Z Orthop Unfall 2011; 149(05): 493-495
DOI: 10.1055/s-0031-1291990
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interview – "Gute Schulung der Operateure zentral für mehr Sicherheit"

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Publication Date:
07 October 2011 (online)

 
 

    Zwei Vertreter der Herstellerseite erläutern ihre Konzepte, wie sich die Sicherheit in der Endoprothetik derzeit am ehesten verbessern lässt.

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    Dr. med Hadi Saleh (S) ist Geschäftsführer der Biomet Deutschland GmbH, zugleich Stellvertretender Sprecher des Fachbereichs Endoprothetik-Implantate im BVMed.
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    Marc Michel (M) ist Geschäftsführer der Peter Brehm GmbH und Sprecher des Fachbereichs Endoprothetik-Implantate des Branchenverbands BVMed.

    ? Herr Michel, auch Deutschland kriegt jetzt ein Prothesenregister. Aber warum hat es so lange gedauert?

    M: Unsere Schuld ist das nicht. Die Industrie hat bereits 1997 an einem Endoprothesenregister e.V. mitgewirkt. Damals mit Sitz in Göttingen. Dieser Verein wurde dann leider im September 2006 wieder aufgelöst. Das lag nicht an der Industrie. Da ging es vielmehr um die Frage der Datenhoheit. Ein Gerangel, das übrigens noch bis vor Kurzem anhielt. Nein, wir sind sehr für das Register. Ich würde mir sogar wünschen, dass die Teilnahme für Kliniken verpflichtend wird.

    ? Reichen die vorhandenen Register weltweit nicht längst aus? In Australien etwa fiel bei einem bestimmten Prothesentyp 2007 eine erhöhte Revisionsrate auf. Weltweit dauerte es hingegen bis 2010 bis zu einer Marktrücknahme. Kann sich ein Hersteller so viel Zeit lassen?

    M: Wir wollen uns da nicht in ein Verfahren eines Mitbewerbers einschalten. Ein hiesiges Register brauchen wir auf jeden Fall. Denn man kann nicht pauschal eine weltweite Marktrücknahme aufgrund schlechter Ergebnisse in einem Register eines Landes postulieren. Wir hatten schon Fälle, wo Modelle im Schwedenregister sehr gute Ergebnisse zeigten, im gleichen Berichtszeitraum im Australischen Register aber vergleichsweise schlecht abschnitten. Damit ist auch klar: Gute Ergebnisse sind von vielen Variablen, wie z. B. OP-Technik, Biologie etc. abhängig, nicht nur vom Implantatdesign.

    Verantwortlich für die Sicherheit ihres Produkts sind nach derzeitiger Gesetzeslage aber v. a. die Hersteller. Nochmal die Frage, wie lange kann man sich da Zeit lassen, um vor einem womöglich globalen Rückruf negative Daten aus einem Register zu prüfen?

    M: Das ist sicher immer ein ernstes Vorkommnis, das jeder Hersteller sofort akribisch bewerten muss. Allerdings ist das nicht alleine seine Aufgabe. Wir haben in Deutschland eine Bundesoberbehörde, das BfArM, die zuständig für die Risikobewertung ist. Außerdem hat jeder einzelne Hersteller eine Benannte Stelle, die ihn auditiert, auch sie ist in der Pflicht.
    S: Einmal angenommen, das Produkt wird tatsächlich innerhalb eines kurzen Zeitraums auffällig, also binnen 3 – 6 Monaten nach Marktzugang häufen sich Meldungen. Selbstverständlich wird dann auch das BfArM aktiv, sucht den Kontakt zu dem Hersteller. Es ist dann unsere Pflicht, die Sache darzulegen. Gelingt das nicht, empfiehlt das BfArM unter Umständen, das Produkt zurückzurufen. Und dieser Überwachungsfunktion, die das BfArM ausübt, kann man sich als Hersteller nicht entziehen. Wir hatten das Problem glücklicherweise noch nicht.

    ? Haben Bewertungen beim BfArM in den letzten Jahren je dazu geführt, dass Endoprothesen vom Markt genommen wurde? Der Rückruf von De Puy erfolgt "freiwillig", wie die Firma erklärt.

    M: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Auch in meinem Unternehmen gab es bislang keinen Rückruf.

    ? Ist das System der Surveillance nach Marktzugang also in Ordnung? Oder sehen Sie Verbesserungsbedarf?

    M: Es ist auf jeden Fall seit Kurzem schärfer geworden. Die Benannten Stellen verlangen heute im Zuge der Zulassung von Klasse III-Produkten, also auch Endoprothesen, Studien nach Marktzugang, abgekürzt PMCF (Red.: für Post Market Clinical Follow Up).

    ? Was heißt das konkret?

    M: Der Gesetzgeber fordert die Marktüberwachung, wie diese Studien aussehen, kann letzen Endes der Hersteller entscheiden, die Benannte Stelle muss dem Plan dann zustimmen.

    ? Welchen Aufwand betreiben Unternehmen da konkret?

