberating the life-force. J Intern Med 2007; 262: 273-287
  • 10 Ainsworth BE, Haskell WL, Herrmann SD et al. Compendium of Physical Activities: a second update of codes and MET values. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1575-1581
  • 11 Healy GN, Wijndaele K, Dunstan DW et al. Objectively-measured sedentary time, physical activity and metabolic risk: the Aus Diabstudy. Diabetes Care 2008; 31: 369-371
  • 12 Wijndaele K, Brage S, Besson H et al. Television viewing time independently predicts all-cause and cardiovascular mortality: the EPIC Norfolk Study. Int J Epidemiol 2011; 40: 150-159
  • 13 Swartz A, Squires L, Strath SJ. Energy expenditure of interruptions to sedentary behavior. Int J Behav Nutr Phys Act 2011; 8: 69-69
  • 14 Shields M, Tremblay MS. Sedentary behaviour and obesity. Health Reports 2008; 19: 19-30
  • 15 Helmink J, Kremers SPJ, van Brussel-Visser FM, de Vries NK. Sitting time and body mass index in diabetics and pre-diabetics willing to participate in a lifestyle intervention. Int J Environ Res Public Health 2011; 8: 3747-3758

Zoom Image
Abb. 1 Aktivitätsempfehlungen.