Psychiatr Prax 2011; 38(05): 265
DOI: 10.1055/s-0031-1283098
Mitteilungen der BDK
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychiatrie in Transkarpatien/Ukraine

Walter Rätzel-Kürzdörfer
,
Manfred Wolfersdorf
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
01. Juli 2011 (online)

 
 

    Der Bezirk Oberfranken schloss im Jahr 2001 einen Partnerschaftsvertrag mit dem Gebietsrat von Transkarpatien. Neben kulturellen Inhalten ist die Unterstützung der psychiatrischen Versorgung Bestandteil des Vertrages.

    Im September 2005 fand eine erste Reise der beiden Autoren nach Transkarpatien statt. Vier psychiatrische Versorgungseinrichtungen wurden besichtigt:

    • Psychiatrische Klinik in Beregovo

    • Psychiatrische Klinik in Vilschany

    • Suchtfachklinik in Uzhorod (Psychiatrie und Suchtmedizin sind in der Ukraine getrennt)

    • Tagesklinische Einrichtung in Uzhorod

    Erste Eindrücke lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

    • Stigmatisierung von psychisch Erkrankten ("Wegsperren")

    • Schwerpunkt auf pharmakologischer Behandlung

    • Fehlende Integration von Psychotherapie und Soziotherapie

    • Fehlende, nicht ausreichende Qualifikation der Mitarbeiter in der psychiatrischen Versorgung

    • Neben Ärzten und Pflegepersonal, keine weiteren Berufsgruppen, wie Psychologen, Sozialpädagogen, Ergotherapeuten ect.

    Die Klinik in Beregovo ist eine der zentralen und größten psychiatrischen Versorgungseinrichtungen für die Region Transkarpatien. Diese Einrichtung hat seit dem Jahr 2005 bis heute die wohl tief greifendste Veränderung hinzu differenzierten psychiatrisch-psychotherapeutischen Angeboten durchlaufen. Damals war die intensive Bitte der Chefärztin: "Professor, wir müssen den Ärzten etwas beibringen" und "die Hygiene ist auf niedrigstem Niveau – das zu ändern ist mir zunächst das Allerwichtigste". Inzwischen gibt es bereits eine "innere Differenzierung" – ein sog. "Neurosenhaus" wurde eröffnet, Männer und Frauen werden gemeinsam behandelt. Das Milieu in der Klinik ist freundlich – zugewandt. Soziotherapeutische und psychotherapeutische Behandlungselemente, wie z.B. Ergotherapie wurden eingeführt. Die Orientierung nach der Klinikbehandlung nach "Draußen" ist ein Thema. Patienten haben inzwischen "normale" Kleidung und laufen nicht mehr in Einheitsschlafanzügen durch die Klinik.

    Eine zweite zentrale psychiatrische Versorgungseinrichtung in Transkarpatien ist die Klinik in Vilschany. Diese Einrichtung liegt mitten in den Karpaten und hinterlässt alleine schon durch ihre exponierte Lage einen nachhaltigen Eindruck. Ein 75-jähriger Psychiater, in Sibirien ausgebildet, leitet die Klinik. Haloperidol und Arbeitstherapie waren bei dem ersten Besuch im Jahr 2005 die eindrücklichsten Behandlungsinhalte. Männer und Frauen waren streng getrennt, Frauen waren mit "Mantelschürzen" und Männer nur mit Schlafanzügen bekleidet. Es stand Bett an Bett – etwa 20 Betten in einem Raum, in dem eine Person die Patienten "bewachte". Der Geruch nach schlechter Hygiene war dominant, ein großes Problem waren Läuse und Pilze. "Toiletten spiegeln die Kultur wider", so der Ärztliche Direktor. In dieser Einrichtung "leben" etwa 230 Patienten in 4 Gebäuden, davon etwa 60 mit aktiver Tuberkulose. Insgesamt sind 4 Ärzte, 50 Pflegepersonal und 70 Hilfskräfte beschäftigt. Aber auch in dieser Einrichtung sind über die letzten Jahre Veränderungen deutlich geworden. Ein Sanierungsprogramm der 4 Gebäude ist eingeleitet worden, die 20-Betten-Säle sind verschwunden, gezielte tagesstrukturierende Angebote sind eingeführt, Patienten haben ordentliche Kleidung, die hygienischen Verhältnisse haben sich deutlich verbessert. Dennoch scheint diese Einrichtung für viele Patienten eine Heimat zu bedeuten und hinterlässt immer noch den Eindruck einer großen "Zweckgemeinschaft".

    Die Suchtfachklinik in Uzhorod ist die "modernste" Einrichtung dieser Region. Sie wird ständig um- und ausgebaut und verfügt neuerdings auch über eine Substitutionsambulanz, außerdem wird eine qualifizierte Entgiftungsbehandlung angeboten. In dieser Einrichtung arbeiten Psychologen, Sport- und Bewegungstherapeuten.

    Leider scheint es die tagesklinische Einrichtung in Uzhorod, die die Autoren im Jahr 2005 besichtigten nicht mehr zu geben. Diese, so hatte es damals den Anschein, hätte der Einstieg in eine gemeindenahe, komplementäre Versorgung psychisch Erkrankter sein können.

    Die Psychiatrie in Transkarpatien steht noch am Anfang einer Entwicklung hinzu zu einer westlich orientierten Psychiatrie, wenngleich bereits einige vielversprechende Prozesse eingeleitet wurden.

    Beispielgebend ist die Veränderung der Psychiatrischen Klinik in Beregovo mit einer inneren Differenzierung und einem multiprofessionellen Behandlungsansatz. Der anfänglich festgestellte Verwahrcharakter wurde inzwischen von tagesstrukturierenden Aktivitäten, Psychotherapie und insgesamt von einem therapeutisch-empathischen Klima abgelöst. Die Qualität der Suchtkrankenbehandlung lässt sich mit westlichen Standards vergleichen.

    Es ist festzustellen, dass wegen der sich häufig veränderten politischen Lage, und damit auch wechselnden Protagonisten, ein konsequenter und homogener Entwicklungsprozess der Psychiatrie erschwert wird. Veränderungen in den einzelnen Einrichtungen sind sehr stark von Einzelpersonen abhängig. Die Autoren haben über die Jahre höchst engagierte Mitarbeiter in den Einrichtungen kennengelernt, die ihre Erfahrungen bei Hospitationen in psychiatrischen Einrichtungen des Bezirks Oberfranken, insbesondere in Bayreuth, vor Ort in Transkarpatien umgesetzt haben. Mittelfristig muss aber auch in Transkarpatien ein komplementäres Versorgungssystem um die stationären Versorgungseinrichtungen herum aufgebaut werden. Ein weiteres Ziel ist das verstärkte Implementieren von Psychotherapie und weiteren soziotherapeutischen Maßnahmen, um den Bedürfnissen der psychisch Erkrankten in Transkarpatien gerecht zu werden.


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