    M: Das kann ich aus dem Stand heraus nicht sagen. Das ist vom Umfang her sehr heterogen. Das hat auch was damit zu tun, wie groß bei einer Innovation das Neuland ist, das wir womöglich betreten. Auch das Prothesenregister geht im Übrigen ja jetzt just in diese Post Market-Studien ein.

    ? … was zum Interesse der Hersteller am neuen Register beigetragen haben dürfte?

    M: Natürlich. Darum muss man kein Geheimnis machen.

    ? Das Register, so die Hoffnung mancher Experten, könnte bald eine Frühwarnfunktion übernehmen, um Modelle, die Probleme zeigen, rascher als bislang vom Markt zu holen.

    M: Das glaube ich gerade nicht.

    ? Wieso nicht?

    M: Wegen des nötigen zeitlichen Vorlaufs, bevor Sie Probleme sehen. Ob eine Prothese verlässlich funktioniert oder nicht so ganz, das sehen Sie frühestens nach 3 Jahren, eher nach 5. Dann sind aber bereits viele der Prothesen implementiert.
    S: Nur wenn eine Prothese einen grundlegenden konstruktiven Fehler haben sollte, kann man das vielleicht frühzeitig im Register sehen. Aber das halte ich für ein rein theoretisches Konstrukt. Denn die präklinischen Tests sind heute alle so standardisiert, biomechanische Tests mit mehreren Millionen Belastungszyklen, und einer Last, die quasi im wirklichen Leben gar nicht vorkommt.

    ? Diese Tests sorgen heute bestmöglich dafür, dass die Modelle, die auf den Markt kommen, sicher sind?

    S: Prinzipiell ja.

    ? Manche Experten meinen, die Industrie arbeite da unterdessen z. T. mit überholten Belastungszahlen. Die Menschen seien im Schnitt heute dicker als noch vor Jahren!

    S: Ich kann das nur für mein Unternehmen beantworten. Wir tragen dem Rechnung.
    M: In der Tat sind manche Normen durchaus kritisch zu werten. Das hat auch uns in der Firma dazu veranlasst, Werte, die sich aus den Normen ergeben, freiwillig um ein Vielfaches nach oben zu setzen.

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    Eines der möglichen Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit in der Endoprothetik könnte in der besseren Schulung der Chirurgen liegen. Möchte ein Chirurg eine noch nie verwendete Prothese implantieren, sollte es heißen: No train, no use.(Bilder: privat)

    ? Zurück zu aktuellen Problemfällen, Rückruf von ASR durch De Puy, hohe Revisionsraten in einem Freiburger Klinikum mit einem Zimmer-Modell … in beiden Fällen handelt es sich um Metall-Gleitpaarungen. Die FDA hat plötzlich alle derartigen Gleitpaarungen im Visier. Hat die Industrie bei der Entwicklung da wirklich alles richtig gemacht?

    M: In meiner Eigenschaft als Geschäftsführer sage ich: Wir haben in unserer Firmenhistorie noch nie Metall auf Metall gemacht. Aus meiner Sicht ist die Diskussion um Metallabrieb bei diesen Modellen berechtigt. Allerdings ist Metall zu Metall in Deutschland so gut wie überhaupt nicht mehr existent, wenn man mal die Kappenprothesen außen vor lässt.

    ? Und was sagen Sie zur Kritik mancher Experten, dass die Hersteller heute in etlichen Serien zu große Gelenkköpfe einbauen?

    S: Da haben Sie wie so oft Zielkonflikte. Je größer der Kopf einer Endoprothese, desto geringer ist zunächst mal das Risiko der Dislokation und desto größer die Beweglichkeit für einen Patienten. Nun gibt es andererseits anatomische Grenzen, wie z. B., dass ab bestimmten Größen der Köpfe in einem Kunstgelenk schlicht der Oberschenkelknochen an das Becken stößt. Auch wenn es international noch keine Guideline dazu gibt, teile ich doch die Ansicht, dass man hier irgendwo an einem gewissen Limit angekommen ist.
    M: Wir haben nur Köpfe im Programm bis 36 mm Durchmesser. Weil wir in der Tat festgestellt haben, dass man sich bei einem großen Kopf ein paar Nachteile einhandelt.
    S: Andererseits darf ich auch darauf hinweisen – wenn ein Implantat oder besser eine Implantatkombination nicht so gut funktioniert, dann regelt sich der Markt selbst. Das Produkt wird binnen ganz kurzer Zeit nicht mehr nachgefragt.

    ? Ja, aber einige 1000 Betroffene oder mehr haben es womöglich bis dahin erhalten. Die Frage bleibt doch: Wie bekommen wir just dieses Problem weg?

    S: Auf jeden Fall wird diese Diskussion derzeit viel zu einseitig um die Frage von Problemen mit den Prothesen selber geführt.

    ? Wieso das?

    S: Nach dem Schwedischen Register ist gerade mal bei 1,4 % der Fälle der Grund tatsächlich ein Implantatversagen. Bei knapp 57 % aber eine aseptische Lockerung, in 11 % eine Luxation, in 10 % ein tiefer Infekt. Das sind die Ziffern für 2008. Es gibt also viel wichtigere Gründe als ein Implantatversagen, wenn man die Sicherheit der Endoprothetik weiter verbessern will.

