physiopraxis 2011; 9(6): 13-15
DOI: 10.1055/s-0031-1283252
physiopolitik

Margrit List – Kein bisschen leise

Das Gespräch führtenRosi Haarer-BeckerKathrin Bauer
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Publication Date:
24 June 2011 (online)

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    In den 1980er Jahren war Margrit List WCPT-Präsidentin, die meisten haben sie wohl als Leiterin der Physiotherapieschule der Universität München im Gedächtnis. Heute noch rufen ehemalige Schüler an und treffen sich mit ihr auf einen Kaffee. Das hat gute Gründe. physiopraxis sprach mit einer politisch engagierten Frau in einem Münchner Cafe über Berufs- und Frauenpolitik.

    Frau List, treffen wir Sie im Juni in Amsterdam beim Weltkongress der Physiotherapeuten?

    Ja, als ehemalige Präsidentin habe ich eine Einladung der jetzigen Präsidentin, Marilyn Moffat, erhalten. Das freut mich natürlich sehr, und ich nehme sie gern an.

    Haben Sie sich schon bestimmte Kongressthemen ausgesucht?

    Das liegt doch auf der Hand: Education. Die Ausbildung liegt mir am Herzen. Ich kämpfe schon seit den 1980er Jahren für eine bessere Ausbildungsqualität. Ich sehe allerdings mit Schrecken, dass sie eher schlechter wurde.

    Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für den Qualitätsverlust?

    Das liegt sicher daran, dass es bei der Vielzahl der Schulen nicht mehr möglich ist, alle dort anzusiedeln, wo die theoretische und praktische Ausbildung adäquate Voraussetzungen findet, wie an Kliniken und Universitäten. Als ich Schulleiterin war, leitete ich parallel dazu auch das Praktikum auf einer traumatologischen Station an der Universitätsklinik. Die eigene Arbeit auf der Station und die Ausbildung der Schüler gingen Hand in Hand.

    Ein weiterer Grund für den Qualitätsverlust liegt in der veralteten Gesetzgebung, die keine speziell qualifizierten Lehrer fordert. Die Entwicklung der Physiotherapie verlangt auch im europäischen Vergleich wissenschaftliche Grundlagen und neue Standards.

    Vor Kurzem machte ich selbst Erfahrungen mit mangelhaft ausgebildeten Kollegen.

    Was ist passiert?

    Nach einer Knieoperation fiel ich in der Reha-Klinik in die Hände von Physiotherapeuten. Ich dachte, dass heute alle Therapeuten die Wundheilungsstadien kennen und ihre Maßnahmen angemessen und befundbezogen dosieren. Doch statt gezielter Physiotherapie sollte ich viel zu früh an Geräten trainieren. Wie man mit verletzten Strukturen in der Heilungsphase umgeht, wussten wir schon vor 30 Jahren. Ich war über die fehlenden Kenntnisse in der Physiologie und Biomechanik erschüttert.

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    Margrit List (77) absolvierte nach ihrem Abitur die Physiotherapieausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Physiotherapie an der Ludwig Maximilian Universität München. Später leitete sie diese knapp 30 Jahre selbst. 1972 wirkte sie im Athletenbehandlungszentrum der Olympischen Spiele in München mit. Von 1979 bis 1983 war sie zweite Vorsitzende des deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK), von 1983 bis 1988 Präsidentin der World Confederation for Physical Therapy (WCPT).

    Die Interessen und die Förderung von Frauen liegen ihr besonders am Herzen: Sie ist Mitglied bei Zonta, war Präsidentin eines Münchner Zonta Clubs, Area-Direktorin und Unionspräsidentin der deutschen Zonta Clubs. Seit 2005 ist sie Vizepräsidentin des Bayerischen Landesfrauenrats und erhielt 1991 und 2005 die Bundesverdienstkreuze am Bande und erster Klasse. (Foto: A. Pötting)

    Sie engagieren sich für die Verbesserung der Ausbildung. Der Fachausschuss Bildungspolitik im Bayerischen Landesfrauenrat hat unter Ihrem Vorsitz im Dezember 2010 ein Positionspapier zur Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe erarbeitet.

    Ja. Der Bayerische Landesfrauenrat (BayLFR) befürwortet die Einrichtung eines grundständigen Studienganges für die Gesundheitsfachberufe in Bayern zur Höherqualifizierung dieser Frauenberufe. Parallel dazu soll es weiterhin die Ausbildung an Berufsfachschulen geben, mit der Möglichkeit, begleitend oder anschließend einen Bachelor-, Master- oder Promotionsabschluss zu erreichen.

    Das Positionspapier des BayLFR hat übrigens auch in der Physiotherapiewelt positive Reaktionen ausgelöst: Der Landesverband Bayern des ZVK begrüßte die Stellungnahme.

    Sie meinen also, dass wir die Ausbildung an Berufsfachschulen weiterhin brauchen?

