Pneumologie 2011; 65(10): 582-586
DOI: 10.1055/s-0031-1292613
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Public Health - Lungenfunktionsmessung bei öffentlichen Veranstaltungen

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Publication Date:
24 October 2011 (online)

 
 

Atemwegs- und Lungenkrankheiten haben häufig einen symptomarmen und wechselnden Verlauf, sodass eine ärztliche Beratung oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium in Anspruch genommen wird. Selbst bei einem beunruhigenden Symptom wie Belastungsdyspnoe werden Alter, Konditionsschwäche oder Tabakkonsum als Selbsterklärung herangezogen. Eine kostenlose Lungenfunktionsmessung im Rahmen eines Gesundheitstages oder des Lungentages ist daher eine attraktive Möglichkeit, sich selbst ohne Arztbesuch zu testen.

Methode

Die European Lung Foundation (ELF) hat einen Fragebogen zur Dokumentation der Lungenfunktion und Erfassung von Atemwegsbeschwerden erarbeitet. Die Deutsche Atemwegsliga hat den Fragenbogen aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt (http://www.atemwegsliga.de/contao/preview.php?site=presse/articles/presse.html). Im Rahmen der Veranstaltungen des Deutschen Lungentages 2010 wurde dieser Fragebogen den Veranstaltern auf Wunsch zur Verfügung gestellt. Es handelte sich um Bögen mit Durchschlag: Die erste Seite sollte an das Sekretariat des Deutschen Lungentages geschickt werden, der Durchschlag war für den Patienten bzw. zur Weitergabe an den behandelnden Arzt bestimmt.

Erfasst wurden u. a. Alter, Geschlecht, Nichtraucher/Ex-Raucher/Raucher, Symptome (Husten, Auswurf, Atemnot), bestehende bzw. anamnestisch bekannte Lungen- und Atemwegserkrankungen, die Einsekundenkapazität (FEV1) und die Vitalkapazität (VC). Die Untersucher sollten ankreuzen, ob die gemessenen Werte altersentsprechend oder auffällig waren.

Bei der Auswertung erfolgte die Berechnung der Normwerte für die FEV1 und VC bzw. die Einstufung eines Messwertes als pathologisch oder nicht pathologisch auf Grundlage der Regressionsgleichungen, die in den Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zu Spirometrie angegeben sind [1].

In einigen Fällen war vom Untersucher nicht dokumentiert, ob die inspirative Vitalkapazität (IVC) oder die forcierte Vitalkapazität (FVC) gemessen worden war. In 61 dieser Fälle hätte das Messergebnis bei Messung der FVC, nicht aber bei Messung der IVC noch im Normbereich gelegen. Diese Ergebnisse wurden als "unklar" klassifiziert. FEV1-Angaben über 150 % der Norm - insgesamt 19 - wurden als offensichtliche Fehleintragungen von der Auswertung ausgeschlossen.

Da Kinder und Jugendliche sich im Wachstum befinden und auch die Größe der Lunge und der Atemwege zunimmt, sind die Referenzwerte für Erwachsene nicht einfach übertragbar [2]. Deshalb wurden nur die bei Erwachsenen durchgeführten Messergebnisse ausgewertet.


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Ergebnisse

Die Untersuchungen erfolgten während Veranstaltungen des 13. Deutschen Lungentages am 02.10.2010. Insgesamt wurden 2143 Bögen an das Sekretariat zurückgeschickt. Das mittlere Alter der Teilnehmer betrug 56,1 (± 20,7) Jahre. Etwa die Hälfte der Teilnehmer war 60-80 Jahre alt. Insgesamt nahmen mehr Frauen als Männer teil (57,3 vs. 42,7 %).

Die Nichtraucher dominierten (61 % der Teilnehmer), es kamen aber auch viele Ex-Raucher (26 %). 13 % der Teilnehmer waren Raucher. Das Durchschnittsalter der Ex-Raucher betrug 60,5 (± 16,0) Jahre, das der Nichtraucher 56,1 (± 21,9) Jahre und das der Raucher 47,7 (± 17,5) Jahre.

Insgesamt wurden 2143 Spirometrien durchgeführt. Dokumentiert wurden 1572 FEV1- und 1545 VC-Messungen. 141Messungen wurden an Kindern, 1977 an Erwachsenen durchgeführt, 25 waren ohne Altersangabe.

Die FEV1 war bei 22 % der Ex-Raucher, bei 18 % der Raucher und bei 13 % der Nichtraucher auffällig. Die VC wurde bei 21 % der Exraucher, 15 % der Raucher und 11 % der Nichtraucher als pathologisch eingestuft.

