Pneumologie 2011; 65(10): 578
DOI: 10.1055/s-0031-1292609
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chronisch entzündliche Atemwegserkrankungen - Vermehrter Harnverhalt unter Anticholinergika

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Publication Date:
24 October 2011 (online)

 
 

    Inhalative Anticholinergika werden oft zusätzlich eingesetzt, wenn eine Standardtherapie bei chronisch entzündlichen Atemwegserkrankungen unzureichend anschlägt. Aufgrund der substanzspezifischen Pharmakologie muss dann mit vermehrten Episoden eines akuten Harnverhalts gerechnet werden. A. Stephenson et al. haben das Risiko für einen vermehrten Harnverhalt bei älteren Patienten in einer Fall-Kontroll-Studie untersucht.
    Arch Intern Med 2011; 171: 914-920

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    Die vorliegende Studie zeigt, dass das Risiko für einen akuten Harnverhalt unter einer Therapie mit inhalativen Anticholinergika steigt (Bild: PhotoDisc.)

    Die adjuvante Therapie mit inhalativen Anticholinergika bei Patienten mit chronisch entzündlicher Atemwegserkrankung (COPD) kann in definierten Situationen das Risiko eines akuten Harnverhalts fast verdoppeln.

    Die Autoren konnten die Daten eines kanadischen Registers (Ontario Health Care Databases) nutzen, um das Risiko für einen akuten Harnverhalt zu differenzieren. Im Rahmen der Fall-Kontroll-Studie registrierten die Autoren von 2003- 2009 alle Episoden bei COPD-Patienten (≥ 66 Jahre), bei denen keine renalen Risiken bestanden. Es wurde geprüft, ob eine akute oder eine chronische Anticholinergika-Medikation bestand und welche Zusatzrisiken vorlagen. Dazu zählten die Autoren eine Prostatahypertrophie, urologische oder neurologische Erkrankungen und Diabetes. Die Kontrollgruppen bildeten die Forscher aus dem gleichen Register durch statistische Adjustierung.

    Bei den insgesamt erfassten 565 073 COPD-Patienten entwickelte sich im Laufe der Beobachtungszeit bei 9432 Männern und 1806 Frauen ein akuter Harnverhalt. Nur bei Männern konnte die Anticholinergika-Medikation als statistisch signifikantes Risiko identifiziert werden. Der akute Einsatz dieser Medikamentengruppe steigerte bei Männern das Risiko um 42 % (adj. Odds Ratio [OR] 1,42; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,20-1,68). Bei zusätzlicher Prostatahypertrophie vergrößerte sich das Risiko um 81 % (OR 1,81; 95 %-KI 1,46-2,24). Als noch ungünstiger erwies sich die Kombination einer kurz- und langwirksamen Anticholinergika-Therapie, da diese das Risiko um 84 % (OR 1,84; 95 %-KI 1,25-2,71) steigerte. Die anderen erfassten Risiken interferierten nicht mit dem Anticholinergika-assoziierten Risiko.

    Fazit

    Nach Ansicht der Autoren sollten Patienten, die eine inhalative Anticholinergika-Therapie erhalten, engmaschig auf die Anzeichen eines akuten Harnverhalts überwacht werden. Diese Patienten müssten besonders zu Therapiebeginn und bei Prostatahypertrophie über Warnsymptome aufgeklärt werden. Die Indikation müsse entsprechend streng gestellt werden.

    Kommentar zur Studie

    In ihren Anmerkungen sehen S. Singh und C. D. Furberg die Studienergebnisse im Kontext anderer Untersuchungen, die auf gravierende Nebenwirkungen der Anticholinergika-Therapie hinweisen. Metaanalysen belegen ein bis zu 10-fach erhöhtes Risiko für Harnverhalte, wenn auch Hochrisikopatienten (z. B. Niereninsuffiziente) behandelt werden. Außerdem gebe es Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und ein gesteigertes Mortalitätsrisiko bei der inhalativen Anwendung von Anticholinergika bei fortgeschrittener COPD. Da die Indikation für diese Medikamente oft zwingend ist, ergebe sich aus den Fakten, das Risiko und den Nutzen einer Anticholinergika-Therapie zusammen mit den Betroffenen sehr genau abzuwägen.
    Arch Intern Med 2011; 171: 920-922

    Dr. Horst Gross, Berlin


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    Die vorliegende Studie zeigt, dass das Risiko für einen akuten Harnverhalt unter einer Therapie mit inhalativen Anticholinergika steigt (Bild: PhotoDisc.)