    Mir ist wichtig, dass die Praxis nicht verloren geht. Aber die Ausbildung auf Berufsfachschulebene braucht eine andere, zum Beispiel eine modulare Struktur, um, wie gesagt, durchlässig für weitere akademische Abschlüsse zu sein.

    Ich bin aber absolut der Meinung, dass Physiotherapeuten, die wissenschaftlich arbeiten, lehren oder Managementfunktionen übernehmen, eine universitäre Ausbildung brauchen.

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    Anregender Besuch: Rosi Haarer-Becker und Kathrin Bauer trafen eine bewegte Margrit List, die nicht locker lässt, wenn es um die Qualität in der Physiotherapie geht. (Foto: A. Pötting)

    Wie kamen Sie in den Landesfrauenrat?

    Ich bin seit 30 Jahren bei Zonta, einer internationalen Organisation für Frauen in Führungspositionen. Als Delegierte von Zonta kam ich in den BayLFR, den Dachverband aller Frauenverbände in Bayern. Um dort aktiv mitwirken zu können, habe ich mich im Fachausschuss Bildungspolitik engagiert, dessen Vorsitz ich seit neun Jahren habe. Seit 2005 bin ich Vizepräsidentin, und das noch bis 2013.

    Und woran arbeiten Sie im BayLFR?

    Wir erarbeiten Stellungnahmen für das bayerische Parlament, die Regierung, für Verbände und Institutionen. Der BayLFR unterhält Fachausschüsse, die zu aktuellen Themen Positionen erarbeiten. In meinem Fachausschuss wurden in letzter Zeit beispielsweise Stellungnahmen erarbeitet zu chancengerechter Bildung und zum demografischen Wandel.

    Grundsätzlich setzt sich der BayLFR für eine bessere Stellung der Frauen ein.

    Der BayLFR hat sich für eine Kammer ausgesprochen.

    Ja. Eine Kammer kann bessere Standards festlegen und Qualitätskontrollen durchführen. Den Berufsverbänden ist es offensichtlich bisher nicht gelungen. Sie versuchen es seit 30 oder 40 Jahren vergeblich. Die Berufsgruppen der einzelnen Gesundheitsfachberufe, die sie vertreten, sind zu klein. Eine Kammer für die Gesundheitsfach- und Pflegeberufe zusammen wäre wünschenswert. Sie könnte ganz andere Forderungen stellen. Denn das Fordern war schließlich nie die Stärke dieser Berufe.

    Ich will Frauen in Führungspositionen sehen. Frauen denken und führen anders.

    Europaweit ist die Kammer ja kein Modell. Wäre eine deutsche Kammer mit Zwangsmitgliedschaft nicht ein Hindernis in Bezug auf die Freizügigkeit in der EU?

    Ja, das stimmt. Aber das wäre letztlich eine Frage der Statuten. Natürlich darf es nicht sein, dass Therapeuten aus dem Ausland, die sich in Deutschland niederlassen, ohne Anerkennung durch die Kammer eine Praxis führen.

    Ihnen geht es nicht nur um die Entwicklung der Gesundheitsfachberufe, sondern allgemein um verbesserte berufliche Chancen für Frauen in Führungspositionen?

    Ja. Dafür engagiere ich mich seit Jahren. Denn es reicht leider nicht, auf Freiwilligkeit zu setzen, wenn es darum geht, die Frauenquote in Führungsgremien zu erhöhen.

    Frauen machen bessere Schul- und Ausbildungsabschlüsse, sie repräsentieren 50 Prozent der Gesellschaft, gelangen aber kaum in Führungspositionen. Wir haben so viele profilierte Physiotherapeutinnen, trotzdem sind viele Abteilungsleitungen und Führungspositionen in Verbänden von Männern besetzt.

    Natürlich müssen sich Frauen auch mehr zeigen, müssen wollen und fordern. Ich möchte alle Frauen motivieren, sich zu engagieren. Wenn die Arbeitswelt neue Strukturen schafft, lassen sich Familie und Beruf vereinbaren. Die Stichworte sind Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, familienfreundliche Arbeitszeiten, aber auch die Mitverantwortung der Männer für die Kindererziehung und den Haushalt. Wir müssen die Männer mitnehmen. Die Veränderungen lassen sich nur mit ihnen durchsetzen.

    Familie und Beruf lassen sich vereinbaren?

    In den nordischen Ländern klappt das. In Deutschland müssen sich die Frauen allerdings von der Idee verabschieden, dass sie nur selbst die eigenen Kinder erziehen können.

    Arbeiten beide Elternteile zu 75 Prozent, könnten sie sich viele Aufgaben teilen. Auch die, die oft auf Frauen abgewälzt werden, wie die Betreuung der Kinder und kranken Eltern.

    ZONTA

    Frauen stärken Frauen

    Zonta ist ein internationaler Zusammenschluss von berufstätigen Frauen in leitender oder selbstständiger Position.

    In Deutschland gibt es Zonta seit 80 Jahren. Die Clubstruktur ist nach Städten gegliedert. Die Mitglieder eines Clubs kommen aus unterschiedlichen Berufsgruppen.