Atemnot bei unterschiedlich starker Belastung gaben 71 % der Ex-Raucher, 63 % der Nichtraucher und 61 % der Raucher an. Bei Ex-Rauchern trat Atemnot bei geringer Belastung häufiger auf als in den anderen Gruppen: Atemnot Stufe 5 (beim An- und Auskleiden) bejahten 2 % der Raucher, 4 % der Nichtraucher und 9 % der Ex-Raucher (Abb. [1]). Zu berücksichtigen ist, dass die Gruppe der Raucher insgesamt klein war (13 % aller Teilnehmer). Atemnot wurde mit zunehmendem Alter häufiger und in höherer Ausprägung beobachtet (Abb. [2]).

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Abb. 1 Atemnot und Rauchverhalten.
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Abb. 2 Atemnot in unterschiedlicher Ausprägung in Abhängigkeit vom Alter der Teilnehmer.

Häufigen Husten nannten 35 % der Raucher, 31 % der Nichtraucher und 28 % der Ex-Raucher. Husten und Auswurf lag bei 26 % der Ex-Raucher, 22 % der Raucher und 19 % der Nichtraucher vor. Wenn Husten und Auswurf bejaht wurden, war die FEV1 in 30 % der Fälle auffällig. Lagen weder Husten noch Auswurf vor, wurde nur bei 13 % der Teilnehmer eine auffällige FEV1 gemessen.

Abb. [3] zeigt den Zusammenhang zwischen Atemnot bei unterschiedlicher Belastung und FEV1: Die FEV1 war nur bei 6 % der Teilnehmer auffällig, wenn Atemnot verneint wurde, jedoch bei 44 % der Teilnehmer, die Atemnot Stufe 4 (Atemnot beim Gehen mit Gleichaltrigen) angaben bzw. bei 35 %, die Atemnot Stufe 5 (Atemnot beim An- und Auskleiden) angaben.

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Abb. 3 Schweregrad Atemnot / FEV1.

Knapp ein Viertel der Teilnehmer (22,3 %) gab an, dass eine Lungenerkrankung bereits bekannt sei, ca. 6 % machten keine Angaben. Die häufigsten angegebenen Diagnosen waren Asthma (37,7 %) und COPD (29,2 %). Bei 11 % der Teilnehmer, bei denen keine Lungenerkrankung bekannt war, und bei 13 %, die keine Angaben machten, wurde eine auffällige FEV1 gemessen (Abb. [4]). Die VC war bei je 11 % auffällig, bei 4 % war die VC-Messung unklar. Andererseits waren die FEV1 bei 68 % und die VC bei 75 % der Messungen normal, obwohl das Vorhandensein einer Lungenerkrankung bejaht wurde.

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Abb. 4 Derzeit bestehende Lungenerkrankung und FEV1.

Die Untersucher sollten die Messergebnisse als auffällig oder unauffällig einstufen. Diese Beurteilung erfolgte in 27,2 % der Fälle nicht. Wenn unauffällig angekreuzt wurde, lag rechnerisch in 1,5 % der Fälle ein pathologischer FEV1-Wert vor. Wenn auffällig angekreuzt war, war der Wert jedoch in 46,5 % der Fälle rechnerisch im Normbereich.


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Diskussion

Die Auswertung zeigt, dass das Angebot der öffentlichen Lungenfunktionsmessung in erster Linie von älteren Menschen in Anspruch genommen wird. Jüngere werden weniger erreicht. Über die Ursachen können nur Vermutungen angestellt werden - naheliegend sind Zeitprobleme durch Beruf und Familie.

Bei etwa einem Viertel der Teilnehmer ist bereits eine Lungenerkrankung diagnostiziert. Diese Teilnehmer nutzen das Angebot, um die Messergebnisse ihres Arztes überprüfen zu lassen oder um eine Zwischenmessung zu erhalten. Das Beratungsangebot wird auch genutzt, um sich die Messung oder die verordnete Therapie erklären zu lassen. Dieser Beratungsbedarf der Patienten kann in der Praxis offensichtlich nicht befriedigt werden.

Zum Lungentag kamen mehr Ex-Raucher als Raucher. Ex-Raucher haben das Rauchen oft aufgrund von Beschwerden bereits aufgegeben und suchen eine positive Bestätigung ihres geänderten Verhaltens. Auffällig ist der hohe Anteil Nichtraucher. Frauen nutzen diese Veranstaltungen häufiger als Männer. Bei den Veranstaltungen vor Ort entsteht der Eindruck, dass Frauen meist ihren Partner mitbringen. Oft handelt es sich um gesundheitsbewusste Menschen, die sich den guten Gesundheitszustand bestätigen lassen möchten.

Demgegenüber kommen relativ wenige Raucher zu den Messungen. Eine Ursache könnte die Angst vor schlechten Testergebnissen sein. Auch um ein kritisches Nachdenken über die eigenen Rauchgewohnheiten zu vermeiden, könnten Raucher die Veranstaltung meiden. Dies gilt v. a. dann, wenn schon offensichtliche Probleme bestehen und man nicht mit einer etwaigen Schädigung konfrontiert werden will. Auffällig ist, dass die Raucher durchschnittlich jünger sind als die Ex- oder Nichtraucher. Dies könnte darauf hinweisen, dass jüngere Raucher den Test missbrauchen, um sich bei unauffälliger Lungenfunktion einzureden, dass noch alles in Ordnung sei und weitergeraucht werden könne. Hier muss die Beratung entschieden entgegenwirken.

