Z Orthop Unfall 2011; 149(05): 496-497
DOI: 10.1055/s-0031-1291991
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview – "Bei entsprechender Auswertung Rückruf binnen Monaten"

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Publication Date:
07 October 2011 (online)

 
 

    Prof. Joachim Hassenpflug vom Klinikum der Universität Kiel skizziert die Arbeitsweise des neuen Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD).

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    Professor Dr. med. Joachim Hassenpflug ist Direktor der Klinik für Orthopädie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel und Geschäftsführer der EPRD gGmbH.

    ? Herr Prof. Hassenpflug, haben Sie schon die ersten Akten im Endoprothesenregister?

    Nein. Die Vorbereitungen laufen und im zweiten Quartal 2012 werden wir wirklich anfangen, Daten zu sammeln.

    ? Gemanagt wird alles von der EPRDgGmbH, die wiederum eine 100%ige Tochter der DGOOC ist. Wird das System also auch auf den DGOOC Servern aufgebaut?

    Nein, das wird das BQS-Institut als verlängerter Arm des EPRD übernehmen. Es ist die Registerstelle, wo die Daten zusammenfließen.

    ? Was wird es kosten und wer zahlt es?

    Das Finanzierungskonzept sieht eine ausgewogene Beteiligung aller Partner vor, die von den Ergebnissen profitieren, also Krankenkassen, Industrie und Krankenhäuser. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass die Kosten viel geringer sein werden als bspw. beim Englischen Register. Dort sind es an die 20 Pfund Sterling je eingetragener Prothese.

    ? Wieso wollen Sie günstiger sein?

    Vor allem, da wir uns auf bereits vorhandene Routinedaten stützen.

    ? Die Abrechnungsdaten der Krankenhäuser. Vor einiger Zeit haben Sie im ZFOU-Interview (siehe ZFOU 6/2009) aber mal gesagt, Routinedaten seien methodisch zu schlecht. Jetzt nehmen Sie doch welche?

    Die sekundäre Nutzung von Routinedaten wird aus methodischer Sicht gerne unter den Generalsverdacht einer schlechten Datenqualität gestellt. Das muss man aber im Einzelfall beurteilen. Für einige Fragestellungen sind Routinedaten wahrscheinlich sogar besser nutzbar als gesondert erhobene Daten. So wird das Einbaudatum einer Prothese in den Routinedatensätzen mit ziemlicher Sicherheit erfasst, das Wechseldatum ganz genauso. Damit habe ich einen ganz wesentlichen Parameter, nämlich die Standzeit. Auch wenn ich wissen will, ist das ein Rheumatiker, ein Diabetiker etc. dann sind diese Dinge in den DRGs und OPS-Codes aufgelistet. Und auch davon werden wir wohl Etliches verwenden können.

    ? Patienten müssen jetzt ihre Zustimmung geben, wenn ihre Daten in das Register sollen. Warum? Die Kassen nutzen anonymisierte Routinedaten längst ohne Zustimmung.

    Aber für unsere Zwecke müssen die Daten auch langfristig über die bisher übliche 10-jährige Frist hinaus verfügbar sein. Und bei möglichen Warnhinweisen muss man feststellen können, welche Prothesen tatsächlich betroffen sind, um diese Patienten gezielt zu informieren. Für beides ist eine Einwilligung der Patienten erforderlich.

    ? Wie kommen Sie an den Prothesentyp?

    Das geht durch den Abgleich mit einer Produktdatenbank, in der die Hersteller alle Angaben zu den Modellen und Modellkomponenten am Markt hinterlegen. Im OP wird dann in Zukunft nur noch der Barcode der Modelle und Komponenten eingelesen.

    ? Einige Experten meinen, das Register sei gar nicht nötig, denn man könne auf den vorhandenen Routinedatensatz der Kassen einfach noch den Barcode der Endoprothesen draufsatteln.

    Ja und dann?

    ? Dann hätten Sie doch über die Kassen alles, was Sie brauchen?

    Das sehe ich nicht so. Dann hätten die Kassen eine Globalmacht über alles. Ein Register muss aber neutral sein. Kassen wie Hersteller haben eigene wirtschaftliche Interessen und sind als neutrale Stelle nicht geeignet. Deswegen ist das EPRD eine 100%ige Tochter der Fachgesellschaft. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine konstruktive Mitarbeit aller Partner am Register denkbar.

    ? Das vielgerühmte Schwedische Register kommt aber auch ohne Produktdatenbank aus …

    Ja. Die Schweden schreiben quasi von Hand in die Registerdaten, welche Prothese es ist. Wir sind aber sehr sicher, dass wir da wesentlich genauere und differenziertere Daten bekommen. Die Schweden kriegen längst nicht jede Komponente heraus, wir können in Zukunft in jedem Einzelfall genau herausarbeiten, welche Kappe verwendet wurde, welcher Kopf, welcher Schaft. Die Produktdatenbank ist eine weltweite Innovation, um die uns sehr viele Experten beneiden.