    Zonta-Philosophie: Über den eigenen beruflichen Horizont schauen, Einblick in andere Berufe bekommen, gegenseitige Toleranz. Alle Mitglieder unterstützen sich gegenseitig mit ihrem Können, Wissen, ihren finanziellen Mitteln und Verbindungen.

    Wer sich für Zonta interessiert, findet nähere Informationen dazu im Internet unter www.zonta-union.de.

    BAYERISCHER LANDESFRAUENRAT

    Fraueninteressen Gehör verleihen

    Der Bayerische Landesfrauenrat setzt sich für Gleichberechtigung, Chancengleichheit und eine verbesserte Situation der Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Er ist ein Zusammenschluss von 47 Landesfrauenverbänden und -gruppen gemischter Landesverbände. Er ist überkonfessionell, überparteilich und unabhängig. In jedem Bundesland gibt es einen Landesfrauenrat.

    Infos zum BayLFR finden Sie unter www.stmas.bayern.de/frauen/rat.

    Das Positionspapier zur Ausbildung, das der BayLRF im Dezember 2010 veröffentlichte, finden Sie hier: www.stmas.bayern.de/frauen/rat/1012_pm-pagesund.pdf.

    Tut es der Physiotherapie gut, dass der Männeranteil steigt?

    Ja, schon. Als wir die ersten Männer in der Physiotherapieschule aufnahmen, dachten wir ehrlich gesagt, dass sich das auf die Gehaltsstruktur auswirkt. Wir nahmen an, dass die Männer mehr fordern und größeren Druck machen würden. Das ist allerdings nicht passiert.

    Was ist Ihr berufspolitisches Ziel?

    Ich will mehr Frauen in Führungspositionen sehen. Frauen denken anders, sie führen anders. Vorbilder gibt es auch in der Physiotherapie. Während meiner Arbeit für den Weltverband WCPT habe ich gesehen, welchen Status Physiotherapeutinnen in den USA oder in den nordischen Ländern haben. Dagegen sind wir rückständig: „Ja, Herr Doktor. Bitte, Herr Doktor.“ Und das, obwohl die Qualität der Physiotherapie insgesamt in den letzten Jahren enorm gestiegen ist. Ich wünsche mir selbstbewusste Frauen, die Verantwortung übernehmen.

    Ich wünsche mir selbstbewusste Frauen, die Verantwortung übernehmen.

    Heißt mehr Verantwortung zu übernehmen für Sie, dass Patienten direkten Zugang zur Physiotherapie haben sollten?

    Ja, das wäre eine vernünftige Sache, wenn die Ausbildung entsprechend qualifiziert ist. Das heißt in einem Studiengang umfassend selbstständiges Handeln vorbereitet und anschließend Erfahrungen in selbstständiger Tätigkeit gesammelt wurde. Derzeit müssen Berufsanfänger sich mit teuren Fortbildungen das Rüstzeug für die Berufstätigkeit erwerben und verschulden sich sogar.

    Was war das persönliche Highlight im Berufsleben der Physiotherapeutin Margrit List?

    Meine Rede zur Eröffnung des Weltkongresses 1987 als Präsidentin der WCPT in Sydney, in diesem wunderbaren Opernhaus, das war ein echtes Highlight.

    Zudem ist es schön, dass ich durch meinen Beruf viele wunderbare Menschen weltweit kennenlernen durfte. Auch die vielen Schüler, die heute noch manchmal anrufen und fragen: „Ich bin in München. Können wir uns auf einen Kaffee treffen?“ Es ist schön, wenn man für viele Menschen etwas Sinnvolles getan hat. Das soll nicht eitel klingen, aber ich bin stolz darauf, dass meine Bemühungen Früchte tragen.

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    Margrit List (77) absolvierte nach ihrem Abitur die Physiotherapieausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Physiotherapie an der Ludwig Maximilian Universität München. Später leitete sie diese knapp 30 Jahre selbst. 1972 wirkte sie im Athletenbehandlungszentrum der Olympischen Spiele in München mit. Von 1979 bis 1983 war sie zweite Vorsitzende des deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK), von 1983 bis 1988 Präsidentin der World Confederation for Physical Therapy (WCPT).

    Die Interessen und die Förderung von Frauen liegen ihr besonders am Herzen: Sie ist Mitglied bei Zonta, war Präsidentin eines Münchner Zonta Clubs, Area-Direktorin und Unionspräsidentin der deutschen Zonta Clubs. Seit 2005 ist sie Vizepräsidentin des Bayerischen Landesfrauenrats und erhielt 1991 und 2005 die Bundesverdienstkreuze am Bande und erster Klasse. (Foto: A. Pötting)

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    Anregender Besuch: Rosi Haarer-Becker und Kathrin Bauer trafen eine bewegte Margrit List, die nicht locker lässt, wenn es um die Qualität in der Physiotherapie geht. (Foto: A. Pötting)