    ? Grund für eine aseptische Lockerung könnte vielleicht auch ein Metallabrieb sein, der am Ende wiederum mit Konstruktionsfehler einer Prothese zu tun hat?

    S: Da sind sich die Experten in der Tat über die Ursachen uneins. Aber das wird nicht die Regel sein.
    M: Bei so viel Industrieschelte darf man vielleicht auch mal folgende Frage stellen: Haben wir es als Industrie wie Ärzteschaft es womöglich versäumt, dem Patienten umfassend zu erklären, dass er ein Kunstgelenk hat, das ein Stück weit einen adaptierten Lebensstil erfordert. Wenn wir alle meinen, wir können den Leuten sagen, dass sie hinterher wieder Buckelpisten fahren, oder Squash spielen, das geht nicht.

    ? Das wirkt jetzt, pardon, ein wenig nach Weiterreichen des Schwarzen Peters.

    S: 1,4 % echte Implantatfehler in Schweden! Das heißt, dass wir uns hier im Gespräch bislang auf 1,4 % der Probleme konzentriert haben.

    ? Also was dann tun, um mehr Sicherheit für Endoprothesen zu erhöhen?

    M: An erster Stelle müssen wir intensiv über die richtige Schulung und Weiterbildung der Operateure für eine richtige Implantation diskutieren. An zweiter Stelle darüber, ob die Normen für die Belastungstests im Vorfeld immer ausreichen. Und drittens überlegen, ob es eine Möglichkeit gibt, im Rahmen der klinischen Prüfungen noch genauer hinzuschauen.

    ? Was halten Sie von der Idee eines strengen Zulassungsverfahrens ähnlich wie bei Arzneimitteln?

    M: Tatsächlich gibt es in Deutschland doch längst ein Zulassungsverfahren für Prothesen …

    ? Wie bitte? Es gibt keine behördliche Zulassung.

    M: Aber wir haben hier ein Zulassungsverfahren, bei dem eine Benannte Stelle nach den strengen europäischen Richtlinien Produkte auf den Markt lässt oder nicht. Und das Gesetz fordert dabei vom Hersteller einen validen Nachweis der Sicherheit und Leistungsfähigkeit seiner Produkte. Wir haben damit einen sehr aufwendigen Zulassungsprozess.

    ? Die Europäischen Kardiologen fordern z. B., dass die EU eine neue Behörde benennt oder einrichtet, die eine Zulassung von Amtes auch für Medizinprodukte macht …

    S: Das Letzte, was wir alle wollen, ist ein bürokratisches Monster, wo der Zulassungsprozess als solcher dann 2 Jahre dauert. Das wäre wirklich innovationsfeindlich.
    M: Außerdem können Sie das Konzept der Klinischen Studien, wie es bei der Zulassung von Pharmaka genützt wird, bei der Endoprothetik eben nicht nützen, weil hier die Schere zwischen gut und weniger gut eben erst ab einem langfristigen Verlauf nach Jahren aufgeht. In der Endoprothetik bleibt immer unser großes Problem, dass wir klinische Validierung vorab nur simulieren können.

    ? Was ist mit dem Vorschlag einer Erprobungsphase neuer Modelle in Klinischen Zentren?

    S: Ich könnte mir das für Klasse III-Medizinprodukte, also auch Endoprothesen vorstellen.
    M: Wir finden derzeit allerdings etwas anderes viel wichtiger.

    ? Was?

    M: Mehr Training für die Chirurgen ist für uns das zentrale Thema. Wir haben bei uns im Unternehmen die Richtlinie, dass ein Mediziner, der von uns ein Implantat bekommt, mit dem er noch nicht zu tun hatte, sich damit erst beschäftigen muss. Idealerweise macht er vor einer eigenen Operation erst mal einen Workshop. Die Überschrift heißt bei unS: No train, no use.

    ? Und das machen die Chirurgen auch immer mit?

    M: Da können wir nur gemeinsam eine Lösung schaffen. Was ich mir wünschen würde: Eine Art Selbstverpflichtung der Fachgesellschaften und der Industrie. Beide sagen zusammen: Unsere Mitglieder, auf der einen Seite die Ärzte, auf der anderen die Firmen, sorgen für ein flächendeckendes No train, no use. Und bevor das nicht durchlaufen ist, keine Anwendung. Wir versuchen derzeit beide, diesen Gedanken nach vorn zu bringen.

    Interview: BE


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    Dr. med Hadi Saleh (S) ist Geschäftsführer der Biomet Deutschland GmbH, zugleich Stellvertretender Sprecher des Fachbereichs Endoprothetik-Implantate im BVMed.
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    Marc Michel (M) ist Geschäftsführer der Peter Brehm GmbH und Sprecher des Fachbereichs Endoprothetik-Implantate des Branchenverbands BVMed.
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    Eines der möglichen Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit in der Endoprothetik könnte in der besseren Schulung der Chirurgen liegen. Möchte ein Chirurg eine noch nie verwendete Prothese implantieren, sollte es heißen: No train, no use.(Bilder: privat)