    ? Am Ende erhält jetzt die EPRDgGmbH den kompletten Datensatz, mithin entsteht so eine neue mächtige Datensammelstelle?

    Nein, eben nicht. Wohl aber können wir die Art der Auswertung bei der BQS vorgeben. Welche Modelle wurden im Jahr wie oft implantiert, wie lange haben sie gehalten, bei Frauen, bei Männern. Liefert uns das mal. Diese Standardauswertung wird dann von der Registerstelle an das EPRD übermittelt und dort unter Federführung der Fachgesellschaft wissenschaftlich aufgearbeitet. Und dann kommt daraus ein Report.

    ? Jährlich?

    Ja.

    ? Öffentlich?

    Das ist im Detail noch zu diskutieren.

    ? Angenommen, ein bestimmtes Modell am Markt ist fehlerhaft. Wie schnell kommen Sie da in Zukunft dran?

    Relativ schnell, binnen Monaten. Das hängt davon ab, wie oft man ein Update macht. Neben der Analyse der langfristigen Leistungsfähigkeit sind spezielle statistische Testverfahren erforderlich, um kurzfristig entstandene Auffälligkeiten darzustellen. Je schneller man die Frühwarnfunktion haben will, desto kürzer macht man die Auswertungsintervalle. Die Registerauswertungen dürfen andererseits natürlich keine ungerechtfertigte Verunsicherung und Besorgnis bei den Betroffenen auslösen.
    Aber sobald sich alle einig sind, da und dort sind zu hohe Revisionswerte, bietet sich uns jetzt erstmals die Möglichkeit, das öffentlich zu machen und die betroffenen Patienten rasch zu informieren.

    ? Wird also das EPRD in Zukunft die betroffenen Patienten über Rückrufaktionen informieren?

    Die Rückverfolgung der Patienten muss insbesondere den Anforderungen des Datenschutzes genügen. Die Anonymität der Patienten in den Registerdaten darf nicht aufgehoben werden. Das bedeutet eine stufenweise Rückleitung der Informationen über die Krankenkassen an die Krankenhäuser zur Entschlüsselung.

    ? Ob Krankenhäuser mitmachen, bleibt rein freiwillig, ist das nicht ein Problem?

    Nein. Qualität ist heute entscheidend auch für das Marketing. Und da sehe ich Hebel. Auf jeden Fall wird öffentlich werden, ob ein Krankenhaus überhaupt mitmacht oder nicht. Wenn sich ein Haus dieser wichtigen Qualitätskontrolle verweigert, wird es vielleicht auch keinen grünen, sondern einen roten Punkt in den Krankenhausnavigatoren der Kassen erhalten. Das wird eh ein Selbstläufer, wir haben schon jetzt sehr viele Anfragen von Kliniken.

    ? Werden sich mit dem Register die hiesigen Fachgesellschaften stärker zu Problemen äußern? Die britischen und die australischen Orthopäden haben klare Stellungnahmen zu Problemen, etwa bei jenen mit ASR. Von DGOU, DGOOC hört man dazu wenig …

    Die Voraussetzung für eine Stellungnahme sind klare auch auf die deutsche Situation bezogene Daten. In Australien und England gibt es ja bereits ein Register.

    ? Brauchen wir Mindestmengen für Hüften?

    Das ist eine Frage, die wir dann beantworten können, wenn wir mit dem Register überhaupt Daten haben. Bis dahin ist das etwas spekulativ.

    ? Stimmen die Labortests im Vorfeld einer Markteinführung? Einige Experten meinen, dass die Industrie da mit zu geringen Belastungszahlen arbeitet. Die Patienten seien heute dicker als früher und das werde nicht kalkuliert.

    Das sehe ich nicht. Wer dicker ist, läuft meist auch weniger. Das bleibt eine Frage der Belastungssumme und gleicht sich vermutlich oft wieder aus.

    ? Wie segensreich …

    (Lacht). Nein, im Ernst: Dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen. Die Adipositas ist bisher als Wechselursache noch nicht definitiv anerkannt.

    ? Lassen sich Unfälle oder Skandale mit vorzeitig versagenden Endoprothesen verhindern oder bleiben sie Teil des Systems?

    In Skandinavien konnte die Rate an vorzeitigen Revisionen dank Register etwa halbiert werden. Das finde ich frappierend. Wenn wir von derzeit jährlich an die 35 000 Wechseloperationen hierzulande einmal bei 17 000 sind, dann hätten wir unsere Hausaufgaben gemacht.

    ? Der Rückgang in Skandinavien, steckt dahinter die dramatische Verbesserung der Chirurgie oder ist das der frühzeitigere Rückruf von schlechteren Modellen?

    Die Zahl der Produkte ging in Schweden deutlich zurück. Möglicherweise hat das aber viele Gründe. Der Effekt wird v. a. sein, dass mittelfristig alle Patienten eben diejenigen Modelle und Chirurgen nachfragen, die als Beste abgeschnitten haben.

    Interview: BE


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    Professor Dr. med. Joachim Hassenpflug ist Direktor der Klinik für Orthopädie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel und Geschäftsführer der EPRD gGmbH.