Über 60 % der Teilnehmer an der Spirometrie waren symptomatisch (Belastungsdyspnoe) und hatten somit einen besonderen Grund, die Lungenfunktionsprüfung mitzumachen. Tatsächlich war bei den Teilnehmern, bei denen noch keine Lungenerkrankung bekannt war, in 10 % der Fälle die Lungenfunktionsprüfung pathologisch. So wurden immerhin 10 % aller Teilnehmer eine Kontrolle in der Arztpraxis angeraten, um eine etwaige Erkrankung zu diagnostizieren. Natürlich könnte es sein, dass die Qualität der öffentlichen Spirometriemessung bei großem Andrang und hektischer Umgebung nicht optimal ist und dass bei korrekter Wiederholung in der Arztpraxis ein Normalbefund erhoben wird. Bei den meisten dieser 10 % wird aber sicherlich der pathologische Befund bestätigt werden. So können vorher nicht diagnostizierte Krankheiten erkannt und dann natürlich behandelt werden, sodass das Symptom Dyspnoe gelindert werden kann.

Kritisch fällt auf, dass bei 1,5 % der Teilnehmer eine pathologische FEV1 vorlag, die aber von den Beratern als unauffällig befundet wurde. Hier muss das Beratungspersonal für solche öffentliche Messungen besser geschult werden. Ein weiteres Problem ist, dass in 46,5 % ein Normalwert als auffällig angekreuzt wurde. Dies liegt daran, dass in den verwendeten Spirometern nicht der untere Grenzwert (5 %-Perzentile) angegeben wird. So ist der Arzt darauf angewiesen abzuschätzen, ob die Messung pathologisch ist oder nicht. Hier sollte die Forderung an die Techniker der Spirometriegeräte-Hersteller gehen, den unteren Grenzwert nach den bekannten Formeln als Software einzuarbeiten.

Manche halten Lungenfunktionsuntersuchungen bei öffentlichen Veranstaltungen für kontraproduktiv, da bei symptomlosen Teilnehmern weder nachgewiesen ist, dass das Rauchen eingestellt wird, noch nachgewiesen ist, dass eine hierdurch erkannte COPD durch medikamentöse Therapie in ihrem Verlauf verbessert wird. Natürlich ersetzt die Spirometrie nicht ein Raucherentwöhnungsprogramm, und natürlich muss eine asymptomatische COPD nicht medikamentös therapiert werden. Die Spirometrie kann aber durchaus darauf hinweisen, dass Symptome wie Dyspnoe aufgrund von Lungenerkrankungen (obstruktive Atemwegserkrankung, Lungengerüsterkrankungen etc.) verursacht sein können, sodass der Weg zu einer Diagnose aufgezeigt wird.

Zusammenfassend fand sich bei einer Dyspnoe-Symptomatik von 60 % der Teilnehmer bei 10 % eine pathologische Lungenfunktion, die möglicherweise zu einer Erstdiagnose und Therapie von Atemwegs- und Lungenerkrankungen führt. Auf jeden Fall führt die Beschäftigung der Bevölkerung mit dem Organ Lunge und seinen Atemwegen zu dessen vermehrter Wahrnehmung - wobei die Hoffnung besteht, dass dieses Organ dann auch pfleglich behandelt wird.

Deutsche Atemwegsliga e.V.
Dr. Uta Butt, Kreuztal
Prof. Carl-Peter Criée, Bovenden-Lenglern


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  • Literatur

  • 1 Criée CP et al. Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zur Spirometrie. Eine Einführung in die molekulare und zelluläre Grundprinzipien der Immunreaktion. 5.. Aufl. Oberhaching: Dustri-Verlag; 2006
  • 2 Berdel D et al. Erhebung von Lungenfunktionsormalwerten (Spirometrie) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Die LUNOKID-Studie. . Atemw Lungenkrkh 2010; 36: 395-404

  • Literatur

  • 1 Criée CP et al. Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga zur Spirometrie. Eine Einführung in die molekulare und zelluläre Grundprinzipien der Immunreaktion. 5.. Aufl. Oberhaching: Dustri-Verlag; 2006
  • 2 Berdel D et al. Erhebung von Lungenfunktionsormalwerten (Spirometrie) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Die LUNOKID-Studie. . Atemw Lungenkrkh 2010; 36: 395-404

 
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Abb. 1 Atemnot und Rauchverhalten.
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Abb. 2 Atemnot in unterschiedlicher Ausprägung in Abhängigkeit vom Alter der Teilnehmer.
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Abb. 3 Schweregrad Atemnot / FEV1.
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Abb. 4 Derzeit bestehende Lungenerkrankung und FEV1.