Z Orthop Unfall 2011; 149(06): 615-616
DOI: 10.1055/s-0031-1299613
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Missverständnisse – Vier Ohren hat der Mensch

Manfred Niedermeyer
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Publication Date:
20 December 2011 (online)

 
 

Missverständnisse sind normal. Mit Missverständnissen umgehen kann man lernen. Schulz von Thun hat uns dafür mit seinem 4-Ohren-Modell ein Modell an die Hand gegeben, das wir von dem folgenden Mini-Dialog ausgehend erläutern werden.

Arzt zum Pfleger (sachlich):
"Der Verband ist nicht fest genug."

Pfleger (aufgebracht):
"Meinen Sie, ich arbeite nachlässig?"

Kennen Sie das? Häufig kommt unsere Botschaft beim Gesprächspartner nicht so an, wie wir es gemeint haben. Der Pfleger empfindet Ihre sachlich vorgebrachte Information als Vorwurf und Kritik. Das Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun erklärt, wie es dazu kommt.

Laut Schulz von Thun hat jeder Mensch vier Ohren [ 1 ]. Und jedes Ohr analysiert und interpretiert das Gehörte unter einem besonderen "Blickwinkel":

  • Sachohr: sucht nach den Informationen (Sachebene)

  • Selbstkundgabeohr: sucht nach Informationen über den Sprechenden (Wie ist der Sprecher heute drauf?)

  • Beziehungsohr: analysiert das Gesagte unter der Perspektive (Wie steht der Sprecher zu mir? Was hält er von mir?)

  • Appellohr: Vermutet hinter Aussagen eine Aufforderung (Was soll ich jetzt tun?)

Das Sachohr

Es filtert die Information aus der Botschaft. Kriterien sind: Relevanz, Richtigkeit und Aktualität. In unserem Beispiel versteht das Sachohr: "Der Verband ist zu locker." Aber das Sachohr leitet aus dieser Information keine Anweisung zum Handeln ab. Dann müsste der Arzt ergänzen: "Bitte legen Sie den Verband noch einmal an." Der Arzt mag die Information über den lockeren Verband auch als Aufforderung gemeint haben. Aber: Gemeint ist nicht gesagt. Und schon ist ein Missverständnis entstanden.

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(Foto: Photodisk)

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Das Selbstkundgabeohr

Es ist hellhörig hinsichtlich der aktuellen Gefühlslage des Gesprächspartners: Wie ist mein Gesprächspartner heute drauf? Diese Fragen versucht das Selbstkundgabe-Ohr aus dem Gesagten heraus zu hören. Das Selbstkundgabe-Ohr versteht unser Beispiel so: "Der Herr Doktor hat Stress daheim."


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Das Beziehungsohr

Es lauscht nach der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern: Was hält mein Chef / Kollege / Patient von mir? Wie steht er zu mir? Nuancen in Tonfall, Mimik und Gestik analysiert das Beziehungs-Ohr unter dieser Frage. In unserem Beispiel könnte dann die Interpretation des Gesagten lauten: "Mein Gesprächspartner mag mich nicht."


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Das Appell-Ohr

Es ist auf mögliche Anordnungen gebrieft, die in einer Aussage sein können. "Was soll ich jetzt tun?" lautet die Frage. Es wird unser Beispiel übersetzen mit: "Legen Sie einen neuen Verband an!"

Jeder Mensch hat diese vier Ohren. Allerdings sind die vier Ohren in ihren Größen individuell ausgeprägt. Jeder versteht das Gleiche anders. Der eine hört beispielsweise eher auf dem Appell-Ohr, während andere auf diesem Ohr schwerhörig sind und dafür Botschaften mehr auf der Beziehungsebene hinterfragen. So kommt es zu Missverständnissen. Denn wir gehen davon aus, dass unser Gesprächspartner dasselbe Hörverstehen hat. Wie oft hören wir den Satz: "Das habe ich doch gar nicht so gemeint?…"


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Missverständnisse vermeinden

Nun haben wir einen immer fließenden Quell von Missverständnissen beschrieben. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Wenn wir einen Grund für das Auftreten von Missverständnissen kennen, dann können Missverständnisse auch besser vermeiden.

Dazu 4 Tipps:

  1. Achten Sie auf die Kongruenz von Botschaft und Körpersprache. Ein Lächeln oder ein freundlicher Blick nehmen viel Schärfe aus dem Gesagten. Das steigert die Chance, dass Ihr Gesprächspartner den gut gemeinten Ratschlag auch als solchen wahrnimmt.

  2. Kommentieren Sie Ihre Aussage auf der Meta-Ebene. Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen. Um in unserem Beispiel zu bleiben, könnten wir dazu setzen: "Das meine ich übrigens nicht als Kritik. Das ist einfach ein kollegialer Tipp." Vielleicht erinnern Sie sich an unseren Artikel in der Vorgängerausgabe. Dort haben wir "Metakommunikation" genauer beschrieben.

  3. Achten Sie auf die Reaktionen Ihres Gegenübers. Seien Sie emphatisch. So banal das klingt, so ist es im Getümmel und Zeitdruck des klinischen Alltags doch nicht selbstverständlich.

  4. Hilfreich ist es, wenn Sie eine Vorstellung von Ihrem Kommunikations-Stil haben. Ein souveränes und klares Selbstbild hilft: Sind Sie eher der direkte oder der indirekte Kommunikations-Typ? Wann haben Sie sich und andere das letzte Mal danach gefragt, wie Sie im Gespräch auf andere Menschen wirken?

Das Vier-Ohren-Modell ist einfach. Es ist plausibel. Schulz von Thun reduziert komplexe semantische und paralinguistische Prozesse auf die Metapher der vier Ohren. Hier ist nicht die Rede von Konnotationen und konversationellen Implikaturen nach Grice. Schulz von Thun macht das einfach und theoretisch unbelastet. Gebrauchsfertig für Beruf und Alltag.

So manch einer wird sich beim Lesen dieser Zeilen sagen: Für so was habe ich keine Zeit und auch keinen Kopf. Akzeptiert. Aber glauben Sie uns: Alles, was Sie an Zeit und Energie investieren, um proaktiv Missverständnisse zu vermeiden, bekommen Sie mehrfach zurück! Missverständnisse sind schnell passiert; aber schwer repariert. Wenn der Wurm drin ist, kriegt er Kinder. Soziale Reparaturarbeit ist kraft- und zeitraubend.

Bauen Sie bewährte Kommunikations-Techniken in Ihren Arbeitsalltag ein. Unterm Strich sparen Sie Zeit und Kraft.


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